Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 14.05.2025 – Au 3 S 25.874
Titel:

Widerspruchsverfahren, Antragsgegner, Aufschiebende Wirkung, Verwaltungsgerichte, Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, Anordnung der sofortigen Vollziehung, Rückkehrpflicht, Widerrufsbescheid, Widerruf der Genehmigung, Widerrufsverfahren, Unzuverlässigkeit, Betriebssitz, Nebenbestimmung, Summarische Prüfung, Gewerbetreibender, Antragstellers, Öffentliches Interesse, Rechtswidriger Verwaltungsakt, Mietwagenverkehr, Vollziehungsanordnung

Schlagworte:
Widerruf von Genehmigungen, Personenbeförderung, Unzuverlässigkeit, Rückkehrpflicht, Betriebssitz, Sofortige Vollziehung, Interessenabwägung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 17272

Tenor

I. Bezüglich Ziffer 1 und 2 des Bescheids des Antragsgegners vom 25. März 2025 wird die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 50.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen den Widerruf einer Genehmigung zum Verkehr mit Mietwagen und begehrt die aufschiebende Wirkung ihres hiergegen erhobenen Widerspruchs.
2
Die Antragstellerin bietet Personenbeförderungsdienstleistungen an. Sie verfügt über eine mit Bescheid vom 17. Oktober 2022 erteilte Genehmigung für den Gelegenheitsverkehr mit 30 Mietwagen, zuletzt geändert mit Bescheid vom 22. Januar 2025.
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Mit Schreiben vom 21. Januar 2025 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, er beabsichtige den Widerruf der erteilten Genehmigungen. Zur Begründung führte er Verstöße gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Führung des Mietwagenauftragsbuchs, gegen die Pflicht zur Auftragsannahme am Betriebssitz sowie gegen die Rückkehrpflicht bzw. das Verbot der taxiähnlichen Bereithaltung an. Mit Schreiben vom 27. Februar 2025 hat die Antragstellerin dazu Stellung genommen. Ein Widerruf der Genehmigung sei rechtswidrig und unverhältnismäßig. Maßgebliche Nebenbestimmungen der Genehmigungs- bzw. Änderungsbescheide seien rechtswidrig und teilweise unionsrechtswidrig.
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Mit Bescheid vom 25. März 2025 widerrief der Antragsgegner die Genehmigungen zur Personenbeförderung im Gelegenheitsverkehr mit 30 Mietwagen (Ziff. 1). Außerdem verpflichtete er die Antragstellerin, die Genehmigungsurkunde sowie die weiteren Ausfertigungen daraus für sämtliche Fahrzeuge abzugeben (Ziff. 2). Ferner ordnete er die sofortige Vollziehung an (Ziff. 3) und drohte ein Zwangsgeld an (Ziff. 4).
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Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, die Antragstellerin komme ihren Unternehmenspflichten nicht ausreichend nach. Es werde kein ordnungsgemäßes Mietwagenauftragsbuch gemäß § 49 Abs. 4 Satz 4 PBefG geführt. Bei stichprobenartiger Prüfung sei festzustellen, dass die erforderlichen Mindestangaben nicht vollständig enthalten seien. Es sei gegen die Pflichten zur ordnungsgemäßen Führung des Mietwagenauftragsbuchs, zur Auftragsannahme am Betriebssitz und gegen die Rückkehrpflicht bzw. das Verbot der taxiähnlichen Bereithaltung gemäß § 49 Abs. 4 Satz 2 bis 5 PBefG verstoßen worden. Nach Ermittlungen seien an mehreren Tagen nachweislich Beförderungsaufträge ausgeführt worden, die nicht am Betriebssitz entgegengenommen worden seien. Auf mehrfaches Klingeln habe niemand geöffnet, es sei nur eine Notbeleuchtung eingeschaltet gewesen und es hätten im Gebäude und um das Gebäude herum keine Personen oder sonstige Tätigkeiten beobachtet werden können. Fahrpersonal bzw. Mitarbeiter hätten bei verschiedenen Kontrollen keine Angaben machen können, ob sich jemand am Betriebssitz aufhalte bzw. hätten ausgesagt, dass der Betriebssitz nachts nie besetzt sei, Fahrtaufträge erhielten sie ausschließlich per App. Bei einer Kontrolle am 3. Dezember 2024 habe ein Mitarbeiter am Betriebssitz erklärt, nicht in die Bearbeitung der Fahrtaufträge eingebunden zu sein. Weitere Personen hätten sich dabei nicht in den Räumlichkeiten befunden. Nachdem das Unternehmen der Antragstellerin zu den festgestellten Zeiten nicht von ihrem Betriebssitz in N. aus geführt werde, könne folglich die Rückkehrpflicht dabei grundsätzlich nicht eingehalten worden sein. Bei weiteren Fahrten sei eine Rückkehr zum Betriebssitz objektiv ausgeschlossen. Insgesamt seien bei stichprobenartigen Kontrollen deutlich über 24 solcher Verstöße ersichtlich. Die Polizeiinspektion Gersthofen habe als Beauftrage im Rahmen der Amtshilfe auf Grundlage einer Beauftragung des Polizeipräsidiums Schwaben Nord die notwendigen Ermittlungen anstellen dürfen.
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Daher sei die Antragstellerin als Unternehmerin sowie die zur Führung der Geschäfte bestellte Person als unzuverlässig i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 2 PBefG zu qualifizieren und die Genehmigung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 PBefG zu widerrufen, ohne dass dem Antragsgegner ein Ermessen zukomme. Wegen der Vielzahl von Einzelverstößen sei die Gesamtschau der einzelnen, für sich genommenen leichteren Rechtsverstöße insgesamt als ein schwerer Rechtsverstoß zu sehen, der die Bewertung als unzuverlässig rechtfertige. Die erlassenen Nebenbestimmungen zu den Genehmigungsbescheiden seien rechtmäßig zur erleichterten Überwachung des Mietwagenunternehmens, um eine Durchbrechung der vom Gesetzgeber festgelegten Abgrenzung der Verkehrsformen Taxi und Mietwagen zu verhindern. Die Nebenbestimmungen seien auch verhältnismäßig, weil das Interesse des Unternehmens am Erlass der Genehmigung ohne entsprechende Nebenbestimmungen gegenüber dem Allgemeininteresse an einem vorschriftsmäßigen Mietwagenverkehr zurücktreten müsse. Die Erfassung der Namen der Fahrer bzw. des aufzeichnungsführenden Personals sei für die Wahrnehmung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liege oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolge, rechtmäßig. Die von der Antragstellerin angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Unionsrechtswidrigkeit sei nicht übertragbar, weil dort anders als vorliegend eine zahlenmäßige Genehmigungsbegrenzung für Funkmietwagen und damit eine Marktzugangsbeschränkung streitgegenständlich gewesen sei. Eine unerlaubte Bereithaltung ergebe sich zwingend aus den zeitlichen Abständen zwischen Beförderungsende und Beginn des nächsten Beförderungsauftrags in den beanstandeten Fällen, eine andere Qualifizierung als Pause oder anderweitig von den Fahrern genutzte Zeit scheide aus. Die Rückkehrpflicht und die damit verbundenen Regelungen dienten einem legitimen Ziel und stünden im öffentlichen Interesse. Die Eingriffe in die Berufsfreiheit seien verhältnismäßig, da sie der Wahrung einer funktionierenden Verkehrsordnung und eines fairen Wettbewerbs dienten. Es handele sich in einer Gesamtbetrachtung um schwere Verstöße gegen die Vorschriften des Personenbeförderungsrechts und zugleich um Verletzungen unternehmerischer Führungsverpflichtungen aus § 3 Abs. 1 BOKraft. Die Angabe eines Betriebssitzes, der vermehrt nicht besetzt sei, stelle eine vorsätzliche Verschleierung der grundlegenden Angaben und somit einen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen unternehmerische Pflichten dar. Eine schriftliche Mahnung, wie in § 25 Abs. 1 Satz 2 PBefG gefordert, könne aufgrund des Gewichts der Pflichtverletzung entfallen. Es deute nichts darauf hin, dass die Antragstellerin ihren Pflichten künftig nachkommen werde.
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Zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung führte der Antragsgegner aus: „Bei der Abwägung ihrer Interessen an einem Zuwarten bis zur abschließenden Klärung der Rechtmäßigkeit des Widerrufes einerseits und andererseits der Notwendigkeit der Gefahrenabwehr für die Allgemeinheit müssen nach Auffassung des Landratsamtes die Interessen des Betroffenen zurückstehen. Im Interesse der Allgemeinheit müssen berufliche oder wirtschaftliche Nachteile des Gewerbetreibenden zurückgestellt werden, da das Allgemeinwohl dem Einzelinteresse des Gewerbetreibenden als übergeordnet anzusehen ist. Es ist zu befürchten, dass durch die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden die Allgemeinheit weiter geschädigt wird. Durch sein Verhalten hat der Gewerbetreibende sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber zuverlässigen Unternehmen verschafft, da er systematisch gegen personenbeförderungsrechtliche Pflichten verstößt. Es bleibt zu befürchten, dass der Mietwagenbetrieb bis zur endgültigen Klärung der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung in der beanstandeten Form weiterbetrieben wird, was dazu führt, dass weiterhin erheblich gegen die oben genannten Vorschriften verstoßen wird. Die Urkunden sind einzuziehen, um den hiermit entstehenden Anschein, dass sie noch im Besitz einer Genehmigung für den Mietwagenverkehr sind, zu unterbinden. Dies kann nur durch Einziehung der Urkunden gewährleistet werden. Nach alldem war die sofortige Vollziehung anzuordnen. Die Allgemeinheit ist davor zu schützen, dass sie der sich aus der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit ergebenden Gefährdung bis zum Tage der Unanfechtbarkeit dieses Bescheides ausgesetzt ist. Die Beseitigung dieser Gefährdung liegt im besonderen öffentlichen Interesse. Gegenüber diesem hat das rein wirtschaftliche Interesse des Gewerbetreibenden an der Ausübung der widerrufenen Tätigkeit zurückzutreten. Aus diesem Grund ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung gerechtfertigt und notwendig. Das Individualinteresse des Gewerbetreibenden an effektivem Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) muss im Ergebnis zurücktreten.“
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Mit Schreiben vom 2. April 2025 erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. März 2025. Sie beantragte, den Bescheid vom 25. März 2025 aufzuheben und die Vollziehung dieses Bescheids gemäß § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO auszusetzen.
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Mit Schriftsatz vom 9. April 2025 hat die Antragstellerin im Wege einstweiligen Rechtsschutzes beim Verwaltungsgericht Augsburg beantragt,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 2. April 2025 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 25. März 2025 gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO wiederherzustellen.
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Die Antragstellerin trägt vor, an ihrem Betriebssitz befinde sich ein vollständiger Arbeitsplatz. Dieser sei ausreichend ausgeschildert und sie sei dort postalisch erreichbar. Eine Beauftragung der Polizeiinspektion Gersthofen durch den Antragsgegner mit den durchgeführten Ermittlungen werde mit Nichtwissen bestritten. Die Antragstellerin ist der Auffassung, der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs habe schon deshalb Erfolg, weil der Antragsgegner die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht entsprechend den Vorgaben des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet habe. Der Antragsgegner habe sich auf textbausteinartige Erwägungen mit formelhaftem Charakter ohne jeglichen Bezug zum Einzelfall beschränkt. Die Verwendung der Formulierung „Gewerbetreibenden“ lasse erkennen, dass der Antragsgegner die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht einmal an die konkrete Art des ausgeübten Gewerbes angepasst habe, sondern einen vorformulierten Textbaustein verwendet habe, den er bei jedem gewerberechtlichen Widerruf verwende.
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Zudem habe das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin den Vorrang vor dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angegriffenen Bescheids. Der Widerruf der Genehmigung zur Ausübung des Gelegenheitsverkehrs mit Mietwagen sei rechtswidrig. Die Antragstellerin verfüge über die nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 PBefG erforderliche Zuverlässigkeit und einen Betriebssitz. Der Antragsgegner könne nicht darlegen, dass die Antragstellerin ihre Aufträge nicht am Betriebssitz annehme, die von ihm angeführten Ermittlungen am Betriebssitz belegten dies nicht. Insbesondere zu den noch im Anhörungsschreiben genannten Uhrzeiten könne der Antragsgegner nicht erwarten, dass die Mitarbeiter der Antragstellerin mit einem Besuch rechneten, noch dass die Räumlichkeiten durchgehend hell beleuchtet seien. Die Ermittlungen hätten nicht ergeben, dass der Betriebssitz unbesetzt gewesen sei. Der Antragsgegner habe nie feststellen können, dass sich tatsächlich keine Personen in den Räumlichkeiten befanden. Dennoch stelle er dies anders dar. Tatsächlich habe die Antragstellerin die Aufträge stets am Betriebssitz entgegengenommen. Überdies seien die Ermittlungsmaßnahmen wegen Unzuständigkeit der Polizeiinspektion hierfür rechtswidrig, sodass Ergebnisse nicht zu verwerten seien.
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Die Führung des Mietwagenauftragsbuchs durch die Antragstellerin könne keine Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit begründen. Es würden gesetzlich nicht vorgesehene Anforderungen an das Format des Auftragseingangsbuches und den Inhalt der Angaben gestellt, die geforderten Angaben würden aufgrund rechtswidriger Nebenbestimmungen verlangt. Sämtliche unterstellten Einzelverstöße wären ausschließlich Bagatellverstöße oder einmalige Vorfälle, die nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip allein einen Widerruf nicht rechtfertigen könnten. Die Anforderung, dem Antragsgegner die Namen der Fahrer bzw. des aufzeichnungsführenden Personals mitzuteilen, sei datenschutzrechtlich nicht zu rechtfertigen, denn sie diene ausschließlich der Überprüfung der Rückkehrpflicht für Mietwagen, die ihrerseits gegen Art. 49 AEUV verstoße. Dies folge aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshof vom 8. Juni 2023 – C-50/21. Auch die übrigen, auf die Rückkehrpflicht gerichteten Nebenbestimmungen sowie die dahingehend beanstandeten Verstöße seien daher rechtswidrig. Insofern monierte Verstöße beträfen zudem kein Bereithalten, sondern Pausen oder anderweitig von Fahrern genutzte Zeiten. Der Antragsgegner würdige zudem das Ergebnis der Ermittlungen der Polizeiinspektion Gersthofen nicht, der zufolge sich Fahrer der Antragstellerin sogar zu Nachtzeit am Betriebssitz aufhielten. Der Widerruf der Genehmigung stelle insgesamt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit der Antragstellerin und ihrer Angestellten dar.
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Der Antragsgegner beantragt
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den Antrag abzulehnen.
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Er verweist auf seine Ausführungen im Anhörungs- und im Widerspruchsverfahren. Für die Ermittlungen sei die Polizei ordnungsgemäß zur Amtshilfe herangezogen worden, die Erkenntnisse seien zu verwerten. In der vorgelegten Behördenakte befinde sich das maßgebliche Schreiben des Landratsamts an das Polizeipräsidium Schwaben Nord, welches die Polizeiinspektion Gersthofen beauftragt habe. Hinsichtlich der Begründung der sofortigen Vollziehung sei nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung nicht zu beanstanden, dass gerade in häufiger wiederkehrenden Fallgestaltungen allgemeine Ausführungen gemacht würden. Das sei bei einem Widerruf einer personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung der Fall.
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Hinsichtlich des unbesetzten Betriebssitzes seien regelmäßig sowohl zu Tages- als auch zu Nachtzeiten, zu denen der Betriebssitz vom Antragsgegner oder der Polizei angefahren worden sei, keine Personen angetroffen worden, welche sich am Betriebssitz um die Weiterleitung von Fahrtaufträgen hätten kümmern können. Es habe nie jemand geöffnet. Lediglich am 3. Dezember 2024 sei ein Mitarbeiter vor Ort gewesen, welcher aber seiner Aussage nach mit Buchhaltung oder der Vergabe bzw. Weiterleitung von Fahrtaufträgen nichts zu tun habe, sondern nur für die Fahrzeuginstandhaltung zuständig sei. Die Anforderungen an Mindestangaben im Mietwagenauftragsbuch seien durch die Rechtsprechung konkretisiert und erweitert worden. Es lägen Verstöße im hohen zwei- bis dreistelligen Bereich vor, so dass von Einzelverstößen keine Rede sein könne. Die Nebenbestimmungen stünden nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH, denn unterschiedliche Pflichten für das Taxi-Gewerbe und Mietwagenunternehmen bedeuteten keine Marktzugangsbeschränkungen für letztere. Es handele sich vielmehr um eine gerechtfertigte Berufsausübungsregelung. Der Gesetzgeber habe in der letzten Novelle des PBefG 2021 weiterhin an der Rückkehrpflicht festgehalten, auch die jüngere Rechtsprechung halte hieran fest. Auch wenn die Fahrer Zeiten zwischen Fahrten für Pausen oder private Erledigungen nutzten, stelle dies einen Verstoß gegen die Rückkehrpflicht dar. Der Umstand, dass zu verschiedenen Gelegenheiten Fahrzeugverkehr am Betriebssitz feststellbar gewesen sei, widerspreche den festgestellten Verstößen nicht, denn er bezeuge lediglich, dass es nicht bei jeder einzelnen Fahrt zu Verstößen gekommen sei. Eine Unverhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahme könne sich nicht ergeben, weil angesichts der festgestellten Verstöße nur der Schluss auf die Unzuverlässigkeit der Antragstellerin möglich sei, so dass eine weniger einschneidende Maßnahme nicht in Betracht komme. Nachdem die Antragstellerin den ihr obliegenden Pflichten in der Ausübung des Mietwagenunternehmens die gebotene Bedeutung nicht zumesse, sei neben dem Widerruf selbst auch die sofortige Vollziehung des Widerrufs erforderlich.
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Am 11. April 2024 hat der Antragsgegner der Antragstellerin die – zunächst abgegeben – Genehmigungsurkunden vorläufig bis zur gerichtlichen Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wieder ausgehängt.
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Mit Schriftsatz vom 29. April 2025 trug die Antragstellerin vor, am 30. April sei ein Wechsel in ihrer Geschäftsführung erfolgt. Die von dem Antragsgegner vorgeworfenen Verstöße gegen das Personenbeförderungsgesetz würden von jenem der bisher zur Führung der Geschäfte bestellten Person angelastet. Durch den Wechsel sei eine ernsthafte Zäsur eingetreten, so dass der Grund für den Widerruf der Genehmigung entfallen sei. Der Antragsgegner ist der Auffassung, es sei keine Zäsur eingetreten. Jedenfalls einer der fortbestehenden Geschäftsführer sei maßgeblich auch im operativen Geschäft tätig gewesen. Zudem sei der Wechsel ohne erforderliche Genehmigung durch die Genehmigungsbehörde erfolgt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte.
II.
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Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 25. März 2025 ist zulässig und begründet.
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1. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist er statthaft als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO hinsichtlich Nr. 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids. Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Verwaltungsakte grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung des von der Antragstellerin am 2. April 2025 erhobenen, statthaften Widerspruchs (§ 55 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) i.d.F. d. Bek. vom 8. August 1990 (BGBl. I S. 1690), zuletzt geändert durch Artikel 7 Absatz 4 des Gesetzes vom 11. April 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 119); vgl. BayVGH, B.v. 22.12.2009 – 11 CS 09.2081 – juris Rn. 25) entfällt jedoch, da der Antragsgegner in Ziffer 3 des angegriffenen Bescheids die sofortige Vollziehung angeordnet hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO).
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2. Der Antrag ist begründet. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolgte zwar formell rechtmäßig (a), das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt jedoch das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung, weil die Erfolgsaussichten im Widerspruchsverfahren bei summarischer Prüfung offen sind und eine allgemeine Folgenabwägung zugunsten der Antragstellerin ausfällt (b).
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a) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolgte formell rechtmäßig.
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In den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO hat die Behörde die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO besonders zu begründen. Dabei rechtfertigt allein das allgemeine öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts regelmäßig nicht die Anordnung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Der Eintritt der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 1 VwGO ist der gesetzliche Regelfall, ungeachtet dessen, dass stets ein öffentliches Interesse an der Vollziehung eines (rechtmäßigen) Verwaltungsakts besteht. Da es sich bei der behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung nach der Wertung des Gesetzgebers um einen Ausnahmefall handelt, muss neben das ohnehin bestehende öffentliche Interesse an der Umsetzung eines rechtmäßigen Verwaltungsakts (Erlassinteresse) ein besonderes (Sofort-)Vollzugsinteresse treten, das das Absehen vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung und die Befugnis der Behörde, einen Verwaltungsakt auch schon vor Eintritt der Bestandskraft mit Zwangsmitteln durchzusetzen (vgl. Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG), zu rechtfertigen vermag. Diesem Erfordernis trägt § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO Rechnung. Die Behörde muss sich dabei der Ausnahmesituation bewusst werden und das besondere Vollzugsinteresse begründen, wenn sie vom Regelfall abweicht und die sofortige Vollziehung anordnet. Zwar kommt es zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht darauf an, ob die gegebene Begründung inhaltlich richtig und sachlich geeignet ist, ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung zu rechtfertigen. Dieser materiell-rechtliche Aspekt fließt in die originäre Ermessensentscheidung des Gerichts im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ein und wird durch sie ersetzt. Formelhafte, also für beliebige Fallgestaltungen passende Wendungen, formblattmäßige oder pauschale Argumentationsmuster sowie die bloße Wiederholung des Gesetzestextes reichen nicht aus, da daraus nicht erkenntlich wird, ob und aus welchen Gründen die Behörde vom Vorliegen eines Ausnahmefalls ausgegangen ist, der ein Abweichen vom Grundsatz des § 80 Abs. 1 VwGO rechtfertigen kann (BayVGH, B.v. 18.7.2022 – 20 CS 22.1069 – juris Rn. 3 m.w.N.). Andererseits sind an dieses Begründungserfordernis inhaltlich keine allzu hohen Anforderungen zu stellen; es genügt vielmehr eine schriftliche Begründung, die zu erkennen gibt, dass die Behörde eine Anordnung des Sofortvollzugs im konkreten Fall für geboten erachtet (vgl. dazu insgesamt BayVGH, B.v. 15.1.2024 – 10 CS 23.1873 – juris Rn. 12 m.w.N.).
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Diesen Anforderungen genügt die Begründung des Antragsgegners. Er geht in seinen Ausführungen zutreffend von einem Spannungsfeld zwischen dem Interesse der Allgemeinheit am sofortigen Vollzug der Maßnahme zur Abwehr etwaig rechtswidriger Zustände bis zur endgültigen Klärung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einerseits, dem Interesse der Antragstellerin an der Vermeidung beruflicher und wirtschaftlicher Nachteile andererseits aus. Er führt aus, die Antragstellerin habe sich durch die festgestellten Verstöße Wettbewerbsvorteile gegenüber zuverlässigen Unternehmen verschafft, da sie systematisch gegen personenbeförderungsrechtliche Pflichten verstoße. Ohne Anordnung der sofortigen Vollziehung sei zu befürchten, dass weiterhin erheblich gegen die benannten Vorschriften verstoßen werden. Die Vermeidung der sich hieraus ergebenden Gefährdung liege im besonderen öffentlichen Interesse, gegenüber dem das rein wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin zurücktreten müsse. Hierin kommt ausreichend einzelfallbezogen zum Ausdruck, dass der Antragsgegner den Ausnahmefall des behördlich angeordneten Sofortvollzugs deswegen für gerechtfertigt hält, weil die Fortdauer der konkreten Verstöße in ihrem Ausmaß zu einer so gewichtigen Verzerrung des Wettbewerbs gegenüber anderen Anbietern von Beförderungsdienstleistungen führe, dass nicht bis zur Entscheidung über den Widerspruch zugewartet werden könne. Aus der Verwendung des abstrakten Begriffs „Gewerbetreibender“ lässt sich noch nicht entnehmen, dass die Erwägungen des Antragsgegners rein formelhaft und nicht einzelfallbezogen seien. An anderer Stelle der maßgeblichen Ausführungen zur sofortigen Vollziehung auf Seite 23 des Bescheids vom 25. März 2025 spricht der Antragsgegner insofern konkreter von „Mietwagenbetrieb“. Die Ausführungen sind auch erkennbar auf die dargelegten Verstöße gegen Vorgaben des PBefG und deren Zweck, dem Schutz des Taxengewerbes (vgl. BayVGH, B.v. 26.4.2021 – 11 ZB 20.2076 – juris Rn. 17), bezogen. Dabei lässt der Antragsgegner ausreichend erkennen, dass er nicht in Verkennung des gesetzgeberisch intendierten Regel-Ausnahme-Verhältnisses bei jeglichen Verstößen gegen diese Vorschriften eine Anordnung der sofortigen Vollziehung für geboten hält, sondern gerade die hier gegenständlichen Verstöße als besonders gravierend, weil schwerwiegend und systematisch, erachtet. Wie er zu der Bewertung besonderer Schwere der Verstöße kommt, legt der Antragsgegner dabei zwar nicht im Abschnitt zur sofortigen Vollziehung selbst dar, jedoch bereits zuvor in der Bescheidbegründung auf Seite 21 f.
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b) Die vom Gericht anzustellende originäre Interessenabwägung fällt zugunsten der Antragstellerin aus.
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Das Gericht der Hauptsache kann die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens maßgeblich, weil am sofortigen Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ebenso wenig ein Interesse bestehen kann wie an der aufschiebenden Wirkung eines unbegründeten Rechtsbehelfs. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung (vgl. BVerwG, B.v. 29.4.1974 – IV C 21.74 – juris Rn. 7 ff.; BayVGH, B.v. 18.8.2014 – 20 CS 14.1675 – juris Rn. 2).
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aa) Ausgehend von diesen Grundsätzen und bei der im Eilrechtsschutz allein möglichen und notwendigen summarischen Prüfung sind die Erfolgsaussichten des Widerspruchs der Antragstellerin offen. Bei summarischer Prüfung ist jedenfalls nicht fernliegend, dass eine Abmahnung der Antragstellerin im Hinblick auf die vorgeworfenen Verstöße vor Widerruf der Genehmigung erforderlich gewesen wäre.
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Rechtsgrundlage für Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids ist § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PBefG, Art. 49 BayVwVfG. Hiernach hat die Genehmigungsbehörde eine Genehmigung für den Gelegenheitsverkehr mit Kraftfahrzeugen nach §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 9 ff. PBefG zu widerrufen, wenn nicht mehr alle Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 PBefG vorliegen. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn Tatsachen vorliegen, die die Unzuverlässigkeit des Unternehmers oder der für die Führung der Geschäfte bestellten Personen dartun (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 PBefG). Die erforderliche Zuverlässigkeit des Unternehmers ist insbesondere nicht mehr gegeben, wenn in seinem Verkehrsunternehmen trotz schriftlicher Mahnung die der Verkehrssicherheit dienenden Vorschriften nicht befolgt werden oder den Verpflichtungen zuwidergehandelt wird, die dem Unternehmer nach diesem Gesetz oder nach den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsvorschriften obliegen (§ 25 Abs. 1 Satz 2 PBefG).
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Dem Wortlaut von § 25 Abs. 1 Satz 2 PBefG sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) ist zu entnehmen, dass ein Widerruf wegen der Unzuverlässigkeit des Unternehmers regelmäßig eine Abmahnung voraussetzt (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 28.6.2024 – 6 L 1142/24 – juris Rn. 41; VG München, U.v. 31.3.2022 – M 23 K 20.3219 – juris Rn. 22). Damit schließt die Vorschrift zugleich nicht aus, dass die Rücknahme auch ohne vorherige Mahnung oder Warnung auszusprechen ist, wenn bereits dem bisherigen gesetzwidrigen und damit unzuverlässigen Verhalten des Unternehmers ein Gewicht zukommt, das das zusätzliche Erfordernis besonderer behördlicher Abmahnungsmaßnahmen bedeutungslos macht (BVerwG, B.v. 27.9.1979 – 7 B 56/79 – juris Rn. 4; NdsOVG, B.v. 30.8.2010 – 7 ME 59/10 – juris Rn. 15).
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Aus dem gesetzlich vorgesehenen Regel-Ausnahme-Verhältnis ergibt sich insofern jedoch, dass eine Abmahnung nur dann entbehrlich ist, wenn Verstöße von solcher Tragweite vorliegen, dass eine vorherige Abmahnung sinnlos oder im Interesse erheblicher entgegenstehender Interessen unzumutbar erschiene. Das wird auch von dem Umstand gestützt, dass gemäß § 1 Nr. 2a) der Berufszugangsverordnung für den Straßenpersonenverkehr (PBZugV) v. 15. Juni 2000 (BGBl. I S. 851), zuletzt geändert durch Artikel 7 Absatz 5 des Gesetzes vom 11. April 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 119), bereits das Unzuverlässigkeitsverdikt an sich schwere Verstöße u.a. gegen Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes voraussetzt. Demzufolge müssen einem Widerruf wegen Unzuverlässigkeit ohne Mahnung nochmals gegenüber „bloß“ schweren Verstößen gesteigerte Pflichtverletzungen zu Grunde liegen.
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In der Rechtsprechung werden, soweit ersichtlich, Widerrufe ohne vorherige Mahnung regelmäßig für zulässig gehalten, wenn die Verstöße bereits ihrer Art nach von ganz erheblichem Gewicht sind (etwa OVG LSA, U.v. 9.4.1997 – A 4 S 238/96: u.a. Beförderung von Personen, ohne über Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung zu verfügen; NdsOVG, B.v. 30.8.2010 – 7 ME 59/10: wiederholte und schwerwiegende Verstöße gegen personenbeförderungsrechtliche Vorschriften, namentlich Pflichten, den genehmigten Linienbetrieb aufzunehmen und zu unterhalten, Haltestellen zu kennzeichnen und Abfahrtzeiten anzugeben, nach Hauptuntersuchungen das Prüfbuch unverzüglich vorzulegen und dafür zu sorgen, dass sich die Fahrzeuge in vorschriftsmäßigem Zustand befinden, insbesondere keine verkehrsuntauglichen Fahrzeuge im Linienverkehr eingesetzt werden; VG Augsburg, B.v. 3.3.2006 – Au 3 S 06.277: Schwere Mängel an Bussen mit der Folge einer konkreten Gefahr für die Gesundheit und das Leben der Fahrgäste; VG München, B.v. 13.12.2013 – M 23 S 13.5118: rechtskräftige Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in fünf Fällen zu einer bedingten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten).
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In Fällen, denen Verstöße gegen die Rückkehrpflicht, die Pflicht zur Auftragsannahme am Betriebssitz und die Pflicht zur ordnungsgemäßen Führung des Mietwagenauftragsbuchs zu Grunde lagen, ist dagegen, soweit ersichtlich, regelmäßig eine Mahnung erfolgt (etwa BayVGH, B.v. 20.3.2020 – 11 CS 20.181; B.v. 5.11.2020 – 11 ZB 20.642, VG München, U.v. 17.3.2021 – M 23 K 20.1954).
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Hieran gemessen ist bei summarischer Prüfung nicht überwiegend wahrscheinlich, dass vorliegend ein Ausnahmefall besteht, in dem eine Mahnung entbehrlich ist. Insbesondere die Vielzahl vorgeworfener Einzelverstöße, mit der der Antragsgegner eine Entbehrlichkeit der Mahnung begründet, erlaubt nach Auffassung der Kammer nicht notwendigerweise den Rückschluss, dass eine Mahnung keine Aussicht habe, den Gewerbetreibenden zur künftigen Beachtung anzuhalten. Die Mahnung hat gerade die Funktion, dem Adressaten erst unmissverständlich zu signalisieren, dass eine Änderung seines Verhaltens erforderlich ist. Unterbleibt dieses Signal, so kann aus einer bloßen Fortsetzung des Verhaltens nicht gefolgert werden, dass eine Mahnung von Vornherein keine Abhilfe verspricht bzw. den summierten Verstößen ein gesteigertes Gewicht zukommt. Dass sich – wie der Antragsgegner weiter ausführt – aus den vorgeworfenen Verstößen gegen die Pflicht zur Führung des Mietwagenverkehrs vom Betriebssitz aus eine Pflichtverletzung von so erheblichem Gewicht ergibt, dass das gesetzliche Erfordernis einer vorherigen behördlichen Abmahnungsmaßnahme bedeutungslos würde, ergibt sich jedenfalls nicht ohne Weiteres und muss der eingehenden Prüfung im Widerspruchsverfahren vorbehalten bleiben.
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bb) Bei einer hiernach gebotenen allgemeinen Interessenabwägung überwiegt das von der Berufsfreiheit geschützte Interesse der Antragstellerin an einer einstweiligen Fortführung ihres Gewerbes. Durch Vorlage von betriebswirtschaftlichen Daten und einer eidesstattlichen Versicherung eines der Geschäftsführer der Antragstellerin hat sie hinreichend glaubhaft gemacht, dass durch eine einstweilige Einstellung der Betriebstätigkeit irreversible Nachteile in Form von Zahlungsunfähigkeit und Unternehmensschließung drohen. Demgegenüber bedeutet eine einstweilige Fortsetzung der Tätigkeit der Antragstellerin – trotz etwaigen Bestehens der ihr vorgeworfenen Verstöße – zwar eine mögliche Beeinträchtigung des Schutzzwecks der in Rede stehenden personenbeförderungsrechtlichen Pflichten, insbesondere des Schutzes des Taxigewerbes vor wettbewerbsverzerrender Konkurrenz, sowie des Schutzes anderer konkurrierender Beförderungsdienstleister. Dieses Interesse muss jedoch bei einer Abwägung der widerstreitenden Belange für den begrenzten Zeitraum bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über den Widerspruch zurückstehen. Dies gilt auch deshalb, weil der Antragsgegner weiterhin nicht gehindert ist, eine förmliche Abmahnung hinsichtlich der von ihm vorgetragenen Verstöße auszusprechen und die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben weiterhin zu kontrollieren – so dass jedenfalls zur Vermeidung eines dann etwaigen erneut drohenden Widerrufsverfahrens ein Anreiz für die Antragstellerin besteht, die gegenständlichen personenbeförderungsrechtlichen Pflichten zu beachten. Hinzu kommt, dass bei den streitgegenständlichen Pflichtverletzungen keine Gefahr für weitere Rechtsgüter wie etwa dem Leib und Leben von Fahrgästen im Raum steht.
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Nachdem bereits nach Vorgesagtem die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich Ziffer 1 und 2 des Widerrufsbescheids wiederherzustellen war, kann die Frage nach der Auswirkung des zuletzt vorgetragenen Geschäftsführungswechsels der Antragstellerin hier dahinstehen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG in Verbindung mit § 52 Abs. 1 GKG und Nr. 1.5 und 47 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Demnach ist grundsätzlich der Streitwert nach Nr. 47.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit anzusetzen, wenn nicht die Bedeutung der Genehmigung oder der Anfechtung einer belastenden Maßnahme für die Antragstellerin eine andere Festsetzung erfordert. Das jährliche wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin an der streitgegenständlichen Genehmigung ist vorliegend mit 100.000,00 EUR zu schätzen, so dass sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein Streitwert von 50.000,00 EUR ergibt.