Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.07.2025 – 24 ZB 25.202, 24 ZB 25.201
Titel:

objektive Klagehäufung, rechtswidrige Trennung von Verfahren durch das Verwaltungsgericht, Verbindung von Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung, waffenrechtliche Unzuverlässigkeit, waffenrechtliche Prognoseentscheidung, „Reichsbürgerin“

Normenketten:
VwGO § 44
VwGO § 93
VwGO §§ 124, 124a
VwGO § 150 S. 1 ZPO i.V.m. § 173 S. 1
WaffG § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, § 5 Abs. 2 Nr. 5
WaffG § 45 Abs. 2
BJagdG § 18 S. 1
GKG § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
Schlagworte:
objektive Klagehäufung, rechtswidrige Trennung von Verfahren durch das Verwaltungsgericht, Verbindung von Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung, waffenrechtliche Unzuverlässigkeit, waffenrechtliche Prognoseentscheidung, „Reichsbürgerin“
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 25.10.2024 – AN 16 K 23.1114
Fundstelle:
BeckRS 2025, 16991

Tenor

I. Die Abtrennung des auf die Ungültigerklärung und Einziehung des Jagdscheins im Bescheid des Landratsamts Ansbach vom 26. April 2023 bezogenen Teils des klägerischen Begehrens durch das Verwaltungsgericht wird aufgehoben. Die beim Verwaltungsgerichtshof rechtshängigen Verfahren 24 ZB 25.201 und 24 ZB 25.202 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Anträge auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.
III. Die Klägerin trägt die Kosten der Zulassungsverfahren.
IV. Der Streitwert wird – unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. Oktober 2024 (AN 16 K 23.1114 / AN 16 K 23.1118) – für beide Rechtszüge einheitlich jeweils auf 23.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit ihren beiden Anträgen auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihre im ersten Rechtszug erfolglose (vom Verwaltungsgericht in zwei Verfahren getrennte) Klage weiter, mit der sie sich insbesondere gegen den Widerruf ihrer Waffenbesitzkarten und die Ungültigerklärung ihres Jagdscheins wendet.
2
Im Rahmen eines Bußgeldverfahrens wegen eines Verkehrsverstoßes übersandte die Klägerin dem Polizeiverwaltungsamt am 24. Oktober 2022 einen mit „AKZEPTANZ“ überschriebenen, handschriftlich unterzeichneten Brief, in dem sie unter anderem ausführt, das Schreiben erhalten und als Angebot erkannt zu haben. Dieses nehme sie an, wenn u.a. eine notarielle Beglaubigung der Gründungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland sowie des Bundeslandes Bayern vorgelegt werde; andernfalls gehe sie davon aus, dass der Absender „privat vertragsrechtlich und Ihre Behörde / Amt etc. nach Firmen- und Vertragsrecht als Unternehmen (Handelsrecht / UCC / HGB)“ handele und arbeite.
3
In einem anlässlich dieses Schreibens geführten Telefonat mit der Polizei hat sich die Klägerin davon distanziert, „Reichsbürgerin“ zu sein. Sie sehe eine (medial weit verbreitete) Durchsuchungsaktion bei „Reichsbürgern“ als „PR-Gag“ und als „fake“ an. Ihr Schreiben vom 24. Oktober 2022 sei ein „Versuchsballon“ gewesen, sie habe es im Internet gefunden und austesten wollen, wie die Behörde reagiere.
4
Ausweislich polizeilicher Erkenntnisse hat die Klägerin wenige Tage nach dem Telefonat in Kupferzell-Eschental an einem Vortrag des „Reichsbürgers“ Matthes Haug teilgenommen.
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Über diese Erkenntnisse informierte die Polizei das Landratsamt Ansbach, das nach Anhörung mit Bescheid vom 26. April 2023 unter Verweis auf die fehlende Zuverlässigkeit den Jagdschein der Klägerin für ungültig erklärte und einzog (Nr. 1), die Waffenbesitzkarte widerrief (Nr. 3) und zur Abgabe der Dokumente verpflichtete (Nr. 2; Nr. 4). Im Übrigen wurden entsprechende Nebenanordnungen nach § 46 WaffG erlassen (Nr. 5) sowie ein Zwangsgeld und die Sicherstellung angedroht (Nr. 6).
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Die Klägerin hat gegen den gesamten Bescheid mit Schriftsatz vom 30. Mai 2023 Anfechtungsklage erhoben. Das Verwaltungsgericht legte hinsichtlich der waffenrechtlichen Regelungen und hinsichtlich der jagdrechtlichen Regelungen des Bescheids jeweils ein Verfahren an (AN 16 K 23.1114 und AN 16 K 23.1118); eine Abtrennungsentscheidung ist nicht aktenkundig. Später wurden die Verfahren zunächst zur gemeinsamen Verhandlung (Beschluss vom 21.3.2024, Bl. 74 der Gerichtsakte zum Verfahren AN 16 K 23.1118) und dann in der mündlichen Verhandlung am 25. Oktober 2024 zur gemeinsamen Entscheidung verbunden (Beschluss vom 25.10.2024, Bl. 164 der Gerichtsakte zum Verfahren AN 16 K 23.1118). Die Klagen wurden mit Urteil vom selben Tag, das beide Aktenzeichen trägt, abgewiesen.
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Die Klägerin wendet sich mit ihren Anträgen auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil. Sie macht zum einen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung geltend und rügt zum anderen die Verletzung rechtlichen Gehörs.
8
Der Beklagte ist dem Antrag entgegengetreten und verteidigt das angefochtene Urteil.
9
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die vorgelegte Akte des Beklagten genommen.
II.
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Die Verfahren sind nach § 93 Satz 1 VwGO zu verbinden (1.) und die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Abtrennung eines Teils des klägerischen Begehrens ist aufzuheben (2.).
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1. Die eingeleiteten Verfahren sind zur gemeinsamen Entscheidung nach § 93 Satz 1 VwGO zu verbinden. Eine gemeinsame Entscheidung ist ersichtlich zweckmäßig, weil in beiden Verfahren insbesondere die Unzuverlässigkeit der Klägerin im Raum steht, die – trotz unterschiedlicher Vorschriften im Waffengesetz und im Bundesjagdgesetz – inhaltlich im Wesentlichen nach den gleichen Kriterien und auf Basis der gleichen tatsächlichen Geschehnisse zu beurteilen ist; deshalb hat auch die Behörde nur einen einzigen Bescheid erlassen.
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2. Die faktische Trennung des von der Klägerin gemäß § 44 VwGO einheitlich verfolgten Begehrens in zwei Verfahren ist rechtswidrig; sie ist deshalb aufzuheben (zu den Folgen für den Streitwert vgl. Rn. 38).
13
a) Der Senat ist zur Aufhebung der Trennung trotz der Unanfechtbarkeit des Trennungsbeschlusses befugt, weil beide getrennte Verfahren bei ihm rechtshängig gemacht worden sind (vgl. BayVGH, B.v. 15.7.2025 – 24 CS 25.556 / 24 CS 25.553 – Rn. 16 m.w.N.).
14
b) Das Verwaltungsgericht hat das von der Klägerin gemäß § 44 VwGO einheitlich verfolgte Begehren routinemäßig (ohne Beschluss, nur durch faktische Vergaben von zwei verschiedenen Aktenzeichen) getrennt und später zur gemeinsamen Verhandlung und dann zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Die Trennung war von Anfang an rechtswidrig.
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aa) Eine rechtmäßige Trennung nach § 93 Satz 2 VwGO erfolgt durch Beschluss und setzt voraus, dass die Trennung der Verfahren der Ordnung des Prozessstoffes im Interesse einer besseren Übersichtlichkeit dient (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 23.10.2023 – 8 A 2.23 – juris Rn. 2). Hieran fehlt es regelmäßig, wenn das abgetrennte Verfahren absehbar weder zusätzlichen Streitstoff aufweist noch ein deutlich geringerer Verfahrensaufwand zu erwarten ist, als er ohne Trennung bestanden hätte. Auch die durch eine Trennung verursachte Gefahr von Missverständnissen bei der Aktenführung kann einer Trennung entgegenstehen und ist bei der Ermessensausübung durch das Gericht zu berücksichtigen. Es versteht sich von selbst, dass im Rahmen der Ermessensausübung auch andere gegenläufige Belange der Beteiligten zu würdigen sind. Zu diesen gehört beispielsweise das durch den trennungsbedingten Wegfall der Gebührendegression erhöhte Kostenrisiko, auch wenn dieses anerkanntermaßen einer Trennung nicht von vornherein entgegensteht (vgl. BayVGH, B.v. 15.7.2025 – 24 CS 25.556 / 24 CS 25.553 – Rn. 18).
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bb) Hieran gemessen erweist sich das Vorgehen des Verwaltungsgerichts als rechtswidrig. Tragfähige Ermessenserwägungen hat es weder angestellt noch sind sie anderweitig erkennbar. Das Fehlen einer Ermessensausübung wird schon daran deutlich, dass das Gericht offenbar unmittelbar nach Eingang der Klage und damit noch vor Kenntnis der in den Akten dokumentierten Umstände des Einzelfalles einen Teil des Begehrens (ohne Beschluss) durch die Vergabe von zwei Aktenzeichen (faktisch) abgetrennt hat. Ungeachtet dessen ist mit Blick auf die vorliegend einheitlichen Rechts- und Tatsachenfragen in beiden Verfahren (vgl. oben Rn. 11; diese sieht auch das Verwaltungsgericht, wenn es beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbindet), den erhöhten Verfahrensaufwand, die damit verbundenen Risiken für die Aktenführung – vorliegend wird das durch die aufgetretenen Unklarheiten hinsichtlich der Reichweite eines Antrags nach § 102a VwGO besonders deutlich (vgl. Bl. 115 der Gerichtsakte im Verfahren AN 16 K 23.1118) – sowie die erhöhten Prozesskosten als betragsmäßig nicht unerheblichen finanziellen Nachteil (vgl. zu deren mitunter beachtlichen Höhe exemplarisch BayVGH, B.v. 15.7.2025 – 24 CS 25.556 / 24 CS 25.553 – Rn. 21), denen kein prozessökonomischer Vorteil gegenübersteht, kein Grund für eine Trennung erkennbar.
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Auch die etwaige Erwägung, die in gerichtlichen Verfahren betroffenen Sachgebiete verwaltungsstatistisch transparent zu erfassen, kann die Trennung der Verfahren nicht rechtfertigen. Anlage 11 Satz 1 der Anordnung über die Erhebung von statistischen Daten in der Verwaltungsgerichtsbarkeit (VwG-Statistik) vom 1. Januar 2025 legt fest, dass für die Erfassung des Sachgebietsschlüssels der Schwerpunkt des Verfahrens maßgeblich ist; den Schwerpunkt bildet im Regelfall und auch hier das Waffen- und nicht das Jagdrecht (vgl. BayVGH, B.v. 15.7.2025 – 24 CS 25.556 / 24 CS 25.553 – Rn. 22).
III.
18
I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus der Antragsbegründung, auf die sich gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungsverfahren beschränkt, ergeben sich die geltend gemachten Berufungszulassungsgründe nicht.
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Der von der Klägerin geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ist nicht hinreichend dargelegt und liegt nicht vor (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Schlüssige Argumente in diesem Sinne liegen vor, wenn der Kläger substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist. Dazu bedarf es, abhängig von Umfang und Dichte der Begründung der angegriffenen Entscheidung, einer substanziellen Auseinandersetzung mit dieser; eine bloße Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens genügt nicht (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2025 – 7 ZB 24.2067 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 13.2.2025 – 8 ZB 24.1899 – juris Rn. 9 – jeweils m.w.N.).
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2. Hieran gemessen bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Mit seinem Vortrag, der sich insbesondere gegen die Einordnung der Klägerin als „Reichsbürgerin“ und damit im Ergebnis gegen die Annahme richtet, ihre Ansichten, Einstellungen, Denk- und Handlungsmuster tragen – als innere Tatsachen – die Prognose i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a WaffG, wird nicht ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt.
22
a) Nach § 45 Abs. 2 des Waffengesetzes (WaffG) i.d.F. d. Bek. vom 11. Oktober 2002 (BGBl I S. 3970), vor Erlass des Bescheids zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl I S. 1328), ist eine Erlaubnis nach diesem Gesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Dies ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 i.V.m. § 5 WaffG insbesondere der Fall, wenn sich die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses als unzuverlässig im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG erweist. Die Zuverlässigkeitsprüfung ist grundsätzlich prospektiv ausgerichtet und verlangt die Vornahme einer Prognose (vgl. näher BayVGH, B.v. 20.4.2023 – 24 CS 23.495 – Rn. 21 f.; s.a. VGH BW, B.v. 19.3.2024 – 6 S 1171/23 – juris Rn. 7; VGH, B.v. 22.2.2024 – 6 S 221/24 – juris Rn. 16 f.). Im Regelfall ist die Annahme gerechtfertigt, dass ein Erlaubnisinhaber insbesondere i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a WaffG Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden wird (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2025 – 24 CS 24.2030 – juris Rn. 17 m.w.N.), wenn auf Basis von äußeren Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er „Reichsbürger“ ist bzw. der „Reichsbürgerszene“ zuzuordnen ist. Dieser Prognosezusammenhang bzw. Erfahrungssatz ist in der Rechtsprechung anerkannt und wird auch durch das klägerische Vorbringen nur pauschal, aber nicht substantiiert in Zweifel gezogen (vgl. Schriftsatz vom 17.2.2025, S. 4). Gleiches gilt für die entsprechenden jagdrechtlichen Vorschriften.
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Mit dem Wort „Reichsbürger“ bzw. der Rede von der Nähe oder der Zuordnung zur so bezeichneten Szene oder Bewegung wird das Vorliegen und Offenbaren von spezifischen Ansichten, Einstellungen, Denk- und Handlungsmustern des Erlaubnisinhabers auf den Begriff gebracht, die die entsprechende Prognose rechtfertigen. Es kommt deshalb nicht auf eine persönliche und konkrete organisatorische Verbindung des betroffenen Erlaubnisinhabers in eine „Reichsbürgerszene“ oder „Reichsbürgerbewegung“ hinein an. Es kommt auch nicht darauf an, ob sich der Betreffende selbst als „Reichsbürger“ bezeichnet oder versteht (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2025 – 24 CS 24.2030 – juris Rn. 18).
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Ob eine Person eine – ausreichend verfestigte – „Reichsbürger-Haltung“ zum Ausdruck gebracht hat und deshalb als waffenrechtlich unzuverlässig angesehen werden kann, ist eine Frage des Einzelfalls. Es kommt auf eine Gesamtwürdigung aller Umstände, insbesondere der Persönlichkeit des Betroffenen und seinen prozessualen und außerprozessualen Verhaltensweisen und Einlassungen an (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2025 – 24 CS 24.2030 – juris Rn. 20; VGH BW, B.v. 22.2.2024 – 6 S 221/24 – juris Rn. 20). Die Ermittlung der einschlägigen Tatsachen erfolgt dabei nach Maßgabe des Art. 24 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BayVwVfG durch die Waffenbehörde bzw. nach § 86 Abs. 1 VwGO durch das Verwaltungsgericht. Allein eine polizei- oder verfassungsschutzbehördliche Einschätzung, dass ein Erlaubnisinhaber der „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen ist, genügt für sich genommen nicht (vgl. VGH BW, B.v. 19.3.2024 – 6 S 1171/23 – Rn. 10; BayVGH, B.v. 30.1.2024 – 24 CS 23.1872 – juris Rn. 14).
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b) Hinsichtlich der Klägerin liegen ausreichend nachgewiesene Äußerungen vor, die in ihrer Gesamtschau die Annahme einer ausreichend verfestigten „Reichsbürger-Haltung“ und damit von waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit rechtfertigen (aa). Die von der Klägerin vorgetragenen Gegenargumente sind nicht geeignet, diese Annahme in Frage zu stellen (bb).
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aa) Die Klägerin hat in einer reichsbürgertypischen Argumentationsform die Legitimation und Verbindlichkeit der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und ihrer öffentlichen Stellen in ausreichend verfestigter Weise in Abrede gestellt. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts und der Waffenbehörde beruht nicht allein auf der polizeilichen Einstufung (vgl. Aktenvermerk vom 9.1.2023, Bl. 38 der Behördenakte), sondern auch auf eigenen Ermittlungen, insbesondere einem persönlichen Gespräch mit der Klägerin (vgl. Aktenvermerk vom 13.3.2023). Dass das Verwaltungsgericht auch einen polizeilichen Aktenvermerk, in dem die Sachbearbeiterin selbst getroffene Beobachtungen und Erlebnisse (und nicht allein Dinge vom Hörensagen) zugrunde gelegt hat (Vermerk vom 28.12.2022, Bl. 33 ff. der Behördenakte), verwertet, ist weder im Allgemeinen noch aufgrund besondere Umstände im vorliegenden Fall zu beanstanden. Ein allgemeiner Vorrang unmittelbarer Beweismittel – hier der Beamtin als Zeugin – gegenüber mittelbaren Beweismitteln besteht nicht (vgl. BVerwG, U.v. 28.7.2011 – 2 C 28.10 – juris Rn. 16 ff.).
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So hat sich die Klägerin am 24. Oktober 2022 mit einem Schreiben gegenüber dem Polizeiverwaltungsamt unzweifelhaft in einschlägiger Weise geäußert. Es trägt in Großbuchstaben die Überschrift „Akzeptanz“ und bringt seinem Inhalt nach zum Ausdruck, dass Geldforderungen des Staates nur ein „Angebot“ darstellen würden, das ein Empfänger akzeptieren könne (oder auch nicht). Ferner stellt die Klägerin mit ihren aufgestellten Forderungen (als Voraussetzung für ihre Angebotsannahme) pauschal und in offenkundig fernliegender Argumentation die Legitimation des Polizeiverwaltungsamts als Behörde in Frage, wenn sie Legitimationsnachweise in notarieller Form und die Vorlage der Gründungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland und des Freistaats Bayerns verlangt. Ausweislich des Vermerks einer Polizeibeamtin habe die Klägerin ihr gegenüber angegeben, das Schreiben im Internet gefunden und „just for fun“ oder als „Versuchsballon“ versandt zu haben, um zu testen, wie Behörden reagierten.
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Das Schreiben, das die Polizei für sich genommen noch nicht für eine Einstufung hat genügen lassen (vgl. Aktenvermerk vom 28.12.2022, Bl. 33 ff. der Behördenakte), ist auch nicht der einzige Ausdruck der Haltung der Klägerin. Sie hat mit E-Mail vom 22. November 2022 anlässlich eines zuvor erfolgten Ersuchens der Polizei, ein „Reichsbürger-Gespräch“ mit ihr zu führen, der zuständigen Sachbearbeiterin einen Internetartikel zur „Corona-Impfpropaganda“, zu Anti-Terror-Aktionen als Medienshow und über „die schreckliche Bluttat von Illerkirchen“ geschickt (Bl. 14 ff. der Behördenakte). Für die waffenrechtliche Prognose ist dabei nicht der Inhalt für sich genommen – etwa die Kritik an Karl Lauterbach als damaligem Bundesgesundheitsminister – ausschlaggebend; relevant ist vielmehr, der in der Übersendung der Artikel dokumentierte Aufklärungs- und Belehrungseifer der Klägerin gegenüber der Polizistin („welches zeigt, in welch chaotischen, lügenhaften Zeiten wir mittlerweile angekommen sind…“). In die gleiche Richtung weist, dass die Klägerin ferner der Polizei ein Buch von Matthes Haug vorgelegt hat (vgl. Bl. 31, 34 der Behördenakte), das den (in Frakturschrift gefassten) Titel „Das Deutsche Reich – 1871 bis heute“ und den mehrzeiligen Untertitel „Das Deutsche Reich heute / Rechtliche und historische Grundlagen / Erfahrungsberichte im Umgang mit Behörden / Chancen und Möglichkeiten für unsere Zukunft“ trägt. Diesen offenkundig vertrauten und routinierten Umgang mit der einschlägigen „Szeneliteratur“ nimmt das Verwaltungsgericht zu Recht zum Anlass, eine gesteigerte Nähe der Klägerin zur Gedankenwelt der „Reichsbürgerszene“ zu bejahen, zumal, darauf weist das Gericht ebenfalls überzeugend hin, das Überlassen dieser Schriften im Kontext eines polizeilichen „Reichsbürger-Gesprächs“ stattfand. Die Verfestigung der Denkmuster wird außerdem daran deutlich, dass die Klägerin wenige Tage nach dem Gespräch mit der Polizei einen öffentlichen Vortrag des Autors des oben erwähnten Buchs in Baden-Württemberg besucht hat (vgl. Aktenvermerk vom 9.1.2023, Bl. 38 der Behördenakte). Eine glaubhafte Abkehr der Klägerin von ihrer Haltung liegt nicht vor (vgl. UA S. 17).
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bb) Die Richtigkeit der Feststellungen des Verwaltungsgerichts und die Richtigkeit seiner hieraus gezogenen Schlussfolgerungen werden durch den Vortrag im Zulassungsantrag nicht mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt.
30
Die Rüge der Klägerin, das Verwaltungsgericht verkenne den grundrechtlichen Freiheitsraum, wenn es meine, die Klägerin bedürfe einer „nachvollziehbaren und plausiblen Erklärung, weshalb sie es für sinnvoll oder erforderlich erachtet habe“ das Schreiben vom 24. Oktober 2022 zu verfassen und zu versenden (Schriftsatz vom 17.2.2025, S. 3), überzeugt nicht. Das Verwaltungsgericht verlagert mit dieser Anforderung nicht entgegen verfassungsrechtlicher Grundsätze die Beweislast auf die Klägerin. Vielmehr reagiert es damit lediglich auf solche Nachweisschwierigkeiten, die für innere Tatsachen ihrer Natur nach bestehen. Innere Tatsachen lassen sich nur durch äußere Umstände erschließen. Individuelle Umstände, die dem gewöhnlichen Schluss entgegenstehen, hat deshalb die Klägerin zu offenbaren. Es ist insoweit ihre Sache, die von ihr hervorgerufenen, berechtigten Zweifel im Hinblick auf ihre waffenrechtliche Zuverlässigkeit zu entkräften; sie muss als Beteiligte an der Erforschung des Sachverhalts mitwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO; vgl. BayVGH, U.v. 30.7.2020 – 24 BV 18.2500 – juris Rn. 16).
31
Auch der mehrfache Verweis der Klägerin auf die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG ist nicht geeignet, die verwaltungsgerichtliche Prognose i.S.v. § 5 Abs. 2 Nr. 2 WaffG in Zweifel zu ziehen. Es kommt für die Prognose nicht darauf an, dass ihre Äußerungen von der Meinungsfreiheit geschützt und rechtlich zulässig sein dürften. Eine Unzuverlässigkeitsprognose ist keine Sanktion, für die die Rechtswidrigkeit des herangezogenen Verhaltens entscheidend wäre, sondern eine Wahrscheinlichkeitsaussage über die Zukunft, die auf Basis von Geschehenem zu erfolgen hat, gleich ob dieses rechtlich zulässig oder unzulässig war. In dieser Wirkung ist das Schreiben auch nicht wegen der Entrichtung des Bußgelds „schon längst faktisch überholt“ (Schriftsatz vom 17.2.2025, S. 17).
32
Entscheidend ist allein, ob das Geschehene inhaltlich die Prognose trägt. Dies ist angesichts der mit den Äußerungen offenbarten Ansichten, Einstellungen und Denkmustern der Klägerin der Fall (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2025 – 24 CS 24.2030 –, juris Rn. 35; BayVGH, B.v. 28.7.2022 – 24 ZB 22.451 – juris Rn. 16). Dass die Äußerungen eine andere – nicht „reichsbürgertypische“ – Bedeutung gehabt haben, so dass sie die Prognose auf Basis des anerkannten Erfahrungssatzes nicht tragen könnten, kann die Klägerin nicht überzeugend vortragen. Welche durch „die Meinungsfreiheit gebotene Auslegung der Äußerung der Klägerin nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes“ das Verwaltungsgericht hätte „in den Blick nehmen müssen“ (Schriftsatz vom 17.2.2025, S. 5), bleibt unklar. Auch der Umstand, dass die Klägerin das Schreiben nicht ohne jeden Anlass, sondern wegen des vom Polizeiverwaltungsamt eingeleiteten Bußgeldverfahrens versendet hat, entkräftet die getroffene Prognose des Verwaltungsgerichts nicht. Anders als die Klägerin der Sache nach vorträgt, gerät ihr nicht zum Nachteil, dass sie sich auf eine rechtlich nicht tragfähige Weise gegen eine staatliche Forderung wehren wollte (Schriftsatz vom 17.2.2025, S. 6), sondern dass die gewählte Form der Verteidigung Ausdruck waffenrechtlich bedenklicher Denk- und Handlungsmuster ist. Die Basis der Prognose bildet nicht die Verteidigung und ihre rechtliche Tragfähigkeit, sondern die hierin offenbarten Ansichten. Es ist nicht schon mit Blick auf den Bildungsgrad der Klägerin fernliegend, anzunehmen, sie habe als Nichtjuristin und Laie lediglich gedacht, es handele sich um den gebotenen Inhalt einer Verteidigung im Rahmen eines Bußgeldverfahrens und habe nicht erkennen können, dass der Inhalt Außenstehende auf eine „Reichsbürgernähe“ schließen lassen werde (hierauf zielt aber wohl der Vortrag im Schriftsatz vom 17.2.2025, S. 6). Vorstellbar, aber für die Prognose nicht relevant, ist allenfalls, dass ihr nicht bewusst war, dass die Waffenbehörden bei Bekanntwerden solcher Denk- und Handlungsmuster tätig werden. Daher kommt es auch nicht darauf an, dass die Klägerin das Bußgeld gleichwohl bezahlt hat.
33
Ernstliche Zweifel bestehen auch nicht, soweit das Verwaltungsgericht annimmt, dass trotz ausreichender Gelegenheit die der Klägerin obliegende ernsthafte und überzeugende Distanzierung ausblieb (Urteilsabdruck S. 17). Da die Prognose sich vorliegend im Kern auf innere Tatsachen stützt, auf die durch von außen wahrnehmbares Verhalten geschlossen wird, ist es Aufgabe der Klägerin, sich an der Erforschung des Sachverhalts zu beteiligen und damit auch an der Entkräftung andernfalls berechtigter Schlussfolgerung mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO; vgl. zum Ganzen BayVGH, U.v. 30.7.2020 – 24 BV 18.2500 – juris Rn. 16). Dies ist ihr nicht gelungen.
34
II. Die übrigen auf Seite 2 des Schriftsatzes vom 27. Februar 2025 benannten Zulassungsgründe hat die Klägerin im Weiteren entweder gar nicht oder offenkundig ungenügend konkretisiert. Ihr Vortrag genügt damit den Darlegungsanforderungen nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht. Namentlich bliebt unklar, welche Feststellungen sich erstmals in den Urteilsgründen finden, die die Beklagte nicht getroffen und zu welchen sich die Klägerin deshalb nicht habe äußern können (vgl. Schriftsatz vom 17.2.2025, S. 11). Die Klägerin moniert nur, dass im angegriffenen Bescheid Feststellungen in Abweichung zum (bisherigen) Akteninhalt getroffen werden. Ein Bezug zu einer gerichtlichen Gehörsverletzung ist damit aber nicht dargetan.
35
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
36
IV. 1. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1, 2 GKG unter Berücksichtigung der in den Nummern 20.4 und 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 21. Februar 2025 enthaltenen Empfehlungen.
37
Für den Widerruf von Waffenbesitzkarten sind – unabhängig von der Anzahl der Karten – grundsätzlich 5.000,00 Euro zuzüglich 1.500,00 Euro für jede weitere Waffe anzusetzen (Nr. 50.2 des Streitwertkatalogs). Nicht zu berücksichtigen sind insoweit, das hat das Verwaltungsgericht übersehen, der eingetragene Schalldämpfer (vgl. ausführlich BayVGH, B.v. 10.7.2025 – 24 CS 25.818 – Rn. 25 ff.). Die Klägerin verfügt ausweislich des Bescheids über drei Waffen, der Streitwert beträgt insoweit 8.000,00 € (5.000 € + [2 x 1.500,00 €]). Hinsichtlich der Ungültigerklärung und Einziehung des Jagdscheins hat der Streitwert eine Höhe von 10.000,00 € (Nr. 20.4 des Streitwertkatalogs). Die waffenrechtlichen Nebenanordnungen bleiben bei der Streitwertfestsetzung zwar im Regelfall unberücksichtigt. Vorliegend hat die Klägerin aber ausdrücklich einen (Verpflichtungs-)Antrag auf die Herausgabe der Urkunden gestellt; daher ist insoweit zusätzlich der bei der Streitwertfestsetzung (einmalig) der Auffangwert i.H.v. 5.000,00 € anzusetzen (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2025 – 24 CS 24.2030 – juris Rn. 41). Insgesamt beträgt der Streitwert daher 23.000,00 €.
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2. Die Aufhebung der Trennung durch den Verwaltungsgerichtshof als Rechtsmittelgericht wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit wirkt auf den Zeitpunkt der Trennung zurück (ex tunc). Die vom Verwaltungsgericht festgesetzte Streitwert ist deshalb unzutreffend. Allein die Festsetzung eines einzigen, das Waffen- und das Jagdrecht berücksichtigenden Streitwerts für das verwaltungsgerichtliche Verfahren wäre rechtmäßig gewesen. Deshalb setzt der Senat unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts einheitlich für das Verfahren im ersten Rechtszug nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen einen Streitwert in Höhe von 23.000,00 € fest; für die Bezifferung des maßgeblichen Interesses der Klägerin i.S.v. § 52 Abs. 1 GKG wird der Streitwertkatalog 2025 zugrunde gelegt.
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V. Der Beschluss ist unanfechtbar, da mit der Ablehnung des Zulassungsantrags die angegriffene Entscheidung rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).