Titel:
Meinungsäußerungsfreiheit, Landgerichte, Natürliche Handlungseinheit, Aufhebung, Meinungsfreiheit, Schmähkritik, Ehrenschutz, Landgerichtsurteil, Verfassungswidrigkeit, Unerlässlichkeit, Urteilsgründe, Andere Strafkammer, Äußerungsdelikt, Feststellung, Urteilsfeststellungen, Rechtsfehlerhafte, Grundrechtsschutz, Schutzzweck der Norm, Sachfremde Erwägungen, Strafbarkeit
Schlagworte:
Meinungsfreiheit, Schmähkritik, Kontextbewertung, Tatsachenbehauptung, Beleidigung, Verbreitung, Einziehung
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 11.03.2025 – 18 NBs 114 Js 142905/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 16767
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 11. März 2025 mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Der Angeklagte wird vom Vorwurf der Beleidigung einer Person des politischen Lebens in Tatmehrheit mit Beleidigung einer Person des politischen Lebens in sechs tateinheitlichen Fällen, begangen am 21. Januar 2023 um 20:10 Uhr und 22:45 Uhr (Fälle 33 und 34 des landgerichtlichen Urteils), freigesprochen. Insoweit wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 29. August 2024 aufgehoben.
III. Im Übrigen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.
Gründe
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Die zulässige Revision hat mit der allgemeinen Sachrüge Erfolg.
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1. Soweit dem Angeklagten zur Last liegt, mehrere Abgeordnete des Deutschen Bundestages in zwei „Posts“ dadurch beleidigt zu haben (§ 188 Abs. 1 StGB), dass er sie als „Lobbynutten“ bezeichnete, war er freizusprechen.
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a) Das Landgericht geht bereits fehl, indem es die Äußerung des Angeklagten dahingehend auslegt, dieser habe „letztlich die Behauptung aufgestellt, dass die angesprochenen Politiker sich bei ihren politischen Entscheidungen von eigenen finanziellen Interessen und damit von sachfremden Erwägungen leiten lassen“ (UA S. 9). Damit verkennt es die Reichweite des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Eine Trennung von tatsächlichen und wertenden Bestandteilen einer Äußerung ist nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes droht (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013, 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13, AfP 2013, 389-392, zit. nach juris).
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Aus den Feststellungen des Landgerichts zu den inkriminierten beiden „Posts“ ergibt sich, dass der Angeklagte sich mit ihnen drastisch gegen die seinerzeit kontrovers diskutierte Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine aussprach, zu deren Befürwortern er die mit Fotos bzw. einer Karikatur kenntlich gemachten Politikerinnen und Politiker zählte. Auch wenn er im zweiten „Post“ (22:45 Uhr) zur Begründung ihrer Bezeichnung als „Lobbynutten“ niederlegte, dass „diese Schlangen viel Geld für ihre Auftragspropaganda bekommen“, kann daraus keine konkretisierbare Tatsachenbehauptung hergeleitet werden. Im Vordergrund steht vielmehr eindeutig die Meinungsäußerung des Angeklagten, die mithin grundsätzlich dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG unterfällt.
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b) Diese befindet sich – anders als es das Landgericht ausdrückt – nicht „in der Nähe einer Schmähkritik“ (UA S. 10). Selbst eine für sich genommen herabsetzende Äußerung wird zu einer Schmähkritik erst dann, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2008 – 1 BvR 1318/07 –, juris, Rn. 12). Daran fehlt es vorliegend, da sich der Angeklagten offenkundig mit der Haltung der betroffenen Politiker zu Panzerlieferungen auseinandersetzt.
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c) Die somit unerlässliche Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehre erfordert regelmäßig die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2009 – 1 BvR 2272/04 –, juris, Rn. 28). Diese führt vorliegend zum Freispruch des Angeklagten.
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Zwar ist zuzugeben, dass die sexualbezogene Bezeichnung als „Nutte“ in der Regel so schwer wiegt, dass sie durch die Meinungsäußerungsfreiheit nicht mehr aufgewogen werden kann. Vorliegend wird jedoch durch das verbundene Wort „Lobby“ deutlich, dass nicht käufliche sexuelle Handlungen gemeint sind. Vielmehr soll die vermeintliche Nähe der betroffenen (männlichen und weiblichen) Politiker zu einer nicht näher benannten „Lobby“ karikiert werden. Gerade weil es an jeglicher Konkretisierung fehlt, von wem die betroffenen Politiker „viel Geld für Auftragspropaganda“ erhalten haben sollen, wird dem unbefangenen Leser deutlich, dass es sich um überspitzte, polemische Äußerungen im politischen Meinungskampf zur seinerzeit auch emotional heftig umkämpften Frage von Kampfpanzerlieferungen an die angegriffene Ukraine handelt (vgl. zur Bezeichnung als „korrupt“: BVerfG, Beschluss vom 4. April 2024, 1 BvR 820/24; NStZ-RR 2024, 168). In diesem konkreten historischen Kontext hält der Senat das Gewicht der dem Angeklagten zustehenden Meinungsäußerungsfreiheit trotz des durchaus auch zur persönlichen Kränkung geeigneten Inhalts der Äußerung als gegenüber der Ehre der betroffenen Politiker und Politikerinnen für noch überwiegend.
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Da auszuschließen ist, dass eine neue Hauptverhandlung weitere oder neue Feststellungen zu erbringen vermag, die eine Aufrechterhaltung der Verurteilung wegen Beleidigung begründen könnten, ist das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben und der Angeklagte freizusprechen (§ 353 Abs. 1, § 354 Abs. 1 StPO).
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2. Soweit der Angeklagte darüber hinaus wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen in 33 Fällen (§§ 86a Abs. 1 Nr. 2, 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB) verurteilt wurde, leidet das angegriffene Urteil an durchgreifenden rechtlichen Mängeln.
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a) Für die Auslegung von Äußerungen, deren Strafbarkeit in Betracht kommt, ist die vom Bundesverfassungsgericht für Beleidigungen entwickelte, vorstehend referierte Rechtsprechung heranzuziehen (Senatsbeschluss vom 26. Januar 2024, 206 StRR 362/23, NStZ 2024, 498, 499). Dies gilt auch für den Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. Es ist daher in jedem Fall erforderlich, die Äußerung und ihren Kontext vollständig festzustellen. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine tragfähige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (ständige Rspr., z.B. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2009 -a.a.O., Rn. 31).
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Zwar wird die Verbreitung eines Kopfbildes von Adolf Hitler in der Regel der Strafbarkeit gem. §§ 86 Abs. 1 Nr. 4, 86a StGB unterfallen, ohne dass die ablehnende Haltung des Angeklagten zum Nationalsozialismus etwas daran ändern würde (ständige Rspr., z.B. OLG München, Urteil vom 7. Mai 2015 – 5 OLG 13 Ss 137/15 –, juris, Rn. 20). Ausgenommen von der Strafbarkeit sind jedoch Fälle, in denen das verbotene Kennzeichen in einer Weise dargestellt wird, die offenkundig zum Zweck der Kritik an der verfassungswidrigen Vereinigung oder der dahinter stehenden Ideologie erfolgt, wenn die Verwendung erkennbar verzerrt, also etwa parodistisch verwendet wird, oder sonst dem Schutzzweck des § 86a StGB erkennbar nicht zuwiderläuft. Für diese Wertung sind die gesamten Umstände der Tat zu berücksichtigen. Ergibt dies, dass der Schutzzweck der Norm eindeutig nicht berührt wird, ist das Verhalten straflos. (BGH, Urteil vom 15. März 2007 – 3 StR 486/06 –, BGHSt 51, 244-252, juris Rn. 12) Sind die äußeren Umstände dagegen nicht eindeutig, ist der objektive Tatbestand der Norm erfüllt (OLG München a.a.O., Rn. 21).
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Vorliegend lässt das angegriffene Urteil jegliche Feststellung dazu vermissen, in welcher Größe und in welchem Verhältnis das vom Angeklagten „gepostete“ (Kopf)-Bild Adolf Hitlers im Vergleich zu dem sonstigen Text stand, wo, wie und in welcher Größe das „Kotz-Emoji“ dazu angebracht war und welchen Gesamteindruck der „Post“ vermittelte. Da das Landgericht davon abgesehen hat, auf bei den Akten befindliche Abbildungen zu verweisen (§ 267 Abs. 1 S. 3 StPO), kann sich der Senat kein Bild davon machen, ob – wie der Angeklagte meint (UA S.7) – eine der vorgenannten Ausnahmen von der Strafbarkeit in Betracht kommt.
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Hinzu kommt, dass, wie sich aus den Fällen 4 bis 32 ergibt, der Angeklagte zahlreiche Sendungen als „Antwort“ versandt hat. Ohne Feststellungen dazu, ob und ggf. worauf der Angeklagte geantwortet hat, lässt sich der Inhalt seines „Posts“ nicht sicher feststellen.
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b) Das landgerichtliche Urteil enthält darüber hinaus zu den Fällen 2 und 3 keine ausreichenden Feststellungen zur „Verbreitung“ des „Posts“. Verbreiten ist eine Tätigkeit, durch die das Kennzeichen einem größeren, für den Täter nicht mehr kontrollierbaren Personenkreis zugänglich gemacht wird. Weitergabe an Dritte reicht nur dann aus, wenn feststeht, dass diese den Inhalt mit dem Kennzeichen an Dritte weitergeben (Fischer/Anstötz, Kommentar zum StGB, 72. Aufl., Rn. 15a zu § 86a m.w.N.). Das Urteil teilt lediglich mit, der Angeklagte habe das Bild „gepostet“. Zum Empfängerkreis des „Posts“ fehlen jegliche Feststellungen. Zwar liegt nahe, dass ein „Post“ auf der social-media-Plattform „twitter“ grundsätzlich von jedem Nutzer wahrgenommen werden konnte. Ohne Angaben zu den elektronischen Einstellungen des Angeklagten auf der Nutzerplattform oder dem tatsächlichen Empfängerkreis handelt es sich jedoch lediglich um eine Vermutung, die den Tatbestand nicht auszufüllen vermag (zur Verbreitung via „facebook“ vgl. Senat, Beschluss vom 12. Juni 2025 – 206 StRR 179/25 –, juris).
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c) Für die als „Fälle 4-32“ geschilderten Sendungen des Angeklagten an verschiedene Empfänger ist nach den Urteilsfeststellungen zwar eine Mengenverbreitung des „Posts“ gegeben (Fischer/Anstötz, a.a.O., Rn. 4 zu § 80a). Es könnte damit jedoch nur eine Tat vorliegen. Ohnehin kann sich die Übermittlung mehrerer Inhalte im Zuge der einheitlichen Nutzung eines Messengerdienstes als eine Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit darstellen (BGH, Beschluss vom 18. März 2025 – 3 StR 414/24 –, juris, Rn. 5). Vorliegend erfolgten die Sendungen – bis auf eine Ausnahme – sämtlich am selben Tag; Feststellungen zum jeweiligen Tatentschluss des Angeklagten enthält das Urteil jedoch nicht.
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Die Verurteilung wegen 28 Taten erweist sich daher als rechtsfehlerhaft (vgl. auch Fischer/Fischer, Kommentar zum StGB, 72. Aufl., Rn. 3 vor § 52 m.w.N.).
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3. Soweit der Angeklagte wegen eines weiteren Delikts der Beleidigung gegen eine Person des politischen Lebens (§ 188 Abs. 1 StGB) verurteilt wurde, leidet das Urteil ebenfalls an durchgreifenden rechtlichen Mängeln.
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Wie bereits ausgeführt, ist es bei Äußerungsdelikten in jedem Fall erforderlich, die Äußerung und ihren Kontext vollständig darzustellen.
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Vorliegend hat der Angeklagte ausweislich der Feststellungen „auf einen Beitrag des Nutzers Jagdfrevler“ geantwortet. Dieser Beitrag wird nicht mitgeteilt.
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Auch fehlt es an Feststellungen dazu, wer die Äußerung des Angeklagten wahrnehmen konnte und nach dessen Vorstellung wahrnehmen sollte.
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Soweit das Landgericht die Äußerung des Angeklagten dahingehend auslegt, dieser habe die betroffene Politikerin als „Arschloch“ bezeichnet, ist darauf hinzuweisen, dass die Auslegung im Lichte der Meinungsfreiheit zu erfolgen hat. Die Bezeichnung „Arschloch-Goebbels-Imitatorin“ ist, anders als das Landgericht ausführt (UA S. 9) nicht eindeutig in diesem Sinne zu verstehen. Auch ist die „Imitatorin“ eines „Arschlochs“, anders als das Landgericht meint, nicht zwingend selbst eines. Dass das Landgericht eine Abwägung zwischen Ehrenschutz einerseits und Meinungsfreiheit andererseits nicht vorgenommen hat, stellt sich daher als rechtsfehlerhaft dar.
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Das angefochtene Urteil war daher – soweit der Angeklagte nicht vom Senat freigesprochen wurde – mit den ihm zu Grunde liegenden Feststellungen aufzuheben und an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückzuverweisen, §§ 353, 354 Abs. 2 StPO.
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4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
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a) Das Landgericht hat das vom Angeklagten genutzte „Tablet iPad Pro silber“ als Tatmittel eingezogen, was grundsätzlich nicht zu beanstanden ist (Lohse in Leipziger Kommentar zum StGB, 14. Aufl. 2024, Rn. 18b zu § 74 m. w. N.). Die Einziehungsentscheidung liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters (Fischer/Lutz, Kommentar zum StGB, 72. Auflage 2025, Rn. 22 zu § 74). Dass sich dieser dessen bewusst war, sollte aus den Urteilsgründen hervorgehen.
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b) Wird dem Täter durch die Einziehung ein Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, so ist dieser Wert grundsätzlich zu ermitteln und bei der Gesamtbetrachtung der Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Februar 2020, 4 StR 525/19, zitiert nach juris, dort Rn. 3; Fischer, a.a.O., Rn. 3, 22 zu § 74; jeweils m. w. N.).