Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 01.04.2025 – B 5 K 23.26
Titel:

Anspruch auf die Gewährung von Unfallausgleich aufgrund einer MdE von 30 v.H. bei Begehren von 70 v.H.

Normenketten:
BayBeamtVG Art. 52
VersMedV § 2
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
Leitsätze:
1. Für die Verpflichtungsklage auf einen Unfallausgleich ist der maßgebliche Beurteilungszeitraum für die Anspruchsvoraussetzungen die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (ebenso VGH München BeckRS 2016, 41746; hier die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Gewährung eines Unfallausgleichs nach Art. 52 Abs. 1 S. 1 BayBeamtVG stellt eine gebundene Entscheidung dar (ebenso VG München BeckRS 2023, 27017), wobei die MdE nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen ist. Dabei handelt es sich um einen Rechtsbegriff, der der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Erwerbsfähigkeit ist die Kompetenz des Verletzten, sich unter Nutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm abstrakt im gesamten Bereich des Erwerbslebens bieten, einen Erwerb zu verschaffen, wobei es weder auf den bisherigen Beruf oder die bisherige Tätigkeit, noch auf die individuellen Verhältnisse, also die persönlichen Kenntnisse oder die geistigen, körperlichen, psychischen und sozialen Fähigkeiten ankommt. Maßgeblich ist die verminderte Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens, die sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergibt, also ein Vergleich der vor und nach dem Dienstunfall bestehenden individuellen Erwerbsfähigkeit. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Grad der MdE ist aufgrund eines ärztlichen Gutachtens zu ermitteln, wobei allgemeine Erfahrungssätze, in Tabellen und Empfehlungen enthaltene Richtwerte, also antizipierte Sachverständigengutachten, in der Regel als Orientierungshilfen die Basis für die Bewertung der MdE durch den Sachverständigen bilden (beispielsweise Orientierung an der VersMedV). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anerkannter Dienstunfall eines Polizeibeamten, Unfallausgleich aufgrund höherer Minderung der Erwerbsfähigkeit als 30 v.H., Posttraumatische Belastungsstörung in Verbindung mit einer Klaustrophobie und mittelgradiger depressiver Episode, Im Verwaltungsverfahren eingeholtes psychiatrisch-neurologisches Fachgutachten als Grundlage der Entscheidung, Beurteilung der individuellen Funktionsstörungen im Einzelfall, Einordnung als stärker behindernde Störung i.S.v. 3.7 der Anlage zu § 2 VersMedV, Beamter, Bescheid, Diagnose, Erkrankung, Grad der Behinderung, Gutachten, MdE, Minderung, Unfallausgleich, Widerspruchsbescheid, Sachverständigenbeweis, Traumafolgestörung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 16980

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Gewährung von Unfallausgleich unter Feststellung einer höheren Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).
2
Der am … geborene Kläger ist als Polizeibeamter im Dienst des Beklagten tätig. Am …2017 wurde er zu einem Einsatz eines schweren Verkehrsunfalles auf der A. bei … gerufen. Aufgrund des traumatischen Erlebnisses mit schwerverletzten und toten Unfallopfern wurde das Ereignis mit Bescheid des Landesamtes für Finanzen (LfF) … vom 12.07.2022 als Dienstunfall im Sinne von Art. 46 des Bayerischen Beamtenversorgungsgesetzes (BayBeamtVG) anerkannt. In diesem Bescheid wurde folgender Körperschaden als dienstunfallbedingt festgestellt: „Posttraumatische Belastungsstörung Typ I in Verbindung mit einer Klaustrophobie, mittelgradige depressive Episode“.
3
Mit Bescheid vom 27.07.2022 wurde auf Grundlage des – auch dem Bescheid vom 12.07.2022 zugrundeliegenden – psychiatrisch-neurologischen Fachgutachtens von Herrn Dr. med. ... vom 28.06.2022 festgestellt, dass bei dem Kläger aufgrund der vorgenannten Dienstunfallfolgen ab dem 03.07.2017 eine dienstunfallbedingte MdE in Höhe von 30 v.H. vorliege. Folglich lägen die Voraussetzungen des Art. 52 BayBeamtVG vor und werde als Unfallausgleich eine monatliche Grundrente für eine MdE von 30 v.H. bewilligt.
4
Gegen den vorgenannten Bescheid erhob der Kläger mit Schreiben vom 09.08.2022 Widerspruch, soweit eine MdE von über 30 v.H. nicht festgestellt worden sei und beantragte die Neuverbescheidung seines Antrags auf Unfallausgleich. Der Widerspruch wurde mit Schreiben vom 27.09.2022 unter anderem damit begründet, dass die Feststellung der MdE mit nur einem Satz in dem zugrundeliegenden Gutachten des Herrn Dr. ... festgestellt worden sei. Daher liege der Verdacht nahe, dass in dem vorliegenden Fall nicht auf die Gegebenheiten des Einzelfalls abgestellt worden, sondern eine schematische Anwendung der für die Bewertung der MdE gebildeten Erfahrungswerte erfolgt sei.
5
Aus diesem Anlass bat das LfF … mit Schreiben vom 14.10.2022 Herrn Dr. ... um eine ausführlichere Stellungnahme, wie die Höhe der MdE von 30 v.H. durch diesen festgelegt worden sei. Dieser übersandte daraufhin das Ergänzungsgutachten vom 03.11.2022, in welchem er erläuterte, dass der Begriff der MdE nur kausale Schädigungsfolgen berücksichtige und nicht identisch sei mit dem Grad der Behinderung (GdB), der final auf alle Gesundheitsstörungen bezogen werde. Die MdE-Einschätzung spiegele die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Beamten wider. Die unfallbedingte Einbuße seiner Arbeitskraft sei auf dem gesamten allgemeinen Arbeitsmarkt zu bewerten. Auszugehen sei deshalb von der individuellen Arbeitskraft des Beamten allgemein und nicht von der speziellen dienstlichen Tätigkeit. Herr Dr. ... habe eine umfassende Funktionspathologie dargelegt und dabei auch berücksichtigt, dass bei der MdE-Bewertung die Diagnose nicht ausreiche, sondern habe auch die hieraus resultierenden funktionellen Einbußen testpsychologisch ausführlich analysiert. Auf Basis der Empfehlungen der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) bestehe an der MdE-Bewertung mit 30 kein Zweifel. In der VersMedV würden insgesamt 17 Organsysteme analysiert; die auf den Probanden zutreffende Funktionspathologie werde in der Anlage zu § 2, Teil B: GdS-Tabelle, unter Punkt 3, Nervensystem und Psyche, abgehandelt. Relevant sei hier Punkt 3.7, Neurosen und Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen. Hier würden leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB bzw. mit einer MdE von 0 bis 20 bewertet. Bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit werde eine MdE mit 30 bis 40 empfohlen. Es finde sich bei dem Probanden eine leichte Einbuße der Gestaltungs- und Erlebnisfähigkeit sowie leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten. Die depressive Symptomatik sei als Begleitsymptom der seelischen Traumatisierung aufzufassen, eine affektive Psychose unter Punkt 3.6 der VersMedV liege nicht vor. Zusammenfassend bedinge also die PTBS Typ I in Verbindung mit einer Klaustrophobie und die mittelgradige depressive Episode unter Berücksichtigung der oben dargelegten Rahmenbedingungen eine MdE von 30. Herr Dr. ... habe keinesfalls eine schematische Anwendung der für die Bewertung der MdE gebildeten Erfahrungswerte durchgeführt, sondern durch eine umfassende psychologische Befunderhebung einhergehend mit einer sehr differenzierten Testpsychologie die seelischen Funktionsstörungen adäquat eingeordnet.
6
Daraufhin wies das LfF … den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2022 zurück und machte das Ergänzungsgutachten vom 03.11.2022 zur Grundlage dieser Entscheidung.
7
Gegen diesen Bescheid und den Ausgangsbescheid vom 27.02.2022 ließ der Kläger mit Schriftsatz vom 13.01.2023, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen am selben Tag, Klage erheben. Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 05.07.2023 zunächst vollumfänglich auf die Ausführungen im Widerspruchsverfahren Bezug genommen. Innerhalb des Widerspruchsverfahrens sei ein Ergänzungsgutachten von Herrn Dr. ... eingeholt worden. Gemäß den Abgrenzungskriterien in der von ihm zur Bestimmung der MdE herangezogenen VersMedV würden schwere Störungen in der Form von mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten (GdB 50 – 70) angenommen; dies bei einer in den meisten Berufen sich auswirkenden psychischen Veränderung, die zwar eine weitere Tätigkeit grundsätzlich noch erlaube, jedoch eine verminderte Einsatzfähigkeit bedinge, die auch eine berufliche Gefährdung einschließe. Als weiteres Kriterium würden erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung genannt, aber noch keine Isolierung, noch kein sozialer Rückzug in einem Umfang, der z.B. eine vorher intakte Ehe stark gefährden könnte. Wie bereits im Widerspruchsverfahren dargelegt, führe die durch den Dienstunfall herbeigeführte Erkrankung beim Kläger zu folgenden Auswirkungen innerhalb seiner beruflichen Tätigkeit:
− Die festgestellten Schlafstörungen hätten beim Kläger zu einer deutlichen Einschränkung seiner vorhandenen kognitiven Fähigkeiten und damit zu einer beim Kläger gegenüber seinem früheren Leistungsniveau deutlichen eingeschränkten Leistungsfähigkeit geführt.
− Der Kläger habe mittlerweile gelernt, mit seiner Klaustrophobie umzugehen, sodass es ihm möglich sei, mit Hilfe der Anwendung entsprechender „Tools“ an regelmäßig im Dienstbetrieb notwendigen Besprechungen in größerer Runde teilzunehmen. Durch die Anwendung dieser „Tools“ reduziere sich die Aufmerksamkeitsspanne des Klägers bei derartigen Besprechungen jedoch merklich.
− Schließlich würden die festgestellten Störungen der Affektivität den Kläger deutlich in der Kommunikation gegenüber den Kolleginnen und Kollegen und damit insbesondere auch in der Mitarbeiterführung einschränken.
8
Darüber hinaus führe der beim Kläger in Folge des Dienstunfalls eingetretene Körperschaden zu erheblichen Einschränkungen innerhalb seines privaten Umfelds. Dies gelte zum einen für seine Ehe als auch in Bezug auf seine beiden nach dem Dienstunfall geborenen Kinder. Zudem sei innerhalb des Freundeskreises des Beamten seit dem Dienstunfall ein massiver Kontaktverlust bzw. sozialer Rückzug festzustellen. Aufgrund dessen sei nicht nachvollziehbar, wie Herr Dr. ... lediglich eine MdE mit 30 v.H. diagnostiziere, also gem. Ziffer 3.7 VersMedV lediglich stärker behindernde Störungen im unteren Bereich. Aufgrund der oben geschilderten tatsächlichen Gegebenheiten sei nicht nachvollziehbar, warum im Fall des Klägers nicht von schweren Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten gemäß der VersMedV auszugehen sei, die eine MdE von mindestens 50 v.H. rechtfertigten. Vor diesem Hintergrund werde angeregt, eine fachärztliche Stellungnahme einzuholen zur Frage, inwieweit im vorliegenden Fall eine dienstunfallbedingte MdE von über 30 v.H. gegeben sei.
9
Der Kläger ließ in der mündlichen Verhandlung vom 01.04.2025 beantragen,
den Bescheid des Landesamtes für Finanzen vom 27.07.2022 sowie den Widerspruchsbescheid vom 30.11.2022 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger Unfallausgleich aufgrund einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 v.H. seit 03.07.2017 zu gewähren.
10
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren wird für notwendig erklärt.
11
Der Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 10.07.2023 und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vom 01.04.2025,
die Klage abzuweisen.
12
Die MdE des Klägers sei mit einer Höhe von 30 v.H. ordnungsgemäß festgesetzt worden. Für die Bewertung der MdE sei die Diagnose alleine nicht ausreichend, sondern es seien die daraus resultierenden funktionellen Einbußen zu betrachten. Subjektive Beschwerden seien einer gesonderten MdE-Einschätzung grundsätzlich nicht zugänglich. Die in der Literatur und Rechtsprechung anerkannten Erfahrungswerte berücksichtigten bereits Schmerzen. Lediglich über das übliche Maß hinausgehende Schmerzen, die einer speziellen ärztlichen Behandlung bedürften, könnten in besonderen Ausnahmefällen eine Erhöhung der MdE rechtfertigen. Die MdE sei nicht identisch mit dem GdB, der final auf alle Gesundheitsstörungen bezogen werde. Die dabei zugrunde zu legenden Grundsätze seien von Herrn Dr. ... berücksichtigt worden. Er habe für seine MdE-Bewertung eine umfassende Funktionspathologie dargelegt und habe weiter berücksichtigt, dass bei der MdE-Bewertung die Diagnose nicht ausreiche, sondern die hieraus resultierenden funktionellen Einbußen. Diese seien von ihm testpsychologisch ausführlich analysiert worden. Vor diesem Hintergrund komme Herr Dr. ... zu dem Ergebnis, dass die PTBS Typ I in Verbindung mit einer Klaustrophobie und die mittelgradige depressive Episode eine leichte soziale Anpassungsstörung mit leichter Einbuße der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bedinge und sich aus diesem Grund unter Berücksichtigung der oben dargelegten Rahmenbedingungen eine MdE mit 30 v.H. ergebe. Folglich habe Herr Dr. ... die MdE des Klägers durch eine umfassende psychologische Befunderhebung und mit einer sehr differenzierten Testpsychologie ermittelt, die seelische Funktionsstörungen adäquat einordne, und nicht wie vom Prozessbevollmächtigten des Klägers behauptet, durch eine schematische Anwendung. Auch seien sämtliche in der Klagebegründung benannten Auswirkungen der Dienstunfallfolgen bereits von Herr Dr. ... für die Ermittlung der Höhe der MdE des Klägers mitberücksichtigt worden und in dessen Gutachten vom 28.06.2022 dokumentiert und bewertet worden. Es lägen daher keine Anhaltspunkte vor, wieso die Feststellungen durch Herrn Dr. ... nicht ordnungsgemäß erfolgt seien. In Folge sei auch kein (weiteres) medizinisches Gutachten zur Bestimmung der Höhe der MdE des Klägers erforderlich.
13
Mit Schriftsatz vom 08.04.2024 nahm der Klägerbevollmächtigte erneut Stellung. Durch Herrn Dr. ... werde beim Kläger eine MdE mit 30 v.H. festgestellt. Gemäß Ziffer 3.7 VersMedV handele es sich insofern um eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebens- und Gestaltungsfähigkeit im unteren Bereich (MdE 30 bis 40). Aufgrund der in der Klagebegründung dargelegten Beeinträchtigungen des Klägers sei nicht nachvollziehbar, warum hier lediglich eine stärker behindernde Störung und nicht eine schwere Störung gemäß Ziffer 3.7 VersMedV festgestellt worden sei. Des Weiteren sei nicht nachvollziehbar, warum bei einer Klassifizierung als stärker behindernde Störung gemäß Ziffer 3.7 VersMedV diesbezüglich nur eine MdE im untersten Bereich festgestellt worden sei.
14
Mit Schriftsatz vom 09.01.2025 wies der Klägerbevollmächtigte ergänzend auf nach der Gutachtenerstellung vom 28.06.2022 und 03.11.2022 eingetretene Änderungen betreffend den beruflichen Werdegang des Klägers hin. Der Kläger sei nicht mehr auf seinem Dienstposten der Verkehrspolizeiinspektion … als Stellvertretender Fahndungsgruppenleiter tätig, sondern sei seit April 2023 als Sachbearbeiter in der Abteilung … zum Polizeipräsidium … abgeordnet. Hierbei leiste der Kläger an drei Tagen/Woche Telearbeit im Homeoffice. Der Kläger sei aufgrund der seinerseits erzielten Punktzahl innerhalb des Ausbildungsaufstiegs in die 3. Qualifikationsebene (QE) berechtigt gewesen, am sog. Förderverfahren für die 4. QE innerhalb des Polizeipräsidiums … teilzunehmen. Die Aufstiegsausbildung in die 4. QE erfordere ein insgesamt zweijähriges Präsenzstudium in … und … In einem im Herbst 2023 mit dem Präsidenten des Polizeipräsidiums … geführten persönlichen Gespräch habe der Kläger einräumen müssen, dass er sich aufgrund der durch den Dienstunfall eingetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage für die Teilnahme an einem insgesamt zweijährigen Präsenzstudium sehe, und habe insofern auf die Teilnahme am Förderverfahren für die 4. QE verzichtet.
15
Mit Beschluss der Kammer vom 20.01.2025 wurde angeordnet, durch die Einvernahme von Herrn Dr. ... als sachverständigen Zeugen in der mündlichen Verhandlung Beweis zu erheben.
16
Hinsichtlich der mündlichen Verhandlung vom 01.04.2025 wird auf das Sitzungsprotokoll nebst vorläufiger Aufzeichnung der Aussage des sachverständigen Zeugen verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gem. § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
17
Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Unfallausgleich nach Art. 52 BayBeamtVG auf der Grundlage einer MdE von 70 v.H. oder einer 30 v.H. übersteigenden MdE, die jedenfalls als Minus im Klageantrag enthalten ist, seit 03.07.2017. Der Bescheid des Beklagten vom 27.07.2022 und der Widerspruchsbescheid vom 30.11.2022 erweisen sich als rechtmäßig und verletzen den Kläger somit nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
18
Soweit der Klageantrag in der mündlichen Verhandlung – Verpflichtung zur Gewährung von Unfallausgleich aufgrund einer MdE von 70 v.H. – im Vergleich zu dem aus der Klagebegründung vom 05.07.2023 – Verpflichtung zur Neuverbescheidung des Antrags auf Unfallausgleich aufgrund MdE von mehr als 30 v.H. bzw. mindestens 50 v.H. – erhöht wurde, ist darin aufgrund des gleichbleibenden Klagegrundes schon keine Klageänderung zu sehen (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO). Im Übrigen wäre eine Klageänderung zulässig, da von einer Sachdienlichkeit auszugehen ist (§ 91 Abs. 1 VwGO) und sich der Beklagte darauf eingelassen hat, ohne ihr zu widersprechen (§ 91 Abs. 2 VwGO; vgl. hierzu auch BayVGH, U.v. 14.12.2015 – 3 B 13.920 – juris Rn. 58).
19
Für die Verpflichtungsklage auf einen Unfallausgleich ist der maßgebliche Beurteilungszeitraum für die Anspruchsvoraussetzungen die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. BayVGH, U.v. 14.12.2015 – 3 B 13.920 u.a. – juris Rn. 57 m.w.N.). Damit ist auf die Sach- und Rechtslage am 30.11.2022 – Erlass des Widerspruchsbescheides hinsichtlich des begehrten Unfallausgleichs – abzustellen und mithin auf das BayBeamtVG in der Fassung vom 13.12.2016 (gültig ab: 01.01.2017 bis 30.06.2023). Lediglich zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass sich im Vergleich zur heutigen Fassung keine Änderung der anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale ergeben hat, sondern nur die Bemessung der Höhe des Unfallausgleichs betroffen war.
20
Nach Art. 52 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG erhält ein Beamter, der infolge eines Dienstunfalls in der Erwerbsfähigkeit länger als sechs Monate um mindestens 25 v.H. beschränkt ist, neben der Besoldung einen Unfallausgleich, solange dieser Zustand andauert. Die Höhe dieses Unfallausgleichs bemisst sich nach der Höhe der Grundrente nach § 31 Abs. 1 bis 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVersG) in der Fassung vom 28.06.2022 (gültig ab 01.07.2022 bis 30.06.2023).
21
Die Gewährung eines Unfallausgleichs nach Art. 52 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG stellt eine gebundene Entscheidung dar (vgl. VG München, U.v. 28.03.2023 – M 5 K 20.1667 – juris Rn. 22). Die MdE ist nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen (Art. 52 Abs. 2 Satz 1 BayBeamtVG). Dabei handelt es sich um einen Rechtsbegriff, der der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Erwerbsfähigkeit ist die Kompetenz des Verletzten, sich unter Nutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm abstrakt im gesamten Bereich des Erwerbslebens bieten, einen Erwerb zu verschaffen. Auf den bisherigen Beruf oder die bisherige Tätigkeit wird nicht abgestellt. Es kommt nicht auf die individuellen Verhältnisse, also die persönlichen Kenntnisse oder die geistigen, körperlichen, psychischen und sozialen Fähigkeiten an. Die Festsetzung der MdE im Versorgungsrecht folgt den unfallversicherungsrechtlichen Anforderungen. Sie richtet sich auch dort nach den verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens, die sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergeben (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – SGB VII). Voraussetzung ist ein Vergleich der vor und nach dem Dienstunfall bestehenden individuellen Erwerbsfähigkeit (vgl. VG Bayreuth, U.v. 08.12.2020 – B 5 K 19.460 – juris Rn. 57; VG Augsburg, U.v. 01.12.2016 – Au 2 K 16.521 – BeckRS 2016, 111184 Rn. 30).
22
Der Grad der MdE ist aufgrund eines ärztlichen Gutachtens zu ermitteln. Dabei bilden allgemeine Erfahrungssätze, in Tabellen und Empfehlungen enthaltene Richtwerte, also antizipierte Sachverständigengutachten, in der Regel die Basis für die Bewertung der MdE durch den Sachverständigen. Bei allen Richtwerten handelt es sich um Orientierungshilfen. Der Sachverständige kann sich beispielsweise an der VersMedV orientieren. Die konkrete Bewertung muss jedoch stets auf die Besonderheiten der MdE des betroffenen Beamten abstellen. Entscheidend ist, dass der Sachverständige bei seiner dienstunfallrechtlichen Bewertung als Maßstab die körperliche Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zugrunde legt (vgl. BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 3 ZB 13.1258 – juris Rn. 9; B.v. 01.02.2013 – 3 ZB 11.1166 – juris Rn. 13; VG Bayreuth, U.v. 08.12.2020 – B 5 K 19.460 – juris Rn. 58; VG Augsburg, U.v. 01.12.2016 – Au 2 K 16.521 – BeckRS 2016, 111184 Rn. 31).
23
Liegen – wie hier – bereits gutachterliche Stellungnahmen zu einer entscheidungserheblichen Tatsache vor, steht es analog § 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO grundsätzlich im Ermessen des Tatsachengerichts, ob es weitere sachverständige Auskünfte einholt. Dieses Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung einer weiteren Auskunft oder eines weiteren Gutachtens absieht, obwohl sich ihm die Notwendigkeit dieser weiteren Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 15.09.2011 – 5 B 23.11 – juris Rn. 7 m.w.N.). Dies ist der Fall, wenn das bereits vorliegende Gutachten nicht geeignet ist, dem Gericht die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln, insbesondere wenn das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, unlösbare inhaltliche Widersprüche enthält oder Anlass gibt, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters zu zweifeln. Ein weiteres Gutachten muss nicht schon dann eingeholt werden, wenn ein Beteiligter ein vorliegendes Gutachten als Erkenntnisquelle für unzureichend hält (stRspr; vgl. etwa BVerwG, B.v. 19.08.2014 – 2 B 43.14 – juris Rn. 7; B.v. 04.09.2013 – 5 B 55.13 – BeckRS 2013, 56462 Rn. 10 f.; B.v. 03.02.2010 – 2 B 73.09 – BeckRS 2010, 46702 Rn. 9).
24
In Anwendung dieser Maßstäbe ist das Gericht auf der Grundlage des von Seiten des Beklagten eingeholten Gutachtens vom 28.06.2022, dem Ergänzungsgutachten vom 03.11.2022 und des Ergebnisses der Einvernahme des sachverständigen Zeugen Dr. ... in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass beim Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides eine MdE i.H.v. 30 v.H. vorlag und er deshalb keinen Anspruch auf Gewährung von Unfallausgleich aufgrund einer höheren MdE hat. Die vom Kläger hiergegen erhobenen Einwendungen sind nicht geeignet, die Aussagekraft des Gutachtens zu erschüttern, weshalb eine weitere Sachaufklärung durch Einholung eines weiteren Gutachtens nicht angezeigt ist.
25
1. Die Kammer hat keine Zweifel an der Sach- und Fachkunde sowie der Unvoreingenommenheit des sachverständigen Zeugen. Wie in der mündlichen Verhandlung von ihm ausgeführt, verfügt er über eine umfassende klinische und gutachterliche Erfahrung mit psychischen Erkrankungen, insbesondere dem Krankheitsbild der PTBS.
26
2. Der sachverständige Zeuge ist von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen und hat seinem Gutachten einen vollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt. Für die Erstellung des Gutachtens vom 28.06.2022 und des Ergänzungsgutachtens vom 03.11.2022 wurden alle vorliegenden Befunde ausgewertet und berücksichtigt, ausführliche testpsychologische Untersuchungen bei dem Kläger durchgeführt und mit diesem ein Explorationsgespräch geführt. Der Vortrag des Klägers lässt nicht erkennen, dass der sachverständige Zeuge die Befundtatsachen unvollständig oder inhaltlich unzutreffend berücksichtigt hat. Die Begutachtung fand am Untersuchungstag, den 02.06.2022, von 9:00 bis 15:17 Uhr statt. Die Kammer erachtet es als unschädlich, dass die Anamnese, Erstuntersuchung und Vorexploration von Herrn Prof. Dr. ... und nicht dem sachverständigen Zeugen selbst durchgeführt wurde. Es sei nach Angabe des sachverständigen Zeugen üblich, dass ein Psychologe die testpsychologischen Untersuchungen durchführe. Die Mitarbeit durch Herrn Prof. Dr. ... wurde auch auf dem Deckblatt des Gutachtens kenntlich gemacht sowie auf S. 3 unter Ziffer 11, zudem hat er dieses auch eigenhändig unterschrieben. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der sachverständige Zeuge keine ausreichende Tatsachengrundlage gehabt hätte. Dieser Annahme steht nicht entgegen, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung die Gründlichkeit der Untersuchung in Zweifel zog. Denn dieser Behauptung ist der sachverständige Zeuge überzeugend dadurch entgegengetreten, dass er darlegte, den gesamten Untersuchungstag über in den Ablauf involviert gewesen zu sein, indem er über Zwischenergebnisse informiert worden sei und das weitere Vorgehen festgelegt habe. Die Kammer hat daher keine Zweifel daran, dass der sachverständige Zeuge sich intensiv mit dem Kläger und den individuellen Umständen des Einzelfalls beschäftigt hat.
27
Die vom Kläger als maßgeblich erachteten Faktoren, weshalb er von einem höheren Grad der MdE ausgehe, wurden vom sachverständigen Zeugen in seinen Gutachten berücksichtigt. Die Schlafstörungen, welche nach Ansicht des Klägers seine Leistungsfähigkeit einschränkten, wurden im Gutachten auf S. 7 und 16 erfasst. Dass die Klaustrophobie dem Kläger die Teilnahme an Besprechungen erschwere bzw. aufgrund des Einsatzes von gewissen Tools zu einer verminderten Aufmerksamkeitsspanne bei ihm führe, wurde auf S. 5 und 13 des Gutachtens berücksichtigt. Hinsichtlich der Störungen der Affektivität, welche die Kommunikation mit Kollegen und somit auch die Mitarbeiterführung beeinträchtigten, wird auf S. 14 des Gutachtens verwiesen. Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung – am Beispiel des Umgangs mit seinen Kindern – beschriebene Gefühlslosigkeit wurde im Gutachten auf S. 4 berücksichtigt, wo der Kläger folgendermaßen wörtlich zitiert wird: „Ich fühle mich wie eine Schnecke im Schneckenhaus. Ich bin nicht mehr derselbe, der ich vor dem Unfall war. Manchmal fühle ich mich wie eine leere Hülle, die gar nichts mehr empfindet. Gefühle habe ich irgendwie überhaupt keine mehr.“ Auf S. 6 heißt es außerdem, dass es dem Kläger schwerfalle, sich mit seinem kleinen Sohn zu beschäftigen. Daher erachtet das Gericht es nicht für fehlerhaft, dass für die Erstellung des Ergänzungsgutachtens vom 03.11.2022 keine erneute Untersuchung – trotz der zwischenzeitlichen Geburt der Zwillinge des Klägers am 06.09.2022 und des damit für ihn einhergehenden, bezeichnenden Erlebnisses von Gefühlslosigkeit – stattgefunden hat. Im Übrigen sei zu erwähnen, dass die Auffassung des Klägers bezüglich der Höhe des Grades der MdE auch nicht durch ärztlichen Sachverstand belegt wurde, sondern lediglich auf seinem subjektiven Empfinden beruht (vgl. hierzu auch BVerwG, B.v. 19.08.2014 – 2 B 43/14 – juris Rn. 12). Die im gerichtlichen Verfahren von der Klägerseite vorgetragenen beruflichen Veränderungen nach Gutachtenerstellung bzw. nach Erlass des Widerspruchsbescheides sind für das hiesige Verfahren nicht maßgeblich. Sollte es nachträglich zu einer Verschlimmerung gekommen sein, wäre wohl ein erneuter Antrag auf Anpassung der MdE zu stellen.
28
3. Von dieser Tatsachengrundlage ausgehend hat der sachverständige Zeuge nachvollziehbar und plausibel dargelegt, dass die Einbußen des Klägers zum einen als stärker behindernde Störungen i.S.d. Ziffer 3.7 der Anlage zu § 2 VersMedV einzuordnen sind (a.) und die Festlegung der MdE in dem dafür vorgesehenen Spektrum von 30 bis 40 im unteren Bereich zu erfolgen hat (b.). Das Gutachten und Ergänzungsgutachten weisen insofern keine erkennbaren Mängel oder unlösbaren Widersprüche auf.
29
Der sachverständige Zeuge hat die Befundtatsachen ausgewertet, indem er sie in Bezug zu den Kriterien der einschlägigen medizinischen Regelwerke für die Auswirkungen von Neurosen, Persönlichkeitsstörungen und Folgen psychischer Traumen gesetzt hat (Ziffer 3.7 der Anlage zu § 2 VersMedV). Diese legt jeweils drei Stufen für den Grad der Schädigungsfolgen fest, denen sie jeweils bestimmte Symptome zuordnen. Es ist zu unterscheiden zwischen leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen, die mit einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 0 bis 20 angesetzt sind, stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen), für die ein GdS von 30 bis 40 vorgesehen ist, und schließlich schweren Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit einem GdS ab 50, wobei noch einmal zwischen schweren Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten (GdS 50 bis 70) und schweren Störungen mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten (GdS 80 bis 100) differenziert wird.
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a. Für die Einordnung als stärker behindernde Störung geht es nach den überzeugenden Angaben des sachverständigen Zeugen in der mündlichen Verhandlung um eine Gesamtbetrachtung der sozialen Anpassungsstörung, der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, der Arbeitsfähigkeit und der Alltagsbewältigung. Zu berücksichtigen sind dabei auch das Vorliegen eines Leidensdrucks bzw. die Durchführung einer leitliniengerechten Behandlung. Es komme nicht auf die Diagnose als solche an, sondern auf die individuell vorhandenen Funktionsstörungen.
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Der Einwand des Klägers, die Höhe der MdE sei im Gutachten vom 28.06.2022 lediglich mit einem Satz festgestellt worden, weshalb von einer schematischen Anwendung ohne Betrachtung des Einzelfalls auszugehen sei, greift zu kurz. Vielmehr sind das Gutachten sowie das Ergänzungsgutachten in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Das Gutachten umfasst 34 Seiten, wobei auf S. 4 bis 8 eine Anamneseerhebung erfolgt, S. 9 bis 16 die Untersuchungsbefunde darstellt und auf S. 17 bis 26 die (testpsychologische) Zusatzdiagnostik dokumentiert ist. Auf S. 27 bis 30 findet sich die gutachterliche Beurteilung, während das Gutachten ab S. 31 mit der Beantwortung der Gutachtenfragen sowie Literaturhinweisen abschließt. Das Gutachten geht ausführlich auf den individuellen Einzelfall des Klägers ein und berücksichtigt alle von ihm vorgebrachten Einwände.
32
Das Gericht hält es für überzeugend, dass beim Kläger als Traumafolgestörungen eine leichte soziale Anpassungsstörung mit leichter Einbuße der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit festgestellt wurde. Soziale Anpassungsschwierigkeiten liegen insbesondere dann vor, wenn die Integrationsfähigkeit in Lebensbereiche (wie z.B. Regel-Schule, allgemeiner Arbeitsmarkt, öffentliches Leben, häusliches Leben) nicht ohne besondere Förderung oder Unterstützung möglich ist (vgl. hierzu auch 3.5.1 der Anlage zu § 2 VersMedV). Nach den Ausführungen des sachverständigen Zeugen in der mündlichen Verhandlung sei in der Psychotraumatologie auch immer zu bedenken, dass die Resilienz der Menschen unterschiedlich ausgeprägt sei und deshalb immer eine individuelle Betrachtung, die auch nicht anhand einer Regel-Skala bestimmt werden könne, zu erfolgen habe. Im sozialen Bereich sei unter anderem auf die Aktivität und Partizipationsfähigkeit des Klägers abzustellen. Bei der Höhe der MdE bei der Diagnose PTBS gebe es keine pauschale Bestimmung, sondern es komme auf die individuellen Funktionsstörungen an. Hierbei sei beispielsweise zu analysieren, inwieweit der seelisch traumatisierte Mensch in der Lage sei, am Alltag teilzunehmen und berufliche Situationen zu etablieren. Die vom Kläger angeführten Einschränkungen der Kontakte im privaten Bereich spielten für die Bestimmung des Grades der MdE nur eine untergeordnete Rolle. Insbesondere seien diese auch nur schwer objektivierbar.
33
Der sachverständige Zeuge hat überzeugend die Alltagskompetenz des Klägers insofern bewertet, als lediglich von einer stärker behindernden Störung und nicht von einer schweren Störung auszugehen ist, weil für letztere eine ausgeprägte Einbuße der Alltagskompetenz vorliegen müsse. Für die Bestimmung des Schweregrades einer PTBS ist darauf abzustellen, ob und inwieweit der betroffene Beamte seinen täglichen Alltag gestalten und bewältigen kann. Diese Frage ist nach Ansicht der Kammer in besonderer Weise geeignet, Aufschluss darüber zu geben, wie stark sich die Krankheit auf die verschiedenen Lebensbereiche des Betroffenen auswirkt (vgl. VG Hamburg, U.v. 12.07.2023 – 21 K 1275/20 – juris Rn. 88). Die Annahme einer schweren seelischen Störung im Sinne von Nr. 3.7 VersMedV mit MdE 50 bis 70 v.H. setzt voraus, dass die Fähigkeit nicht mehr vorhanden ist, den Tagesablauf eigenständig zu gestalten und zum Beispiel an therapeutischen Maßnahmen teilzunehmen (vgl. BVerwG, B.v. 19.08.2014 – 2 B 43.14 – juris Rn. 10). Dies ist beim Kläger, wie auch vom sachverständigen Zeugen geschildert, gerade nicht der Fall. Er war nach dem Dienstunfall nicht für längere Zeit krankgeschrieben, sondern als Hauptsachbearbeiter des Busunfalles eingesetzt worden. Des Weiteren wurde er für die 3. Qualifikationsebene ausgewählt und hat von … 2019 bis 2021 in … studiert. In der Folge wurde er zum Dienstgruppenleiter bei der Verkehrspolizeiinspektion … ernannt und hat dort Führungsaufgaben wahrgenommen. Dies spricht gegen mittelgradige Anpassungsschwierigkeiten, denn bei Vorliegen einer schweren Störung ist man nach den Angaben des sachverständigen Zeugen in der Regel nicht arbeitsfähig. Beim Kläger hat sich aber gerade durch das Studium, den Aufstieg in die höhere Qualifikationsebene und die Übernahme von Führungsaufgaben ein Anstieg der beruflichen Situation verzeichnen lassen.
34
Zu den Einwendungen der Klägerseite (Schlafstörungen, die die Leistungsfähigkeit einschränken; Klaustrophobie, die die Teilnahme an Besprechungen erschwert bzw. aufgrund des Einsatzes von gewissen Tools zu einer verminderten Aufmerksamkeitsspanne führt; Störung der Affektivität, welche die Kommunikation mit Kollegen beeinträchtigt) führte der sachverständige Zeuge aus, Schlafstörungen seien ein Symptom. Sozialmedizinisch relevant würden diese erst durch sekundäre Probleme wie Müdigkeit, Reizbarkeit, Gähnen. Bei der sechsstündigen Untersuchung des Klägers hätten sich keine Hinweise auf eine Einschränkung der Vigilanz ergeben, vielmehr habe er diese gut gemeistert, weshalb diese Faktoren nur bedingt relevant sein können. Außerdem habe der Kläger nach dem Dienstunfall studiert und sei sozial funktionsfähig gewesen, weshalb die phobische Symptomatik auch dementsprechend adäquat einzuordnen sei. Die depressive Symptomatik müsse man auch hinsichtlich der Leistungsfähigkeit analysieren. Bei einer mittelgradig bis schweren Depression sei man nicht in der Lage, ein Studium zu absolvieren.
35
Hinsichtlich der Feststellung von leichten Einbußen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit ist auch kein Widerspruch ersichtlich, wenn auf S. 30 des Gutachtens von einer deutlichen Beeinträchtigung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit die Rede ist und im Ergänzungsgutachten auf S. 4 von leichten Einbußen die Rede ist. Zum einen führt das Gutachten auf S. 30 auch „leichte psychisch-emotionale und sozial-kommunikative Störmuster“ an, zum anderen ist in der VersMedV gerade auch die Rede von „wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit“.
36
Soweit die Klägerseite in der mündlichen Verhandlung auf eine Auslegungshilfe zur VersMedV Bezug genommen hat, weil die MdE mit dem GdS im Schwerbehindertenrecht gleichzusetzen ist, und danach beim Kläger deutliche Beeinträchtigungen im sozialen Bereich vorlägen, führt dies zu keiner anderen Einschätzung hinsichtlich der Höhe der MdE 30 v.H. Nach der in Bezug genommenen Entscheidung des SG Aachen, U.v. 09.01.2018 – S 18 SB 1001/16 – BeckRS 2018, 167 und der Entscheidung des BSG, U.v. 23.04.2009 – B 9 VG 1/08, wurde es für rechtmäßig erachtet, für die Auslegung der Begriffe leichte, mittelgradige und schwere Anpassungsstörungen die vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales am Beispiel des „schizophrenen Residualzustandes“ entwickelten Abgrenzungskriterien heranzuziehen. Demnach werden mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten angenommen bei einer in den meisten Berufen sich auswirkenden psychischen Veränderung, die zwar eine weitere Tätigkeit grundsätzlich noch erlaubt, jedoch eine verminderte Einsatzfähigkeit bedingt, die auch eine berufliche Gefährdung einschließt; als weiteres Kriterium werden erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung genannt, aber noch keine Isolierung, noch kein sozialer Rückzug in einem Umfang, der z.B. eine vorher intakte Ehe stark gefährden könnte. Die Klägerseite verkennt hierbei zum einen, dass dies nur eine Orientierungshilfe sein kann und keine schematische Zuordnung zu erfolgen hat. Zum anderen wird die Zweistufigkeit der VersMedV verkannt, denn hierbei geht es zunächst um die Frage, ob eine stärker behindernde Störung oder eine schwere Störung vorliegt, welche anhand einer Vielzahl von Faktoren und nicht nur der Anpassungsstörungen zu beurteilen ist. Erst nachrangig, sollte man zu dem Ergebnis einer schweren Störung kommen – wie auch in den von der Klägerseite angeführten sozialrechtlichen Entscheidungen dies der Fall war – kommt es auf den Grad der sozialen Anpassungsstörungen an. Für die vorgelagerte Frage ist dies aber nicht das einzig entscheidende Kriterium, sondern eine Gesamtbetrachtung verschiedener, insbesondere der o.g. Kriterien vorzunehmen. Aber auch selbst, wenn man diese Auslegungshilfe heranziehen möchte, würde dies zu keiner anderen Bewertung führen. Von einer „verminderten Einsatzfähigkeit, die auch eine berufliche Gefährdung einschließt“ kann beim Kläger – zum hier maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt – aufgrund des eher beruflichen Anstiegs nach dem Dienstunfall nicht die Rede sein. Auch „erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung“ sind nicht in einem derartigen Ausmaß ersichtlich.
37
Der sachverständige Zeuge hat zur Begründung des gefundenen Ergebnisses auch überzeugend ins Feld geführt, dass beim Kläger keine leitliniengerechte Behandlung erfolgt sei und er daraus die Schlussfolgerung ziehe, dass kein entsprechender Leidensdruck vorgelegen habe. Hinsichtlich des Leidensdrucks gehe es gerade darum, wie intensiv sich jemand behandeln lasse. Wäre der Leidensdruck dementsprechend hoch gewesen, hätte er sich in eine leitliniengerechte Behandlung begeben. Im Gutachten wurde dargestellt, welche leitliniengerechte Behandlung empfohlen werde: Die Behandlung sollte intensiviert werden. Es bestehe die Notwendigkeit einer Traumatherapie im engeren Sinne bei einem speziell ausgebildeten Diplom-Psychologen oder Psychiater. Neben der Einzelbehandlung sollte auch eine Gruppenbehandlung durchgeführt werden. Auch eine nervenärztliche Mitbetreuung werde empfohlen. Die beim Kläger durchgeführte Konfrontationstherapie sei bei einer Traumafolgestörung nicht „state of the art“ und könne sogar als „Kunstfehler“ bezeichnet werden. Dadurch sei das Trauma immer wieder reaktiviert worden und hätte keine Stabilisierung eintreten können. Grundsätzlich seien circa 80% der PTBS-Patienten gut behandelbar und es komme – bei einer leitliniengerechten Behandlung – zur Remission. Daher überzeugt auch nicht der Einwand der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung, dass ohne leitliniengerechte Behandlung das Leiden des Patienten größer sei und der Grad der MdE höher sein müsste. Denn der Leidensdruck beim Kläger scheint gerade nicht so hoch gewesen zu sein, dass er sich in eine leitliniengerechte Behandlung begeben habe.
38
b. Der sachverständige Zeuge hat auch dargelegt, dass er sich ausgiebig mit der Frage befasst hätte, ob eine MdE von 30 oder 40 festzustellen sei. Das Argument für 30 und nicht 40 sei gewesen, dass der Kläger zwar als seelisch irritiert empfunden werden könne, allerdings nicht als schwerwiegend. Kein Widerspruch ergibt sich daraus, dass bei der Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode nach F32.1 nach ICD-10 der Patient meist große Schwierigkeiten hat, alltägliche Aktivitäten fortzusetzen. Der sachverständige Zeuge hat überzeugend dargelegt, dass die depressive Störung als Teilsyndrom in die PTBS eingebettet sei. Entscheidend sei nicht die Definition nach ICD-10, sondern die Analyse der Funktionsstörungen, die aus den seelischen Erkrankungen resultierten. Bei der gutachterlichen Beurteilung sei auf die festgestellten Diagnosen – PTBS mit mittelgradiger depressiver Episode und Klaustrophobie – in einer Gesamtbeurteilung abzustellen und keine Aufteilung vorzunehmen. Hinsichtlich der depressiven Störung sei beim Kläger darauf hinzuweisen, dass der Hamilton-Depressionsscore als Goldstandard des Schweregrades einer depressiven Störung mit 17 Punkten beim Kläger gerade die mittelgradige Depression erreicht habe und bis 16 Punkten lediglich eine leichte Depression diagnostiziert worden wäre (vgl. hierzu auch S. 18 des Gutachtens vom 28.06.2022). Dass der Kläger die MdE subjektiv als höher einschätzt als objektiv im Gutachten festgestellt, überrascht auch deshalb nicht, weil die testpsychologische Zusatzdiagnostik im Rahmen der Begutachtung auch eine leichte Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbewertung des depressiven Bildes ergeben hat (vgl. S. 26 des Gutachtens vom 28.06.2022).
39
c. Nach alledem ist davon auszugehen, dass beim Kläger zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt eine MdE i.H.v. 30 v.H. vorlag und er daher keinen Anspruch auf die Gewährung von Unfallausgleich aufgrund einer MdE von 70 v.H. (bzw. auf – jedenfalls als Minus im Klageantrag enthaltenen – mehr als 30 v.H.) hat, weswegen die Klage vollumfänglich abzuweisen ist.
II.
40
Als unterlegener Beteiligter hat der Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Für die Feststellung der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren i.S.d. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO besteht kein Raum, da dem Kläger nach der gerichtlichen Kostengrundentscheidung kein Kostenerstattungsanspruch zusteht (vgl. Kunze in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, 72. Edition, Stand: 01.01.2025, § 162 Rn. 85a).
III.
41
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. § 711 ZPO ist nicht entsprechend anzuwenden.