Titel:
Streitwert einer einstweiligen Verfügung gegen einen Grundlagenbeschluss für eine Erhaltungsmaßnahme
Normenketten:
GKG § 49, § 53 Abs. 1 Nr. 1, § 68 Abs. 3
ZPO § 3
Leitsätze:
1. Der Streitwert der Anfechtung eines Grundlagenbeschlusses über Erhaltungsmaßnahmen richtet sich grundsätzlich nach den Gesamtkosten der Maßnahme als Gesamtinteresse iSv § 49 S. 1 GKG. Das Einzelinteresse des Klägers iSv § 49 S. 2 GKG richtet sich nach der anteiligen Kostenlast des Klägers. (Rn. 14)
2. Wenn es bei der Anfechtung eines Beschlusses über Erhaltungsmaßnahmen nur um den erforderlichen Aufwand oder die richtige Auswahl unter Sanierungsvarianten geht, richtet sich das Gesamtinteresse nur nach der bloßen Kostendifferenz. (Rn. 14)
3. In Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist das Interesse nur mit einem Bruchteil des Hauptsachewertes zu beziffern. Dabei ist in der Regel der Ansatz von 1/3 des Hauptsachwertes angemessen. (Rn. 19)
Maßgeblich für die Wertfestsetzung bei einer einstweiligen Verfügung ist das Interesse des Antragstellers an der Sicherungsmaßnahme zu Zeitpunkt der Antragstellung. Dieses Interesse ist zumeist nur mit einem Bruchteil zu beziffern. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wohnungseigentümergemeinschaft, Grundlagenbeschluss, Streitwert, Sonderumlage, Gesamtinteresse, Einzelinteresse, einstweilige Verfügung, Kostendifferenz, Sanierungsvarianten
Vorinstanz:
LG München I, Beschluss vom 17.12.2024 – 1 T 14471/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 16062
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 17.12.2024, Az. 1 T 14471/24 WEG, abgeändert:
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf € 322.495,69 festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Festsetzung des Streitwerts durch das Landgericht.
2
Die Antragstellerin beantragte unter dem Datum vom 21.09.2024 bei dem Amtsgericht München im Wege der einstweiligen Verfügung, der Antragsgegnerin zu untersagen, die auf der Eigentümerversammlung vom 11.06.2024 gefassten Beschlüsse zu TOP 3.2 a) und b) zu vollziehen und von der Antragstellerin die anteilige Sonderumlage einzufordern, und die Antragsgegnerin zur Unterlassung zu verpflichten, Maßnahmen zur Umsetzung der Beschlüsse zu TOP 3.2 a) und b) zu ergreifen.
3
Als Streitwert gab die Antragstellerin den Betrag von € 80.623,00 berechnet als 1/6 von € 483.743,54 an.
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Zu TOP 3.2 a) hatten die Wohnungseigentümer u.a. die Erhebung einer Sonderumlage in Höhe von € 2.032.000,00 zum 01.10.2024 beschlossen. Zu TOP 3.2 b) hatten die Wohnungseigentümer die Erhebung weiterer Sonderumlagen jeweils in Höhe von € 2.032.000,00 jeweils zum 01. Oktober der Jahre 2025, 2026 und 2027 beschlossen.
5
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 06.11.2024 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Zugleich hat es den Streitwert auf € 967.487,08 festgesetzt. Nach § 3 ZPO sei das hälftige Interesse der Klägerin anzusetzen. Insgesamt betragen die Sonderumlagen, die die Klägerin in den Jahren 2024 bis 2027 nach den gegenständlichen Beschlüssen zu leisten hat, 4 x 483.743,54 = 1.934.974,16. Die Hälfte davon betrage € 967.487,08.
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Mit Schriftsatz vom 20.11.2024 hat der Bevollmächtigte der Antragstellerin in deren Namen sofortige Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt und die Anträge aus der Antragsschrift vom 21.09.2024 wiederholt.
7
Das Landgericht München I hat mit Beschluss vom 17.12.2024 die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen. Zugleich hat das Landgericht den Wert des Beschwerdeverfahrens auf € 967.487,08 festgesetzt. Die ebenfalls in Betracht kommende Berechnung nach einem Bruchteil des Gesamtinteresses in Anwendung des § 49 GKG übersteige die erkennbaren wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin.
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Der Bevollmächtigte der Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 10.01.2025 in deren Namen Streitwertbeschwerde erhoben und beantragt, den Streitwert auf € 96.748,70, hilfsweise auf € 161.247,84 festzusetzen.
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1. Die Beschwerde ist zulässig.
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Die Streitwertbeschwerde der Antragstellerin ist gemäß § 68 Abs. 1 GKG zulässig, insbesondere sind die Frist des § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG in Verbindung mit § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG eingehalten und der Beschwerdewert von 200 Euro gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG überschritten.
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2. In der Sache hat die Beschwerde teilweise Erfolg. Der Streitwert ist für das Beschwerdeverfahren auf € 322.495,69 festzusetzen.
12
a) Die Bemessung des Streitwertes richtet sich nach den §§ 53 Abs. 1 Nr. 1, 49 GKG, 3 ZPO. Nach § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG bestimmt sich der in Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 3 ZPO. Maßgeblich für die Wertfestsetzung ist das Interesse des Antragstellers an der Sicherungsmaßnahme im Zeitpunkt der Antragstellung. Wegen des in der Regel nur vorläufigen Charakters der erstrebten Eilmaßnahme ist dieses Interesse zumeist nur mit einem Bruchteil des Hauptsachewertes zu beziffern (BeckOK KostR/Jäckel, 48. Ed. 1.2.2025, GKG § 53 Rn. 5, beck-online).
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b) Das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin geht dahin, die Sonderumlagen nicht zu den beschlossenen Zeitpunkten, nicht in der beschlossenen Höhe und nicht für Maßnahmen, für die die ausreichende Entscheidungsgrundlage fehlt, zahlen zu müssen. Die Hauptsache ist die Anfechtung der Beschlüsse zu TOP 3 a) und b), mit denen auch die Erhebung der Sonderumlagen beschlossen wurde.
14
Der Streitwert der Anfechtung der Grundlagenbeschlüsse richtet sich grundsätzlich nach dem Gesamtinteresse aller Wohnungseigentümer, § 49 S. 1 GKG. Beschließen die Wohnungseigentümer eine Erhaltungsmaßnahme (Instandhaltung/Instandsetzung) und wird der Beschluss angefochten, richtet sich das Gesamtinteresse nach den Gesamtkosten der Maßnahme und das Einzelinteresse des Klägers nach der anteiligen Kostenlast (Bärmann/Göbel, 15. Aufl. 2023, GKG § 49 Rn. 21, beck-online; Suilmann in: Jennißen, Wohnungseigentumsgesetz, 8. Auflage 2024, § 49 GKG 2004, Rn. 24; Bärmann/Pick/Fichtner, 21. Aufl. 2025, WEG Anh. § 44 Rn. 38E). Diese Grundsätze gelten auch für die Anfechtung eines Grundlagenbeschlusses über die Erhaltungsmaßnahme (BGH, Beschluss vom 15.6.2023 – V ZR 222/22, NZM 2023, 644 Rn. 3). Das Gesamtinteresse bei Anfechtung von beschlossenen Erhaltungsmaßnahmen richtet sich nur nach der bloßen Kostendifferenz, wenn es um den erforderlichen Aufwand bzw. Sanierungsvarianten geht (Bärmann/Pick/Fichtner, 21. Aufl. 2025, WEG Anh. § 44 Rn. 38EW, beck-online).
15
Die Antragstellerin hat vorgetragen, die gegenständlichen Beschlüsse verstoßen gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Verwaltung, weil kein Gutachten über den tatsächlichen Sanierungsbedarf und mögliche Alternativen und keine Alternativangebote vorliegen. Zudem habe die Antragstellerin einen Anspruch auf Anpassung des Kostenverteilungsschlüssels.
16
Das kann dahin zu verstehen sein, dass die Antragstellerin nicht generell die Erforderlichkeit von Erhaltungsmaßnahmen und deren Durchführung in Abrede stellt, aber davon ausgeht, nach Beauftragung eines Gutachtens über den tatsächlichen Sanierungsbedarf und mögliche Alternativen und nach Einholung von Alternativangeboten würde ein geringerer Betrag durch eine Sonderumlage zu erheben sein. Zudem soll sich der auf sie entfallende Anteil noch dadurch verringern, dass sie zu einem geringeren Anteil als nach ihren Miteigentumsanteilen belastet wird, weil sie einen Anspruch auf Änderung des Verteilungsschlüssels habe. Dabei hat die Antragstellerin nicht die Auffassung vertreten, dass der Anspruch dahin gehe, sie völlig von der Kostenlast der Erhaltung der Fassade der Wohneinheiten zu befreien.
17
c) Damit kann hier auf die zu schätzende Kostendifferenz abgestellt werden. Ausgangspunkt für die Bemessung ist der hälftige Betrag der von der Antragstellerin zu leistenden Sonderumlagen in Höhe von € 967.487,08. Die Antragstellerin hat nicht dargelegt und es liegt auch nicht nahe, dass sie einen Anspruch auf völlige Freistellung von den Kosten der Fassadensanierung hätte. Die gewünschte Herabsetzung des auf die Antragstellerin entfallenden Kostenanteils durch alternative Sanierungsmöglichkeiten, Alternativangebote und durch eine Anpassung der Kostenverteilung zugunsten der Antragstellerin kann – mangels konkreter Angaben der Antragstellerin – auf 50% geschätzt werden.
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d) Dabei kann entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht nur auf die Höhe der bereits zum 01.10.2024 fälligen Sonderumlage abgestellt werden. Bereits das Amtsgericht hat in der Festsetzung des Streitwerts auf den Gesamtbetrag der auf die Antragstellerin entfallenden Sonderumlagen abgestellt. Gleichwohl hat die Antragstellerin in ihrer Beschwerde auch den Antrag auf Untersagung der Vollziehung des Beschlusses zu TOP 3.2 b) wiederholt. Aufgrund der eindeutigen Antragsstellung kann das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin nicht nur auf die nach dem Beschluss zu TOP 3.2 a) zu leistende Sonderumlage beschränkt werden.
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e) Nach allgemeiner Meinung ist ein Bruchteil des Werts der Hauptsache anzusetzen (Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 3 ZPO, Rn. 16_63). Auch hier erscheint der Ansatz von 1/3 des Werts der Hauptsache angemessen. Dies entspricht einem Betrag in Höhe von € 322.495,69.
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3. Wegen der Zulässigkeit der Beschwerde sind im Beschwerdeverfahren keine Gebühren entstanden; eine Kostenerstattung für Auslagen findet nicht statt (§ 68 Abs. 3 Satz 1 und 2 GKG).