Titel:
Asylklage, Ugander, NUP, Inhaftierung, Glaubhaft, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Griechenland, Keine Bindung an Zuerkennung in Griechenland, Ergebnisoffene Prüfung, „Gesicht der NUP“ in seinem Bereich
Normenketten:
AsylG § 3
AsylG § 78
AufenthG § 60
GG Art. 16a
Schlagworte:
Asylklage, Ugander, NUP, Inhaftierung, Glaubhaft, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Griechenland, Keine Bindung an Zuerkennung in Griechenland, Ergebnisoffene Prüfung, „Gesicht der NUP“ in seinem Bereich
Fundstelle:
BeckRS 2025, 16274
Tenor
I.Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17. Juli 2023 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II.Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klagepartei vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der 1985 geborene Kläger ist ugandischer Staatsangehöriger, reiste am 26. Juni 2021 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 28. Juli 2021 einen Asylantrag.
2
Bei seiner Anhörung am 19. Juli 2022 trug er vor, dass er seit 2020 für die Partei „National Unity Platform“ (NUP) Aktivist gewesen sei. Seine Aufgabe sei es gewesen, Mitglieder in seinem Heimatbezirk zu werden. Er habe es geschafft, 10.000 Einwohner als Mitglieder zu werben. Im Oktober 2020 sei er erstmals verhaftet worden und nach zwei Tagen mit einer Verwarnung freigelassen worden, er solle sich nicht mehr in die Politik einmischen. Bei einer Kundgebung sei er dann verhaftet und für zwei Wochen inhaftiert worden. Dabei sei er geschlagen worden und habe zwei Zähne verloren. Während seiner Inhaftierung sei auch seine Frau von Sicherheitskräften bedroht und seine Farm verwüstet worden. Sein Vorgesetzter in der Partei habe ihm nach seiner Freilassung geraten, das Land zu verlassen, da er getötet werden könnte. Er sei dann nicht nach Hause gegangen. Er sei noch einmal angegriffen worden und es sei ihm knapp gelungen zu entkommen. Er sei mit seiner Frau nach Kenia gefahren, habe aber dort befürchtet, nach Uganda rücküberstellt zu werden. Er habe derzeit keinen Kontakt mehr zu Mitgliedern der NUP und sei nicht mehr Parteimitglied. Er befürchte, bei einer Rückkehr nach Uganda verhaftet zu werden.
3
Dem Kläger wurde am 12. Februar 2021 der Flüchtlingsstatus durch Griechenland zuerkannt. Da die Lebensbedingungen in Griechenland sehr schlecht gewesen seien und er sich dort vor ugandischen Spionen nicht sicher gefühlt habe, habe er Griechenland verlassen und sei mit seiner Familie nach Deutschland weitergereist. Bei seiner Anhörung durch die griechischen Behörden am 3. Februar 2021 gab der Kläger an, als Mobilisierer für die NUP gearbeitet zu haben. Er sei zwei Mal verhaftet worden, einmal für zwei Tage und einmal für zwei Wochen. Dort sei er geschlagen worden, ihm sei dabei ein Zahn ausgeschlagen worden. Er sei freigelassen worden mit der unmissverständlichen Drohung, dass er damit rechnen müsse getötet zu werden, wenn er seine Aktivitäten für die NUP fortsetze.
4
Mit Bescheid vom 17. Juli 2023 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) sowie auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 4). Es forderte die Klagepartei auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde die Abschiebung nach Uganda oder in einen anderen Staat, in den eingereist werden darf oder der zur Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Der Bescheid wurde dem Kläger am 21. Juli 2023 zugestellt.
5
Die Klagepartei hat am 4. August 2023 Klage erhoben (M 5 K 23.31527) und beantragt,
6
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. Juli 2023 – zugestellt am 21. Juli 2023 – zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten und als Flüchtling gemäß § 3 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) anzuerkennen, hilfsweise dem Kläger subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) hinsichtlich Uganda vorliegen.
7
Das Bundesamt müsse den streitgegenständlichen Bescheid aufheben und ein neues Asylverfahren unter Einbeziehung und Würdigung der von den griechischen Behörden vorgelegten Akten durchführen. Auch die Qualität der Übersetzung der Anhörung in Griechenland mittels e-Tool sei sehr schlecht.
8
Das Bundesamt hat die Akten vorgelegt und beantragt,
10
Mit Beschluss vom 20. März 2024 wurde das Verfahren M 5 K 23.31527 ausgesetzt. Mit Verfügung vom 19. März 2025 wurde das Verfahren unter dem Aktenzeichen M 5 K 25. 30972 fortgesetzt.
11
Das Bundesamt teilte mit Schreiben vom 16. Februar 2025 mit, dass sich auch unter Berücksichtigung der eingeholten Unterlagen der griechischen Behörden im Rahmen des dort durchgeführten Asylverfahrens keine neuen Erkenntnisse ergäben. Der streitgegenständliche Bescheid vom 17. Juli 2023 bleibe aufrechterhalten. Mit Schriftsatz vom 5. Februar 2025 wurde mitgeteilt, dass auf der Grundlage der von den griechischen Behörden übermittelten Unterlagen eine ergebnisoffene und aktualisierte Überprüfung des Bescheids vom 17. Juli 2023 durchgeführt worden sei.
12
Am 23. Juni 2025 fand mündliche Verhandlung statt.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren, die vorgelegte Behördenakte sowie auf das Protokoll vom 23. Juni 2025 verwiesen.
Entscheidungsgründe
14
Die zulässige Klage, über die trotz Fernbleibens eines Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO), ist begründet. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 des Asylgesetzes/AsylG) einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes/GG) sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt gem. § 3 AsylG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Bescheid des Bundesamtes ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist deshalb aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten wie auch als Flüchtling anzuerkennen.
15
1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a Abs. 1 GG) sowie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Das Gericht ist nach dem persönlichen Eindruck, den es vom in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, von der Glaubhaftigkeit seines Vortrags und der Glaubwürdigkeit des Klägers überzeugt.
16
a) Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Griechenland bindet die deutschen Asylbehörden nicht (EuGH, U.v. 18.6.2024 – C-753/22 – NVwZ 2024, 1153, juris Rn. 56 ff.). Vielmehr ist auf der Grundlage der Erkenntnisse im vorangegangenen Asylverfahren in Griechenland ergebnisoffen das Asyl- und Schutzgesuch des Klägers zu prüfen (EuGH, U.v. 18.6.2024 – C-753/22 – NVwZ 2024, 1153, juris Rn. 76 ff.). Aus dieser Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist nicht abzuleiten, dass das Bundesamt bei einem noch nicht rechtkräftig abgeschlossenen Asylverfahren auf der Grundlage der Erkenntnisse im vorangegangenen Asylverfahren ein komplett neues Asylverfahren durchführen muss. Es genügt eine Prüfung dieser Erkenntnisse im Rahmen des durchgeführten, noch nicht abgeschlossenen Asylverfahrens, was u.U. zu einer Abhilfe führen kann. Die Verwaltungsgerichte haben eine den genannten Maßstäben entsprechende Prüfung vorzunehmen, wenn sie nicht bereits im Verfahren beim Bundesamt erfolgt ist (BVerwG, U.v. 24.3.2025 – 1 C 5.24, 1 C 6.24, 1 C 7/24 – Pressemitteilung des BVerwG Nr. 21/2025 vom 24.3.2025).
17
b) Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. Anerkennung als Asylberechtigter (bei Einreise auf dem Luftweg) dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG liegt nach § 3a AsylG bei Handlungen vor, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1959 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte bestehen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Als Verfolgung im Sinne des Abs. 1 können unter anderem gemäß § 3a Abs. 2 AsylG die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden oder auch unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten. Dabei muss zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen gemäß § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen.
18
Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG vom Staat oder von Parteien oder Organisationen ausgehen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder aber von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob im Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
19
Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn im Herkunftsland eine interne Schutzmöglichkeit besteht, § 3e AsylG.
20
c) Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzuwenden. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33/07 – juris Rn. 37).
21
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann dabei sowohl auf tatsächlich erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung bereits vor der Ausreise im Herkunftsstaat (Vorverfolgung) oder auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat (Nachfluchtgründe), insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist (§ 28 Abs. 1a AsylG).
22
d) Der der Prognose zugrunde zu legende Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit bleibt auch dann unverändert, wenn der Ausländer bereits Vorverfolgung erlitten hat. Allerdings ist nach Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 – Qualifikationsrichtlinie – (ABl. L 337 S. 9) die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Dies ist im Sinne einer widerlegbaren tatsächlichen Vermutung zu verstehen (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – juris Rn. 23).
23
e) Das Gericht muss auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage von der Richtigkeit seiner gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle richterliche Überzeugung erlangt haben (vgl. BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6/13 – juris Rn. 18).
24
Für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens gilt nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, die sich in Art. 4 Abs. 1, 2 und 5 der Qualifikationsrichtlinie widerspiegeln, dass es dem Ausländer obliegt, von sich aus umfassend die Gründe für das verfolgungsbedingte Verlassen der Heimat substantiiert, unter Angabe genauer Einzelheiten und in sich stimmig darzulegen.
25
Der Vortrag, insbesondere zu den in die eigene Sphäre fallenden Ereignissen, muss geeignet sein, den Schutzanspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, U.v. 24.3.1987 – 9 C 321/85 – juris Rn. 9).
26
Das Gericht muss sich in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit des von dem Ausländer behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschaffen, wobei allerdings der typische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Herkunftsland bei der Auswahl der Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrags und der Beweise angemessen zu berücksichtigen ist. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit unvereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann, es sei denn, die Widersprüche und Unstimmigkeiten können überzeugend aufgelöst werden (vgl. BVerwG, U.v. 12.11.1985 – 9 C 27/85 – juris Rn. 11 ff.; B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – juris Rn. 3).
27
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wie auch für die Anerkennung als Asylberechtigter beim Kläger vor.
28
Der Kläger hat letztlich glaubhaft vorgetragen, dass er aufgrund seiner Tätigkeit für die Partei „National Unity Platform“ (NUP) und zu Bobi Wine in Uganda verfolgt wurde und bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit weiteren Verfolgungsmaßnahmen rechnen muss.
29
Das Gericht ist im Ergebnis davon überzeugt, dass der Kläger bis zu seiner Ausreise offensiv für die Partei „National Unity Platform“ (NUP) Mitglieder geworben hat („Mobilisierer“). Es ist auch glaubhaft, dass er dabei zahlreiche Menschen für die Partei gewonnen hat. Entsprechende Aussagen hat er im Kern übereinstimmend sowohl in seiner Anhörung bei den griechischen Asylbehörden am 3. Februar 2021 wie auch bei seinen Anhörungen vor dem BAMF am 30. August 2021 und am 19. Juli 2022 gemacht. Der Kläger hat diese wiederholten Tätigkeit für die Partei aus Überzeugung von der Richtigkeit der Ziele der NUP ins Werk gesetzt. Das Gericht hat die Überzeugung gefunden, dass er in dem Bereich, in dem er für die Partei NUP tätig war, zu einem der „Gesichter“ der Partei wurde. Damit spielte er für das in Uganda herrschende Regime eine herausgehobene Rolle in der Opposition.
30
Diese Einschätzung beruht auf dem persönlichen Eindruck, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf das Gericht gemacht hat. Er hat bei seiner informatorischen Anhörung die Fragen im Wesentlichen ernsthaft, konzentriert und widerspruchsfrei beantwortet und insgesamt einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Er hat stimmig und nachvollziehbar geschildert, dass er sich intensiv um die Mitgliederwerbung bemüht habe und von vielen Oppositionellen, die verhaftet worden seien, als derjenige identifiziert würde, der sie für die Partei geworben habe. Soweit das Bundesamt in seinem Bescheid vom 17. Juli 2023 angibt (dort S. 3, 2. Absatz), dass der Kläger derzeit keinen Kontakt zu Mitgliedern der NUP habe und auch kein Mitglied der Partei mehr sei, so ist das in dieser pauschalen Formulierung nicht zutreffend. Der Kläger hat bei seiner Anhörung am 19. Juli 2022 (Protokoll S. 7, 2. Und 3. Absatz) angegeben, dass er in Griechenland gemerkt habe, dass es sehr schwer sein werde und er nicht mehr zurückgehen wolle und dass er von hier aus die Partei nicht unterstützen könne. Deswegen habe er alles beendet. Er sei kein Mitglied der Partei mehr, da er die Mitgliedskarte nicht habe. Er habe alles im Wasser verloren. Eine Distanzierung von den Zielen der NUP (was aus der Formulierung des Bescheids gefolgert werden könnte) ist aus diesen Aussagen nicht erkennbar. Wenn er wegen räumlichen Distanz seien Aktivitäten für die Partei beendet, so ist das nachvollziehbar. Soweit der Kläger seinen Mitgliedsausweis der NUP verloren hat, so kann er damit seine Mitgliedschaft nicht nachweisen. Auch der Umstand, dass der Kläger kurz vor den Wahlen auf Rat des Generalsekretärs das Land verlassen hat, spricht nicht gegen die Glaubhaftigkeit des Klägers und das vorgetragene Verfolgungsschicksal. Denn es ist nachvollziehbar, dass sich die Situation für die erkennbaren Aktivisten der NUP in dieser konkreten Gegend kann zugespitzt hat, sodass ernsthafte persönliche Konsequenzen für die Aktivisten der Partei gedroht haben. Angesichts der berichteten Einschüchterungen und Verhinderung der Tätigkeit der Opposition durch Übergriffe der ugandischen Sicherheitskräfte ist das auch ohne weiteres nachvollziehbar (vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung, Länderbericht Januar 2021, Wahlen in Uganda). Auch die vom Kläger geschilderten Festnahmen von Parteifreunden, weshalb er das auch für sich bei einer Rückkehr befürchte, fügen sich in dieses Bild.
31
Auch wenn Bobi Wine erst Anfang November 2020 als Präsidentschaftskandidat nominiert wurde, war er bereits 2018 durch seine Musik sehr populär und in der Politik engagiert. Angesichts der auf einen Machterhalt ausgerichteten Führungselite Ugandas ist es plausibel, wenn ein junger, aufstrebender und populärer Musiker und Politiker mitsamt dem ihn unterstützenden Umfeld ins „Fadenkreuz“ der herrschenden Regierung gerät. Wie in den Erkenntnismitteln berichtet wird, gehören zu den Mitteln, oppositionelle Politiker in ihrer Arbeit zu behindern, auch polizeiliche Maßnahmen, wie etwa Festnahmen (vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung, Länderbericht Januar 2021, Wahlen in Uganda). Es ist daher plausibel, dass entsprechende Maßnahmen auch gegenüber Personen eingesetzt werden, die dem Unterstützerkreis von populären Oppositionspolitikern zugerechnet werden. Ein solches Vorgehen hat der Kläger geschildert. Eine Suche der Polizei nach dem Kläger und die mehrmalige Verhaftung, die sich in der Dauer steigert, sowie das Niederbrennen der Farm und der Molkerei des Klägers fügen sich in das Bild, das insbesondere im zitierten Bericht der Konrad-Adenauer-Stiftung gezeichnet wird. Das gilt auch im Vorfeld der im Januar 2021 durchgeführten Wahlen. Die Maßnahmen im Jahr 2020 fügen sich in das Bild ein, die Wirkung der Opposition bereits im Vorfeld der Wahlen einzuschränken und herausgehobene Unterstützer möglichst einzuschüchtern und dadurch einzugrenzen. Auch wenn sich der Kläger seit Januar 2021 nicht mehr in Uganda aufhält, so hat sich bei der Wahl im Januar 2021 Bobi Wine als ernsthafter Konkurrent des amtierenden Präsidenten herausgestellt. Es ist daher davon auszugehen, dass die regierende Führungselite nach wie vor ein großes Interesse hat, auch das oppositionelle Umfeld von Bobi Wine zu beherrschen. Die Kläger ist diesem Umfeld auch aufgrund ihrer Bekanntheit als „Gesicht der Partei“ in seiner Region nach wie vor zuzurechnen. Hinzu kommt, dass im Januar 2026 wieder turnusmäßig Präsidentschaftswahlen anstehen. Dabei wird die an der Macht befindliche Führungselite wieder einen Erhalt ihrer politischen Macht anstreben.
32
Einer Entscheidung über die hilfsweise gestellten Anträge bedurfte es nicht, da der Kläger mit seinem Hauptantrag Erfolg hat.
33
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.