Inhalt

OLG München, Beschluss v. 14.07.2025 – 7 U 9344/21
Titel:

Streitwertfestsetzung durch Gericht, Gerichtliche Streitwertfestsetzung, Rechtsanwaltsgebühren, Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis, Gegenvorstellung, Maßgeblicher Streitwert, Teilrücknahme, Terminsgebühr, Gerichtsgebühren, Rechtsanwaltsgesellschaft, Nutzungsentschädigung, Berufungsstreitwert, Gegenstandswert, Kostenrecht, Gebührenaufkommen, Berufungsrücknahme, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Anwaltsgebühren, Einheitliche Festsetzung, Zug-um-Zug

Schlagworte:
Berufungsrücknahme, Streitwertfestsetzung, Gegenvorstellung, Rechtschutzbedürfnis, Anwaltsgebühren, gestaffelter Streitwert, Terminsgebühr
Vorinstanz:
LG München I vom -- – 41 O 8510/21
Fundstelle:
BeckRS 2025, 17057

Tenor

Die Gegenvorstellung der Vertreterin des Klägers vom 12.06.2025 gegen die Streitwertfestsetzung des Senats im Beschluss vom 28.05.2025 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Gegenstand des durch Berufungsrücknahme beendeten Verfahrens war ein behaupteter Schadensersatzanspruch des Klägers und Berufungsklägers wegen – nach dem Klagevortrag – unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug.
2
Der Kläger, damals vertreten durch die … Rechtsanwaltsgesellschaft (Geschäftsführer… und …) erhob mit Schriftsatz vom 23.06.2021 Klage zum Landgericht München I. In diesem Klageschriftsatz kündigten die anwaltlichen Vertreter des Klägers neben auf Feststellung des Annahmeverzugs und auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichteten Anträgen folgenden Antrag an:
„Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von … EUR abzüglich einer im Termin zu bestimmenden Nutzungsentschädigung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 07.06.2021 Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeugs … zu zahlen“
3
Den vorläufigen Streitwert bezifferten die damaligen Vertreter des Beklagten in der Klageschrift auf 10.275,56 €.
4
Das Landgericht wies die Klage durch Urteil vom 19.11.2021 ab und setzte im Urteil den Streitwert – von den Parteien unbeanstandet – auf 10.275,56 € fest.
5
Der Kläger, weiterhin vertreten durch die … Rechtsanwaltsgesellschaft GmbH, begründete seine am 05.03.2021 eingelegte Berufung durch Schriftsatz vom 22.02.2022 und kündigte in der Berufungsbegründung an zu beantragen, das erstinstanzliche Urteil abzuändern und wie folgt neu zu fassen:
„1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 14.450 EUR [sic] – abzüglich einer vom Gericht (auf Basis einer Gesamtlaufleistung von zumindest 350.000 km) zu schätzenden Nutzungsentschädigung unter Zugrundelegung des Kilometerstandes im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs – nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.06.2021 Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeugs … zu zahlen (…)“.
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Mit Schriftsatz vom 27.12.2024 kündigte die … Rechtsanwaltsgesellschaft GmbH (Geschäftsführer …) an, den Kläger zu vertreten. Mit Schriftsatz vom 01.04.2025 (Bl. 331 d.A.) kündigte der Kläger an, den Antrag „umzustellen“ und zu beantragen,
„Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 2.167,50 EUR (15% des gezahlten Kaufpreises) abzüglich Nutzungsvorteile, welche in das Ermessen des Gerichts gestellt werden, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.“
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Mit weiterem Schriftsatz vom 26.05.2025 (Bl. 439 d.A.) nahm die Klägervertreterin die Berufung zurück. Das Gericht hat daraufhin durch Beschluss vom 28.05.2025 (Bl. 441 d.A.) die durch die Rücknahme nach § 516 Abs. 3 ZPO eingetretenen Wirkungen ausgesprochen und durch diesen Beschluss zugleich den Streitwert für das Berufungsverfahren bis 01.04.2025 auf 10.275,56 € und danach auf 2.167,50 € festgesetzt. Gegen diese Streitwertfestsetzung richtet sich die ausdrücklich in eigenem Namen erhobene Gegenvorstellung der Klägervertreterin vom 12.06.2025 (Bl. 446 d.A.). In ihr führt die Klägervertreterin aus, das Gericht habe „in unzulässiger Weise einen gestaffelten Streitwert festgesetzt“. Nach § 40 GKG sei für die Wertberechnung der Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden Antragstellung maßgebend, die den Rechtszug einleite. Eine Festsetzung eines gestaffelten (Gebühren-) Streitwerts von Amts wegen sei nach der obergerichtlichen Rechtsprechung rechtsfehlerhaft, denn in einem gerichtlichen Erkenntnisverfahren werde nur eine einheitliche Gerichtsgebühr erhoben; auch eine teilweise Klagerücknahme oder (übereinstimmende) Teilerledigung wirkten sich hierbei nicht auf den Streitwert aus.
II.
8
Die in eigenem Namen eingelegte Gegenvorstellung der Klägervertreterin ist weder zulässig, noch begründet.
9
1. Die Gegenvorstellung ist bereits unzulässig, da ein Rechtschutzbedürfnis der Vertreterin des Klägers weder von dieser vorgetragen, noch sonst ersichtlich ist.
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Wie jeder Rechtsbehelf ist auch die Gegenvorstellung nur zulässig, wenn ein allgemeines Rechtschutzbedürfnis des Petenten besteht, Seiler in Thomas/Putzo, 46. Auflage 2025, vor § 567 Rn. 15.
11
Für die von der Vertreterin des Klägers in eigenem Namen erhobene Gegenvorstellung ist auf das Rechtschutzbedürfnis der Vertreterin des Klägers abzustellen. Daher ist zunächst im Ausgangspunkt zu berücksichtigen, dass Rechtsanwälte nach § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG in eigenem Namen Beschwerde und bei Streitwertfestsetzungen durch Gerichte, deren nächsthöheres Gericht ein oberster Gerichtshof des Bundes ist, anstelle der dort nach § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 S. 3 GKG nicht statthaften Beschwerde Gegenvorstellung erheben können, s. BGH Beschluss vom 10.12.2024 – VI ZR 7/24, juris Rn. 11. Ein Rechtschutzbedürfnis der in eigenem Namen erhobenen Gegenvorstellung besteht entsprechend der Regelung in § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG aber nur, wenn der Rechtsanwalt darlegt, dass seine Vergütung wertabhängig erfolgt und die begehrte Höherfestsetzung des Streitwerts zu einer Steigerung seines Gebührenaufkommens um mehr als 200 € führt, BGH Beschluss vom 10.12.2024 – VI ZR 7/24, juris Rn. 11; Toussaint, Kostenrecht, 55. Auflage 2025, § 32 RVG Rn. 55.
12
Eine Beschwer der Vertreterin des Klägers ist nicht ersichtlich. Die Vertreterin des Klägers legt nicht dar, inwieweit ihr durch die gestaffelte Festsetzung ein Gebührennachteil entsteht. Unabhängig von der Festsetzung des Wertes der Gerichtsgebühren sind die vor der Teilrücknahme der Berufung entstandenen Anwaltsgebühren aus dem höheren Wert, die nach der Teilrücknahme ggf. entstandenen Gebühren aber nur nach dem geringeren Wert zu berechnen. So richtet sich etwa die anwaltliche Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG nach dem Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit in dem Termin (BGH, Beschluss vom 29.07.2024 – VI ZR 381/20, juris Rn. 6). Ist vor dem Termin eine Teilrücknahme erklärt worden, war der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit in dem Termin folglich auf den verbleibenden Prozessumfang beschränkt, so dass auch der Gegenstandswert für die Bestimmung der anwaltlichen Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG entsprechend geringer anzusetzen ist, als derjenige für die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG, die mit der Vornahme der ersten prozessbezogenen Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten entsteht und die sich nach dem höchsten Gegenstandswert während der Tätigkeit richtet, s. Toussaint, Kostenrecht, 55. Aufl. 2025, RVG VV 3100 Rn. 20 und 25; W. Schindler, in: Dörndorfer u.a., Beck OK Kostenrecht, 45. Aufl., § 40 GKG Rz. 13 und VGH Mannheim, Beschluss vom 07.01.2025 – 12 S 44/24, juris Rn.
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8. Die von der Vertreterin des Klägers erstrebte einheitliche Festsetzung des allein für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Berufungsstreitwertes auf den höheren Wert vor Teilrücknahme der Berufung könnte daher nur dann zu einem höheren Gebührenaufkommen der Vertreterin des Klägers führen, wenn nach der Teilrücknahme der Berufung ein weiterer Gebührentatbestand entstanden wäre (etwa durch einen außergerichtlichen Verhandlungstermin) und die Vertreterin des Klägers eine einheitlich höhere Wertfestsetzung des Gerichts für die Berechnung auch dieser Gebühr verwendet. Eine solche Berechnung der Anwaltsgebühren wäre indes, wie oben dargelegt, rechtlich unzutreffend. Die Möglichkeit einer unzutreffenden Verwendung einer einheitlichen Festsetzung des Berufungsstreitwerts begründet kein Rechtschutzbedürfnis für eine Gegenvorstellung gegen die gestaffelte Festsetzung.
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2. Die Gegenvorstellung ist auch nicht begründet. Nur die vom Senat vorgenommene gestaffelte Festsetzung bildet den Verfahrensverlauf zutreffend ab, zumal sich, wie bereits unter 1. dargelegt, die Rechtsanwaltsgebühren nach der gerichtlichen Streitwertfestsetzung richten und die Terminsgebühr naturgemäß nur aus dem im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblichen Streitwert entstehen kann. Dass sich der Streitwert für die Bemessung der Gerichtsgebühren nach § 40 GKG nach dem Wert zu Beginn der Instanz bemisst, hindert aus dem dargestellten Grund eine gestaffelte Streitwertfestsetzung von Amts wegen ebenso wenig wie die Tatsache, dass dies nach § 33 RVG auch auf Antrag geschehen kann. Dem Senat ist bewusst, dass einige Oberlandesgerichte dies anders sehen und nur auf Antrag eine gestaffelte Streitwertfestsetzung vornehmen. Dem folgt der Senat aus den dargestellten Gründen nicht. Eine Divergenzvorlage oder eine Zulassung der Rechtsbeschwerde sieht das Gesetz nicht vor (vgl. §§ 66 Abs. 3 S. 3, 68 Abs. 1 S. 5 GKG)