Inhalt

LG Bamberg, Endurteil v. 10.04.2025 – 41 O 690/24 Ver
Titel:

Nachweis eines bedingungsgemäßen Unfalls in der privaten Unfallversicherung

Normenketten:
AUB 2012 Ziff. 1.3, Ziff. 2.4.1, Ziff. 2.6.1
VVG § 178
Leitsatz:
Kann nicht geklärt werden, ob eine Hirnblutung mit nachfolgendem Tod durch einen Sturz des Versicherten verursacht wurde, weil auch andere Ursachen für die Blutung in Betracht kommen, die kein Unfallereignis darstellen, besteht für den Versicherer keine Leistungspflicht aus einer unter Geltung der AUB 2012 abgeschlossenen Unfallversicherung (Rn. 19 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
private Unfallversicherung, Unfallereignis, Sturz, Hirnblutung, Alternativszenarien, Tod, Todesfallleistung, Krankenhaustagegeld
Fundstelle:
BeckRS 2025, 17341

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 57.610,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin macht als Bezugsberechtigte nach dem Tod ihres am ... 2023 verstorbenen Ehemanns … Ansprüche aus einem Unfall-Versicherungsvertrag geltend.
2
Zwischen … und der A. M. Versicherung AG, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, bestand unter der Versicherungsnummer ... ein Vertrag über eine Privatversicherung, die u.a. auch eine Unfallversicherung umfasste. Die Klägerin ist ausweislich des Versicherungsscheins bezugsberechtigt bei Unfalltod. Nach Anpassung der Versicherungsleistungen im Rahmen einer Dynamikerhöhung zum 01.03.2023 waren zuletzt unter anderem folgende Leistungen vereinbart (Anl. K4):

„(…)

Todesfall-Leistung

56.500,00 €

Erweitertes Krankenhaus-Tagegeld

- vom 1. Bis 42. Tag

74,00 €

(…)"

3
In den Vertrag einbezogen sind die als Anl. K3 vorgelegten UN 9011 – Allgemeine Unfall-Versicherungsbedingungen (AUB 2012). Diese enthalten u.a. folgende Bestimmungen:
„(…)
1.3 Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.
(…)
2.4 Krankenhaus-Tagegeld
2.4.1 Voraussetzungen für die Leistung: 2.4.1.1 Die versicherte Person befindet sich wegen des Unfalles in medizinisch notwendiger vollstationärer Hellbehandlung.
(…)
2.6 Todesfall-Leistung
2.6.1 Voraussetzungen für die Leistung:
Die versicherte Person ist infolge des Unfalles innerhalb eines Jahres gestorben.
(…)
3 Welche Auswirkung haben Krankheiten oder Gebrechen?
Als Unfallversicherer leisten wir für Unfallfolgen. Haben Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt, mindert sich
-
im Falle einer Invalidität der Prozentsatz des Invaliditätsgrades,
-
und in allen anderen Fällen die Leistung
entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens. Beträgt der Mitwirkungsanteil weniger als 25 %, unterbleibt jedoch die Minderung.
(…)
5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen:
5.2.1 Schäden an Bandscheiben sowie Blutungen aus inneren Organen und Gehirnblutungen.
Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn ein unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis nach Ziffer 1.3 die überwiegende Ursache ist.
(…)"
4
… hatte am 11.09.2023 noch keine Beschwerden. Gegen 13:20 Uhr wurde er von der Zeugin … bewusstlos auf dem Fußboden der Küche seiner Wohnung in der … aufgefunden. Er trug zu diesem Zeitpunkt gestrickte Strümpfe und keine Schuhe. Unverzüglich nach dem Auffinden wurde er durch einen Notarzt intubiert und vom Rettungsdienst ins Klinikum B. verbracht.
5
Dort war er bei Eintreffen im Schockraum komatös und tief sediert. Eine sichtbare Kopfverletzung wurde nicht festgestellt. Im CCT stellte sich eine große linkshemisphärische Blutung mit Ventrikeleinbruch und Mittellinienshift dar. Am 26.09.2023 entwickelte er eine schwere Kreislaufinsuffizienz. Bei einer Echokardiographie stellten sich Zeichen einer akuten schweren Rechtsherzbelastung dar, welche rasch fortschritt und in einen funktionellen Herzkreislaufstillstand ausuferte. Eine Reanimation scheiterte. … verstarb am 26.09.2023 an einem Kreislaufstillstand bei Rechtsherzversagen infolge einer fulminanten Lungenarterienembolie.
6
Die Klägerin behauptet, ihr Ehemann sei am 11.09.2023 in der Küche seiner Wohnung mit dem Kopf auf den Boden gestürzt. Hierdurch habe er eine Stammganglienblutung erlitten. Der Tod des … am 26.09.2023 sei Folge des behaupteten Sturzes vom 11.09.2023 gewesen, der zu einem Kreislaufstillstand bei rechtsseitigem Herzversagen infolge einer fulminanten Lungenarterienembolie geführt habe.
7
Sie meint, der Versicherungsschutz sei auch nicht gemäß Ziff. 5.2.1 AUB 2012 ausgeschlossen, da die Gehirnblutungen durch das behauptete Unfallereignis verursacht worden seien. Im Übrigen hätten auch Vorerkrankungen an dem Tod des ... nicht oder allenfalls zu weniger als 25 % mitgewirkt.
8
Die Klägerin begehrt Zahlung der Todesfallleistung von 56.500,00. € sowie Krankenhaustagegeld für 15 Tage.
9
Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 57.610,00 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 31.05.2024 zu bezahlen.
10
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
11
Die Beklagte behauptet, wenn … mit dem Kopf auf den Boden gestürzt wäre, hätte er eine sichtbare Kopfverletzung davongetragen.
12
Sie meint, selbst wenn die Klägerin einen Sturz des … beweisen könnte, könne sie jedenfalls nicht beweisen, dass hierdurch eine Gesundheitsschädigung, insbesondere die bei der Aufnahme im Klinikum … diagnostizierte Stammganglienblutung, verursacht worden sei und nicht umgekehrt die Gehirnblutung für das Sturzereignis kausal sei. Aufgrund der vorbestehenden Hypertonie als Risikofaktor sei die Blutung unfallereignisunabhängig eingetreten. Ein Zusammensacken des Körpers auf den Boden sei am wahrscheinlichsten.
13
Selbst wenn man aber davon ausgehen würde, dass die Gehirnblutung durch den von der Klägerin behaupteten Aufprall des Kopfs des … auf den Küchenboden ausgelöst worden sei, würde nach Auffassung der Beklagten der Versicherungsausschluss gem. Ziff. 5.2.1 AUB 2012 greifen, wonach Gehirnblutungen und alle ihre Folgen vom Versicherungsschutz ausgeschlossen seien.
14
Vorsorglich macht die Beklagte noch geltend, den bestehenden Vorerkrankungen komme die Rolle des Mitwirkungsfaktors i.S.d. Ziff. 3 AUB 2012 zu. Die Mitwirkung insbesondere der arteriellen Hypertonie, der koronaren 2-Gefäß-Erkrankung, des Diabetes Mellitus Typ II und der Adipositas sei ganz erheblich und überwiegend und mache mindestens 75 % aus. Selbst wenn die Ansprüche der Klägerin bestünden, seien sie dementsprechend zu kürzen.
15
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.03.2025 (Bl. 58 ff. der Akte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
16
Die zulässige Klage ist unbegründet.
17
Voraussetzung für die geltend gemachten Ansprüche auf Todesfallleistung sowie Krankenhaustagegeld wäre entsprechend Ziff. 2.4.1 und Ziff. 2.6.1 der in den Vertrag einbezogenen AUB 2012 jeweils das Vorliegen eines Unfalls. Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin konnte den Nachweis eines Unfalls nicht erbringen.
18
Ein Unfall liegt gemäß Ziff. 1.3 der einbezogenen AUB 2012 vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.
19
Unstreitig hat der Versicherte eine Gesundheitsschädigung erlitten und ist am 26.09.2023 verstorben. Ob diese Gesundheitsschädigung bzw. der Tod durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis hervorgerufen wurde, ist jedoch weder bekannt noch aufklärbar.
20
a) Soweit die Klägerin der Auffassung ist, die vorgetragenen Tatsachen indizierten, dass ... gestürzt sei, wird dem nicht gefolgt. Zwar ist es zutreffend, dass es nach Rechtsprechung des BGH zur Feststellung der Eintrittspflicht des Unfall(-zusatz-)versicherers genügt, dass der Tatrichter die Überzeugung erlangt hat, als Ursache für die Gesundheitsbeschädigung (oder den Tod) des Versicherungsnehmers kämen nur solche Geschehensabläufe in Betracht, die den Unfallbegriff erfüllen. Ein bestimmtes Unfallgeschehen braucht der Tatrichter nicht festzustellen (BGH Urt. v. 22.6.1977 – IV ZR 128/75, BeckRS 2008, 19035).
21
Vorliegend kann eine entsprechende Überzeugung indes gerade nicht gewonnen werden, da auch andere Geschehensabläufe in Betracht kommen, die den Unfallbegriff nicht erfüllen. Anders als von der Klägerin angenommen, ist nämlich das von der Klägerin für nicht möglich gehaltene Szenario, … habe sich freiwillig und grundlos trotz in unmittelbarer Nähe befindlicher Lederstühle auf den harten Küchenboden gelegt, nicht das einzige Alternativszenario zu einem Sturz. Vorstellbar und nicht abwegig erscheint darüber hinaus beispielsweise auch das Alternativszenario, dass … sich beispielsweise aufgrund von auftretenden Unwohlseins oder Schwindel auf den Fußboden legte, um einem etwaigen Sturz zuvorzukommen, oder dass er zusammensackte. Ein solcher Geschehensablauf würde den Unfallbegriff nicht erfüllen, da kein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis vorläge. Soweit die Klägerin auf die in unmittelbarer Nähe stehenden Ledersessel verweist, steht das dem schon deshalb nicht entgegen, da es sich, wie auf den als Anlage K12 vorgelegten Lichtbildern zu sehen ist, anders als das Wort „Ledersessel“ vermuten ließe, um Stühle mit erhöhten Sitzflächen und ohne Armlehnen nach Art von Barhockern handelt, deren Nutzung nach allgemeiner Lebenserfahrung bei unterstelltem Schwindel wenig ratsam erschiene.
22
Insgesamt ist es nach Würdigung des klägerischen Vortrags schlicht nicht aufklärbar, ob … einen Unfall erlitt oder nicht.
23
b) Dem Beweisangebot der Klägerin, die Zeugen … sowie die Klägerin selbst zu vernehmen, war nicht nachzukommen. Diese können nach dem Vortrag der Klägerin lediglich über die Auffindesituation, die Eigenschaften des Fußbodens sowie darüber, dass … die Nacht zuvor in seinem Bett zugebracht habe, ausgeschlafen und gegen 08:30 Uhr beschwerdefrei gewesen sei, berichten. Zur Frage, wie es zu der von den Zeugen festgestellten Position des … auf dem Küchenfußboden kam, können diese dagegen auch nach klägerischem Vortrag mangels Kenntnis keine Aussage treffen.
24
c) Auch das Beweisangebot der Klägerin zur Einholung eines Sachverständigengutachtens war nicht zielführend, da ein solches nicht zum Beweis der Tatsache, dass ein Sturz oder sonst gelagerter Unfall vorliegt, angeboten wurde.
II.
25
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO. Mangels Vortrags zu einem bei der Klägerin durch die Vollstreckung eintretenden nicht zu ersetzenden Nachteil war die beantragte Abwendungsbefugnis nach § 712 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht auszusprechen.