Titel:
Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte, Gerichte für Arbeitssachen, Rechtsbeschwerdebegründung, Rechtsbeschwerdeeinlegung, Sofortige Beschwerde, Arbeitsgerichtsbarkeit, Entscheidungen des Arbeitsgerichtes, Rückkehrpflicht, Streitgegenstand, Personenbezogene Daten, Fürsorgepflicht, Streitiges Rechtsverhältnis, Europarechtswidrigkeit, Bürgerlich-rechtlicher, Arbeitsverhältnis, Öffentlich-rechtliche Verpflichtung, Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, Mietwagenunternehmen, Arbeitsrechtliche Angelegenheit
Schlagworte:
Arbeitsgerichtsbarkeit, Fürsorgepflicht, Rechtswegzuständigkeit, Öffentlichrechtliche Vorfrage, Unterlassungsanspruch, Datenweitergabe, Hoheitliches Handeln
Vorinstanz:
ArbG München, Beschluss vom 13.03.2025 – 12 Ga 37/25
Fundstelle:
BeckRS 2025, 17275
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde der Verfügungskläger wird der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 13.03.2025, Az: 12 Ga 37/25, abgeändert und festgestellt, dass der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet ist.
II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
1
Die Verfügungskläger streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die Untersagung gegenüber der Verfügungsbeklagten, der Landeshauptstadt München Dokumente oder Dateien mit personenbezogenen Daten der Verfügungskläger zu überlassen.
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Die Verfügungsbeklagte betreibt in München ein Mietwagenunternehmen und bietet Fahrdienste auf der Plattform U. an. Die Verfügungskläger sind bei ihr als Fahrer angestellt.
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Die Landeshauptstadt München, die hiesige Streitverkündete, ist die für die Verfügungsbeklagte zuständige Aufsichtsbehörde. Sie überwacht insbesondere die Einhaltung der Rückkehrpflicht für Mietwagen nach § 49 Abs. 4 S. 3 PBefG.
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Mit Bescheiden vom 10.07.2024 und 13.02.2025 kündigte sie gegenüber der Verfügungsbeklagten eine Betriebsprüfung an und ordnete an, in deren Rahmen die Einsichtnahme in die Unterlagen, namentlich in das Mietwagenauftragsbuch, zu dulden.
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Über den gegen den ersten Bescheid erhobenen Widerspruch der Verfügungsbeklagten vom 16.07.2024 wurde bis zum hiesigen Verfahren nicht entschieden. Die Klage der Verfügungsbeklagten auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs wies das Verwaltungsgericht München am 07.11.2024 ab; die Beschwerde hiergegen wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof durch Beschluss vom 21.01.2025 zurückgewiesen.
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Im Zusammenhang mit dem zweiten Bescheid erhob die Verfügungsbeklagte unter dem 21.02.2025 Untätigkeitsklage gegen die Landeshauptstadt.
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Als (erneuten) Termin für die Einsichtnahme hatte die Landeshauptstadt den 26.02.2025 festgelegt.
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Die Verfügungskläger widersprachen mit Schreiben vom 21.02.2025 gegenüber der Verfügungsbeklagten der Weitergabe ihrer persönlichen Daten.
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Mit Schreiben vom 24.02.2025 wies die Verfügungsbeklagte dies unter Verweis darauf zurück, dass die Behörde die Duldung der Einsichtnahme in die Dateien mit den Namen der Fahrer fordere.
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Tatsächlich erschienen am avisierten Termin städtische Mitarbeiter bei der Verfügungsbeklagten, nahmen allerdings keine Einsicht.
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Mit Schriftsatz vom 25.02.2025 haben die Verfügungskläger das vorliegende Verfahren eingeleitet. Sie haben gemeint, die Verfügungsbeklagte sei nicht verpflichtet, ihre persönlichen Daten in den vorzulegenden Unterlagen offenzulegen. Dies gelte namentlich für das Mietwagenauftragsbuch, aus dem sich die Einhaltung der Rückkehrpflicht ergebe, denn diese Pflicht bestehe nicht: ihre Regelung sei europarechtswidrig und daher unbeachtlich. Es obliege der Verfügungsbeklagten, im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht als Arbeitgeberin die Daten ihrer Mitarbeitenden bestmöglich zu schützen. Dabei haben sie folgenden Antrag angekündigt:
Der Antragsgegnerin wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 untersagt, elektronische Dateien und/oder Dokumente, die personenbezogene Daten der Antragsteller darstellen oder enthalten, insbesondere die Ursprungsaufzeichnungen des Mietwagenauftragsbuches, gegenüber der Landeshauptstadt München offenzulegen oder der Landeshauptstadt München zur Verarbeitung zu überlassen.
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Mit Schriftsatz vom 26.02.2025 hat die Verfügungsbeklagte den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gerügt und Verweisung an das zuständige Verwaltungsgericht beantragt. Sie hat gemeint, es handle sich nicht um eine bürgerlichrechtliche Streitigkeit, sondern um eine öffentlichrechtliche. Maßgeblich für die Rechtswegfrage sei, ob die gerichtliche Entscheidung über den Klageanspruch nach öffentlichem oder bürgerlichem Recht zu treffen sei. Vorliegend handle es sich nicht um eine arbeitsrechtliche Angelegenheit; denn die Verfügungskläger stützten sich zur Begründung ihres Anspruchs ausdrücklich auf § 49 Abs. 4 Satz 3 PBefG und damit auf eine öffentlichrechtliche Norm.
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Die Verfügungskläger haben demgegenüber daran festgehalten, dass die Arbeitsgerichtsbarkeit zutreffend angerufen sei.
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Sie seien alle Arbeitnehmer der Verfügungsbeklagten, die die Wahrnehmung der Schutz- und Fürsorgepflicht durch die Verfügungsbeklagte als ihrer Arbeitgeberin verlangten, weil sie selbst keine Organisations- oder Leitungsgewalt hätten und daher von einer ordnungsgemäßen Gefahrenabwehr zugunsten ihrer verfassungsrechtlich geschützten Positionen durch die Arbeitgeberin abhingen.
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Mit Beschluss vom 13.03.2025 hat das Arbeitsgericht München unter dem Aktenzeichen 12 Ga 37/25 den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten als nicht eröffnet angesehen und das Verfahren an das Verwaltungsgericht München verwiesen.
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Es hat ausgeführt, es handle sich um eine öffentlichrechtliche Streitigkeit. Die streitgegenständliche Datenverarbeitung sei lediglich eine notwendige Auswirkung des hoheitlichen Handelns der Behörde. Darauf, dass die Verfügungsbeklagte über ihre öffentlichrechtliche Verpflichtung hinaus mit der Behörde zusammenzuarbeiten und damit arbeitsrechtliche Fürsorge zu verletzen drohe, hätten sich die Verfügungskläger nicht berufen.
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Gegen diese ihnen am 17.03.2025 zugegangene Entscheidung haben die Verfügungskläger mit Schreiben vom 21.03.2025, das am selben Tag beim Arbeitsgericht München eingegangen ist, sofortige Beschwerde eingelegt. Sie bleiben dabei, dass sie die Arbeitsgerichtsbarkeit für zuständig erachten. Bestimmend sei der Streitgegenstand, den sie als Kläger festlegten und der sich hier auf das Arbeitsverhältnis stütze. Wenn in diesem Zusammenhang öffentlichrechtliche Normen von Bedeutung seien, müsse das Arbeitsgericht auch darüber entscheiden. Eine öffentlichrechtliche Vorfrage begründe aber nicht die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte, die hoheitliche Über- und Unterordnungsverhältnisse voraussetze. Ein solches sei zwar dies zwischen der Verfügungsbeklagten und der Landeshauptstadt, nicht aber das hier einschlägige zwischen ihnen und ihrer Arbeitgeberin.
den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 13.03.2025 aufzuheben und den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig zu erklären.
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Die Verfügungsbeklagte beantragt,
die sofortige Beschwerde vom 21. März 2025 zurückzuweisen.
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Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Ausschlaggebend für den Rechtsweg sei der Streitgegenstand, der allein von der Klagepartei bestimmt werde durch deren Antrag wie den dazugehörigen Tatsachenvortrag. Hier handle es sich nur scheinbar um eine arbeitsrechtliche Angelegenheit; denn tatsächlich gehe es den Verfügungsklägern um eine Veränderung des Verhältnisses zwischen der Verfügungsbeklagten und der Landeshauptstadt, und dieses sei zweifellos öffentlichrechtlich.
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Mit Beschluss vom 10.04.2025 hat das Arbeitsgericht München unter Hinweis darauf, dass die Verfügungsbeklagte nach öffentlichem Recht zur Mitwirkung gegenüber der Landeshauptstadt verpflichtet sei und die Erhebung der personenbezogenen Daten sich auf § 3 BDSG stütze, so dass die Rechtsfrage öffentlichrechtlich sei, der Beschwerde nicht abgeholfen und die Rechtssache dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
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Ergänzend zum Sachvortrag wie der Rechtsauffassung der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen, namentlich die der Verfügungskläger vom 25.02.2025 (Bl. I-1 ff.d.A.), 11.03.2025 (Bl. I-165 ff.d.A.) und 21.03.2025 (Bl. I-200 ff.d.A.), sowie der Verfügungsbeklagten vom 28.02.2025 (Bl. I-45 ff.d.A.), 07.03.2025 (Bl. I-50 ff. d.A.) und 09.04.2025 (Bl. 207 ff.d.A.) Bezug genommen.
23
Die sofortige Beschwerde der Verfügungskläger ist zulässig und begründet.
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1. Die nach den §§ 48 Abs. 1 ArbGG, 17a Abs. 4 S. 3 GKG statthafte sofortige Beschwerde der Verfügungskläger ist zulässig, namentlich ist sie form- und fristgerecht eingereicht und begründet worden: Mit ihrem Schriftsatz vom 21.03.20205 haben sie die Zweiwochenfrist der §§ 569 Abs. 1 ZPO, 78 ArbGG eingehalten, die angesichts des Zugangs des Beschlusses am 17.03.2025 nach §§ 222 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am 31.03.2025 ablief.
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2. Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg: Entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten und abweichend von der Entscheidung des Arbeitsgerichts besteht die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit nach § 2 Abs. 1 Ziff. 3 lit. a ArbGG für den vorliegenden Rechtsstreit.
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a. Während den Verwaltungsgerichten öffentlichrechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art zur Entscheidung zugewiesen sind (§ 40 Abs. 1 VwGO), sind die Gerichte für Arbeitssachen nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern.
27
Ob eine Streitigkeit bürgerlichrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Art ist, richtet sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch abgeleitet wird. Eine öffentlichrechtliche Streitigkeit kann nicht nur bestehen, wenn die Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen, sondern auch dann, wenn sie sich in einem Gleichordnungsverhältnis gegenüberstehen. Umgekehrt ist ein privatrechtliches Verhältnis nicht ausgeschlossen, wenn öffentlichrechtliche Vorfragen mitentschieden werden müssen; denn grundsätzlich kommt dem für den Streitgegenstand zuständigen Gericht nach § 17 Abs. 2 S. 1 GVG die Vorfragenprüfungskompetenz zu, auch wenn für diese Fragen als solche eigentlich ein anderer Rechtsweg eröffnet wäre.
28
Maßgebend für die Zuordnung ist, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des bürgerlichen oder des öffentlichen Rechts geprägt wird; nicht entscheidend ist demgegenüber, ob sich die klagende Partei auf eine zivilrechtliche oder öffentlichrechtliche Anspruchsgrundlage beruft (vgl. insgesamt (BAG v. 21.07.2021, 9 AZB 19/21 Rn. 12 – zitiert nach juris BAG v. 01.03.2022, 9 AZB 25/21 Rn. 13, 15 – zitiert nach juris; BAG v. 12.01.2024, 9 AZB 23/23 Rn. 8 – zitiert nach juris; Zöller-Lückemann § 13 GVG; Germelmann-Schlewing/Dickerhof-Borello § 2 Rn. 9).
29
b. Nach den o.g. Grundsätzen handelt sich um eine bürgerlichrechtliche Streitigkeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis und nicht um eine öffentlichrechtliche.
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(1) Eine bürgerlichrechtliche Streitigkeit ist gegeben, wenn die Parteien über Rechtsfolgen oder Rechtsverhältnisse des Privatrechts streiten. Demgegenüber ist ein Rechtsverhältnis öffentlichrechtlich, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen nicht für jedermann gelten, sondern Sonderrecht des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben sind, das sie als solche berechtigt oder verpflichtet und das sich zumindest auf einer Seite nur an Hoheitsträger wendet (BAG v. 04.09.2018, 9 AZB 10/18 Rn. 17 – zitiert nach juris).
31
(2) Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der von den Verfügungsklägern geltend gemachte Anspruch auf Untersagung gegenüber der Verfügungsbeklagten, elektronische Dateien und/oder Dokumente, die personenbezogene Daten der Verfügungskläger darstellen oder enthalten, an die Landeshauptstadt München zu überlassen. Das Rechtsverhältnis, aus dem sich der geltend gemachte Anspruch ergibt ist privatrechtlich.
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(a) Zweifellos stehen die Parteien in einem Arbeitsverhältnis, und der geltend gemachte Anspruch der Verfügungskläger stützt sich auf die aus dem Arbeitsverhältnis resultierende Fürsorgepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB. Ob dessen Voraussetzungen gegeben sind, ist eine bürgerlichrechtliche Fragestellung: sie richtet sich nach zivilrechtlichen Vorschriften und betrifft die Parteien als privatrechtliche Personen, nicht in einer Rolle als Hoheitsträger.
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(b) Daran ändert nichts, dass die vorgebrachten Einwendungen ausschließlich eine öffentlichrechtliche Fragestellung, nämlich die der Verpflichtung der Verfügungsbeklagten zur Duldung der Einsicht, betreffen, wenn die Verfügungskläger sich einzig darauf berufen, die Rückkehrpflicht nach § 49 Abs. 4 PBefG sei europarechtswidrig, die Überprüfung dieser Pflicht durch die Behörde daher nicht angezeigt, die zur Überprüfung geforderte Vorlage von Unterlagen nicht geschuldet.
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Die Frage der Geltung der Rückkehrpflicht ist keine tatbestandliche Voraussetzung für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch. Soweit sie Bedingung der Wirksamkeit der behördlichen Anordnung ist, stellt sie allenfalls eine Vorfrage dazu dar, ob die Arbeitnehmer eine gegen ihren Arbeitgeber gerichtete behördliche Verfügung ihrerseits dulden müssen. Die Vorfragenkompetenz aber liegt bei der Gerichtsbarkeit, die für die Entscheidung des streitigen Rechtsverhältnisses zuständig ist.
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(c) Die Tatsache, dass ein Verwaltungsgericht die zwischen den Parteien streitige Frage fachkundiger beantworten könnte als ein Arbeitsgericht, begründet keine Rechtswegskompetenz; es geht dabei nicht um die Einholung von kompetenten Rechtsgutachten zu aufgeworfenen Rechtsfragen: Nicht die Art der – zunächst – vorgebrachten Argumente bestimmt die zuständige Gerichtsbarkeit, sondern die Qualität des Rechtsverhältnisses der Parteien. Die Beziehung zwischen der Verfügungsbeklagten und der Landeshauptstadt München als Aufsichtsbehörde ist für das Rechtsverhältnis der hiesigen Parteien nicht unmittelbar, sondern eben nur mittelbar beachtlich.
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Die Rechtsbeschwerde war nach § 17a Abs. 4 S. 3, 4 GVG zuzulassen, weil der hiesigen Konstellation eine über die Entscheidung zwischen den Parteien hinausgehende grundsätzliche Klärung zukommt.