Titel:
Anforderung an den Inhalt eines ärztlichen Zeugnisses über eine bestehende medizinische Kontraindikation gegen eine Masern-Impfung, Kindergartenkind, das noch nicht in einer Gemeinschaftseinrichtung betreut wird, Allgemeine Feststellungsklage
Normenketten:
VwGO § 43
VwGO § 91
IfSG § 20 Abs. 9 S. 1 Nr. 2 Alt. 2
IfSG § 20 Abs. 13 S. 1
Leitsatz:
Eine allgemeine Feststellungsklage ist zulässig, wenn ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung eines Rechtsverhältnisses besteht und die Kläger ihr Ziel nicht im Wege einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage verfolgen können. (Rn. 21-24)
Schlagworte:
Anforderung an den Inhalt eines ärztlichen Zeugnisses über eine bestehende medizinische Kontraindikation gegen eine Masern-Impfung, Kindergartenkind, das noch nicht in einer Gemeinschaftseinrichtung betreut wird, Allgemeine Feststellungsklage
Fundstelle:
BeckRS 2025, 16306
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Kläger begehren mit ihrer Klage die Feststellung, dass sie durch die Vorlage eines ärztlichen Attestes im Hinblick auf ihren Sohn V. die sich aus dem Infektionsschutzgesetz ergebende Verpflichtung zur Vorlage eines Masernschutznachweises erfüllt haben.
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Streitgegenständlich war ursprünglich die gegenüber den Klägern ergangene Anordnung des Beklagten vom 4. Februar 2025, einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern für ihren am ... 2022 geborenen Sohn V. bzw. eine medizinische Kontraindikation gegen eine entsprechende Impfung nachzuweisen.
3
Nachdem das Landratsamt Rosenheim, Gesundheitsamt, mit E-Mail vom 27. Januar 2025 vom Kath. Kinderhaus … … in … am Chiemsee über einen fehlenden Masernschutz des Sohnes der Kläger für eine Anmeldung in den Kindergarten und über die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über eine dauerhafte oder vorübergehende medizinische Kontraindikation, aufgrund derer eine Masernschutzimpfung (derzeit) nicht möglich ist, informiert worden war, wurde den Klägern mit Schreiben des Beklagten vom selben Tag mitgeteilt, dass diese als Sorgeberechtigte ihres Sohnes verpflichtet sind, einen der – im weiteren näher aufgeführten – Nachweise nach § 20 Abs. 9 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vorzulegen. Da die Kindertageseinrichtung des Kindes gemeldet habe, dass der vorgelegte Nachweis ein ärztliches Attest über eine Kontraindikation sei, wurden die Kläger, um die inhaltliche Richtigkeit und Echtheit des Nachweises überprüfen zu können, um Vorlage des Nachweises bei Gesundheitsamt … bis spätestens 11. Februar 2025 gebeten. Zugleich wurde ein Beratungsgespräch angeboten und mitgeteilt, dass – für den Fall der Nichtvorlage des Nachweises – beabsichtigt sei, die Anforderung des Masernschutznachweises förmlich anzuordnen. Daher gelte dieses Schreiben gleichzeitig als Anhörung nach Art. 28 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG).
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Mit Schreiben vom 2. Februar 2025 übermittelten die Kläger ein ärztliches Attest über das Vorliegen medizinischer Kontraindikationen gegen die Masern-Schutzimpfung des Internisten und Nephrologen Dr. med. … … vom 17. Februar 2023, in dem unter Angabe der Diagnosen: Z83.2G, Z84.0G bescheinigt wurde, dass bei dem Kind der Kläger die gesetzlich gebotene Schutzimpfung gegen Masern kontraindiziert sei. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Nutzen-Risiko-Abklärung bei Vorliegen der o.g. Diagnosen die Gefahr von bleibenden gesundheitlichen Störungen bei dem Kind ergebe. Die Masern-Impfung sei deshalb bei diesem kontraindiziert.
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Daraufhin forderte der Beklagte die Kläger mit Bescheid vom 4. Februar 2025 auf, dem Landratsamt Rosenheim, Staatliches Gesundheitsamt, innerhalb von acht Wochen nach Bekanntgabe dieses Bescheides einen der näher bezeichneten Masernschutznachweise vorzulegen. Die am 2. Februar 2025 eingereichte Bescheinigung vom 17. Februar 2023 könne nicht als Nachweis anerkannt werden. Bei der Diagnose Z83.2 handele es sich um „Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe sowie bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems in der Familienanamnese“ und bei der Diagnose Z84.0 um „Krankheiten der Haut und der Unterhaut in der Familienanamnese“. Von der Erkrankung in der Familienanamnese könne nicht auf eine Kontraindikation gegen die Masernimpfung des Kindes geschlossen werden; es werde keine fachlich nachvollziehbare medizinische Kontraindikation gegen die Masernimpfung bescheinigt.
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Mit am 26. Februar 2025 bei Gericht eingegangenem Schreiben vom 22. Februar 2025 erhoben die Kläger „Einspruch“ gegen den Bescheid vom 4. Februar 2025 mit der Bitte, diesen aufzuheben sowie das Attest anzuerkennen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der geforderte Nachweis durch Vorlage des ärztlichen Attestes vom 17. Februar 2023 erbracht worden sei. Ausweislich der Fachinformationen zu den Mumps-Masern-Röteln-Impfstoffen „ProQuad“ und „M-M-RvaxPro“ seien als Gegenanzeigen eine „kongenitale oder erbliche Immundefizienz bzw. Immunschwäche in der Familienanamnese, es sei denn, die zu impfende Person hat ein nachgewiesenermaßen intaktes Immunsystem“ aufgeführt. Diese Gegenanzeigen würden sich auf die Diagnose Z83.2 der Familienanamnese beziehen. Die Aussage des Beklagten, dass durch eine Erkrankung in der Familienanamnese nicht auf eine Kontraindikation gegen die Masernimpfung geschlossen werden könne, sei damit nachweislich falsch. Auch den Ausführungen des Robert-Koch-Instituts zufolge sei die Frage nach dem Vorliegen einer medizinischen Kontraindikation wie jede ärztliche Maßnahme im Einzelfall nach dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft zu beurteilen. Dies sei vorliegend durch das vorlegte Attest erfolgt. Im Übrigen werde der Sohn derzeit noch gar nicht im Kindergarten betreut. Er sei lediglich ab Mai 2025 angemeldet worden. Um die Anmeldung zu vervollständigen, müsse das Gesundheitsamt das Attest erst anerkennen.
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Mit Bescheid vom 18. März 2025 nahm der Beklagte den Bescheid vom 4. Februar 2025 zurück. Da der Sohn der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides nicht in einer Gemeinschaftseinrichtung betreut wurde, sei der Bescheid vom 4. Februar 2025 rechtswidrig gewesen.
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Auf die Aufforderung des Gerichtes, nach Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides das gerichtliche Verfahren für erledigt zu erklären, teilten die Kläger mit Schreiben vom 2. April 2025 mit, dass das gerichtliche Verfahren derzeitig noch nicht für erledigt erklärt werden könne. Das Gesundheitsamt habe die Kindergartenleitung darüber informiert, dass das Attest nicht anerkannt werde. Dadurch hätten sie den vereinbarten Betreuungsplatz im Kindergarten ab 1. Mai 2025 nicht bekommen und ihr Sohn sei vom Kindergartenbesuch vorerst ausgeschlossen worden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof verlange in der Entscheidung vom 7. Juli 2021 (25 CS 21.1651, Rn. 14 ff.) von dem Attest, dass es wenigstens solche Angaben zur Art der medizinischen Kontraindikation enthalten müsse, die das Gesundheitsamt in die Lage versetzen, das ärztliche Zeugnis auf Plausibilität hin zu überprüfen. Lediglich bei „Blanko“-Attesten sei es nicht möglich, eine Plausibilitätsprüfung vorzunehmen. Bei dem vorgelegten Attest seien Diagnosen genannt, die unmittelbar mit Gegenanzeigen in den Fachinformationen der Impfstoffe in Zusammenhang stünden. Bei den Diagnosen handele es sich um international anerkannte ICD-10 Diagnosen, mit denen Krankheiten medizinisch einheitlich klassifiziert werden könnten und die auch in anderen ärztlichen Attesten als medizinischer Standard gelten würden. Damit sei für das Gesundheitsamt eine Plausibilitätsprüfung möglich und die Anforderungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs erfüllt. Zugleich wurde auf einen Beschluss des VG Regensburg vom 20. August 2024 – RO 5 E 24.1907 – und auf das gesetzliche Prüfprogramm des § 20 Abs. 12 Sätze 1-4 IfSG hingewiesen. Der Beklagte werde aufgefordert, die Ablehnung des Attestes gegenüber dem Kindergarten zurückzunehmen und stattdessen die Bestätigung an den Kindergarten und an die Kläger zu senden, dass ein ärztliches Zeugnis vorgelegt worden sei, welches den Anforderungen von § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG genüge und das die Vorlagepflicht dieser Vorschrift erfülle.
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Mit Schreiben vom 14. April 2025 erwiderte der Beklagte, dass im ärztlichen Attest vom 17. Februar 2023 keine näheren Angaben zu den konkreten Krankheiten in der Familienanamnese und zu den Verwandtschaftsverhältnissen zwischen erkrankten Familienmitgliedern und dem betreffenden Kind gemacht worden seien. Zudem müsse beachtet werden, dass die gestellten Diagnosen ein sehr großes Spektrum von Erkrankungen beinhalten würden, von denen die wenigsten erblich bedingt seien. Vielmehr handele es sich überwiegend um Erkrankungen, die spontan auftreten würden und auf multifaktorielle Faktoren zurückzuführen seien, wie beispielsweise Mutationen durch Umwelteinflüsse. Daher könne von den genannten Diagnosen in der Familienanamnese nicht auf eine medizinische Kontraindikation gegen die Masern-Impfung bei dem Kind geschlossen werden. Weiterhin müsse davon ausgegangen werden, dass von dem attestierenden Facharzt eine Erbkrankheit mit der zutreffenden ICD-Diagnose hätte benannt werden können, so dass keine Zweifel an der Plausibilität des ärztlichen Attests hätten entstehen müssen. Darüber hinaus wäre im Falle einer Erbkrankheit sehr wahrscheinlich bereits eine genetische Untersuchung des Kindes erfolgt, da die Kenntnis einer Erbkrankheit sehr wichtig sei, um medizinische Maßnahmen zum Wohle des Kindes frühzeitig ergreifen zu können. Da das Kind nicht in einer Gemeinschaftseinrichtung betreut werde und daher eine förmliche Anforderung i.S.v. § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG unzulässig wäre, sei dem Kinderhaus … … mitzuteilen gewesen, dass das ärztliche Attest aus fachlicher Sicht nicht anerkannt werden könne. Somit dürfe die Einrichtung das Kinder der Kläger gemäß § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG nicht betreuen.
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Hierauf erwiderten die Kläger mit Schreiben vom 29. April 2025, dass das Gesundheitsamt sie so behandele, als ob sie gar kein Attest vorgelegt hätten. Um die Kindergartenanmeldung für September 2025 noch zu ermöglichen, sei beabsichtigt, in der mündlichen Verhandlung eine Feststellungsklage zu erheben, in der gerichtlich festgestellt werden solle, dass ein ärztliches Zeugnis vorgelegt worden sei, das den Anforderungen des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG genüge und welches die Vorlagepflicht nach dieser Vorschrift erfülle.
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Am 2. Juni 2025 fand die mündliche Verhandlung statt, in der die Kläger beantragten,
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festzustellen, dass durch Vorlage des ärztlichen Attestes des Dr. med. … … vom 17. Februar 2023 die Vorlageverpflichtung der Kläger aus §§ 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2, Abs. 13 Satz 1 IfSG bezüglich ihres Sohnes … …, geb. … … …, erfüllt ist.
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Der Beklagte, dessen Vertretung durch die Regierung von Oberbayern, Prozessvertretung, in der mündlichen Verhandlung am 2. Juni 2025 erklärt wurde, beantragte
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet und war daher abzuweisen.
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1. Die Klage ist – entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung am 2. Juni 2025 gestellten Klageantrag – als allgemeine Feststellungsklage nach § 43 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig.
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1.1. Der am 26. Februar 2025 fristgerecht und auch im Übrigen zulässig erhobenen Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO gegen den Bescheid vom 4. Februar 2025 wurde mit der Rücknahme dieses Bescheides am 18. März 2025 durch den Beklagten die Grundlage entzogen, so dass grundsätzlich nur mehr auf Antrag der Ausspruch, dass der (zurückgenommene) Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO im Wege der sogenannten Fortsetzungsfeststellungsklage in Betracht kommt.
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Ungeachtet dessen, dass die Kläger einen entsprechenden Klageantrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des zurückgenommenen Bescheides vom 4. Februar 2025 bereits nicht gestellt haben, ist Sachurteilsvoraussetzung der sogenannten Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO das erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsaktes. Dieses ist in den Fallgruppen der hinreichend bestimmten konkreten Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses, der Absicht zum Führen eines Schadensersatzprozesses und des objektiven Rechtsklärungsinteresses bei sich typischerweise kurzfristig erledigenden tiefgreifenden Grundrechtseingriffen anerkannt. Dass die Voraussetzungen eines solchen besonderen Fortsetzungsfeststellungsinteresses vorliegend gegeben wären, wurde weder von den Klägern geltend gemacht noch ist dies für das Gericht sonst ersichtlich. Mangels Aufnahme des Sohnes der Kläger in einen Kindergarten ist insbesondere weder eine nochmalige Aufforderung zur Vorlage eines Masernschutznachweises noch ein Betretungsverbot seitens des Beklagten zu erwarten, so dass es an der hinreichend bestimmten konkreten Wiederholungsgefahr, die allein vorliegend in Betracht kommen könnte, fehlt.
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Im Übrigen könnten die Kläger mit einer Fortsetzungsfeststellungsklage und dem damit verfolgten Ausspruch, dass der Bescheid vom 4. Februar 2025 rechtswidrig war, ihr mit der Klage verfolgtes Ziel, dass ihr Sohn in den Kindergarten aufgenommen wird, nicht erreichen, so dass eine Fortsetzungsfeststellungsklage auch nicht geeignet wäre, die Rechtsposition der Kläger zu verbessern. Dass der Bescheid vom 4. Februar 2025 rechtswidrig gewesen ist, ist zwischen den Parteien im Übrigen unstreitig, anderenfalls der Beklagte diesen Bescheid nicht zurückgenommen hätte.
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1.2. Die von den Klägern in der mündlichen Verhandlung vom 2. Juni 2025 beantragte Feststellung, dass durch Vorlage des ärztlichen Attestes des Dr. med. … … vom 17. Februar 2023 die Vorlageverpflichtung der Kläger aus §§ 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2, Abs. 13 Satz 1 IfSG bezüglich ihres Sohnes erfüllt ist, ist jedoch als allgemeine Feststellungsklage zulässig.
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Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.
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Als Rechtsverhältnis im Sinne dieser Vorschrift werden die rechtlichen Beziehungen angesehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben (so insbesondere die Rechtsprechung des BVerwG, z.B. BVerwGE 136, 54 Rn. 24). Nach dieser Rechtsprechung setzt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis ferner voraus, dass zwischen den Beteiligten dieses Rechtsverhältnisses ein Meinungsstreit besteht, aus dem heraus sich eine Seite berühmt, ein bestimmtes Tun oder Unterlassen der anderen Seite verlangen zu können (vgl. Eyermann, 16. Aufl. 2022, VwGO § 43 Rn. 12, beck-online).
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Die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob das von den Klägern vorgelegte ärztliche Attest vom 17. Februar 2023 ein ärztliches Zeugnis darstellt, das den Anforderungen des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG genügt und damit die Kläger ihre Vorlagepflicht nach dieser Vorschrift erfüllt haben, stellt ein solches feststellungsfähiges Rechtsverhältnis dar. Die Kläger haben auch ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung, da ihr Sohn zum 1. September 2025 in den Kindergarten gehen soll und die Entscheidung darüber, ob das ärztliche Attest vom 17. Februar 2023 den Anforderungen des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG genügt, auf anderem Wege für die Kläger nicht zu erreichen ist. Insbesondere steht der allgemeinen Feststellungsklage nicht der Grundsatz der Subsidiarität entgegen, da die Kläger ihr mit der Klage verfolgtes Ziel – wie oben ausgeführt – gerade nicht im Wege einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage verfolgen können (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
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1.3. Das Gericht erachtet die Änderung der Klage von der Anfechtungszur allgemeinen Feststellungsklage auch für sachdienlich, da sie zu einer Klärung der Gesamtsituation führt, so dass die Klageänderung zulässig ist (§ 91 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen hat sich der Beklagte in der mündlichen Verhandlung auch auf die geänderte Klage eingelassen (§ 91 Abs. 2 VwGO).
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2. Die zulässige Feststellungsklage ist jedoch unbegründet, da die Kläger keinen Anspruch auf die beantragte Feststellung haben, da sie durch Vorlage des ärztlichen Attestes des Dr. med. … … vom 17. Februar 2023 die Vorlageverpflichtung aus §§ 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2, Abs. 13 Satz 1 IfSG bezüglich ihres Sohnes V. nicht erfüllt haben.
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2.1. Nach § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG hat eine Person, die u.a. in einer Gemeinschaftseinrichtung nach § 33 Nr. 1 IfSG (Kindertageseinrichtung, Kinderhort) betreut wird, der Leitung der jeweiligen Einrichtung vor Beginn ihrer Betreuung ein ärztliches Zeugnis darüber, dass sie aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden kann, vorzulegen. Soweit – wie hier – die verpflichtete Person minderjährig ist, hat derjenige für die Einhaltung der diese Person nach den Absätzen 9 bis 12 treffenden Verpflichtungen zu sorgen, dem die Sorge für diese Person zusteht (§ 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG). Dabei hat der Gesetzgeber mit § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG nicht nur eine Vertretung des Kindes durch den Personensorgeberechtigten, sondern eine Übertragung der Verpflichtung auf den Sorgeberechtigten statuiert (BayVGH, B.v. 6.10.2021 – 25 CE 21.2383 – juris Rn. 8).
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2.2. Einen solchen Nachweis haben die Kläger mit dem ärztlichen Attest vom 17. Februar 2023 nicht erbracht.
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Welche Angaben ein ärztliches Zeugnis über eine medizinische Kontraindikation enthalten muss, lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht konkret entnehmen. Der obergerichtlichen Rechtsprechung zufolge muss das ärztliche Zeugnis im Sinne von § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG wenigstens solche Angaben zur Art der medizinischen Kontraindikation enthalten, die das Gesundheitsamt in die Lage versetzen, das ärztliche Zeugnis zu überprüfen. Nicht ausreichend ist ein ärztliches Zeugnis, das lediglich den Gesetzeswortlaut des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Altern. 2 IfSG wiederholt und sich insoweit auf die bloße Behauptung beschränkt, dass eine medizinische Kontraindikation vorliegt, ohne diese konkret zu benennen. Das ärztliche Attest muss die Kontraindikation wiedergeben und deshalb den die Impfung hindernden Umstand bezeichnen und warum dieser einer Masernimpfung entgegensteht (BayVGH, U.v. 5.12.2024 – 20 BV 24.1343 – juris Rn. 44 ff.).
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Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben erfüllt das ärztliche Attest vom 17. Februar 2023 diese Mindestanforderungen an ein ärztliches Zeugnis nicht. Zwar wurde das Attest von einem Arzt, einem Internisten und Nephrologen, ausgestellt und enthält sowohl die Angabe einer gesicherten Diagnose als auch eine ärztliche Begründung. Die diagnostizierten Erkrankungen Z83.2 (Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe sowie bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems in der Familienanamnese) und Z84.0 (Krankheiten der Haut und der Unterhaut in der Familienanamnese) beinhalten jedoch ein sehr großes Spektrum von Erkrankungen, von denen – den Angaben des Beklagten zufolge – die wenigsten erblich bedingt sind und auch die wenigsten als medizinische Kontraindikation gegen die Masernimpfung anzuerkennen wären. Dem ärztlichen Attest vom 17. Februar 2023 lässt sich nicht entnehmen, wer in der Familie des Sohnes der Kläger welche Erkrankung hat bzw. gehabt hat, welche Erkrankung konkret beim Sohn der Kläger vorliegt und warum diese einer Masernimpfung entgegensteht. Auch die Begründung, dass „die Nutzen-Risiko-Abwägung bei Vorliegen der genannten Diagnosen die Gefahr von bleibenden gesundheitlichen Störungen bei V. ergebe und die Masern-Impfung deshalb bei V. kontraindiziert sei“ ist so allgemein gehalten, dass es an der Plausibilität des Nachweises einer medizinischen Kontraindikation fehlt.
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Soweit von den Klägern im Rahmen der Klagebegründung ausgeführt wird, dass ausweislich der Fachinformationen zu den Mumps-Masern-Röteln-Impfstoffen „ProQuad“ und „M-M-RvaxPro“ als Gegenanzeigen eine „kongenitale oder erbliche Immundefizienz bzw. Immunschwäche in der Familienanamnese, es sei denn, die zu impfende Person hat ein nachgewiesenermaßen intaktes Immunsystem“ aufgeführt seien und sich diese Gegenanzeigen sich auf die Diagnose Z83.2 der Familienanamnese beziehen würde, verfängt dieser Vortrag nicht, da sich dem vorgelegten ärztlichen Attest vom 17. Februar 2023 gerade nicht entnehmen lässt, dass bei dem Sohn der Kläger eine kongenitale oder erbliche Immundefizienz bzw. Immunschwäche vorliegt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 VwGO.
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4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).