Inhalt

VGH München, Beschluss v. 10.07.2025 – 11 ZB 25.58
Titel:

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen erkrankungsbedingt fehlender Krankheitseinsicht und Compliance bei Multimorbidität, negatives Fahreignungsgutachten

Normenketten:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 7
Anlage 4 zur FeV Nr. 3
FeV § 46 Abs. 1
FeV § 46 Abs. 3
Anlage 4 zur FeV Nr. 4.1
Anlage 4 zur FeV Nr. 4.2
Anlage 4 zur FeV Nr. 4.4
Anlage 4 zur FeV Nr. 5
Anlage 4 zur FeV Nr. 6
Schlagworte:
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen erkrankungsbedingt fehlender Krankheitseinsicht und Compliance bei Multimorbidität, negatives Fahreignungsgutachten
Vorinstanz:
VG Augsburg, Entscheidung vom 09.12.2024 – Au 7 K 24.633
Fundstelle:
BeckRS 2025, 16938

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 15.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der im Jahr 1934 geborene Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis, die ihm in den Jahren 1951 (Klasse 3), 1963 (Klasse 2) und 1991 (Klasse 1) erteilt wurde.
2
Am 5. November 2021 erfuhr das Landratsamt Augsburg durch polizeiliche Mitteilung, dass der Kläger am 15. Oktober 2021 einen Verkehrsunfall verursacht und sich unerlaubt vom Unfallort entfernt hatte. Aufgrund der Diskrepanz zwischen seiner Wahrnehmung des Unfalls und dem tatsächlichen Unfallhergang bat die Polizei die Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts zu prüfen, ob der Kläger gesundheitlich noch in der Lage sei, am Straßenverkehr teilzunehmen.
3
Mit Beschluss vom 13. Januar 2022 entzog das Amtsgericht Augsburg dem Kläger vorläufig die Fahrerlaubnis. Sein Führerschein wurde am 8. Februar 2022 beschlagnahmt. Mit Verfügung vom 17. Juni 2022 stellte die Staatsanwaltschaft Augsburg das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit ein. Mit Beschluss vom 6. Juli 2022 hob das Amtsgericht Augsburg den Beschluss über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auf.
4
Am 20. September 2022 ging bei der Fahrerlaubnisbehörde eine Mitteilung des Polizeipräsidiums M. ein, mit der Bitte, die Fahreignung des Klägers zu überprüfen. Eine zufällig vorbeikommende Polizeistreife habe am 8. August 2022 beobachtet, dass er nicht in der Lage gewesen sei, sein Fahrzeug auf einen gekennzeichneten Parkplatz zu steuern, obwohl die Lücke überaus groß gewesen sei. Er habe stattdessen das Fahrzeug halb auf der Fahrbahn geparkt, anschließend nur unter großer Mühe aus dem Fahrzeug steigen können und sich die wenigen Stufen zu einer Bäckerei unter großer Anstrengung am dortigen Geländer „hochhangeln“ müssen. Aufgrund des fortgeschrittenen Alters und der erheblichen Bewegungseinschränkung bestünden große Zweifel an der Fahreignung.
5
Auf Anforderung des Landratsamts legte der Kläger hausärztliche Atteste vom 6. Dezember 2021 und vom 6. Oktober 2022 sowie die im Rahmen eines Betreuungsverfahrens erstellten Gutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 12. November 2021 und 13. Juni 2022 vor. Nach dem Erstgutachten litt er zum Zeitpunkt der Unfallflucht an einer neurologischen Erkrankung gepaart mit psychiatrischen Auffälligkeiten. Bei ihm lägen ohne Zweifel die Voraussetzungen des § 21 StGB vor, wahrscheinlich auch die Voraussetzungen des § 20 StGB. Nach dem Zweitgutachten hat sich der Kläger im Vergleich zur Vorbegutachtung deutlich erholt. Sein Gesundheitszustand habe sich erfreulich stabilisiert. Er sei geeignet, die in seinem Zulassungsbereich abgebildeten Fahrzeuge (PKW, Führerschein Klasse B) zu führen.
6
Mit Bescheid vom 18. April 2023 entzog ihm das Landratsamt die Fahrerlaubnis. Hiergegen ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage beim Verwaltungsgericht Augsburg erheben und zugleich die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragen. Diesem Antrag gab das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Juni 2023 mit der Begründung statt, die gleichzeitig, ebenfalls auf § 11 Abs. 2 FeV gestützte Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens in Form einer verkehrspsychologischen Leistungstestung sei rechtswidrig. Daraufhin nahm das Landratsamt mit Bescheid vom 15. Juni 2023 den Entziehungsbescheid zurück und ordnete mit Schreiben vom selben Tag erneut die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens an.
7
Am 6. Februar 2024 brachte der Kläger ein Fahreignungsgutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung vom 17. Januar 2024 bei, wonach bei ihm Erkrankungen (Vorhofflimmern, arterielle Hypertonie, koronare Herzerkrankung, Diabetes mellitus II) vorliegen, die nach Nr. 4.1, 4.2, 4.4 und 5 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung für Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 und 2 in Frage stellen, sowie Erkrankungen (Bewegungsbehinderung, Normaldruckhydrozephalus und damit einhergehender Mangeldurchblutung des Gehirns), die nach Nr. 3 und 6 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung für Kraftfahrzeuge der Gruppe 2 in Frage stellen. Er sei nicht (wieder) in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und 2 vollständig gerecht zu werden. Es liege keine ausreichende Compliance vor.
8
In der Folge wurden u.a. eine hausärztliche Aufstellung von Laborwerten vom 26. Januar 2024 und ein Entlassungsbericht des KKM M. vom 30. November 2019 vorgelegt, wo der Kläger wegen eines akuten Koronarsyndroms behandelt wurde und ihm mehrere Stents gesetzt wurden; ferner ein Arztbrief vom 5. Februar 2024 über eine augenärztliche Untersuchung, die einen Visus auf dem rechten Auge von 0,6 und auf dem linken Auge von 0,1 ergab. Es sei ihm zu einer Operation der Cataracte geraten worden.
9
Unter Bezugnahme auf das Gutachten vom 17. Januar 2024 und nach Anhörung entzog das Landratsamt dem Kläger mit Bescheid vom 5. März 2024 die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein unverzüglich, spätestens binnen sieben Tagen nach Zustellung des Bescheids, beim Landratsamt abzugeben. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an.
10
Hiergegen ließ der Kläger am 13. März 2024 Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht Augsburg erheben und die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragen. Diesem Antrag gab das Gericht mit Beschluss vom 27. Mai 2024 (Au 7 S 24.634) statt, weil das vorgelegte Gutachten nicht schlüssig bzw. nachvollziehbar und nachprüfbar sei.
11
Auf Bitte des Landratsamts ergänzte die Gutachterin mit Schreiben vom 26. Juni 2024 ihr Gutachten.
12
Mit Beschluss vom 19. Juli 2024 änderte das Verwaltungsgericht daraufhin den stattgebenden Eilbeschluss vom 27. Mai 2024 gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO von Amts wegen und lehnte die Gewährung vorläufigen Rechtschutzes ab. Mit Urteil vom 9. Dezember 2024 wies es auch die Klage ab. Nachdem das Fahreignungsgutachten vom 17. Januar 2024 mit den Erläuterungen vom 26. Juni 2024 schlüssig und nachvollziehbar geworden und dargetan sei, dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen im maßgeblichen Zeitpunkt nicht fahrgeeignet gewesen sei, habe das Landratsamt ihm die Fahrerlaubnis entziehen müssen. Die Gutachterin habe die zunächst nicht nachvollziehbare Verbindung der ärztlichen Feststellungen zur Schlussfolgerung fehlender Fahreignung hergestellt und begründet. Der Kläger habe das von ihm angeforderte ärztliche Gutachten vorgelegt, sodass es auf seine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung nicht ankomme. Die festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen würden zwar nicht ausdrücklich einem konkreten Fahreignungsmangel in Anlage 4 zur FeV zugeordnet. Die Zuordnung ergebe sich aber aus dem Zusammenhang der Stellungnahme und in Zusammenschau mit dem Schreiben des Landratsamts vom 3. Juni 2024 an die Begutachtungsstelle, mit dem die Frage der zerebralen Störungen ausdrücklich zu Nr. 4.2.1 Anlage 4 zur FeV aufgeworfen werde. Hinsichtlich des Diabetes mellitus werde nunmehr – auch ohne eindeutige Subsumtion der Problematik unter die relevanten Mängel nach Nr. 5.1 bis 5.6 der Anlage 4 zur FeV – doch deutlich, dass eine stabile Stoffwechsellage im Sinne von Nr. 5.5 der Anlage 4 zur FeV nicht bestätigt werden könne, weil von relevanten Bewusstlosigkeiten auszugehen sei. Die Freiheit von synkopalen oder Kollapszuständen könne mangels entsprechend nachvollziehbarer Befunde, dass solche nicht mehr aufträten, ebenfalls nicht bestätigt werden. Sie könnten durch das bekannte Vorhofflimmern, den Diabetes mellitus, eine nicht adäquate Blutdruckeinstellung oder auch eine fehlerhafte Medikamenteneinnahme verursacht sein. Es sei nicht entscheidend, ob die beim Kläger in der Vergangenheit aufgetretenen Kollapszustände auf dem Diabetes, dem Bluthochdruck, dem Vorhofflimmern oder dem Normaldruckhydrozephalus beruhten, wenn sich die Ursächlichkeit letztlich nicht aufklären lasse. Wie sich aus den Bestimmungen der Anlage 4 zur FeV ergebe, sei jedenfalls bei bestehender Gefahr von plötzlich auftretenden Bewusstseinsstörungen Fahreignung nicht gegeben (vgl. z.B. Nr. 4, 5, 6.4, 6.6 der Anlage 4 zur FeV). Ebenso werde nun verdeutlicht, dass die nach Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV zunächst irrelevante Bewegungsbehinderung (Verlangsamung) sich nicht auf die durchgeführte Knieoperation bezogen habe und in Zusammenschau mit den beobachteten zerebralen Störungen und kognitiven Einschränkungen fahreignungsrelevant sei. Die Gutachterin habe aus dem Gesprächsverhalten des Klägers kognitive Einschränkungen abgeleitet. Entgegen seiner Darstellung in der mündlichen Verhandlung habe nach den Ermittlungsakten auch ein Unfall stattgefunden. Das Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort sei nach dem nervenärztlichen Gutachten vom 22. November 2021 wegen gesundheitlich bedingter, nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit eingestellt worden.
13
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentrat, macht der Kläger eine Abweichung der erstinstanzlichen Entscheidung vom Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. August 2018 (11 CS 18.1270) und ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend. Der Verwaltungsgerichtshof führe in diesem Beschluss aus, dass ein erstelltes Gutachten nach Nr. 2 Buchst. a Satz 1 der Anlage 4a zur FeV nachvollziehbar und nachprüfbar sein müsse, wozu alle wesentlichen Befunde wiedergegeben und die zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen dargestellt werden müssten (Nr. 2 Buchst. a Satz 3 der Anlage 4a zur FeV). Im Rahmen eines Entziehungsverfahrens sei es Sache der Fahrerlaubnisbehörde, die Tatsachen zu ermitteln, die Zweifel an der Fahreignung rechtfertigten. Der Betroffene sei grundsätzlich nur verpflichtet, an der Aufklärung von aus bekannten Tatsachen resultierenden Eignungszweifeln mitzuwirken. Stehe, aus welchen Gründen auch immer, nicht fest, ob der Betreffende geeignet oder ungeeignet sei, so könne die Fahrerlaubnis nicht entzogen werden. Hinsichtlich der Richtigkeitszweifel sei besonders gravierend, dass die unpräzise medizinische Befunderhebung des streitgegenständlichen Gutachtens keine genaue Einordnung der medizinischen Befunde in das juristische System der Anlage 4 FeV zulasse. Dies habe zwangsläufig zur Folge, dass dem Kläger von vorneherein keine einzige der vom Gesetzgeber eigentlich vorgesehenen Ausnahmeregelungen zu Gute komme. Soweit sich das Gutachten auf eine angebliche „Komorbidität“ bzw. „fehlende Compliance“ zurückziehe, helfe dies auch nicht weiter, weil auch diese Begriffe zuerst einmal eine klare Befundlage erforderten. Hinsichtlich der als fahreignungsrelevant eingestuften Bewegungsbehinderungen im Sinne der Nr. 3 Anlage 4 zur FeV sei festzustellen, dass Bewegungsbehinderungen für die Fahreignung der Gruppe 1 und 2 grundsätzlich unschädlich seien; ggf. seien Beschränkungen auf bestimmte Fahrzeuge oder technische Einrichtungen erforderlich. Hierzu lasse sich dem Gutachten nichts entnehmen, sodass dieses insoweit nicht schlüssig sei. Dass der Kläger mit Krücken zur Begutachtung gekommen und insgesamt verlangsamt gewesen sei, sei gerade auch aufgrund der bestätigten Knieoperation ersichtlich nicht ausreichend für eine Verneinung der Fahreignung. Nach Nr. 4.2.1 der Anlage 4 zur FeV schließe erhöhter Blutdruck mit einer zerebralen Symptomatik und/oder Sehstörungen die Fahreignung zwar aus. Von derartigen Symptomen werde jedoch weder im Gutachten noch in dem hausärztlichen Attest vom 9. Januar 2024 berichtet. Fahreignungsrelevant und fachärztlich zu untersuchen seien nach Nr. 4.2.2 der Anlage 4 zur FeV systolische Blutdruckwerte > 180 mmHg oder diastolische Blutdruckwerte > 110 mmHg. Für solche Werte ergäben sich aus den Akten und/oder dem Gutachten keine Anhaltspunkte, insbesondere nicht aus der im Attest vom 9. Januar 2024 besprochenen Langzeitblutdruckmessung, die einen höchsten systolischen Wert von 164 mmHg und einen höchsten diastolischen Wert vom 94 mmHg ergeben habe. Diese Messung habe der Gutachterin mit dem Arztbericht vom 9. Januar 2024 vorgelegen. Insoweit sei nicht nachvollziehbar, woraus sie nunmehr auf die Hypertonie bezogene Eignungsmängel herleite. Wenn sie keine Zuordnung der Erkrankung zu Nr. 4.2.1 oder 4.2.2 der Anlage 4 zur FeV vornehmen könne, spreche dies doch dafür, dass die Vor-aussetzungen für ein Fehlen der Fahreignung wegen Hypertonie gerade nicht vorlägen. Dass der Kläger wegen Vorhofflimmerns und koronarer Herzerkrankung nicht fahrgeeignet sein solle, werde nur mit „erheblichen Auffälligkeiten“ begründet. Gemeint seien wohl die im Absatz vorher referierten erheblichen Auffälligkeiten bei den neurologischen Tests. Wie sich diese wiederum dargestellt hätten, werde auch im Untersuchungsbefund zum Neurostatus nicht deutlich. Bei Herzrhythmusstörungen mit anfallsweiser Bewusstseinstrübung oder Bewusstlosigkeit nach der Nr. 4.1.1 der Anlage 4 zur FeV bestehe Fahreignung erst wieder nach erfolgreicher Behandlung, wenn eine kardiologische Untersuchung vorliege. Auch bei der Erkrankung „Akutes Koronarsyndrom (Herzinfarkt)“ (Nr. 4.4 der Anlage 4 zur FeV) bestehe Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 1 bei komplikationslosem Verlauf, wenn die Ejektionsfraktion > 35% betrage; Fahreignung könne auch für Fahrzeuge der Gruppe 2 sechs Wochen nach dem Ereignis (Herzinfarkt) wieder gegeben sein, eine kardiologische Untersuchung sei jeweils erforderlich. Aus den nach Gutachtenserstellung noch eingereichten Unterlagen, insbesondere dem nachgereichten Bericht vom 30. November 2019, lasse sich nicht verifizieren, dass der Kläger einen Herzinfarkt erlitten habe, was er bei der Begutachtung bestritten habe. Die von der Gutachterin angeforderten weiteren Unterlagen, eine umfassende kardiologische Untersuchung, Herz-Echo und Langzeit-EKG, seien mit dem hausärztlichen Befundbericht vom 9. Januar 2024 vorgelegt worden. Aus dem Gutachten ergebe sich nicht, warum aufgrund dieser kardiologischen Untersuchung auf mangelnde Fahreignung zu schließen sei. Hinsichtlich des Diabetes mellitus Typ 2 habe der Kläger die angeforderte Stellungnahme eines Diabetologen nicht vorgelegt. Trotzdem habe die Gutachterin auch insoweit seine Fahreignung mit der Begründung verneint, sie könne aufgrund eines fehlenden Arztberichts keine Zuordnung zu Nr. 5.1 bis 5.5 der Anlage 4 zur FeV vornehmen. Sie habe daraus aber nicht geschlossen, dass sie die Fahreignung insoweit nicht beurteilen könne, was ebenfalls nicht nachvollziehbar sei. Nach Nr. 5.1 bis 5.5 der Anlage 4 zur FeV bestünden bei Diabetes mellitus keine Bedenken hinsichtlich der Fahreignung bei ausgeglichener Stoffwechsellage. Im Grunde seien Diabetiker ohne (zu erwartende) Krankheitsanzeichen fahrgeeignet. Der Kläger werde auch nicht mit Insulin behandelt, sodass es zunächst auf eine ungestörte Hypoglykämiewahrnehmung im Sinne von Nr. 5.4 der Anlage 4 zur FeV nicht ankomme. Die nach Erstellung des Gutachtens noch beim Landratsamt abgegebenen Laborwerte wiesen hinsichtlich des Glukosewerts keine Werte auf, die auf einen offensichtlich behandlungsbedürftigen Diabetes mellitus hindeuteten. Die vom Kläger teilweise erreichten Zwischenwerte erforderten lediglich weitere Tests, die aber gerade nicht vorgenommen worden seien. Auch hier sei festzustellen, dass die Gutachterin die in Nr. 5.1 bis 5.5 der Anlage 4 zur FeV aufgestellten Voraussetzungen der Fahreignung bzw. Nichteignung nur unscharf benenne und im Rahmen der Befundbewertung zwischen den Fahrerlaubnisgruppen nicht erkennbar trenne. Auch insoweit fehle es daher an einer schlüssigen Begründung des Ergebnisses der Begutachtung. Hinsichtlich des Normaldruckhydrozephalus, der wohl für die nervenärztlich referierten Synkopen, Bewusstseinsstörungen bzw. Kollapszustände verantwortlich gewesen sei, sei die Annahme fehlender Fahreignung ebenfalls nicht nachvollziehbar. Eine Einordnung in die in Anlage 4 zu FeV aufgenommene Liste von fahreignungsrelevanten Erkrankungen sei schwierig, sodass auch hier weitere Ermittlungen und Untersuchungen notwendig gewesen wären. Aber auch hier habe die Gutachterin erkennbar nicht die Schlussfolgerung gezogen, mangels Mitwirkung sei eine abschließende Bewertung nicht möglich gewesen, sondern die Fahreignung einfach verneint. Diese Feststellung sei ebenfalls nicht schlüssig. Soweit die Gutachterin abschließend ausführe, eine weitere Zuordnung der Krankheiten zu einer Unterziffer nach Nr. 4.1, 4.2, 5 und 6 der Anlage 4 zur FeV sei bei dieser Befundlage nicht möglich, wolle sie damit wohl ausdrücken, dass eine Fahreignung aufgrund der vielfältigen gesundheitlichen Probleme des Klägers nicht bestehe (Komorbidität). Insofern fehle ebenfalls eine Begründung der Bewertung dieser Befunde. Die beschriebenen Fehler und Mängel des Gutachtens würden auch nicht dadurch relativiert, dass die Gutachterin dem Kläger die „Compliance“ abspreche, also bemängele, dass er sich seiner gesundheitlichen Probleme nicht bzw. nur zum Teil bewusst sei und sich nicht dementsprechend verhalte. Denn der Kläger habe durchaus ausgeführt, dass er die verschriebenen Medikamente einnehme, wenn auch „nur an der unteren Grenze“. Allein auf eine etwa fehlende „Compliance“ könne die negative Begutachtung daher auch hier nicht gestützt werden.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
15
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
16
Die geltend gemachten Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 4 VwGO, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO; BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI-04 – VerfGHE 59, 47/52; E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 54), sind nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) bzw. liegen nicht vor.
17
Wie der Beklagte zutreffend anführt, ist mit dem Zitat aus dem Beschluss des Senats vom 7. August 2018 (11 CS 18.1270) zu den Anforderungen an ein Fahreignungsgutachten nach Nr. 2 Buchst. a der Anlage 4a zur FeV eine Divergenz im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht dargelegt. Deren Darlegung würde vielmehr die Angabe eines inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatzes erfordern, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines Divergenzgerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Dabei sind die divergierenden Rechtssätze einander präzise gegenüberzustellen (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 3.1.2024 – 3 BN 7.22 – juris Rn. 15; B.v. 23.8.2023 – 1 B 8.23 – juris Rn. 2; B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 15 m.w.N.; Rudisile in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2024, § 124 VwGO Rn. 42 f.; Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 73 m.w.N.). Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 – 2 B 52.14 – juris Rn. 5). Daher genügt es nicht, wenn der Rechtsmittelführer wie hier nur eine seiner Auffassung nach fehlerhafte oder unterbliebene Anwendung eines Rechtssatzes des Divergenzgerichts durch das Erstgericht aufzeigt (vgl. BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 6 B 35.16 – juris Rn. 12 m.w.N.).
18
Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich auch keine ernstlichen Zweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Diese sind immer schon dann anzunehmen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – BVerfGE 151, 173 Rn. 32 m.w.N.; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 16 m.w.N.) und dies zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründet (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9). Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546 Rn. 19). Dies ist hier nicht der Fall.
19
Der Beklagte macht zu Recht geltend, dass bereits sehr fraglich ist, ob der Kläger mit der Darlegung seiner Rechtsansicht, die sich nicht ausdrücklich mit den entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts, insbesondere den Randnummern 123 ff. in dem angegriffenen Urteil, auseinanderzusetzt, noch den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt.
20
Jedenfalls ergeben sich aus seinem Vortrag keine ernstlichen Zweifel an der gerichtlichen Bewertung des Fahreignungsgutachtens. Die Erhebung der medizinischen Befunde ist entgegen der Ansicht des Klägers nicht unpräzise. Seine Erkrankungen wurden vielmehr bereits durch Fachärzte, bei denen er in Behandlung ist oder von denen er aus anderem Anlass begutachtet worden ist, vorerhoben und dem Fahreignungsgutachten zugrunde gelegt. Es haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass insoweit ungenügende oder Fehldiagnosen vorlägen. Seine Ausführungen zu den einzelnen Nummern der Anlage 4 zu der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Entziehungsbescheids zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. März 2024 (BGBl I Nr. 109), gehen am Kern der gutachterlichen Bewertung vorbei, die nicht mit einer bestimmten Ausprägung eines in der Anlage 4 zur FeV beschriebenen Krankheitsbilds begründet worden ist. Schon deshalb stellt der Umstand, dass die Gutachterin nicht jeden Einzelbefund einer Nummer der Anlage 4 zur FeV zugeordnet hat bzw. aufgrund der Befundlage nicht zuordnen konnte, das Ergebnis ihres Gutachtens nicht in Frage.
21
Grundlage der Eignungsbeurteilung im Einzelfall ist nach Nr. 2 der Vorbemerkungen der Anlage 4 zur FeV das Gutachten gemäß § 11 Abs. 2 bis 4 FeV. Die in Anlage 4 zur FeV aufgeführten Erkrankungen beinhalten, wie schon aus dem Wortlaut von § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV („insbesondere“) ersichtlich ist, keine abschließende Aufzählung (vgl. Siegmund in jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 2.6.2025, § 11 FeV Rn. 19; Derpa in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Aufl. 2025, § 11 FeV Rn. 19). Nach Nr. 1 der Vorbemerkungen enthält Anlage 4 zur FeV häufiger vorkommende Erkrankungen und Mängel, die die Fahreignung längere Zeit beeinträchtigen oder aufheben können. Nicht aufgenommen sind Erkrankungen, die seltener vorkommen oder nur kurzzeitig andauern. Während Erkrankungen und Mängel nach Anlage 4 zur FeV die Vermutung der Fahreignungsrelevanz in sich tragen, ist bei sonstigen Erkrankungen, hier beispielsweise der Normaldruckhydrozephalus, zu klären, ob das Krankheitsbild geeignet ist, sich im Straßenverkehr gefahrerhöhend auszuwirken (OVG SH, B.v. 26.4.2017 – 4 LA 4/17 – ZfSch 2017, 537 = juris Rn. 8; NdsOVG, U.v. 18.4.2016 – 12 LB 178/15 – juris Rn. 34; OVG NW, U.v. 30.3.2015 – 16 A 1741/13 – juris Rn. 32 jeweils m.w.N.).
22
Die gutachterliche Beurteilung beruht hier darauf, dass die vom neurologisch/psychiatrischen Gutachter im Rahmen des Betreuungsverfahrens festgestellten Auffälligkeiten sich auch im Gesprächsverhalten in der Fahreignungsbegutachtung und in den Tests zur zentralen Koordination der Motorik gezeigt haben. In der ergänzenden Stellungnahme vom 26. Juni 2024 wird ausgeführt, der Kläger sei aufgrund kognitiver Einschränkungen nicht in der Lage, einem Gespräch zu folgen, die ihm gestellten Fragen zu seinem Gesundheitszustand zu verstehen und zu beantworten, demzufolge auch nicht, Art und Ausmaß der bestehenden Erkrankungen zu erfassen und die verordneten therapeutischen Maßnahmen adäquat umzusetzen, was z.B. dazu führen könne, dass ein ärztlich festgestellter normaler Blutdruck oder die Herzrhythmusstörungen entgleisen könnten. Bei dem komplexen Krankheitsbild des Klägers, bei dem eine gegenseitige Beeinflussung der Erkrankungen in der Symptomatik nicht ausgeschlossen werden könne, seien Krankheitseinsicht und Behandlungscompliance hinsichtlich aller Erkrankungen für die Annahme der Fahreignung erforderlich. Es liegt auf der Hand, dass diese nachvollziehbare Einschätzung nicht mit der Behauptung zu widerlegen ist, dass der Kläger nach seinen Angaben die ihm verschriebenen Medikamente („nur an der unteren Grenze“) einnimmt.
23
Darüber hinaus leitet die Gutachterin aus den festgestellten neurologisch/psychiatrischen Auffälligkeiten schlüssig die verkehrsbezogene Prognose ab, dass der Kläger auch nicht imstande sei, komplexe Verkehrssituationen einzuschätzen und – unter Berücksichtigung der motorischen Verlangsamung – adäquat darauf zu reagieren (vgl. Urteil Rn. 127). In negativer Hinsicht hat sie keine greifbaren Anhaltspunkte für eine Prognose gefunden, die die Kollapszustände bzw. Akutausfälle und Verwirrtheitszustände der Vergangenheit nunmehr ausschließen würde, wobei für diese mehrere Ursachen in Betracht kämen. Das Verwaltungsgericht führt richtig aus (Urteil Rn. 126), dass diese Prognose nicht die Aufklärung der konkreten Ursache(n) der Bewusstseinsstörungen erfordere, da die Fahreignung jedenfalls voraussetze, dass keine Bewusstseinsstörungen zu erwarten seien.
24
Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
25
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i.V.m. mit den Empfehlungen in Nr. 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2025.
26
Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).