Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 30.06.2025 – 201 ObOWi 405/25
Titel:

Absehen vom Fahrverbot bei Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter

Normenketten:
StVG § 24a Abs. 1, § 25 Abs. 1 S. 2
BKatV § 4 Abs. 3
eKFV § 1 Abs. 1
StPO § 261
GG Art. 6
Leitsätze:
Ein Absehen vom gesetzlichen Regelfahrverbot nach den §§ 24a Abs. 1, 25 Abs. 1 Satz 2 StVG i.V.m. § 4 Abs. 3 BKatV kommt nicht allein deshalb in Betracht, weil die Tat mit einem Elektrokleinstfahrzeug (E-Scooter) i. S. d. § 1 Abs. 1 eKFV begangen wurde. (Rn. 10 – 19)
Speziell im Ordnungswidrigkeitenrecht dürfen Angaben zur drohenden Existenzgefährdung des Betroffenen bei Verhängung eines Fahrverbots nicht ungeprüft übernommen werden. Vielmehr ist ein derartiger Vortrag vom Tatrichter im Rahmen der Beweiswürdigung kritisch zu hinterfragen, um das missbräuchliche Behaupten eines solchen Ausnahmefalles auszuschließen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
AAK, Absehen, absolute Fahruntüchtigkeit, abstrakte Gefahr, Alkohol, Alkoholfahrt, Alkoholisierungsgrad, Arbeitgeberbescheinigung, Arbeitsvertrag, Atemalkoholkonzentration, Ausnahme, Berechenbarkeit, Berufskraftfahrer, besondere Umstände, Beweiswürdigung, Bußgeldverfahren, Dauerhaftigkeit, Elektrokleinstfahrzeug, Eltern, erhöhte Gefahr, Entfernung, Ermessen, Entwicklung, Ermessensspielraum, E-Scooter, Existenzverlust, Fahruntüchtigkeit, Fahrtdauer, Fahrerlaubnis, Fahrmanöver, Fahrstrecke, Fahrverbot, Gefahr, Gefährdungspotential, Gefährlichkeit, geistig, Geldbuße, Gesamtschau, Geschwindigkeit, Gesundheit, Grenzwert, Härtefall, Indizwirkung, Kind, Kontrollfähigkeit, Kraftfahrzeug, kritisches Hinterfragen, kritische Verkehrssituation, Kündigung, Lenkbewegung, Logik, Masse, Motivation, Mutter, öffentliche Verkehrsmittel, öffentlicher Verkehrsraum, Personenschaden, Radumfang, Reaktionsfähigkeit, Rechtsbeschwerde, Rechtsbeschwerdebeschränkung, Rechtsfolgenausspruch, Regelbeispiel, Regelfahrverbot, Risiko, Sachrüge, Sachschaden, Schadenseintritt, Säugling, seelisch, Sicherheit, Staatsanwaltschaft, Straßenverkehr, unpassend, unsicher, Tatgericht, Tenor, Tenorierung, Trunkenheitsfahrt, typisch, Umgangsrecht, Unrechtsgehalt, Verkehrssituation, Verkehrsteilnehmer, Verletzungspotential, Wahrscheinlichkeit, Wechselwirkung, Widerlegung, Zustellung, Härtefälle, Gesamtwürdigung, Existenzgefährdung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 16903

Tenor

I. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts vom 13.01.2025 mit den zugrundeliegenden Feststellungen sowie in der Kostenentscheidung aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.
1
Mit Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle im Bayer. Polizeiverwaltungsamt vom 08.10.2024 wurden gegen den Betroffenen, einen Berufskraftfahrer, wegen eines am 01.09.2024 gegen 1:38 Uhr erfolgten Führens eines Kraftfahrzeugs (E-Scooter) mit einer Atemalkoholkonzentration (im Folgenden: AAK) von 0,25 mg/l oder mehr (festgestellte AAK: 0,40 mg/l) eine Geldbuße in Höhe von 500 Euro sowie ein – mit der Vollstreckungserleichterung gemäß § 25 Abs. 2a StVG versehenes – Fahrverbot für die Dauer von einem Monat festgesetzt.
2
Das Amtsgericht hat, nachdem der anwesende Betroffene in der Hauptverhandlung seinen Einspruch auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hatte, diesen mit Urteil vom 13.01.2025 „aufgrund des im Schuldspruch rechtskräftigen Bußgeldbescheids“ zu einer Geldbuße von 1.000 Euro verurteilt. Von dem im Bußgeldbescheid vorgesehenen Fahrverbot von einem Monat hat es demgegenüber abgesehen.
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Ein abgekürztes Urteil des Amtsgerichts wurde der Staatsanwaltschaft, die keine schriftliche Begründung des Urteils beantragt hatte, am 29.01.2025 ohne Gründe („gem. § 41 StPO“) zugestellt, nachdem der Betroffene kein Rechtsmittel eingelegt hatte. Die Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil am 04.02.2025 Rechtsbeschwerde ein, welche sie sogleich begründete. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet insbesondere, dass das Amtsgericht von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen hat. Die am 13.02.2025 nachgefertigten schriftlichen Urteilsgründe wurden der Staatsanwaltschaft am 14.02.2025 zugestellt.
4
Die Generalstaatsanwaltschaft München vertritt die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft und hat in ihrer Stellungnahme vom 30.05.2025 beantragt, das Urteil des Amtsgerichts vom 13.01.2025 auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Dazu hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 19.06.2025 Stellung genommen.
II.
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Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 3 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft erweist sich – zumindest vorläufig – als begründet.
6
1. Die Rechtsbeschwerde ist entgegen der Ansicht der Verteidigung zulässig. Dem Antrag auf Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht ist in Verbindung mit der sich gegen die Nichtverhängung des Fahrverbots wendenden Rechtsbeschwerdebegründung durch Auslegung hinreichend klar die Erhebung der allgemeinen Sachrüge zu entnehmen, die sich, da der Einspruch wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt wurde, nur noch auf diesen bezieht.
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2. Zur Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht gestellt ist das vollständige Urteil des Amtsgerichts in der am 13.02.2025 zur Akte gelangten Fassung. Das Urteil ist nicht schon deshalb aufzuheben, weil die Tatrichterin das zunächst nicht mit Gründen versehene Urteil mit Anordnung der Zustellung an die Staatsanwaltschaft und dortigem Eingang der Akte aus dem inneren Dienstbetrieb des Amtsgerichts herausgegeben hat und es deshalb nicht mehr nachträglich hätte ergänzt werden dürfen.
8
Nachdem die Staatsanwaltschaft keinen Antrag zur schriftlichen Begründung des Urteils gestellt hatte und ein Rechtsmittel seitens des Betroffenen nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist eingelegt wurde, konnte das Urteil der Staatsanwaltschaft ohne Gründe zugestellt werden. Diese Zustellung tritt, nachdem die Staatsanwaltschaft an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hatte, als Form der Bekanntmachung (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 35 Abs. 2 Satz 1 StPO) an die Stelle der mündlichen Urteilsverkündung und setzte die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde in Lauf (BayObLG, Beschluss vom 08.05.1996 – 1 ObOWi 140/96). Nach Fertigung der schriftlichen Urteilsgründe gemäß § 77b Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 OWiG (unter Einhaltung der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO, welche mit der Einlegung der Rechtsbeschwerde zu laufen begann), setzte die Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils an die Staatsanwaltschaft am 14.02.2025 die Frist zur Rechtsmittelbegründung in Lauf (Göhler OWiG 19. Aufl. § 77b Rn. 3).
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3. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil das Amtsgericht mit unzureichender Begründung von der Anordnung des an sich verwirkten Regelfahrverbots abgesehen hat.
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Zwar hat das Amtsgericht nicht verkannt, dass ein Absehen von dem gesetzlich angeordneten Regelfahrverbot nach §§ 24a Abs. 1, 25 Abs. 1 Satz 2 StVG i.V.m. § 4 Abs. 3 BKatV nur in Härtefällen ganz außergewöhnlicher oder wegen besonderer Umstände äußerer oder innerer Art ausnahmsweise in Betracht kommen kann, wenn diese aus dem Rahmen einer typischen Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 StVG derart herausfallen, dass die Verhängung des Regelfahrverbots als offensichtlich unpassend anzusehen wäre (BGH, Beschluss vom 28.11.1991 – 4 StR 366/91; BayObLG, Beschluss vom 28.09.2023 – 202 ObOWi 780/23 m.w.N.). Denn anders als bei den Katalogtaten nach § 4 Abs. 1 und 2 BKatV, in denen ein Fahrverbot lediglich in der Regel „in Betracht“ kommt, ist bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24a StVG gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 StVG i.V.m. § 4 Abs. 3 BKatV in der Regel ein Fahrverbot zu verhängen. Den Gerichten ist deshalb in den Fällen des § 24a StVG bei der Entscheidung darüber, ob von einem Fahrverbot im Einzelfall ausnahmsweise abgesehen werden kann, ein geringerer Ermessensspielraum eingeräumt. Angesichts des höheren Unrechtsgehalts und der Gefährlichkeit einer derartigen Ordnungswidrigkeit versteht sich die grundsätzliche Angemessenheit eines Fahrverbots regelmäßig von selbst (OLG Bamberg, Beschluss vom 02.07.2018 – 3 Ss OWi 754/18).
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Die Feststellungen des Amtsgerichts, soweit sie nicht ohnehin gegen die Grundsätze der Beweiswürdigung verstoßen oder lückenhaft sind, rechtfertigen keine Ausnahme von dem verwirkten Regelfahrverbot.
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a) Es stellt, anders als das Amtsgericht meint, aus Rechtsgründen regelmäßig keinen besonderen Umstand äußerer, aus dem Rahmen einer typischen Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 StVG herausfallenden Art dar, dass der Betroffene die Tat mit einem Elektrokleinstfahrzeug (E-Scooter) i.S.d. § 1 Abs. 1 eKFV begangen hatte. Es handelt sich insoweit lediglich um einen untergeordneten Gesichtspunkt, der allenfalls dann, wenn weitere, hier bislang nicht festgestellte besondere Umstände hinzukämen, im Rahmen einer Gesamtbetrachtung einen Teilaspekt darstellen könnte.
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aa) Der Senat verkennt nicht, dass die Gefährlichkeit eines E-Scooters angesichts des geringeren Gewichts und der bauartbedingten Geschwindigkeit gegenüber den meisten einspurigen Kraftfahrzeugen verringert ist. Gleichwohl kommt diesem Umstand angesichts der weiterhin hohen abstrakten Gefahr, die von einer Trunkenheitsfahrt für die Sicherheit des Straßenverkehrs ausgeht, keine bestimmende Bedeutung derart zu (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.07.1996 – 2 Ss (OWi) 229/96 – (OWi) 81/96 II, zum alkoholisierten Fahrer eines Mofas), dass er allein schon die Indizwirkung des Regelbeispiels nach § 25 Abs. 1 Satz 2, § 4 Abs. 3 BKatV entfallen lässt. Bestimmend sind vielmehr die konkreten Umstände der jeweiligen Fahrt.
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bb) So beziehen sich die Fälle, in denen die Rechtsprechung die Widerlegung der tatbestandlichen Indizwirkung angenommen hat, auf Nutzungen, in denen die Dauerhaftigkeit der Gefahrenlage oder die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts im konkreten Fall deutlich reduziert war, nicht jedoch auf die Art des Kraftfahrzeugs. (BayObLG, Beschluss vom 24.01.2005 – 2 ObOWi 757/04 – Fahrstrecke von wenigen Metern mit ausgeschaltetem Motor; OLG Hamm, Beschluss vom 17.09.1987 – 4 Ss OWi 1114/87; OLG Köln, Beschluss vom 26.08.1993 – Ss 193/93 (B) – jew. Fahrstrecke von wenigen Metern, in der Absicht, eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer durch das abgestellte Fahrzeug zu vermeiden; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.03.1987 – 5 Ss (OWi) 81/87 – 64/87 I (Ls.)).
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cc) Auch einem E-Scooter kommt durch seine Masse und die erreichbare Höchstgeschwindigkeit von immerhin bis zu 20 km/h (§ 1 Abs. 1 eKFV) immer noch ein erhebliches Gefährdungs- und Verletzungspotential für Dritte zu, das noch dadurch verstärkt wird, dass der E-Scooter eine ohne eigene Anstrengung abrufbare Kraft des Elektromotors freisetzt, weshalb die Erreichung hoher Geschwindigkeiten und hoher Beschleunigungen erheblich leichter fällt, als bei einem Fahrrad. Eine solche Kraft muss vom Fahrzeugführer auch beherrscht werden können. Die von E-Scootern ausgehende abstrakte Gefahr ist daher nicht deutlich geringer zu beurteilen als im Fall von Motorrollern oder Mofas.
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dd) Zudem betrifft die sich aus Masse und Geschwindigkeit ableitende Energie, die einem sich bewegenden Fahrzeug innewohnt und die sich im Falle eines Aufpralls oder Sturzes in der Gefahr von Sach- oder Personenschäden niederschlägt, nur einen Teilaspekt, der mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges im öffentlichen Straßenverkehr verbundenen Gefahren. Eine besondere und gegenüber anderen Fahrzeugen sogar erhöhte Gefährlichkeit einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter zeigt sich nämlich darin, dass Gleichgewichtsbeeinträchtigungen und plötzliche Lenkbewegungen angesichts der regelmäßig stehenden Fahrposition und des kleineren Radumfangs deutlich größere Auswirkungen auf die Fahrweise und dadurch hervorgerufene kritische Verkehrssituationen für andere Verkehrsteilnehmer zeitigen können als bei einem anderen Fahrzeug (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 29.06.2021 – 1 OWi 2 SsBs 40/21 m.w.N.).
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Die Fortbewegung im öffentlichen Verkehrsraum stellt sich als in großem Maße geordneter Interaktionsprozess mit einer Vielzahl von Verkehrsteilnehmern dar. Bei einem alkoholisierten oder unter Drogeneinfluss agierenden Verkehrsteilnehmer, bei dem eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass seine Kontroll- und Reaktionsfähigkeit durch den Konsum von Alkohol oder Betäubungsmitteln vermindert ist, besteht ein maßgeblicher Aspekt der konsumbedingten Gefahrenlage darin, den Anforderungen an die im Straßenverkehr geforderten Handlungsweisen nicht mehr genügen zu können. Die Sicherheit des Straßenverkehrs wird in erheblichem Umfang auch dadurch beeinträchtigt, dass die Fahrweise eines unter dem Einfluss der vorgenannten Substanzen stehenden Verkehrsteilnehmers in erhöhtem Maße nicht mehr verlässlich und berechenbar ist und andere Verkehrsteilnehmer ihrerseits gezwungen werden, auf unvorhersehbare Fahrmanöver zu reagieren. Für die von einem E-Scooter ausgehende abstrakte Gefährlichkeit für die Sicherheit des Straßenverkehrs von ausschlaggebender Bedeutung ist daher das Risiko, andere Verkehrsteilnehmer mit einer unsicheren oder nicht berechenbaren Fahrweise mit weiteren möglichen Folgewirkungen zu beeinflussen (OLG Zweibrücken a.a.O.).
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ee) Gemessen an den vorgenannten Ausführungen hält das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
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Die Tatrichterin hat zur Begründung auf die E-Scooter-Eigenschaft des Fahrzeugs abgestellt, ohne die erforderliche Gesamtwürdigung vorzunehmen. So verhalten sich die Urteilsgründe nicht zur Dauerhaftigkeit der Gefahrenlage oder der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts im konkreten Fall, insbesondere nicht zur beabsichtigten Fahrtstrecke, zur Motivation für die Fahrt und zur Verkehrssituation zum Zeitpunkt des Aufgriffs. Keine Berücksichtigung findet auch der für die Entscheidung bestimmende Gesichtspunkt der Höhe der AAK. Diese liegt mit 0,40 mg/l deutlich über dem gesetzlichen Grenzwert, etwa in der Mitte zwischen diesem und der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit und deutet somit auf eine erhöhte abstrakte Gefährlichkeit hin (vgl. BayObLG, Beschluss vom 28.09.2023 – 202 ObOWi 780/23).
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b) Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene als Führer eines Tankfahrzeugs eingesetzt ist, für das Voraussetzung ein Führerschein der Klasse C und eine Einarbeitungszeit von mehreren Wochen ist. Wegen Personalmangels im Betrieb könne seine Tätigkeit nicht von einem anderen Mitarbeiter verrichtet werden. Eine andere Tätigkeit im Betrieb des Arbeitgebers könne der Betroffene wiederum nicht ausüben. Der Betroffene sei von daher nicht einfach durch einen anderen Fahrer zu ersetzen, vor allem vor dem Hintergrund des generellen Arbeitskräftemangels in der Branche. Deshalb könne ihm auch kein Urlaub für die Dauer eines Monats gewährt werden. Bei einer Anstellung des Betroffenen als Berufskraftfahrer sei die Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei „Fehlen eines Führerscheins“ auch durchsetzbar. Eine solche werde der Arbeitgeber auch sicher aussprechen. Dem Betroffenen drohe somit die Vernichtung seiner Existenz.
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Diese Beweiswürdigung (§ 261 StPO; § 71 Abs. 1 OWiG) ist rechtsfehlerhaft und hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
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aa) Allerdings ist die Würdigung der Beweise grundsätzlich Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Seine Feststellungen sind durch das Rechtsbeschwerdegericht in der Regel hinzunehmen. Ihm ist es insbesondere verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatgerichts durch seine eigene zu ersetzen. Die rechtsbeschwerdegerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, wenn sie Lücken aufweist, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden. Ferner ist die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden oder sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lässt, dass die einzelnen Beweisergebnisse in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden. Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr. vgl. nur BGH, Urt. v. 03.07.2024 – 2 StR 28/24 m.w.N.). Speziell im Ordnungswidrigkeitenrecht dürfen Angaben zur drohenden Existenzgefährdung des Betroffenen bei Verhängung eines Fahrverbots nicht ungeprüft übernommen werden. Vielmehr ist ein derartiger Vortrag vom Tatrichter im Rahmen der Beweiswürdigung kritisch zu hinterfragen, um das missbräuchliche Behaupten eines solchen Ausnahmefalles auszuschließen (st. Rspr. vgl. nur BayObLG, Beschluss vom 16.09.2019 – 202 ObOWi 1611/19 m.w.N.).
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bb) Gegen diese Grundsätze der Beweiswürdigung hat das Amtsgericht verstoßen.
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(1) Zunächst einmal hat es sich den Blick dafür verstellt, dass der Betroffene im Falle der Verhängung eines Fahrverbots nicht seine für die Ausübung seiner Tätigkeit als Berufskraftfahrer unabdingbare Fahrerlaubnis verliert, sondern ihm lediglich für die Dauer eines Monats verboten wird, Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr zu führen. Dass sein Arbeitsvertrag bereits für den Fall der Verhängung eines Fahrverbots die Kündigung erlauben würde, ergibt sich aus den Urteilsgründen gerade nicht, weshalb diese insoweit bereits lückenhaft sind.
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(2) Weiterhin hat das Amtsgericht gegen die Grundsätze der Beweiswürdigung verstoßen, weil es die schriftliche Arbeitgeberbescheinigung, in der angekündigt wird, den Betroffenen im Falle der Verhängung eines Fahrverbots zu entlassen, ungeprüft übernommen hat, anstatt sie (beispielsweise durch die persönliche Vernehmung des Arbeitgebers) kritisch zu hinterfragen.
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(3) Vor allem aber widerspricht die Beweiswürdigung den Gesetzen der Logik.
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Warum ein Arbeitgeber einem Mitarbeiter, der während eines verhältnismäßig kurzen, durch die Inanspruchnahme von Urlaub nicht überbrückbaren Zeitraums dem Betrieb nicht zu Verfügung steht, kündigen sollte, während es wegen des allgemeinen Arbeitskräftemangels in der Branche höchst unsicher erscheint, ob ein neuer Mitarbeiter überhaupt eingestellt werden kann, ist nicht nachzuvollziehen. Zudem ist es wirtschaftlich unvernünftig, den Betroffenen wegen eines verhältnismäßig kurzen Zeitraums der Unmöglichkeit seiner Arbeitsleistung zu kündigen, wenn sein Ersatz, sollte er sich überhaupt finden lassen, über mehrere Wochen hinweg eingearbeitet werden müsste und somit dem Arbeitgeber für einen längeren Zeitraum nicht zur Verfügung stünde, als dies beim Betroffenen der Fall wäre.
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c) Soweit das Amtsgericht in der familiären Situation des Betroffenen außergewöhnliche Umstände erblickt und das Absehen von der Anordnung des Regelfahrverbots auch damit begründet, dass dem Betroffenen der Kontakt zu seinem sechs Monate alten, in einer Entfernung von ca. 100 km bei der Kindsmutter lebenden Kind nicht verlorengehen soll, sind die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts zum Vorliegen außergewöhnlicher Umstände durchgreifend lückenhaft. Sie belegen – auch unter Berücksichtigung der Feststellung, dass der Betroffene den Säugling jeden Freitag nachmittags bei der Kindsmutter abholt und ihn am Sonntag gegen 16/17 Uhr zurückbringt, nicht, dass die Einschränkungen des Umgangsrechts angesichts der strengen Maßstäbe für das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots den hierfür erforderlichen Schweregrad erreichen, insbesondere nicht, dass die Auswirkungen einer Existenzgefährdung gleichkommen würden (vgl. BayObLG, Beschluss vom 07.11.2023 – 201 ObOWi 1115/23).
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aa) Zwar genießt das Umgangsrecht eines Elternteils mit seinem Kinde gemäß Art. 6 GG Verfassungsrang. Auch können schlechte öffentliche Verkehrsverbindungen in Verbindung mit einer beträchtlichen Entfernung zwischen dem Wohnort eines Betroffenen und dem Wohnort des anderen Elternteils sowie eingeengte finanzielle Verhältnisse zu einer erheblichen Erschwerung der faktischen Umgangsmöglichkeiten mit dem Kind während der Dauer der Vollstreckung des Fahrverbots führen (vgl. BayObLG a.a.O.).
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bb) Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass selbst ein einmonatiges Entfallen der persönlichen Umgangsmöglichkeit des Betroffenen mit seinem Kind nicht den Schweregrad einer Existenzvernichtung wie bei einem Verlust des Arbeitsplatzes erreicht, weil die Folgen, anders als bei der Existenzgefährdung, regelmäßig nicht über die Dauer des Fahrverbots hinausreichen. Konkrete Feststellungen dahingehend, dass die einmonatige Einschränkung des persönlichen Umgangsrechts des Betroffenen mit seinem Kind ausnahmsweise eine konkrete Gefahr gravierender Folgen für dessen seelische oder persönliche Entwicklung mit sich ziehen könnte, die über die Dauer der Verhängung eines Fahrverbots hinausreichen würde, hat das Amtsgericht nicht getroffen.
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cc) Hinzu kommt, dass die Ausübung des Umgangsrechts des Betroffenen mit seinem Kind in Anbetracht der Verkehrsverbindungen zwischen den Wohnorten der Eltern zwar erschwert, aber auch nicht unmöglich ist.
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Warum die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel zwischen zwei größeren, etwa 100 km entfernten Städten für das Kind unzumutbar sein sollte, erschließt sich dem Senat nicht. Dass dem Kind, das sich beim Transport in einem PKW für eine gewisse Zeit allein in der Obhut des durch den Straßenverkehr in Anspruch genommenen Vaters befindet, durch den bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zusätzlichen Zeitaufwand bei gleichzeitig ununterbrochen möglicher Zuwendung durch den Vater unzumutbare Gefahren oder Unannehmlichkeiten drohen würden, wird vom Amtsgericht zwar behauptet, aber nicht konkret belegt. Spezifische Gesundheitsrisiken für den Säugling sind nicht festgestellt. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum die erhöhte Gefahr einer kindstypischen Infektion bei Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel das allgemeine Lebensrisiko des Kindes unzumutbar erhöhen sollte.
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dd) Das Amtsgericht hat auch keine Feststellungen zu der Frage getroffen, warum es dem Betroffenen nicht möglich sein sollte, den Kontakt zu seinem sechs Monate alten Kind auf anderem Wege als mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Taxi, etwa mit Unterstützung seiner Eltern, etwaiger Geschwister oder von Freunden bzw. durch Entgegenkommen der Mutter, aufrechtzuerhalten.
III.
34
Aufgrund des aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mangels ist auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hin das infolge der wirksamen Einspruchsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch nur noch diesen betreffende Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen und in der Kostenentscheidung aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V. m. § 353 StPO). Wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße betrifft die Aufhebung den gesamten Rechtsfolgenausspruch.
35
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Fürth zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG). Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat schon deshalb verwehrt, da in der neuen Verhandlung ergänzende Feststellungen zu der Frage zu treffen sein werden, ob ein (nur) einmonatiges Fahrverbot für den Betroffenen tatsächlich eine unverhältnismäßige Härte darstellt und diese auch durch Kombination verschiedener Maßnahmen nicht vermieden werden kann.
IV.
36
Der Senat weist darauf hin, dass bei der Tenorierung die bloße Bezugnahme auf den nach wirksamer Einspruchsbeschränkung im Schuldspruch rechtskräftigen Bußgeldbescheid nicht genügt, sondern der in Rechtskraft erwachsene Schuldspruch erkennbar sein muss. Der Tenor ist so zu fassen, wie wenn der Tatrichter selbst entschieden hätte (BayObLG, Beschluss vom 22.02.2023 – 201 ObOWi 66/23 Rn. 6 und v. 12.02.1999 – 1 ObOWi 3/99).
V.
37
Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.
38
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.