Titel:
Anspruch auf Weiterbetreuung im Kindergarten bei fehlendem Nachweis eines Impfschutzes gegen Masern
Normenketten:
IfSG § 20 Abs. 9 S. 1, S. 6, Abs. 12
BayGO Art. 21 Abs. 1
Leitsatz:
Die Vorlagepflicht nach § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG ist auch dann erfüllt, wenn das vorgelegte ärztliche Zeugnis inhaltlich unrichtig oder unplausibel ist. (Rn. 19)
Schlagworte:
gemeindlicher Kindergarten, Masernimpfpflicht, Vorlage eines Nachweises zur medizinischen Kontraindikation, gesetzliches Betreuungsverbot bei Nichtvorlage, Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit des Nachweises, Kindergarten, Betreuung, ärztliches Attest, Masernimpfschutz, Kontraindikation
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 05.06.2025 – M 26b E 25.2766
Fundstelle:
BeckRS 2025, 16997
Tenor
I. Die Antragsgegnerin wird unter Aufhebung von Nr. 1 und 2 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 5. Juni 2025 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin weiterhin den Zugang zur Betreuung in dem Kindergarten S1.-straße der Antragsgegnerin zu gewähren.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die 2020 geborene Antragstellerin, die bis zum 5. Mai 2025 in einem von der Antragsgegnerin als öffentliche Einrichtung betriebenen Kindergarten betreut wurde, begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die dortige Weiterbetreuung.
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Am 19. Dezember 2023 legt die Mutter der Antragstellerin der Kindergartenleitung zur Frage des Masernimpfschutzes ein ärztliches Attest vom 21. September 2023 vor, wonach sich bei einer Untersuchung der Antragstellerin Sensibilisierungen gegenüber Nahrungsmitteln, insbesondere bei Eigelb und Eiklar, bei Metallen und bei PEG gezeigt hätten; es sei eine Immunschwäche anzunehmen. Momentan sei eine Impfung kontraindiziert, bis dies geklärt sei. Nachdem die Mutter der Antragstellerin der Anfertigung einer Kopie des Attests nicht zugestimmt hatte, gab die Leiterin des Kindergartens in ihrer Meldung an das Gesundheitsamt vom 20. Dezember 2023 an, dass zwar ein Nachweis nicht erbracht worden sei; die Antragstellerin könne aber aufgrund eines Stoffes, auf den sie allergisch reagiere, derzeit nicht gegen Masern geimpft werden.
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Das Gesundheitsamt wies die Antragsgegnerin am 22. April 2025 darauf hin, dass für die Antragstellerin mangels eines Impfnachweises nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG ein gesetzliches Betreuungsverbot bestehe. Die Betreuung einer Person ohne gültigen Masernschutznachweis stelle eine Ordnungswidrigkeit dar. Die Antragsgegnerin habe daher binnen zwei Wochen die Beendigung der Betreuung nachzuweisen.
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Mit Schreiben vom 29. April 2025 teilte daraufhin die Antragsgegnerin den Eltern der Antragstellerin mit, dass diese mit sofortiger Wirkung nicht mehr im Kindergarten betreut werden könne; zur erneuten Aufnahme des Betreuungsplatzes werde um Übermittlung eines Masernschutznachweises gebeten.
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Am 2. Mai 2025 wurde dem Kindergarten erstmals eine Ausfertigung des bereits früher vorgezeigten ärztlichen Attests vom 21. September 2023 zum Verbleib übergeben.
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Nachdem die Antragstellerin am 6. Mai 2025 am Eingang des Kindergartens abgewiesen worden war, ließ sie am selben Tag beim Verwaltungsgericht einen Eilantrag stellen mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr ab sofort die vertraglich festgelegte Betreuung zu ermöglichen und ihr den Zugang zu dem Kindergarten zu gewähren. Es liege kein Verwaltungsakt, sondern nur eine Nachricht einer unzuständigen Behörde vor. Es fehle an einer Anhörung und an einer Rechtsbehelfsbelehrung. Die Antragsgegnerin sei nicht für ein Betreuungsverbot nach § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG zuständig. Ihr Schreiben habe den unter einer anderen Adresse lebenden Vater der Antragstellerin nicht erreicht. Es sei auch nicht hinreichend bestimmt und nicht begründet worden. Die Antragstellerin habe ein ärztliches Attest von einem approbierten Arzt vorgelegt, das von der Einrichtungsleitung anerkannt worden sei.
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Die Antragsgegnerin erklärte dazu, es bestehe ein gesetzliches Betreuungsverbot. Nach § 10 Abs. 1 Buchst. f ihrer Kindergartensatzung (KigaS) könne ein Kind aus wichtigem Grund vom weiteren Kindergartenbesuch ausgeschlossen werden. Es liege ein hinreichend bestimmter Verwaltungsakt vor; die Anhörung sei nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG entbehrlich gewesen. Eine inhaltliche Bewertung des Attests vom 21. September 2023 sei dem Gesundheitsamt vorbehalten. Das Schreiben sei an die bekannte Adresse der Erziehungsberechtigten versandt worden; Änderungen der Anschrift seien nach § 5 Abs. 5 KigaS umgehend mitzuteilen.
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Auf Nachfrage des Verwaltungsgerichts zur Beurteilung des ärztlichen Attestes teilte die Antragsgegnerin mit, bisher sei dem Gesundheitsamt kein Attest vorgelegt worden, weil keine Kopie erlaubt worden sei. Eine Ausfertigung zum Verbleib im Kindergarten sei erstmals am 2. Mai 2025 übergeben worden. Nach amtsärztlicher Einschätzung werde in dem Attest eine Kontraindikation nicht plausibel dargelegt, weshalb ein gesetzmäßiger Nachweis im Sinne des § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG weiterhin fehle. Hierzu wurde eine Stellungnahme des Gesundheitsamts vom 26. Mai 2025 beigefügt.
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Mit Beschluss vom 5. Juni 2025 lehnte das Verwaltungsgericht den Eilantrag ab. Es handle sich um einen nach § 123 Abs. 5 VwGO statthaften Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, da das Schreiben vom 29. April 2025 mangels Regelung kein Verwaltungsakt sei; die Antragsgegnerin habe lediglich auf das gesetzliche Betreuungsverbot hingewiesen. Sie habe nach dem eindeutigen Wortlaut des Schreibens keinen Ausschluss bzw. keine Kündigung im Sinne von § 10 KigaS mit der Folge eines dauerhaften Verlusts des Betreuungsplatzes ausgesprochen, sondern auf die nach Übermittlung eines Masernschutznachweises mögliche „erneute Aufnahme des Betreuungsplatzes“ hingewiesen. Hieran könne die nachträgliche Einlassung der Antragsgegnerin, sie habe durch Verwaltungsakt eine Kündigung aussprechen wollen, nichts ändern, da es auf den nicht nach außen in Erscheinung getretenen subjektiven Willen der Antragsgegnerin nicht ankomme. Den für eine Regelungsanordnung notwendigen Anordnungsanspruch habe die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Sie habe im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keinen Anspruch auf weitere Betreuung im Kindergarten, da derzeit ein gesetzliches Betreuungsverbot gemäß § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG bestehe. Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GO i.V.m. der Kindergartensatzung habe sie einen Anspruch auf weitere Betreuung nur nach den bestehenden allgemeinen Vorschriften. Eine solche Vorschrift stelle das gesetzliche Betreuungsverbot in § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG dar, wonach eine Person, die keinen Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorlege, nicht in Gemeinschaftseinrichtungen nach § 33 Nr. 1 bis 3 IfSG und damit nicht in einem Kindergarten betreut werden dürfe. Für die Antragstellerin sei bisher weder ein Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorgelegt worden noch ein ärztliches Zeugnis im Sinne von § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG darüber, dass aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden könne. Die Anforderungen an den Inhalt eines ärztlichen Zeugnisses über eine Kontraindikation ergäben sich insbesondere aus der Regelungssystematik und dem Sinn und Zweck von § 20 IfSG. Nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG könne das Gesundheitsamt bei Zweifeln an der inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises unter anderem eine ärztliche Untersuchung im Hinblick auf die medizinische Kontraindikation anordnen. Das Attest müsse daher wenigstens solche Angaben zur Art der medizinischen Kontraindikation enthalten, die das Gesundheitsamt in die Lage versetzten, das ärztliche Zeugnis auf Plausibilität zu überprüfen. Ein inhaltlich unrichtiges oder nicht plausibles Attest erfülle daher die Vorlagepflicht nicht. Es fehle hier an der Plausibilität des Nachweises einer medizinischen Kontraindikation. Soweit in der Bescheinigung vom 21. September 2023 „Sensibilisierungen gegenüber Nahrungsmitteln, insbesondere bei Eigelb und bei Eiklar, bei Metallen und bei PEG“ attestiert würden, sei der Schluss auf eine medizinische Kontraindikation gegen die Masernschutzimpfung nicht plausibel. Bei einer Sensibilisierung handle es sich um eine Immunantwort nach Kontakt mit einem bestimmten Antigen und um die Ausbildung allergenspezifischer IgE-Antikörper, die bei erneutem Kontakt möglicherweise eine Allergie bis hin zu einem anaphylaktischen Schock auslösten, aber auch asymptomatisch verlaufen könne. Der Nachweis einer Sensibilisierung erfolge durch Hauttestung oder Enzym-Allergo-Sorbent-Test. Erst ein positiver Provokationstest sichere eine Allergie (https://www.pschyrembel.de/Sensibilisierung/K0KRV). Kontraindikationen gegen die Masernimpfung seien in den jeweiligen Fachinformationen der Masernimpfstoffe aufgeführt, ergänzend könnten die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut Orientierung geben. Dort werde ausgeführt, dass eine Allergie gegen Hühnereiweiß keine Kontraindikation gegen die Mumps-Masern-Röteln-Impfung darstelle und dass das Risiko für anaphylaktische Reaktionen nach einer Mumps-Masern-Röteln-Impfung bei Personen mit nachgewiesener Hühnereiweißallergie nicht höher sei als das allgemeine Risiko für eine anaphylaktische Reaktion. Vor diesem Hintergrund sei der im Attest vom 21. September 2023 vorgenommene Schluss von den attestierten Sensibilisierungen auf eine medizinische Kontraindikation nicht plausibel. Wie auch das Gesundheitsamt in seiner Stellungnahme vom 26. Mai 2025 zutreffend ausführe, werde mit den attestierten Sensibilisierungen bereits keine Allergie gegen einen Bestandteil der Masernimpfung attestiert, geschweige denn das erhöhte Risiko einer anaphylaktischen Reaktion, was jedoch Voraussetzung für eine Kontraindikation wäre. Insbesondere weise das Gesundheitsamt zutreffend darauf hin, dass eine Sensibilisierung nicht gleichbedeutend mit einer Allergie sei, sondern dass bei einer vorliegenden Sensibilisierung noch zusätzliche Voraussetzungen für die Diagnose einer Allergie erfüllt sein müssten. Nicht plausibel sei auch die in der ärztlichen Bescheinigung vom 21. September 2023 getroffene Aussage, dass eine Immunschwäche anzunehmen und die Impfung kontraindiziert sei, bis die Frage der Immunschwäche weiterhin geklärt sei. Das Attest äußere lediglich einen Verdacht auf Immunschwäche, diagnostiziere diese aber nicht. Insbesondere stelle, worauf auch das Gesundheitsamt hinweise, eine Sensibilisierung bzw. Allergie keine Immunschwäche dar. Insoweit fehle der im Attest gezogenen Schlussfolgerung bereits die tatsächliche Grundlage. Im Übrigen sei selbst bei diagnostizierter Immunschwäche die Masernschutzimpfung nicht grundsätzlich kontraindiziert, sondern solle laut dem Epidemiologischen Bulletin des Robert Koch-Instituts vom 23. Januar 2025 ein möglichst weitreichender Impfschutz unter Berücksichtigung der individuellen Besonderheiten angestrebt werden.
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Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde. Sie beantragt sinngemäß,
11
die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 5. Juni 2025 im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin weiterhin den Zugang zur Betreuung in dem Kindergarten S1.-straße der Antragsgegnerin zu gewähren.
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Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen.
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Die Landesanwaltschaft Bayern beteiligt sich als Vertreter des öffentlichen Interesses an dem Verfahren.
14
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
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1. Die Beschwerde, die der Senat anhand der fristgerecht dargelegten Gründe prüft (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), hat Erfolg. Die Antragstellerin hat derzeit nach Art. 21 Abs. 1 GO weiterhin ein Recht, im Kindergarten S1.-straße der Antragsgegnerin betreut zu werden. Das Verwaltungsgericht hat den darauf gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung daher zu Unrecht abgelehnt.
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a) In der Beschwerdebegründung wird vorgetragen, die Antragstellerin sei laut einem auf Art. 37 Abs. 3 Satz 4 BayEUG gestützten Bescheid vom 15. März 2025 verpflichtet, ab September 2025 bis zur Einschulung eine staatlich geförderte Kindertageseinrichtung mit integriertem Vorkurs Deutsch mit einer Mindestbuchungszeit von drei Stunden täglich zu besuchen. In Kenntnis dessen sei jedoch ihrer Mutter am 29. April 2025 mitgeteilt worden, dass ab sofort nach § 20 Abs. 9 IfSG ein Betreuungsverbot bestehe, das für alle städtischen Kindergärten gelte. Die Antragstellerin sei aber auf den Besuch angewiesen, um den Deutschkurs zu absolvieren. Mit dem Verbot verstoße die Antragsgegnerin gegen infektionsschutzrechtliche Zuständigkeiten sowie gegen Art. 21 GO, gegen den gesetzlichen Anspruch auf einen Kitaplatz und gegen den städtischen Bildungsauftrag. Das erstinstanzliche Gericht habe unter Überschreitung seiner Amtsermittlungsbefugnis und ohne Gewährung rechtlichen Gehörs weitere Tatsachen ermittelt, die zwar für die Entscheidung letztlich unbehelflich seien, aber ein Übermaß an Parteilichkeit offenbarten. Obwohl ein Prüfrecht der Kindertageseinrichtungen anzunehmen sei, habe der Amtsarzt des Gesundheitsamts so lange mit der Kindergärtnerin telefoniert, bis diese das Gegenteil ihrer schriftlichen Aussage erklärt habe. Er habe dabei die Nachweispflicht und die Vorlagepflicht verwechselt. Die Beschwerde sei begründet, weil das Infektionsschutzgesetz kein gesetzlich wirkendes Betreuungsverbot für Kitakinder ausspreche. Das Verwaltungsgericht habe einer unzuständigen Behörde das Recht eingeräumt, über höherrangige gesetzliche Ansprüche der Antragstellerin durch einfache Schreiben zu entscheiden. Das Betreuungsverbot widerspreche jedenfalls höherrangigen Verwaltungs- und Persönlichkeitsinteressen, weil der schulischen Ausbildung laut Bundesverfassungsgericht eine klare Präferenz zukomme. Der Amtsarzt habe ohne die anzufordernden Unterlagen keine Stellungnahme abgeben dürfen. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts genüge die Vorlage eines ärztlichen Attests, um die gesetzlichen Voraussetzungen zu erfüllen; ein darüberhinausgehender Nachweis der Plausibilität könne von den Bürgern nicht gefordert werden.
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b) Ausgehend von diesem Beschwerdevorbringen steht der Antragstellerin der im Eilverfahren geltend gemachte Anspruch auf Weiterbetreuung im Kindergarten der Antragsgegnerin zu. Ihrem aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GO folgenden Recht, diese öffentliche Einrichtung „nach den bestehenden allgemeinen Vorschriften“ zu benutzen, steht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht das bundesgesetzliche Betreuungsverbot des § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG entgegen.
18
Wie in der Beschwerdebegründung der Sache nach zutreffend dargelegt wird, hat die Antragstellerin die Verpflichtung nach § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG zur Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses darüber, dass sie aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden könne, mit der Übergabe einer Ausfertigung des ärztlichen Attests vom 21. September 2023 an die Leitung des Kindergartens am 2. Mai 2025 erfüllt. Ab diesem Zeitpunkt bestand das in § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG normierte Betreuungsverbot in Bezug auf Personen, die ab der Vollendung des ersten Lebensjahres „keinen Nachweis nach Satz 1“ vorlegen, nicht mehr.
19
Diesem Ergebnis kann nicht die in der angegriffenen Entscheidung unter Bezugnahme auf einen Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (B.v. 5.5.2021 – 3 B 411/20 – juris Rn. 21 ff.) angestellte Überlegung entgegengehalten werden, die Vorlagepflicht nach § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG sei auch dann nicht erfüllt, wenn das vorgelegte ärztliche Zeugnis inhaltlich unrichtig oder unplausibel sei. Für eine solche über den Gesetzeswortlaut hinausgehende Auslegung, die den Anwendungsbereich des bußgeldbewehrten (§ 73 Abs. 1a Nr. 7 Buchst. c IfSG) gesetzlichen Betreuungsverbots nach § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG erweitern würde, bestehen keine überzeugenden Gründe. § 20 Abs. 9 Satz 2 IfSG unterscheidet ausdrücklich zwischen der Nichtvorlage eines „Nachweises nach Satz 1“ und bloßen Zweifeln an dessen Echtheit oder inhaltlicher Richtigkeit. Allein auf den erstgenannten Fall kann sich daher das in § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG bei unterbliebener Vorlage eines solchen Nachweises entstehende Betreuungsverbot beziehen.
20
Hält die Leitung der jeweiligen Einrichtung, die regelmäßig über keine spezielle infektiologische Fachkunde verfügt (vgl. Aligbe in BeckOK Infektionsschutzrecht, § 20 IfSG Rn. 222a.3), die Urheberschaft der vorgelegten Urkunde oder die darin getroffenen Aussagen für zweifelhaft, so hat sie unverzüglich das örtlich zuständige Gesundheitsamt darüber zu benachrichtigen und hierzu personenbezogene Angaben zu übermitteln (§ 20 Abs. 9 Satz 2 IfSG). Bestehen auch aus Sicht der staatlichen Fachbehörde Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises, so kann sie zu der Frage, ob die betreffende Person auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen Masern geimpft werden kann, eine ärztliche Untersuchung anordnen oder bestimmte Ermittlungen zur Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises anstellen (§ 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG). Wird einer vom Gesundheitsamt angeordneten ärztlichen Untersuchung nicht Folge geleistet, kann die Behörde der betreffenden Person das Betreten der Räume, für die der Nachweis eines Masernimpfschutzes gefordert wird, im Einzelfall untersagen (§ 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG). Auch die Existenz dieser speziellen Befugnisnorm spricht eindeutig gegen eine Gesetzesauslegung dahingehend, dass schon bloße Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit eines vorgelegten ärztlichen Attests das gesetzliche Verbot der Betreuung in der Einrichtung gemäß § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG zur Folge haben.
21
Da aus den genannten Gründen derzeit für die Antragstellerin kein Betreuungsverbot in Kindergärten oder sonstigen Kindertageseinrichtungen (§ 33 Nr. 1 IfSG) besteht, kommt es auf das Verhältnis eines solchen bundesgesetzlichen Verbots zu einer auf Art. 37 Abs. 3 Satz 4 BayEUG gestützten schulrechtlichen Verpflichtung, eine Kindertageseinrichtung mit einem integrierten Vorkurs zur Förderung der deutschen Sprachkenntnisse zu besuchen, im vorliegenden Verfahren nicht an.
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2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zum Streitwert aus § 47 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
23
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).