Titel:
Vollständiger Wegfall des Anspruchs auf Ersatz des Differenzschadens durch Vorteilsausgleichung
Normenketten:
ZPO § 287
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6, § 27
Leitsätze:
1. Auf den Differenzschaden muss sich der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung versehenen Fahrzeugs die von ihm erlangten Vorteile im Wege der Vorteilsausgleichung anrechnen lassen. Dabei sind zunächst der Restwert des Fahrzeugs und die gezogenen Gebrauchsvorteile anzurechnen. Auch eine etwaige Aufwertung des Fahrzeugs durch ein Softwareupdate ist als Vorteil zu berücksichtigen. (Rn. 3 – 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Annahme einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km für die Berechnung von Nutzungsvorteilen ist sachgerecht und entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der vollständige Wegfall des Anspruchs auf den "Differenzschaden" durch Vorteilsausgleichung ist zulässig und begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Auch aus dem Gebot unionsrechtskonformer Rechtsanwendung ergeben sich keine Bedenken gegen eine vollständige Aufzehrung von Schadensersatzansprüchen durch die Anrechnung von Nutzungsvorteilen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Differenzschaden, Nutzungsvorteil, Vorteilsanrechnung, Abschalteinrichtung, Schadensersatzanspruch, Restwertanrechnung, Gebrauchsvorteil, Softwareupdate
Fundstelle:
BeckRS 2025, 17188
Tenor
1. Das Versäumnisurteil vom 6. Mai 2025 wird aufrechterhalten.
2. Die Klägerin hat auch die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
(abgekürzt – ohne Tatbestand – nach §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO)
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Der Einspruch der Klägerin gegen das Versäumnisurteil vom 06.05.2025 ist gemäß §§ 539 Abs. 3, 338 ZPO statthaft und auch form- und fristgerecht (§§ 539 Abs. 3, 339 Abs. 1, 340 Abs. 1 und 2 ZPO) eingelegt. Die Berufung der Klägerin ist aber unbegründet, sodass das Versäumnisurteil des Senats aufrechtzuerhalten ist (§§ 539 Abs. 3, 343 Satz 1 ZPO). Das Landgericht hat die Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klägerin macht gegen die Beklagte im wiedereröffneten Berufungsverfahren ausdrücklich nur noch den sog. „Differenzschaden“ geltend und „verfolgt den großen Schadensersatzanspruch nicht mehr“ (Schriftsatz vom 25.03.2025, Seite 1). Der Anspruch auf den sog. „Differenzschaden“ besteht jedoch jedenfalls deswegen nicht, weil der Schaden durch die Anrechnung von durch die Klägerin gezogenen Vorteile vollständig aufgezehrt ist.
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1. Die Höhe des Differenzschadens ist unter Beachtung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Streitfalls nach § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu schätzen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 71 f.). Ausgangspunkt für die Bemessung des Differenzschadens ist der gezahlte Kaufpreis (BGH, Urteil vom 26.06.2023 a.a.O. Rn. 73; Urteil vom 13.11.2023, VIa ZR 1065/22, juris Rn. 13). Dieser beträgt im vorliegenden Fall 42.500,00 €. Aus diesem Kaufpreis macht die Klägerin einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 15% geltend (vgl. Seite 2 des Schriftsatzes vom 25.03.2025), mithin rechnerisch einen Anspruch in Höhe von 6.375,00 €. Zu Gunsten der Klägerin kann im Streitfall unterstellt werden, dass diese Schadenshöhe die angemessene Höhe des „Differenzschadens“ ist.
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2. Auf den „Differenzschaden“ muss sich die Klägerin allerdings die von ihr erlangten Vorteile im Wege der Vorteilsausgleichung anrechnen lassen. Insofern gelten die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zum sog. „kleinen“ Schadensersatz nach § 826 BGB sinngemäß (BGH, Urteil vom 24.07.2023, VIa ZR 752/22, NJW 2023, 3010 Rn. 12; vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 80; Urteil vom 24.10.2023, VI ZR 131/20, MDR 2024, 107 Rn. 51). Die Höhe der anzurechnenden Vorteile kann nach § 287 ZPO geschätzt werden (BGH, Urteil vom 24.07.2023, VIa ZR 752/22, NJW 2023, 3010 Rn. 12).
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a) Auf den „Differenzschaden“ ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zunächst der Restwert des Fahrzeugs anzurechnen (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 80; Urteil vom 24.10.2023, VI ZR 131/20, MDR 2024, 107 Rn. 51), dies unabhängig davon, ob er durch eine Weiterveräußerung realisiert worden ist (BGH, Urteil vom 27.11.2023, VIa ZR 159/22, MDR 2024, 162 Rn. 13). Den Restwert schätzt der Senat auf Grundlage des von der Klägerin selbst mitgeteilten Händlereinkaufswerts auf mindestens 16.477,00 € (Schriftsatz vom 24.04.2025, Seite 1; Anlage BK 2 zu diesem Schriftsatz).
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b) Ferner muss sich die Klägerin die von ihr gezogenen Gebrauchsvorteile anrechnen lassen. Die Laufleistung des Fahrzeugs betrug zuletzt mindestens 146.516 km (Schriftsatz vom 24.04.2025, Seite 1). Ausgehend von einem Bruttokaufpreis von 42.500,00 € (vgl. BGH, Urteil vom 24.07.2023, VIa ZR 752/22, NJW 2023, 3010 Rn. 20) und einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 250.000 km errechnet sich nach der Formel Nutzungsvorteil = Bruttokaufpreis x gefahrene Strecke (seit Erwerb) / erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt unter Berücksichtigung des Kilometerstands von 2.900 km im Erwerbszeitpunkt ein Nutzungsvorteil in Höhe von 24.701,25 €.
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Soweit die Klägerin meint, die Annahme einer Gesamtlaufleistung „von lediglich 250.000 km“ sei „alles andere als sachgerecht“ (vgl. Schriftsatz vom 24.04.2025, Seite 2 ff.), kann dem nicht gefolgt werden. Der Bundesgerichtshof hat die Annahme einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 250.000 km wiederholt ausdrücklich gebilligt (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 354/19, NJW 2020, 2796 Rn. 15; Urteil vom 27.07.2021, VI ZR 480/19, juris Rn. 23; Urteil vom 27.03.2023, VIa ZR 657/21, juris Rn. 8). Bei der Einschätzung der Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs ist zudem nicht lediglich auf den Motor, sondern auf das Fahrzeug in seiner Gesamtheit abzustellen (Eggert, in: Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Aufl. 2020, Rn. 3573; OLG Stuttgart, Urteil vom 19.10.2023, 24 U 193/21, juris Rn. 83 ff.). Dabei ist zu beachten, dass die höhere Motorlaufleistung heutiger Kraftfahrzeuge durch die Störungsanfälligkeit der verbauten Elektronik negativ kompensiert wird. Bei Versagen der Elektronik ist das Kraftfahrzeug nicht mehr einsatzfähig und häufig auch nicht mehr wirtschaftlich reparabel, obwohl Motor und Karosserie noch in vergleichsweise gutem Zustand sein mögen (BeckOGK-BGB/Schall, Stand: 01.08.2024, § 346 Rn. 437; OLG Stuttgart, Urteil vom 27.11.2019, 9 U 202/19, juris Rn. 58; OLG Stuttgart, Urteil vom 19.10.2023, 24 U 193/21, juris Rn. 83 ff.). Zur Annahme einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km führt auch die Schätzung anhand der vom Kraftfahrt-Bundesamt (im Folgenden: KBA) veröffentlichten Statistiken für das Durchschnittsalter von Personenkraftwagen und deren durchschnittlicher Jahresfahrleistung (OLG Stuttgart, Urteil vom 19.10.2023 a.a.O.). Denkbare Schwankungen gehen nicht über die mit einer Schätzung ohnehin und immer einhergehenden Unsicherheiten hinaus, welche im Rahmen der Schadensschätzung nach § 287 ZPO vom Gesetz aber in Kauf genommen werden. Höhere Gesamtlaufleistungen kommen vor, umgekehrt aber auch geringere. Für die voraussichtliche Gesamtlaufleistung fällt beides nicht ins Gewicht (OLG Stuttgart, Urteil vom 19.10.2023 a.a.O.). Nach den statistischen Erhebungen des KBA, die dieses auf seiner Internetseite allgemein zugänglich veröffentlicht, beträgt das durchschnittliche Fahrzeugalter derzeit etwa 10,6 Jahre. Selbst wenn man die von der Klägerin behauptete „jährliche Fahrleistung“ von 22.200 km zugrunde legte (vgl. Schriftsatz vom 24.04.2025, Seite 5), ergäbe sich somit eine zu erwartende Gesamtlaufleistung von lediglich 235.320 km und damit weniger als die vom Senat angenommene Gesamtlaufleistung.
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c) Schließlich muss sich die Klägerin nach der Rechtsprechung des Senats über die vorgenannten Vorteile hinaus auch die durch das Softwareupdate vom 25.01.2021 erlangten Vorteile anrechnen zu lassen. Eine etwaige „Aufwertung des Fahrzeugs durch das Softwareupdate“ ist als Vorteil zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 6. Juli 2021 – VI ZR 40/20, NJW 2021, 3041 Rn. 24; Urteil vom 31. Juli 2024 – VIa ZR 910/22, juris Rn. 12). Im Streitfall hat die Beklagte unwidersprochen vorgetragen, „das vom KBA freigegebene Software-Update beseitige die vom KBA im Bescheid vom 21.06.2019 beanstandete Funktionalität“ (Seite 45 des Schriftsatzes vom 22.04.2025) und „durch das Software-Update werde die KSR mit Aufspielen des Software-Updates entfernt“ (Seite 52 des Schriftsatzes vom 22.04.2025). Die Klägerin hat ihre Berufung maßgeblich auf das Vorhandensein einer „temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung“ und einer „Kühlmittelsolltemperatur-Regelung“ gestützt (vgl. Seite 10, 16 ff., 28 der Berufungsbegründung vom 02.11.2020). Jedenfalls die KSR wurde durch das Software-Update vollständig entfernt. Den hierdurch erlangten Vorteil schätzt der Senat, da eine von zwei behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen entfernt wurde, auf die Hälfte des geltend gemachten Differenzschadens, mithin auf 3.187,50 €.
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3. Somit hat die Klägerin Vorteile in einer Gesamthöhe von 44.365,75 € erlangt. Diese Vorteile sind allerdings erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 80; Urteil vom 24.10.2023, VI ZR 131/20, MDR 2024, 107 Rn. 51). Der Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags betrug nach dem zu ihren Gunsten als richtig zugrunde zu legenden Sachvortrag der Klägerin 36.125,00 €. Diesen Wert übersteigen die von der Klägerin erlangten Vorteile um 8.240,75 €. Die Klägerin muss sich somit diesen Betrag auf den geltend gemachten „Differenzschaden“ in Höhe von 6.375,00 € anrechnen lassen, sodass dieser vollständig durch die Vorteilsausgleichung aufgezehrt ist.
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4. Der vollständige Wegfall des Anspruchs auf den „Differenzschaden“ durch Vorteilsausgleichung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zulässig und begegnet keinen rechtlichen Bedenken (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 80; Urteil vom 24.10.2023, VI ZR 131/20, MDR 2024, 107 Rn. 51). Der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte führt nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten (EuGH, Urteil vom 21.03.2023 C-100/21, NJW 2023, 1111 Rn. 94). Aus dem Gebot unionsrechtskonformer Rechtsanwendung ergeben sich somit keine Bedenken gegen eine vollständige Aufzehrung von Schadensersatzansprüchen durch die Anrechnung von Nutzungsvorteilen (BGH, Urteil vom 24.10.2023, VI ZR 131/20, MDR 2024, 107 Rn. 46).
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Die Nebenentscheidungen beruhen hinsichtlich der Kosten auf § 97 Abs. 1 ZPO und hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.