Inhalt

VGH München, Beschluss v. 27.06.2025 – 19 CE 25.966
Titel:

Aufnahmeprogramm Afghanistan, Aufnahmezusage, Widerruf, Sofortvollzug, Grundrechte

Normenketten:
AufenthG § 23 Abs. 2 S. 1
VwVfG § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4
Schlagworte:
Aufnahmeprogramm Afghanistan, Aufnahmezusage, Widerruf, Sofortvollzug, Grundrechte
Vorinstanz:
VG Ansbach, Entscheidung vom 30.04.2025 – AN 5 E 25.947
Fundstelle:
BeckRS 2025, 16965

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

1
Mit der Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihr erstinstanzlich erfolgloses Begehren weiter, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, die Antragsteller, derzeit in Islamabad (Pakistan) aufhältige afghanische Staatsangehörige, bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren weiterhin im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan durch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (GIZ) in Pakistan unterzubringen und zu versorgen sowie den ihnen ausgestellten Schutzbrief aufrechtzuerhalten.
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Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
3
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht einen Anordnungsanspruch verneint, weil für einen Rechtsanspruch der Antragsteller auf weitere Unterbringung, Versorgung und Aufrechterhalten des Unterstützerschreibens („Schutzbriefs“) keine Anspruchsgrundlage ersichtlich ist. Zwar kann ein diesbezüglicher Anspruch gegenüber der Antragsgegnerin nicht mit der fehlenden Passivlegitimation der Antragsgegnerin verneint werden (1.1). Da aber die den Antragstellern am 5. Dezember 2023 erteilte Aufnahmezusage sofort vollziehbar widerrufen wurde, ist dem geltend gemachten Anspruch auf Unterbringung und Versorgung die Grundlage entzogen (1.2). Auch aus Grund- bzw. Menschenrechten folgt kein Anspruch der Antragsteller auf weitere Aufnahme und Unterstützung (1.3).
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1.1 Der gegenüber der Antragsgegnerin geltend gemachte Anspruch kann nicht (unter dem Aspekt fehlender Passivlegitimation) mit dem Hinweis darauf abgelehnt werden, dass die Antragsgegnerin die für die Aufnahme vorgesehenen Personen nicht durch eigene Sach- und Personalmittel unterbringt und versorgt, sondern sich hierfür der GIZ bzw. anderer „Dienstleister“ als Verwaltungshelferin bedient (vgl. die Antwort des Bundesministeriums des Innern und für Heimat auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten C.B. und der Gruppe Die Linke vom 18.11.2024, BT-Drs. 20/13567). Das Begehren der Antragsteller zielt insoweit auf einen Verschaffungsanspruch ab. Einem solchen grundsätzlich anerkannten Verschaffungsanspruch liegt die Überlegung zugrunde, dass sich ein Träger hoheitlicher Gewalt durch Ausgliederung eines Aufgabenbereiches aus seiner internen Behördenorganisation und Übertragung der Aufgabe auf eine natürliche oder juristische Person des Privatrechts nicht von seinen öffentlich-rechtlichen Bindungen, insbesondere aus möglicherweise berührten Grundrechten, zu befreien vermag. Durch die Übertragung der hoheitlichen Aufgabe gehen damit gegebenenfalls korrespondierende subjektiv-öffentliche Rechte gegenüber dem Hoheitsträger nicht unter. Diese wandeln sich vielmehr in einen Verschaffungsanspruch mit dem Inhalt, dass der Hoheitsträger im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten auf den privatrechtlichen Aufgabenträger mit dem Ziel der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Anspruchs einwirken muss. Als alleiniger Gesellschafterin der GIZ stehen der Antragsgegnerin auch die erforderlichen Einwirkungsmöglichkeiten zur Verfügung.
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1.2 Dem geltend gemachten Anspruch auf weitere Unterbringung und Versorgung der Antragsteller sowie Unterlassen des Zurückziehens des Unterstützerschreibens steht bereits der sofort vollziehbare Widerruf der Aufnahmezusage entgegen, ohne dass es dafür auf die Bestandskraft des Widerrufsbescheides ankäme.
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Die den Antragstellern am 5. Dezember 2023 erteilte Aufnahmezusage beruht auf der „Anordnung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat gemäß § 23 Absatz 2, Absatz 3 i.V.m. § 24 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) zur Aufnahme von besonders gefährdeten afghanischen Staatsangehörigen aus Afghanistan“ vom 19. Dezember 2022. Rechtsgrundlage dieser Anordnung ist § 23 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Nach dieser Bestimmung – die in einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren als parlamentarisches Gesetz erlassen wurde – kann das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) (im Benehmen mit den obersten Landesbehörden) zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufnahmezusage erteilt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Rechtscharakter und Inhalt einer solchen Anordnung handelt es sich um eine politische Leitentscheidung, die keiner gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2011 – 1 C 21.10 – juris; B.v. 16.6.2014 – 1 B 4.14 – juris Rn. 4; vgl. schon U.v. 19.9.2000 – 1 C 19.99 – juris); sie dient nicht dem Schutz und der Verwirklichung von Grundrechten der hierdurch begünstigten Ausländer und ist unter Berücksichtigung des wirklichen Willens des Erklärenden und ihrer tatsächlichen Handhabung, d.h. der vom Urheber gebilligten und geduldeten tatsächlichen Verwaltungspraxis, auszulegen und anzuwenden. Sinn und Zweck der Regelung bestehen darin, einen gesetzlichen Rahmen und das Verfahren zu schaffen, um bestimmten Gruppen von noch nicht eingereisten Ausländern zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen. Dabei steht es im Ermessen des BMI, ob eine solche Anordnung erlassen wird, und es ergibt sich aus der Natur der Sache, dass es bei der Festlegung der Aufnahmekriterien weitgehend frei ist, allenfalls begrenzt durch das Rechtsstaatsgebot und das Willkürverbot. Das BMI kann im Rahmen seines Entschließungs- und Auswahlermessens den von einer Anordnung erfassten Personenkreis bestimmen und dabei positive Kriterien (Erteilungsvoraussetzungen) und negative Kriterien (Ausschlussgründe) aufstellen. Ein Anspruch des einzelnen Ausländers, von einer Anordnung nach § 23 Abs. 2 AufenthG erfasst zu werden, besteht nicht. Eine Außenwirkung kommt der Anordnung nur mittelbar zu über die Verpflichtung der Behörden zur Beachtung von Art. 3 Abs. 1 GG, soweit sich eine der Richtlinie entsprechende Behördenpraxis herausgebildet hat; den Gerichten obliegt es nachzuprüfen, ob der Gleichheitssatz bei Anwendung der Anordnung durch das Bundesamt gewahrt ist (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 15.11.2011 – 1 C 21.10 – juris Rn. 12 ff., insb. Rn. 16 unter Aufhebung einer Entscheidung des Senats: BayVGH, U.v. 15.11.2010 – 19 BV 10.871 – juris).
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Die Aufnahmezusage vom 5. Dezember 2023 hat durch den sofort vollziehbaren Widerruf vom 27. März 2025 ihre Wirksamkeit verloren. Der Widerruf gemäß § 49 VwVfG ist ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt, der die Rechtslage mit dem Eintritt seiner inneren Wirksamkeit dahingehend umgestaltet, dass der widerrufene Verwaltungsakt zukünftig keine Rechtswirkungen mehr entfaltet und gem. § 43 Abs. 2 VwVfG durch Aufhebung erledigt ist (vgl. zum Verwaltungsaktcharakter der Aufnahmezusage: BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – juris Rn. 24; OVG Bremen, B.v. 13.2.2018 – 1 B 268/17 – juris Rn. 20; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 1.7.2022, § 23 AufenthG Rn. 20). Auf die Bestandskraft des Widerrufsbescheides kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
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Ohne Erfolg berufen sich die Antragsteller insoweit auf die aufschiebende Wirkung der gegen den Widerruf erhobenen Klage, weil die Antragsgegnerin (im erstinstanzlichen Verfahren) mit Schriftsatz vom 25. April 2025 wirksam die sofortige Vollziehbarkeit des Widerrufs gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Dies hat zur Folge, dass dem geltend gemachten Anspruch auf Unterbringung und Versorgung schon das Fehlen einer wirksamen Aufnahmezusage entgegensteht.
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Der Widerruf der Aufnahmezusage ist auch wirksam erfolgt. Nach der Auffassung des Senats unterliegt der Widerruf einer Aufnahmezusage mit Blick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG der gerichtlichen Kontrolle. Denn es handelt sich bei dem Widerruf – anders als bei der Aufnahmezusage selbst – um einen rechtlich gebundenen Akt, mit welchem eine bereits eingeräumte Rechtsstellung verschlechtert wird (vgl. zum Widerruf einer Gnadenentscheidung: BVerfG, B.v. 20.3.2013 – 2 BvR 2595/12 – juris Rn. 21; B.v. 12.1.1971 – 2 BvR 520/70 – juris Rn. 8; zum Widerruf einer Aufnahmeerklärung gem. § 22 Satz 2 AufenthG: OVG Bremen, B.v. 13.2.2018 – 1 B 268/17 – juris Rn. 20). Nichtigkeitsgründe im Sinne des § 44 Abs. 1 und 2 VwVfG sind nicht ersichtlich, insbesondere ist der Widerruf nicht willkürlich erfolgt.
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Die Antragsgegnerin stützt den Widerruf zutreffend auf § 49 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG. Danach darf ein (rechtmäßiger) begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist. Dies ist hier der Fall. Nach der Bestimmung in Ziffer 5 Satz 1 der Aufnahmeanordnung wird die Aufnahmezusage unter dem Vorbehalt erteilt, dass das anschließende Visumverfahren erfolgreich abgeschlossen wird und keine sicherheitsrelevanten Erkenntnisse vorliegen bzw. bekannt werden. Dem entsprechend erfolgte die Aufnahmezusage nach der Ziffer 2 des Bescheides vom 5. Dezember 2023 unter dem Vorbehalt des Widerrufs gem. § 36 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG.
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Zu Recht stützt die Antragsgegnerin den Widerruf auf das Bekanntwerden eines Ausschlussgrundes nach Ziffer 4 Satz 2 Buchst. c) der Aufnahmeanordnung in der Sicherheitsbefragung der Antragstellerin zu 1.
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In Ziffer 4 Satz 2 der Aufnahmeanordnung sind zwingende Ausschlussgründe geregelt, welche der Antragsgegnerin kein Ermessen auf der Rechtsfolgenseite einräumen. Unter anderem sind gemäß Ziffer 4 Satz 2 Buchst. c) grundsätzlich Personen von der Aufnahme ausgeschlossen, bei denen sonstige tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass diese im Falle einer Aufnahme eine besondere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland darstellen könnten. Dieser Ausschlussgrund ist nicht zu beanstanden. Wie ausgeführt, handelt es sich bei einer Aufnahmeanordnung nach § 23 Abs. 2 AufenthG um eine der gerichtlichen Kontrolle weitestgehend entzogene, politische Leitentscheidung. Das Bundesverwaltungsgericht hat offengelassen, ob die in einer Aufnahmeanordnung festgelegten Aufnahme- und Ausschlusskriterien einer gerichtlichen Willkürkontrolle unterliegen (BVerwG, U.v. 15.11.2011 – 1 C 21.10 – juris Rn. 23). Allenfalls in besonders gelagerten Ausnahmefällen kann die Beschränkung der Aufnahme auf Ausländer, die bestimmte Aufnahmekriterien erfüllen, und der damit verbundene Ausschluss von Ausländern, die diese Kriterien nicht erfüllen, willkürlich sein, wenn für die vorgenommene Differenzierung keinerlei nachvollziehbare Gründe ersichtlich sind (Röcker in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 15. Aufl. 2025, § 23 AufenthG Rn. 19; vgl. auch Hailbronner a.a.O., § 23 AufenthG Rn. 6). Derartiges kann mit Blick auf die zwingenden Ausschlussgründe nach Ziffer 4 Satz 2 der Aufnahmeanordnung nicht angenommen werden. Vielmehr liegt es im nachvollziehbaren, von § 23 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gedeckten politischen Interesse der Antragsgegnerin, die freiheitliche demokratische Grundordnung auch mit Blick auf mögliche zukünftige Entwicklungen im Bundesgebiet zu schützen und deshalb Personen, welche aufgrund ihrer politischen Haltung eine zumindest abstrakte Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellen, die Aufnahme in das Bundesgebiet zu verweigern. Von einer solchen abstrakten Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung geht die Antragsgegnerin auch ermessensfehlerfrei unter Verweis auf die hohe Zahl von Anhängern extremistischer Organisationen aus dem islamistischen Spektrum im Bundesgebiet aus.
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Mit Blick auf die von der Antragstellerin zu 1 in dem Sicherheitsgespräch getätigten Äußerungen zu außerehelichen Sexualkontakten geht die Antragsgegnerin willkürfrei vom Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach Ziffer 4 Satz 2 der Aufnahmeanordnung bei der Antragstellerin als der Hauptperson im Sinne der Aufnahmeanordnung aus, weshalb auch der Widerruf der Aufnahmezusage in Bezug auf die übrigen Antragsteller willkürfrei erfolgt ist. Die Antragstellerin zu 1 hat sich in dem Sicherheitsgespräch für Haftstrafen für außerehelichen Sexualverkehr ausgesprochen und ausdrücklich die Auffassung vertreten, falls zwei Personen unverheiratet Geschlechtsverkehr vollzögen, sollten diese entsprechend dem Koran jeweils hundertmal ausgepeitscht werden. Im Wiederholungsfalle solle die Todesstrafe verhängt werden. Dies würde einem Werteverfall in der Gesellschaft vorbeugen. Sie würde auch in Deutschland eine Partei wählen, die die Einführung der Todesstrafe für Ehebrecher propagiere. Aufgrund dieser Aussagen geht die Antragsgegnerin willkürfrei davon aus, dass die Antragstellerin zu 1 ein „extremistisch geprägtes Islamverständnis“ vertrete, das in weiten Teilen nicht mit der deutschen Rechtsordnung in Einklang zu bringen sei, weshalb es als wahrscheinlich angesehen werden könne, dass diese sich aktiv gegen Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wenden werde, wobei die Gefahr durch die „Verletzung“ gleich mehrerer Grundrechte überragend wichtige Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung betreffe. Dabei geht die Antragsgegnerin von einem zutreffenden Begriffsverständnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus. Diese umfasst unter anderem den Primat des staatlichen Rechts auch in Bezug auf solche Regelungen, die der Staat zum Schutz der Freiheitsbetätigung seiner Bürger und ihres gleichen Ranges und Würde, etwa der Gleichberechtigung der Geschlechter oder des Schutzes individuell freier Willensbetätigung, geschaffen hat (vgl. BVerwG, U.v. 29.5.2018 – 1 C 15.17 – juris Rn. 58 zu § 10 StAG; BayVGH, B.v. 3.2.2025 – 19 CE 24.2160 – juris Rn. 12 zu § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Zu den elementaren Freiheitsrechten als unverzichtbaren Bestandteilen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehören unter anderem die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG), die freie Entfaltung der Persönlichkeit einschließlich der sexuellen Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie das Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung (Art. 3 EMRK). Aufgrund der Einlassungen der Antragstellerin zu 1 durfte die Antragsgegnerin willkürfrei von einer Gefährdung der genannten Rechtsgüter ausgehen. Dabei kommt der Antragsgegnerin hinsichtlich der Bestimmung des für die Annahme eines Ausschlussgrundes erforderlichen Gefahrengrades, etwa der in den Gründen des Widerrufsbescheides angesprochenen „besonderen Gefahr“, ein – wie ausgeführt – nicht der gerichtlichen Kontrolle unterliegender Beurteilungsspielraum zu.
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Die Antragstellerin zu 1 hat sich zwar in ihrer schriftlichen Stellungnahme im Rahmen der Anhörung zum Widerruf der Aufnahmezusage von den genannten Aussagen distanziert und ausgeführt, sie verabscheue extremistisches Gedankengut und setze sich für Menschenrechte und Freiheit für alle Menschen ein. In der Sicherheitsbefragung habe sie unter emotionalem Druck gestanden, infolgedessen es zu Missverständnissen gekommen sei. Sie sei gegen die Todesstrafe und jegliche Formen von Gewalt, Justizsysteme müssten sich an den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Menschenwürde orientieren. Mit ihren Aussagen habe sie sich lediglich auf die Gesetze in Afghanistan bezogen. Sie respektiere die deutschen Gesetze und unterstütze keine Gesetze, die auf Gewalt oder Einschränkung individueller Freiheiten beruhten.
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Trotz dieser Einlassungen der Antragstellerin zu 1 kann nicht von einer glaubhaften Distanzierung von den getätigten verfassungsfeindlichen Äußerungen ausgegangen werden. Bei dem nunmehr zur Entschuldigung herangezogenen emotionalen Druck handelt es sich ersichtlich um eine Schutzbehauptung. Zwar handelt es sich bei einer derartigen Befragung um eine außergewöhnliche und emotional belastende Situation. Dennoch hat die Antragstellerin zu 1 nicht dargelegt, durch welchen Umstand der Befragung sie sich zu derartigen Äußerungen hätte veranlasst sehen können, wenn diese nicht ihrer tatsächlichen Überzeugung entsprechen würden. Dies folgt – worauf die Antragsgegnerin im Widerrufsbescheid zu Recht hinweist – insbesondere aus der affirmativen Wiederholung der Aussage, sie befürworte die Todesstrafe, durch die Antragstellerin zu 1. Dem gegenüber ist ausgeschlossen, dass es sich um „Missverständnisse“ handelte und die Aussagen der Antragstellerin zu 1 in Wahrheit auf die politische bzw. rechtliche Situation in Afghanistan bezogen gewesen wären. Die Antragstellerin zu 1 hat ihre diesbezügliche Auffassung im Sicherheitsgespräch ausführlich dargestellt und ausdrücklich in den Kontext der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland gestellt, indem sie bekräftigte, auch hier eine Partei unterstützen zu wollen, welche die Todesstrafe für Ehebrecher propagiere. Es spricht deshalb viel dafür, dass ihre nunmehrigen Einlassungen verfahrenstaktisch motiviert sind und ohne eine zugrundeliegende Überzeugung bzw. einen grundlegenden Einstellungswandel lediglich den Zweck verfolgen, die Annahme eines Ausschlussgrundes zu widerlegen.
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Vor diesem Hintergrund vermag der Senat nicht zu erkennen, dass sich die Antragsgegnerin bei der Annahme des Ausschlussgrundes von Willkür hätte leiten lassen bzw. dass die getroffene Entscheidung keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar wäre.
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Aspekte des Vertrauensschutzes stehen dem Widerruf nicht entgegen. Der in der Aufnahmezusage enthaltene Widerrufsvorbehalt musste den Antragstellern bekannt sein. Unter der Ziffer 2 des Bescheides vom 5. Dezember 2023 wurde – entsprechend der Bestimmung in der Ziffer 5 Satz 1 der Aufnahmeanordnung – ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Aufnahmezusage unter dem Vorbehalt erteilt wird, dass das anschließende Visumverfahren erfolgreich abgeschlossen wird und keine sicherheitsrelevanten Erkenntnisse vorliegen bzw. bekannt werden. Mithin konnte vor dem erfolgreichen Abschluss der Sicherheitsüberprüfung sowie des Visumverfahrens kein schutzwürdiges Vertrauen der Antragsteller in den Bestand der Aufnahmezusage begründet werden.
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1.3 Ein Anspruch der Antragsteller auf weitere Aufnahme und damit verbundene Leistungen der Antragsgegnerin folgt auch nicht aus deren Grund- oder Menschenrechten. Die Aufnahmeanordnung selbst und die auf ihrer Grundlage erteilte Aufnahmezusage dienen nicht dem Grundrechtsschutz des begünstigten Personenkreises, insbesondere vermitteln sie diesem nicht die Rechtsstellung des Refoulementverbots (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – juris Rn. 27 ff.; U.v. 15.11.2011 – 1 C 21.10 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 9.10.2017 – 19 ZB 15.1731 – juris Rn. 18; B.v. 19.9.2014 – 19 ZB 12.1010 – juris Rn. 20 f.; U.v. 22.1.2014 – 19 BV 13.1447 – juris Rn. 37). Der Widerruf der Aufnahmezusage kann folglich keine Grundrechte der Antragsteller als begünstigte Personen verletzen. Dies gilt gleichermaßen für an die Aufnahmezusage geknüpfte freiwillige Leistungen bzw. Unterstützungsschreiben, auf deren Weitergewährung – wie ausgeführt – kein Rechtsanspruch besteht.
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Aus den von der Antragstellerseite zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Grundrechtsbindung auswärtigen Handelns der Antragsgegnerin (vgl. BVerfG, B.v. 21.3.1957 – 1 BvR 65/54 – juris; B.v. 15.12.2015 – 2 BvR 2735/14 – juris; U.v. 19.5.2020 – 1 BvR 2835/17 – juris) folgt nichts Anderes. Der Antragsgegnerin bzw. ihren insoweit zu politischem Handeln berufenen Organen ist für ihr hoheitliches Handeln in Bezug auf die Aufnahme von Ausländern aus dem Ausland nach § 23 Abs. 2 AufenthG ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt. Dies hat seinen Grund darin, dass die Gestaltung auswärtiger Verhältnisse und Geschehensabläufe nicht allein vom Willen der Antragsgegnerin bestimmt werden kann, sondern vielfach von Umständen abhängig ist, die sich ihrer Bestimmung entziehen, weshalb es ihr ermöglicht werden soll, die jeweiligen politischen Ziele im Rahmen des völkerrechtlich und verfassungsrechtlich Zulässigen durchzusetzen (vgl. BVerfG, B.v. 16.12.1980 – 2 BvR 419/80 – juris Rn. 36 f.; B.v. 21.10.1987 – 2 BvR 373/83 – juris Rn. 32; B.v. 13.10.2016 – 2 BvE 2/15 – juris Rn. 169 f.; U.v. 11.12.2024 – 1 BvR 1426/24 – juris Rn. 18; BVerwG, U.v. 29.5.2019 – 6 C 8.18 – juris Rn. 21; U.v. 25.11.2020 – 6 C 7.19 – juris Rn. 55 ff., 67 ff.). Dies gilt auch hinsichtlich der Frage, ob und in welcher Weise sie Auslandsschutz gewährt, weshalb die Verwaltungsgerichte darauf beschränkt sind, die Handlungen und Unterlassungen der Bundesregierung auf Ermessensfehler hin nachzuprüfen (vgl. in Bezug auf die Gewährung diplomatischen Schutzes zugunsten deutscher Staatsangehöriger im Ausland: BVerfG, U.v. 11.12.2024 – 1 BvR 1426/24 – juris Rn. 18; B.v. 16.12.1980 – 2 BvR 419/80 – juris Rn. 36; BVerwG, U.v. 29.5.2019 – 6 C 8.18 – juris Rn. 21). Aufgrund des weiten außenpolitischen Ermessens der Antragsgegnerin kann eine Verletzung einer grundrechtlichen Schutzpflicht in Fällen mit Auslandsbezug nur festgestellt werden, wenn das zuständige Organ gänzlich untätig geblieben ist oder die getroffenen Maßnahmen offensichtlich völlig ungeeignet oder unzulänglich sind (BVerwG, U.v. 25.11.2020 – 6 C 7.19 – juris Rn. 67). Derartiges kann vorliegend – unabhängig davon, dass eine rechtliche Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Schutzgewährung im Ausland in erster Linie gegenüber eigenen Staatsangehörigen bzw. Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der EU insbesondere im Rahmen des sog. diplomatischen und konsularischen Schutzes besteht (vgl. BVerfG, U.v. 11.12.2024 – 1 BvR 1426/24 – juris Rn. 18; BVerwG, U.v. 24.2.1981 – 7 C 60.79 – juris Rn. 35 m.w.N.) – nicht festgestellt werden. Die Antragsgegnerin leistet bereits im Rahmen verschiedener Aufnahmeprogramme wie auch dem vorliegenden einen erheblichen internationalen Beitrag zur Aufnahme von Personengruppen, welche durch das Taliban-Regime in Afghanistan bedroht sind. Dass diese Aufnahmeprogramme offensichtlich völlig unzureichend oder unzulänglich wären, kann auch mit Blick auf die möglichen tatsächlichen, die Antragsteller gegebenenfalls stark belastenden Folgen nicht festgestellt werden und wird von diesen auch nicht geltend gemacht. Im Übrigen ist die Lage der Antragsteller nicht mit derjenigen eines auf deutschem Hoheitsgebiet befindlichen und damit der deutschen Staatsgewalt unterworfenen Ausländers vergleichbar.
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Eine Grundrechtsverletzung der Antragsteller durch die Antragsgegnerin kann auch nicht deshalb angenommen werden, weil diese – als mittelbare Folge des Widerrufs der Aufnahmezusage – zumindest abstrakt gefährdet sind, durch die pakistanischen Behörden nach Afghanistan abgeschoben zu werden, und ihnen dort Grund- bzw. Menschenrechtsverletzungen drohen könnten. Zwar darf die deutsche Hoheitsgewalt nicht zu etwaigen Verletzungen der Menschenwürde durch einen anderen Staat „die Hand reichen“ (vgl. die von der Antragstellerseite zitierte Entscheidung: BVerfG, B.v. 15.12.2015 – 2 BvR 2735/14 – juris Rn. 62). Die verfassungsrechtliche Verantwortlichkeit der an das Grundgesetz gebundenen öffentlichen Gewalt, und damit auch der Schutzbereich der Grundrechte, enden aber grundsätzlich dort, wo ein Vorgang in seinem wesentlichen Verlauf von einer fremden Macht nach ihrem, von der Bundesrepublik Deutschland unabhängigen Willen gestaltet wird (BVerfG, B.v. 15.3.2018 – 2 BvR 1371/13 – juris Rn. 29 m.w.N.; BVerwG, U.v. 25.11.2020 – 6 C 7.19 – juris Rn. 30 m.w.N.). Beeinträchtigen oder gefährden Handlungen eines anderen Staates ein grundrechtliches Schutzgut im Ausland, liegt ein für die Entstehung einer grundrechtlichen Schutzpflicht des deutschen Staates hinreichend enger Bezug zum deutschen Staatsgebiet nur vor, wenn der andere Staat sein beeinträchtigendes Handeln in wesentlicher Hinsicht vom deutschen Staatsgebiet aus vornimmt bzw. wenn Teilakte des Gesamtgeschehens, die einen relevanten Entscheidungscharakter aufweisen und deshalb für die rechtliche Bewertung maßgeblich sind, im Inland stattfinden (BVerwG, U.v. 25.11.2020 – 6 C 7.19 – juris Rn. 40 ff., 53 ff., insb. 54). Das deckt sich mit der nach Art. 1 Abs. 2 GG gebotenen Berücksichtigung der EMRK bei der Auslegung des Grundgesetzes und der in diesem Zusammenhang ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Auch dieser nimmt eine Verantwortlichkeit eines Unterzeichnerstaates für Menschenrechtsverletzungen, die Vertreter eines Drittstaats auf seinem Territorium begehen, nur an, wenn dies mit der stillschweigenden oder ausdrücklichen Billigung des Signatarstaates geschieht (vgl. die Nachweise bei BVerfG, B.v. 15.3.2018 – 2 BvR 1371/13 – juris Rn. 30; BVerwG, U.v. 25.11.2020 – 6 C 7.19 – juris Rn. 33). Derartiges ist vorliegend jedoch nicht der Fall.
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Dem entsprechend können die Antragsteller auch nicht aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) einen Anspruch auf weitere Versorgung und Unterbringung durch die Antragsgegnerin herleiten. Dieses aus der Menschenwürde sowie aus dem Sozialstaatsprinzip folgende Grundrecht sichert zwar jeder hilfsbedürftigen Person diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für ihre physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind (BVerfG, U.v. 9.2.2010 – 1 BvL 1/09 – juris). Dieses Grundrecht steht jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu“ (vgl. BVerfG, U.v. 18.7.2012 – 1 BvL 10/10 – juris LS 2) und entfaltet folglich keine Auslandswirkungen.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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3. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 und § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
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Der Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.