Inhalt

VGH München, Beschluss v. 15.07.2025 – 24 AS 25.640 , 24 AS 25.641
Titel:

Erfolgloser Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz – reichsbürgertypisches Gedankengut

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Nr. 4, Abs. 5, Abs. 7
BayVwVfG Art. 43 Abs. 2
WaffG § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 45 Abs. 5, § 46 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Im Rahmen der prozessualen Anfechtungssituation verliert ein Verwaltungsakt seine Wirksamkeit erst mit Eintritt der Rechtskraft des ihn aufhebenden Urteils. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Befindet sich das Verfahren im Stadium der Entscheidung über den Antrag auf Zulassung der Berufung ist im Rahmen der Interessenabwägung im Abänderungsverfahren gemäß § 80 Abs. 7 VwGO hinsichtlich der zu erwartenden Erfolgsaussichten zum einen in die Prüfung einzustellen, ob das eingelegte Rechtsmittel für sich nicht bereits offensichtlich aussichtslos ist, bei summarischer Prüfung die Erfolgsaussichten schon abgeschätzt werden können oder ob dessen Ausgang noch völlig offen ist und zum anderen, ob der Ausgang des Hauptsacheverfahrens mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Gunsten des Antragstellers ausgehen dürfte. Hierbei ist das Rechtsmittelgericht nicht an die Beurteilung der erstinstanzlichen Entscheidung gebunden. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Erscheinen die Erfolgsaussichten der Hauptsache im Verfahrensstadium der Entscheidung über den Antrag der Behörde auf Zulassung der Berufung insgesamt offen, haben die Anträge des Antragstellers auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnisse sowie gegen die Ungültigerklärung seines Jagdscheins im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung keinen Erfolg, wenn er ausschließlich das Interesse am weiteren Waffenbesitz und der Möglichkeit der entsprechenden Weiternutzung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens geltend  macht. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das öffentliche Vollzugsinteresse bei einer Entziehung des Jagdscheins wegen Unzuverlässigkeit ist inhaltlich deckungsgleich mit demjenigen des waffenrechtlichen Widerrufs. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Abänderung einer Entscheidung im Eilrechtsschutz, rechtshängiger Antrag auf Zulassung der Berufung, offene Erfolgsaussichten der Hauptsache., vorläufiger Rechtsschutz, offene Erfolgsaussichten der Hauptsache, Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren, Antrag auf Zulassung der Berufung, sofortige Vollziehung, waffenrechtliche Erlaubnis, Interessenabwägung, Reichsbürgerspektrum
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 28.12.2023 – W 9 S 23.1701 , W 9 S 23.1700
Fundstelle:
BeckRS 2025, 16970

Tenor

I. Die Verfahren 24 AS 25.640 und 24 AS 25.641 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Anträge werden abgelehnt.
III. Der Antragsteller hat die Kosten der Verfahren zu tragen.
IV. Der Streitwert für die Beschwerdeverfahren wird vor der Verbindung zur gemeinsamen Entscheidung im Verfahren 24 AS 25.640 auf 10.000,00 EUR und im Verfahren 24 CS 25.641 auf 5.000,00 EUR und nach der Verbindung auf insgesamt 15.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnisse sowie gegen die Ungültigerklärung seines Jagdscheins.
2
Mit Bescheid vom 20. November 2023 erklärte das Landratsamt ... (nachfolgend: Landratsamt) den Jagdschein des Antragstellers für ungültig (Nr. 1), verpflichtete ihn unter Zwangsgeldandrohung (Nr. 8) zu dessen Rückgabe (Nr. 2) und verhängte eine Sperrfrist für die Wiedererteilung von fünf Jahren (Nr. 3). Ferner widerrief es die dem Antragsteller erteilten Waffenbesitzkarten (Nr. 4) und gab ihm unter Zwangsgeldandrohung (Nr. 9) auf, diese zurückzugeben (Nr. 5). Der Antragsteller wurde verpflichtet, seine – näher aufgeführten – Waffen und Munition innerhalb einer Frist gegen Nachweis an einen Berechtigten abzugeben oder unbrauchbar zu machen (Nr. 6), ansonsten würden sie sichergestellt und verwertet (Nr. 10). Die sofortige Vollziehung der Nummern 1, 2, 5 und 6 wurde angeordnet (Nr. 7). Zur Begründung führte das Landratsamt aus, der Antragsteller sei anlässlich einer Verkehrskontrolle und im weiteren Verfahren mit einem Verhalten und mit Argumentationsstrukturen aufgefallen, die dem „Reichsbürgerspektrum“ zuzuordnen seien. Eine glaubhafte Distanzierung sei ihm nicht gelungen.
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Hiergegen ließ der Antragsteller am 14. Dezember 2023 Klage vor dem Verwaltungsgericht Würzburg erheben. Das Verwaltungsgericht trennte das Klageverfahren mit Beschluss vom selben Tag in ein jagdrechtliches Verfahren (W 9 K 23.1696) und ein waffenrechtliches Verfahren (W 9 K 23.23.1697).
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Mit Beschlüssen vom 28. Dezember 2023 (W 9 S 23.1701 und W 9 S 23.1700) lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung sowohl der Klage gegen den waffenrechtlichen Teil des Bescheids (W 6 K 23.1697) als auch gegen den jagdrechtlichen Teil des Bescheids (W 6 K 23.1696) ab.
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Mit weiterem Bescheid vom 7. Februar 2024 untersagte das Landratsamt gegenüber dem Antragsteller den Besitz von Waffen und Munition, deren Erwerb nicht der Erlaubnis bedarf, sowie den Erwerb solcher Waffen und Munition, deren Erwerb der Erlaubnis bedarf (Nr. 1) und ordnete die sofortige Vollziehung an (Nr. 2). Der Bescheid wurde im Wege der Klageerweiterung zum Gegenstand des Verfahrens W 6 K 23.1697 gemacht.
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Mit Urteilen vom 5. Dezember 2024 gab das Verwaltungsgericht der Klage in beiden Verfahren (W 6 K 23.1697 und W 6 K 23.1696) vollumfänglich statt und hob den Bescheid des Landratsamts vom 20. November 2023 und den Bescheid vom 7. Februar 2024 auf. Nach der Gesamtwürdigung des prozessualen und außerprozessualen Verhaltens des Antragstellers und seiner Einlassungen rechtfertigten die dem Verwaltungsgericht vorliegenden Tatsachen nicht die Annahme der Unzuverlässigkeit des Antragstellers, da er nicht der „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen sei. Die durch seine Verhaltensweisen hervorgerufenen Zweifel habe er im Laufe des Verfahrens entkräftet.
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Am 18. März 2025 ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht beantragen,
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den jeweiligen Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 28. Dezember 2023 (W 9 S 23.1700 und W 9 S 23.1701) dergestalt abzuändern, dass die aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage (W 9 K 23.1697 und W 6 K 23.1696) gegen den Bescheid des Landratsamts ... vom 20. November 2023 wiederhergestellt bzw. angeordnet wird.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, das Landratsamt verweigere mit der Begründung, ins Rechtsmittel gehen zu wollen, dem Antragsteller die Herausgabe seiner Waffen und Waffenbesitzkarten sowie seines Jagdscheins, obwohl das Verwaltungsgericht die zugrundeliegenden Bescheide mit Urteilen vom 5. Dezember 2024 aufgehoben habe. Da aber die Rechtswidrigkeit des Bescheides nun offenkundig feststehe, bestehe kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung, sodass die Abwägung zugunsten des Antragstellers ausfallen müsse.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen,
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und führt aus, dass gegen die Urteile am 10. März 2025 die Zulassung der Berufung beantragt worden sei und sich entgegen der rechtsfehlerhaften Ansicht des Verwaltungsgerichts der Bescheid als rechtmäßig erweisen werde, sodass das Interesse am Sofortvollzug überwiege.
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Mit Beschluss vom 28. März 2025 hat das Verwaltungsgericht die vorliegenden Verfahren an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof verwiesen.
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Ausweislich der Gerichtsakten stellte der Beklagte gegen die ihm jeweils am 19. Februar 2025 zugestellten Urteile am 10. März 2025 Antrag auf Zulassung der Berufung und legte am 8. April 2025 die zugehörige Begründung vor. Die Zulassungsverfahren sind unter den Aktenzeichen 24 ZB 25.555 und 24 ZB 25.571 rechtshängig.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten in beiden Beschwerdeverfahren und in den Verfahren 24 ZB 25.573 und 24 ZB 25.571 sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
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A. Die durch die beiden im Wesentlichen wortgleichen Schriftsätze eingeleiteten Antragsverfahren sind zur gemeinsamen Entscheidung nach § 93 VwGO zu verbinden, da der Antragsteller seine Ansprüche gegen die verschiedenen Teile des streitgegenständlichen Bescheids ursprünglich ohnehin gemäß § 44 VwGO in Form einer zulässigen objektiven Klagehäufung verfolgt hat, die durch das Verwaltungsgericht unmittelbar nach Klageeingang in zwei Klageverfahren und in der Folge in zwei Verfahren des Eilrechtschutzes getrennt worden sind. Es stehen wegen des gemeinsamen Zuverlässigkeitsbegriffs einheitliche Sachfragen des Waffen- und Jagdrechts in Streit, sodass es prozessökonomisch nicht sinnvoll ist, das Verfahren in mehrere Verfahren zu trennen und unter mehreren Aktenzeichen zu führen. Folglich fehlt ein sachlicher Grund für die Trennung, da das abgetrennte Verfahren absehbar weder zusätzlichen Streitstoff aufweist noch ein deutlich geringerer Verfahrensaufwand zu erwarten ist, als er ohne Trennung bestanden hätte (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2024 – 24 CS 1306 / 24 CS 24.1307 – juris Rn. 13; B.v. 20.2.2024 – 24 CS 23.2264 / 24 CS 23.2265 – juris Rn. 8 f.; B.v. 8.7.2019 – 7 C 19.1154 – juris Rn. 7).
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B.Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ist für die Entscheidung zuständig, da er mit Einlegung des Rechtsmittels das Gericht der Hauptsache i.S.v. § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO und damit auch im vorliegenden Zulassungsverfahren ist.
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C.Die Anträge gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO auf Abänderung der ablehnenden Entscheidungen über die Gewährung von Eilrechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO sind bereits teilweise unzulässig (I.). Soweit sie zulässig sind, haben sie keinen Erfolg (II.).
I.
19
Die Anträge sind teilweise unzulässig, soweit sie die Herausgabe von Waffen und Munition zum Inhalt haben, da dies dem für sofort vollziehbar erklärten Bescheid vom 7. Februar 2024 entgegensteht, sodass es dem Antragsteller diesbezüglich am Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Denn der Antragsteller kann mit diesem Antrag unter keinem denkbaren Gesichtspunkt seine Rechtsposition verbessern. Der Regelungsgehalt der Nummer 1 des Bescheids vom 7. Februar 2024 verbietet dem Antragsteller, jeglichen Besitz in Form der tatsächlichen Gewalt an (nicht nur) erlaubnispflichtigen Waffen zu begründen. Zwar wurde auch dieser Bescheid durch das Urteil vom 5. Dezember 2024 (W 6 K 23.1697) aufgehoben, jedoch ist diese Entscheidung aufgrund des form- und fristgerecht eingelegten und unbeschränkten Rechtsmittels des Beklagten (24 ZB 25.573) nicht in Rechtskraft erwachsen. Ein Verwaltungsakt bleibt nach Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Im Rahmen der prozessualen Anfechtungssituation verliert ein Verwaltungsakt seine Wirksamkeit erst mit Eintritt der Rechtskraft des ihn aufhebenden Urteils.
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Das verfügte Verbot des Besitzes von auch erlaubnispflichtigen Waffen und Munition dürfte nicht nur der Herausgabe der Waffen des Antragstellers an sich entgegenstehen, sondern auch der Herausgabe der Waffenbesitzkarten und des Jagdscheins entgegenstehen, da ihm bereits der Besitz dieser Dokumente den Anschein verleiht, zum Besitzerwerb weiterer Waffen legitimiert zu sein (vgl. z.B. § 12 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a WaffG; § 13 Abs. 3 Satz 1 WaffG). Dies kann aber dahinstehen, da der Antrag in der Sache jedenfalls keinen Erfolg hat (s.u.).
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Im Übrigen sind die Anträge zulässig, insbesondere ist der Antragsteller antragsbefugt, da sich mit dem Ergehen der stattgebenden erstinstanzlichen Entscheidung eine entscheidungserhebliche Veränderung der Prozesslage ergeben hat, welche einen Abänderungsgrund i.S.v. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO darstellen kann.
II.
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Soweit die Anträge zulässig sind, sind sie unbegründet. Zwar liegen mit den Urteilen zur Hauptsache im erstinstanzlichen Verfahren entscheidungserhebliche neue oder veränderte Umstände vor (1.). Sie führen jedoch nicht zu einem Überwiegen des Suspensivinteresses des Antragstellers im Rahmen der vom Senat vorzunehmenden Interessenabwägung, sodass keine Abänderung der erstinstanzlichen Beschlüsse erforderlich ist und seine Anträge keinen Erfolg haben (2.).
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1. Die Begründetheit des Antrags nach 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO setzt zunächst voraus, dass gegenüber der Ausgangsentscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO entscheidungserhebliche neue oder veränderte Umstände vorliegen oder solche entscheidungserheblichen Umstände im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemacht worden sind, die sich möglicherweise auf die Entscheidung auswirken können (Hoppe in Eyermann, 16. Aufl. 2022, VwGO, § 80 Rn. 134).
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Dies ist der Fall, denn mit den stattgebenden erstinstanzlichen Entscheidungen in der Hauptsache hat sich die Prozesslage maßgeblich verändert. Dieser Umstand ist grundsätzlich geeignet, sich auf die jetzt neu vorzunehmende Beurteilung des Eilverfahrens auszuwirken (vgl. BVerwG, B.v. 13.6.2007 – 6 VR 5.07 – juris Rn. 15) und konnte vom Antragsteller auch nicht zu einem früheren Zeitpunkt geltend gemacht werden.
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2. Ferner setzt die Begründetheit des Antrags nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO voraus, dass eine eigene Interessenabwägung des Senats (nunmehr) ein Überwiegen der Interessen des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ergibt (a.). Entgegen der Auffassung des Antragstellers sind die Erfolgsaussichten der Hauptsacheverfahren trotz der stattgebenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichts im derzeitigen Verfahrensstadium offen (b.). Nachdem der Antragsteller auch keine besonders gewichtigen Gründe vorgetragen hat, die ausnahmsweise die gesetzgeberische Entscheidung für die sofortige Vollziehbarkeit vorliegend unzumutbar erscheinen ließen, fällt die Interessenabwägung zu seinen Lasten aus (c.).
26
a) Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, dessen Maßstab ebenso für das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO gilt, hat das Gericht eine eigene Interessenabwägung vorzunehmen. Der Senat hat hierbei eine eigenständige Entscheidung zum Fortbestand des nach § 80 Abs. 5 VwGO getroffenen Beschlusses zu treffen (Schoch in Schoch/Schneider, Werkstand August 2024, VwGO § 80 Rn. 590), denn Gegenstand des Abänderungsverfahrens ist nicht die Richtigkeit der abzuändernden (Eil-)Entscheidung, sondern der Umstand, ob (nunmehr) die Voraussetzungen für eine sofortige Vollziehung des zugrundeliegenden Verwaltungsakts (noch) gegeben sind oder nicht (Hoppe in Eyermann, VwGO § 80 Rn. 135). Bei der Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO ist daher weiterhin der Grundsatz maßgeblich, dass kein schutzwürdiges Interesse des Antragstellers besteht, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakts verschont zu bleiben, ebenso wie die Behörde kein schutzwürdiges Interesse am Sofortvollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts haben kann. Die in der Regel im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung erfolgt auch in diesem Fall unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Hauptsache.
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Die gesetzgeberische Entscheidung, die Berufung nicht voraussetzungslos zu ermöglichen ist im Rahmen der Abwägung nach § 80 Abs. 7 VwGO zu berücksichtigen. Befindet sich daher das Verfahren im Stadium der Entscheidung über den Zulassungsantrag ist im Rahmen der Interessenabwägung hinsichtlich der zu erwartenden Erfolgsaussichten zum einen in die Prüfung einzustellen, ob das eingelegte Rechtsmittel für sich nicht bereits offensichtlich aussichtslos ist, bei summarischer Prüfung die Erfolgsaussichten schon abgeschätzt werden können (vgl. BVerwG, B.v. 7.9.2005 – 4 B 49.05 – juris Rn. 5) oder ob dessen Ausgang noch völlig offen ist und zum anderen, ob der Ausgang des Hauptsacheverfahrens mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Gunsten des Antragstellers ausgehen dürfte; hierbei ist das Rechtsmittelgericht nicht an die Beurteilung der erstinstanzlichen Entscheidung gebunden.
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b) Dies zugrunde gelegt, ist der Ausgang des jeweiligen Hauptsacheverfahrens in den Zulassungsverfahren 24 ZB 25.573 bzw. 24 ZB 25.571 zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats im Ergebnis offen.
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Nach summarischer Prüfung erscheint die Zulassung der Berufung derzeit möglich. Die von der Gegenseite eingelegten Rechtsmittel gegen die erstinstanzlichen Urteile sind zulässig, denn die Landesanwaltschaft Bayern hat für den Antragsgegner im Hauptsacheverfahren jeweils form- und fristgerecht den Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt und diesen innerhalb der gesetzlichen Frist begründet (vgl. § 124a Abs. 4 VwGO). Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Zulassungsbegründungen offenkundig nicht den gesetzlichen Anforderungen genügen und die Rechtsmittel schon deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu einem Berufungsverfahren führen würden. Der Beklagte macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sowie das Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) geltend. Inwieweit die vorgelegte Zulassungsbegründung zur Zulassung der Berufung führen wird, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden und bedarf einer dezidierten Auseinandersetzung mit den schriftsätzlichen Ausführungen; insbesondere wird im Zulassungsverfahren zu prüfen sein, ob die Antragsbegründung darlegen konnte, dass das Verwaltungsgericht die anzulegenden Maßstäbe bei der Würdigung des Sachverhalts unzutreffend angewandt hat, oder ob sich die Kritik des Beklagten im Ergebnis nur gegen die richterliche Überzeugungsbildung bzw. die Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht richtet.
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Darüber hinaus sind der Ausgang eines etwaigen späteren Berufungsverfahrens und somit die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklagen des Antragstellers zum jetzigen Zeitpunkt als offen anzusehen. Denn im Falle der Zulassung wird der Senat im Berufungsverfahren zu klären haben, ob und inwieweit sich der Antragsteller mit der Gesamtheit seines außerprozessualen und prozessualen Verhaltens in die Nähe der sog. „Reichsbürgerszene“ begeben hat und damit hinreichende Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass er Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden wird und davon abhängig, ob und inwieweit er sich durch seine weiteren Einlassungen und Äußerungen von etwaigem „reichsbürgertypischen Gedankengut“ ernsthaft und in glaubwürdiger Weise distanzieren konnte. Da hierfür in der Regel (auch) der persönliche Eindruck des Klägers maßgeblich sein dürfte, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache damit als offen anzusehen.
31
c) Nachdem die Erfolgsaussichten der Hauptsache insgesamt offen erscheinen, haben die Anträge im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung keinen Erfolg. Denn hierbei ist maßgeblich die differenzierte gesetzgeberische Wertung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 5 WaffG einerseits und § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO andererseits zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 17.1.2017 – 2 BvR 2013/16 – Rn. 17). Aus diesem Grund überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse der Behörde das Suspensivinteresse des Antragstellers. Vom Antragsteller sind keine Gründe vorgetragen, die über die im Regelfall mit der Anordnung sofortiger Vollziehung verbundenen Umstände hinausreichen. Inmitten steht ausschließlich das Interesse am weiteren Waffenbesitz und der Möglichkeit der entsprechenden Weiternutzung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2023 – 24 CS 23.1196 – Rn. 17; BayVGH, B.v. 16.5.2022 – 24 CS 22.737 – juris Rn. 18). Zudem steht das mit Bescheid vom 7. Februar 2024 verfügte und sofort vollziehbare Verbot des Besitzes von erlaubnispflichtigen Waffen und Munition in Widerspruch zu seinem Begehren (s.o. Rn. 19).
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Dieses öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug besteht auch – wie regelmäßig – für die nicht vom gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug erfassten mit der Widerrufsentscheidung verbundenen notwendigen Anordnungen, die Waffen unbrauchbar zu machen oder sie einem Dritten zu übergeben (§ 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG) und für die Anordnung der Rückgabe von Erlaubnisurkunden (§ 46 Abs. 1 Satz 1 WaffG – vgl. BayVGH, B.v. 2.12.2020 – 24 CS 20.2211 – juris Rn. 29; B.v. 18.6.2020 – 24 CS 20.1010 – juris Rn. 25). Entsprechendes gilt auch für die übrigen waffenrechtlichen (Neben-)Anordnungen.
33
Bezogen auf die den Jagdschein betreffenden Regelungen des Bescheids besteht bei der vorzunehmenden Abwägung ebenfalls ein Vorrang des öffentlichen Vollzugsinteresses. Insoweit ist die sofortige Vollziehung anders als im Waffenrecht zwar nicht schon gesetzlich, sondern durch Nr. 7 des Bescheids vom 20. November 2023 angeordnet. Allerdings ist das öffentliche Vollzugsinteresse bei einer Entziehung des Jagdscheins wegen Unzuverlässigkeit inhaltlich deckungsgleich mit demjenigen des waffenrechtlichen Widerrufs (vgl. näher BayVGH, B.v. 9.8.2022 – 24 CS 22.1575 – juris Rn. 25). Mangels anderweitigem Vortrag in der Antragsschrift überwiegt auch insoweit das öffentlichen Interesse am Sofortvollzug.
III.
34
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
35
D.Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG unter Berücksichtigung der Nrn. 1.5, 20.4 und 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 2025 (abrufbar unter www.bverwg.de) und beträgt 15.000,- EUR. Der Widerruf der vier Waffenbesitzkarten mit insgesamt elf eingetragenen Waffen war mit 20.000,- EUR anzusetzen, die Ungültigerklärung des Jagdscheins mit 10.000,- EUR; die sich so ergebende Gesamtsumme von 30.000,- EUR war im Eilrechtschutz zu halbieren.
36
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).