Titel:
Iran, Sofortverfahren, Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Stattgabe, unzulässiger Folgeantrag, keine erneute Abschiebungsandrohung, ernstlichen Zweifel an der Unzulässigkeitsentscheidung, erheblich wahrscheinlicher Beitrag zu günstigerer Entscheidung, exilpolitische oppositionelle Aktivitäten durch Demonstrationsteilnahmen verbunden mit regimefeindlichen Aktionen sowie in den sozialen Medien, Tätowierung mit islam- und regimekritischen sowie israelfreundlichen Motiven, übermäßiger Alkohol- und Drogenkonsum bis hin zur Suchterkrankung
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5
AsylG § 71
AsylG § 36 Abs. 4
Schlagworte:
Iran, Sofortverfahren, Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Stattgabe, unzulässiger Folgeantrag, keine erneute Abschiebungsandrohung, ernstlichen Zweifel an der Unzulässigkeitsentscheidung, erheblich wahrscheinlicher Beitrag zu günstigerer Entscheidung, exilpolitische oppositionelle Aktivitäten durch Demonstrationsteilnahmen verbunden mit regimefeindlichen Aktionen sowie in den sozialen Medien, Tätowierung mit islam- und regimekritischen sowie israelfreundlichen Motiven, übermäßiger Alkohol- und Drogenkonsum bis hin zur Suchterkrankung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 16054
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Verfahrens W 8 K 25. … gegen die Unzulässigkeitsentscheidung in Nr. 1 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Mai 2025 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung seines Asylfolgeantrages als unzulässig.
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Der Antragsteller ist iranischer Staatsangehöriger. Ein erster Asylantrag wurde mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 7. September 2018 abgelehnt und die Abschiebung in den Iran angedroht. Seine Klage gegen den Bescheid wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 17. März 2023 (Az. AN 1 K 18. …*) abgewiesen. Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 17. Dezember 2024 (Az. 14 ZB 23. …*) ab.
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Am 5. Mai 2025 stellte der Antragsteller einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Zur Begründung ließ er durch seinen Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 30. April 2025 vorbringen: Er verweise auf eine Reihe von Tätowierungen auf seinem Körper, die neu seien und aufgrund derer er bei einer Rückkehr in den Iran mit Verfolgung und menschenrechtswidriger Behandlung zu rechnen habe. In seiner eigenen schriftlichen Folgeantragsbegründung vom 5. Mai 2025 führte der Antragsteller im Wesentlichen aus: Er habe an vielen Demonstrationen in B. , F. , M. und G. teilgenommen. Unter anderem an der M. Sicherheitskonferenz 2023, 2025 usw. An vielen Orten habe er die Flagge der islamischen Republik … mit Füßen getreten. Er sei ein entschiedener Gegner des Islams und der unmenschlichen Gesetze, die im Koran geschrieben stünden. Seit Anfang 2025 habe er begonnen, Tätowierungen machen zu lassen, die im Iran gefährliche Konsequenzen haben könnten. Zu seinen Tätowierungen gehörten Symbole, die im Iran verboten seien: Das Logo der zoroastrischen Religion mit dem Spruch „der Weg in dieser Welt ist einer, und das ist der Weg der Wahrheit“ sowie das Symbol der Löwe-und-Sonne-Flagge, das über 2000 Jahre alt sei und die Flagge der Monarchie im alten I. dargestellt habe. Die islamische Republik … sei ein Gegner aller historischen Symbole und Identitäten. Er habe auch eine Tätowierung des ersten Menschenrechtekodex der Welt, verfasst vor über 2500 Jahren von Kyros dem Großen. Er habe eine Tätowierung der israelischen Flagge mit zwei Davidsternen und der Monarchie-Flagge I. in Form zweier ineinander verschränkter Hände, ein Symbol der Freundschaft zwischen Iranern und Israelis. Außerdem habe er die Unterschriften von R. P. … und die des israelischen Premierministers Be. N. tätowiert. Daraus folge, dass er ein entschiedener Gegner des Regimes der islamischen Republik I. sei. Als Beweis habe er habe entsprechende Fotos und Beiträge auf seinem I.-Profil sowie Tätowierungen auf seinem Körper.
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Mit Bescheid vom 16. Mai 2025 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für die Antragsgegnerin den Antrag als unzulässig abgelehnt (Nr. 1). Weiter lehnte es den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 7. September 2018 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG ab (Nr. 2). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Der Antrag sei unzulässig, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Neu seien Elemente oder Erkenntnisse, die nach rechtskräftigem Abschluss des vorangegangenen Verfahrens entstanden oder zutage getreten seien. Die neuen Elemente oder Erkenntnisse müssten mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Ausländer günstigen Entscheidung beitragen. Der Antragsteller müsse einen schlüssigen, aus sich heraus bereits verständlichen Sachvortrag präsentieren, aus dem sich entweder ein Bezug auf die Kernelemente der vorangegangenen Entscheidung ergebe, indem eine Änderung dargelegt werde, oder der Elemente enthalte, die Kernelemente einer neuen Entscheidung werden könnten, indem ein neuer Sachverhalt dargelegt werde. Dabei sei der erheblich wahrscheinliche Beitrag zu einer günstigen Entscheidung anzunehmen, wenn der Sachvortrag bei abstrakter Betrachtung die Voraussetzungen einer Schutzgewährung erfülle. Der neue Sachvortrag müsse die Qualität haben, nunmehr zur Zuerkennung internationalen Schutzes führen zu können. Weiter sei der Antrag nur zulässig, wenn der Antragsteller ohne eigenes Verschulden außerstande gewesen sei, die Gründe für den Folgeantrag im früheren Asylverfahren geltend zu machen. Diesen Anforderungen werde das Vorbringen des Antragstellers nicht annähernd gerecht. Der völlig unsubstantiierte und undetaillierte Sachvortrag vermöge nicht ansatzweise zu einer günstigeren Entscheidung zu führen. Es sei weder ersichtlich, wann die angeblichen Tattoos gefertigt worden seien, was sie abbildeten und an welchem Körperteil sie zu finden seien. Darüber hinaus sei nicht nachvollziehbar, inwiefern der Antragsteller deshalb unmenschliche Behandlung zu befürchten hätte, zumal es in seinem Einflussbereich läge, niemanden vermeintlich anstößige Tattoos zu zeigen. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu zu § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG seien im vorliegenden Fall ebenfalls nicht gegeben.
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Am 6. Mai 2025 ließ der Antragsteller im Verfahren W 8 K 25. … Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und gleichzeitig im vorliegenden Sofortverfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
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Zur Begründung ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigen mit Schriftsatz vom 3. Juni 2025 im Wesentlichen ausführen: Der Antragsteller trage auf beiden Händen und Unterarmen dauerhaft sichtbare Tätowierungen, die eine Vielzahl von Symbolen enthielten, welche in der islamischen Republik … mit oppositionellen, monarchistischen, zionistischen und nicht-islamischen Weltanschauungen assoziiert würden. Diese Tätowierungen verkörperten nicht bloß ästhetische Motive, sondern seien Ausdruck einer bewussten, nach außen getragenen Identität, die sich deutlich von der durch das iranische Regime vorgegebenen religiösen und politischen Ordnung abgrenze. Der Antragsteller habe im Rahmen seiner Folgeantragsbegründung Ausführungen zu den einzelnen Tätowierungen gemacht. Die tätowierten Symbole stellten – aus Sicht der iranischen Sicherheits- und Justizorgane – klare Kennzeichen einer regimefeindlichen Haltung dar. Sie seien geeignet, den Träger eine Gesinnung zuzuordnen, die sich gegen die islamische Staatsdoktrin richte und in den Bereich politischer Subversion falle. Insbesondere begründeten eine Verfolgungsgefahr: Das Motiv Löwe-und-Sonne-Flagge. Dies sei ein verbotenes Symbol der vormaligen Monarchie. Ihre öffentliche Zurschaustellung werde regelmäßig mit Verhören durch die Revolutionsgarden, Hausdurchsuchungen und Strafverfolgungen wegen Propaganda gegen den Staat geahndet. Die israelischen Motive gälten als besonders brisant. Der Iran betrachte Israel als Feindstaat. Ein positives Bekenntnis hierzu – erst recht durch sichtbare Tätowierungen – werde als Beweis einer zionistischen Gesinnung verstanden. Dies könne zu den Vorwürfen der Spionage, Landesverrat und Blasphemie führen. Die zoroastrischen Symbole unter Bezug auf Kyros den Großen symbolisierten eine religiös-weltanschauliche Alternative zum staatlich vorgeschriebenen schiitischen Islam und gälten als Ausdruck einer apostatischen Haltung. Bereits die Abkehr vom Islam könne im Iran mit der Todesstrafe geahndet werden, insbesondere wenn die Haltung öffentlich gezeigt werde. Die sichtbare Platzierung auf den Händen und den Armen verhindere ein realistisches Verbergen. Der Antragsteller wäre bereits bei Alltagskontrollen oder im Rahmen sicherheitsbehördlicher Überprüfungen identifizierbar. Ein Entfernen der Tätowierungen sei weder kurzfristig möglich noch zumutbar. Im Iran würden insbesondere vom Islam zum Christentum konvertierte Moslems von starken Repressionen betroffen. Der Antragsteller sei getauft. Der Antragsteller betrachte Religion als ein komplexes System, das er im Rahmen des weiteren Verfahrens näher zu erläutern bereit sei. Er erkenne das Christentum als Teil seiner religiös-weltanschaulichen Überzeugung an und fühle sich ihm innerlich zugehörig. Die innere Überzeugung des Antragstellers sei auch durch seine Tattoos nach außen getragen. Ihm drohe verstärkt unter dem Radar der Sicherheitsbehörden zu geraten.
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Ferner trage der Antragsteller zu seinen politischen bzw. exilpolitischen Aktivitäten vor, deren Relevanz von Seiten der Beklagten bislang unbeachtet geblieben sei. Der Antragsteller habe dargelegt, dass er an zahlreichen regimekritischen Demonstrationen sowohl im In- als auch im Ausland teilgenommen habe. Nach seinem Vortrag sei er auch Teilnehmer von Protestaktionen im Rahmen der M. Sicherheitskonferenzen in den Jahren 2022 bis 2025 gewesen. Bei mehreren diesen Gelegenheiten habe er öffentlichkeitswirksam die Flagge der Islamischen Republik … mit Füßen getreten. Die letzte Demonstration sei eine pro-israelische Kundgebung an der F. Hauptwache am 15. Mai 2025 gewesen. Darüber hinaus sei der Antragsteller auch zunehmend in den digitalen Medien politisch aktiv. Er betreibe öffentlich zugängliche Profile auf Plattformen, wie I., F., Tw. (X) sowie Te., auf denen er regelmäßig regimekritische Inhalte veröffentliche. Sein I.-Konto sei bereits mehrfach gesperrt worden. Besonders hervorzuheben sei, dass der Antragsteller im Rahmen einer Protestaktion vor dem iranischen Konsulat im Jahr 2024 videodokumentiert worden sei. Dieses Video sei auf dem offiziellen I.Kanal eines Journalisten der Deutschen Welle veröffentlicht worden. Der Antragsteller sei darin klar identifizierbar. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass die exilpolitische Tätigkeit eines iranischen Staatsangehörigen maßgeblich nach ihrer Reichweite und Erkennbarkeit als regimekritisches Verhalten bemessen werde. Der Antragsteller sei öffentlich als exilpolitischer Aktivist hervorgetreten und sei dabei insbesondere durch seine Teilnahme an Demonstrationen sowie regimekritische Beiträge in sozialen Medien klar identifizierbar geworden. Auch dieser Umstand habe sich im Zeitraum zwischen dem ersten Asylantrag und dem Folgeantrag erheblich geändert. Angesichts der sichtbaren regimekritischen Tätowierungen, der dokumentierten Taufe im Ausland sowie der öffentlichen exilpolitischen Betätigung – einschließlich identifizierbarer medialer Präsenz in regierungskritischen Kontexten – bestehe eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der staatlichen Verfolgung für eine Rückkehr.
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Zu den besonderen gesundheitlichen Umständen habe der Antragsteller ein ärztliches Attest. Beim Antragsteller sei eine posttraumatische Belastungsstörung, ein Abhängigkeitssyndrom in Bezug auf Alkohol und Cannabinoide sowie eine depressive Episode diagnostiziert worden. Insbesondere die Behandlung von einer Alkohol- und Cannabissuchterkrankung sei im Iran faktisch unmöglich, so dass anzunehmen sei, dass der Antragsteller seinem Suchtdruck nachgeben werden müsse. Der Konsum von Alkohol und Drogen, wie Cannabis, sei jedoch im Iran unter schwerer Strafe gestellt und sei für den Antragsteller damit mit einem erheblichen Risiko verbunden.
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Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 28. Mai 2025, den Antrag abzulehnen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich des Klageverfahrens W 8 K 25. …*) sowie die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
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Der Antragsteller begehrt bei sach- und interessengerechter Auslegung (§ 88 VwGO, § 122 VwGO) vorläufigen Rechtsschutz gegen die Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig (Nr. 1 des Bescheids) sowie hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten (Nr. 2).
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Der so verstandene Antrag ist zulässig und begründet.
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Einstweiliger Rechtsschutz ist in der vorliegenden Konstellation, der Ablehnung des Asylfolgeantrags des Antragstellers als unzulässig, nach dem Willen des Gesetzgebers im Wege eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung (Nr. 1 des Bescheides) nachzusuchen.
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Die Antragsgegnerin hat nach § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG davon abgesehen, im streitgegenständlichen Bescheid vom 16. Mai 2025 eine erneute Abschiebungsandrohung zu erlassen. Grundlage einer etwaigen Abschiebung des Antragstellers in den Iran ist daher die bestandskräftige Abschiebungsandrohung im Bescheid des Erstverfahrens vom 7. September 2018. Eine Suspendierung der Vollziehbarkeit dieses bestandskräftigen Verwaltungsakts kommt im vorliegenden Verfahren jedoch nicht in Betracht.
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Der Gesetzgeber geht davon aus, dass wenn – wie hier – der Asylfolgeantrag als unzulässig abgelehnt und nach § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG keine erneute Abschiebungsandrohung erlassen wird, außer in Fällen des § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG, Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren ist (vgl. etwa VG Gelsenkirchen, B.v. 4.3.2025 – 20a L 326/25.A – juris Rn. 8 ff.; VG Köln, B.v. 14.11.2024 – 22 L 2133/24.A – juris Rn. 7 ff.; VG Düsseldorf, B.v. 5.11.2024 – 29 L 2026/24.A – juris Rn. 7 ff.; VG Ansbach, B.v. 8.10.2024 – AN 17 S 24.31369 – juris Rn. 11; VG Würzburg, B.v. 29.5.2024 – W 8 S 24.30715 – juris Rn. 16 ff.; jeweils m.w.N.).
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Da hier kein Fall des § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG vorliegt, ist ausgehend von obigen Ausführungen grundsätzlich ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft.
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Anders ist die Rechtslage hinsichtlich der nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG, über die unter Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids entschieden wurde. In der Hauptsache ist insoweit die Verpflichtungsklage statthaft (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris). Denn das Bundesamt muss gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG auch bei Entscheidungen über unzulässige Asylanträge feststellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Entsprechend muss vorläufiger Rechtsschutz insoweit durch einen Antrag nach § 123 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gewährt werden. Zweck einer solchen Anordnung ist es, einen Anspruch des betroffenen Ausländers auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG vorläufig zu sichern (vgl. etwa VG Gelsenkirchen, B.v. 4.3.2025 – 20a L 326/25.A – juris Rn. 17 ff.; VG Köln, B.v. 14.11.2024 – 22 L 2133/24.A – juris Rn. 21 ff.; VG Düsseldorf, B.v. 5.11.2024 – 29 L 2026/24.A – juris Rn. 72 ff.)
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In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen ist das Antragsbegehren bei sachgerechtem Verständnis dahingehend auszulegen (§ 88 i.V.m. § 122 VwGO), dass der Antragsteller neben dem – ausdrücklich gestellten – Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO einen (hilfsweisen) Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO betreffend die Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids erhoben hat (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 5.11.2024 – 29 L 2026/24.A – juris Rn. 73).
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Der (Haupt-)Antrag ist begründet.
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Es bestehen ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Asylfolgeantrags des Antragstellers als unzulässig (§ 71 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Die angegriffene Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1 AsylG) ist nach summarischer Prüfung bei der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG maßgeblichen Sach- und Rechtslage zum Entscheidungszeitpunkt zu Unrecht erfolgt.
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Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist für den Fall, dass der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Antragsteller günstigeren Entscheidung beitragen, oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind und der Antragsteller ohne eigenes Verschulden außerstande war, die Gründe für den Folgeantrag im früheren Asylverfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Die Prüfung obliegt dem Bundesamt.
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Der Prüfung des Folgeantrages sind dabei nur solche Elemente oder Erkenntnisse zugrunde zu legen, auf die sich der jeweilige Antragsteller auch berufen hat. Denn weder das Bundesamt noch die Verwaltungsgerichte sind befugt, ihrer Entscheidung über die Zulässigkeit des Folgeantrags andere als vom Antragsteller geltend gemachte Gründe zugrunde zu legen (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 20.6.2024 – 3 L 1414/24.A – juris Rn. 56; Dickten in BeckOK AuslR, 44. Ed. Stand: 1.10.2024, § 71 AsylG Rn. 15; zu § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG a.F.: BVerwG, U.v. 9.12.2010 – 10 C 13.09 – juris Rn. 28).
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Gemessen hieran bestehen nach summarischer Prüfung hinsichtlich der Entscheidung der Antragsgegnerin, kein weiteres Asylverfahren durchzuführen, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit.
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Voraussetzung für die Zulässigkeit des Folgeantrags sind neue Elemente oder Erkenntnisse im Sinn von § 71 Abs. 1 AsylG, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für die Antragsteller günstigeren Entscheidung beitragen. Erforderlich aber auch ausreichend ist ein schlüssiger Sachvortrag vor, der eine für die Antragsteller günstigere Entscheidung möglich erscheinen lässt und eine hinreichende Asylrelevanz aufzeigt. Denn der Begriff der „erheblichen Wahrscheinlichkeit“ des Beitrags für eine günstigere Entscheidung setzt voraus, dass die neuen Elemente und Erkenntnisse für die Beurteilung der Begründetheit eines Folgeantrags relevant sind bzw. maßgeblich erscheinen und deshalb die Möglichkeit einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung besteht, ohne dass schon eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gegeben sein muss (BayVGH, B.v. 24.7.2024 – 13a ZB 24.30535 – juris Rn. 17; vgl. Dickten in BeckOK AuslR, Kluth/Heusch, 44. Ed. Stand: 1.10.2024, § 71 AsylG Rn. 23 mit Verweis auf EASO, Practical Guide on Subsequent Applications, December 2021, S. 29 f.).
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Weiter ist anzumerken, dass – gerade bei Dauersachverhalten – ein neuer Sachverhalt erst eingetreten ist, wenn eine qualitativ neue Bewertung angezeigt ist. Der Antragsteller hat dazu eine dichte und in sich stimmige Darlegung der Umstände vorzulegen, aus denen sich ergibt, dass sich die im früheren Verfahren zugrunde gelegte Sachlage tatsächlich verändert hat. Lediglich pauschale und wenig konkretisierte bzw. nicht nachvollziehbare allgemeine Schilderungen reichen nicht aus. Es obliegt dem Antragsteller, die vorgetragene veränderte Sachlage unter Angabe von Einzelheiten hinreichend klar, verständlich und strukturiert darzutun. Steht der neue Sachvortrag in einem inneren sachlichen Zusammenhang mit dem früheren Vortrag, sind die im Erstverfahren aufgetretenen Widersprüche und Ungereimtheiten auszuräumen. Nur wenn im Vergleich zum ersten Antrag tatsächlich neue Elemente und Erkenntnisse vorliegen, ist weiter zu prüfen, ob diese neuen Elemente oder Erkenntnisse erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist (vgl. Dickten in BeckOK, AuslR, Kluth/Heusch, 44. Ed. Stand: 1.10.2024, § 71 Rn. 16 und 18 ff.).
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Nach welchem Maßstab dann zu beurteilen ist, ob neue Elemente und Erkenntnisse erheblich zur Wahrscheinlichkeit beitragen, ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt: Hierfür genügt es, dass die neuen Elemente und Erkenntnisse von Relevanz hinsichtlich der Voraussetzungen des Anspruchs auf internationalen Schutz sind bzw. für die Beurteilung der Begründetheit des Antrags maßgeblich erscheinen. Erheblich meint mithin nur, dass die neuen Elemente oder Erkenntnisse relevant sind und die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung eröffnen. Nicht gefordert ist hingegen, eine besondere Gewichtigkeit der neuen Elemente und Erkenntnisse dergestalt, dass vieles oder gar eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Schutzgewährung sprechen muss. Es reicht aus, dass die neuen Elemente und Erkenntnisse für die Beurteilung der Möglichkeit eines Folgeantrags relevant sind bzw. maßgeblich erscheinen und deshalb die Möglichkeit einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung besteht (BayVGH, B.v. 24.7.2024 – 13a ZB 24.30535 – juris Rn. 16 f.). Erhebliche Wahrscheinlichkeit setzt schon vom Wortlaut her voraus, dass das Element oder die Erkenntnisse die Möglichkeit einer positiven Bescheidung im Rahmen eines erneuten Asylverfahrens beträchtlich steigert, ohne dass schon eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gegeben sein muss. Eine nicht fernliegende Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung reicht. Ob die Gründe die Zuerkennung des internationalen Schutzes tatsächlich rechtfertigen. ist im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich (vgl. auch VG Kassel, U.v. 25.10.2024 – 3 K 406/24.KS.A – juris Rn. 27 und 33 f.).
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Ausgehend davon sind gesamtbetrachtet – gerade auch unter weiterer Berücksichtigung des Vorbringens in der Antragsbegründung im Gerichtsverfahren – die geschilderten Umstände (neue Erkenntnisse und Elemente) grundsätzlich geeignet, eine Neubewertung des Begehrens auf internationalen Schutz zu rechtfertigen, sodass das Vorbringen des Antragstellers insgesamt betrachtet ausreichend ist, um ein weiteres Asylverfahren durchzuführen.
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Dafür genügen zwar noch nicht allein die Ausführungen im Rahmen mit der Konversion zum Christentum, denn der Folgeantrag ist kein außerordentliches Rechtsmittel, mit dem eine vermeintlich unrichtige Sachentscheidung des Erstverfahrens korrigiert werden könnte (vgl. Dickten in BeckOK, AuslR, Kluth/Heusch, 44. Ed. Stand: 1.10.2024, § 71 Rn. 16). Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass die Taufe schon Gegenstand des Erstverfahrens war und sich der Antragsteller zum anderen in keiner Weise mit der Ablehnung seines Erstantrags, insbesondere auch nicht mit den beiden betreffenden Gerichtsentscheidungen im Erstverfahren, auseinandersetzt, wonach sein Vorbringen nicht als glaubhaft bewertet worden ist. Des Weiteren folgen keinerlei Ausführungen zu einer eventuellen Fortentwicklung seines christlichen Glaubens und zu seinen aktuellen christlichen Aktivitäten. Denn relevant für eine auch nur mögliche Verfolgung im Iran ist nicht allein ein formaler Glaubenswechsel oder eine formale Taufe, weil nach der gefestigten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht davon auszugehen ist, dass einem Übergetretenen schon wegen eines bloßen formalen Wechsels zum christlichen Glauben im Ausland oder in Deutschland oder wegen einer bisherigen religiösen Betätigung im Ausland oder in Deutschland als solcher mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran eine asylrechtlich relevante Verfolgung drohen könnte, und zwar auch nicht im Hinblick auf die Scharia. Vielmehr knüpfen danach Gefahren im Iran im Hinblick auf eine Konversion an die aktive Ausübung der neuen Religion im Iran oder den erzwungenen Verzicht auf eine solche aktive Ausübung des neuen identitätsprägenden Glaubens an. Dies gilt auch für entsprechende Veröffentlichungen in sozialen Medien. Der Antragsteller hat etwa auch nicht vorgetragen, dass er aktiv explizit andere Muslime zur Apostasie verleiten wolle (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2025 – 14 ZB 24.30149 – juris Rn. 13 ff. m.w.N.). Denn im Iran zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime haben nach der Auswertung der aktuellen Erkenntnislage nur dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrelevante Konsequenzen zu befürchten, wenn sie ihren Glauben aktiv und nach außen erkennbar ausleben. Im Gegensatz dazu sind bei unerkannt bleibender Konversion zum Christentum und bei anonym bzw. jedenfalls unauffälligen oder insbesondere nicht mit Missionierung verbundenen Auslebung der Religion schutzrelevante Konsequenzen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Vielmehr muss der betreffende Konvertierte darlegen, dass der erfolgte Glaubenswechsel als Ausdruck einer inneren Überzeugung auch derart ernst gemeint ist,, dass davon auszugehen ist, dass er auch nach einer Rückkehr in den Iran entsprechend seiner identitätsprägenden Glaubensvorstellungen leben und sich dadurch nach den Umständen seines Einzelfalls einer Verfolgung durch staatliche oder dem Staat zurechenbare Akteure aussetzen, respektive unter dem Druck der Verfolgung durch staatliche oder dem Staat zurechenbare Akteure auf eine derartige verfolgungsrechtliche Glaubensbetätigung im Herkunftsland gezwungenermaßen verzichten wird (BayVGH, U.v. 6.8.2024 – 14 B 23.30024 – juris Rn. 81 ff., 100 ff.).
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Insoweit fehl es bislang an einem substantiierten und in sich stimmigen, nachvollziehbaren Vorbringen des Antragstellers. Die Taufe für sich allein reicht nicht und auch die eine Tätowierung mit dem zoroastrischen Symbol fügt sich nicht stimmig und schlüssig in sein bisheriges Vorbringen im Erstverfahren an. Die Tätowierung könnte vielmehr im Gegenteil auch für eine – unkommentierte – Abkehr vom christlichen Glauben und eine Hinwendung zum zoroastrischen Glauben sprechen. Jedenfalls ist im Hinblick auf die Konversion zum Christentum unter Berücksichtigung des Erstverfahrens für sich allein nicht von einer erheblichen Steigerung der Verfolgungswahrscheinlichkeit auszugehen. Diese Einschätzung kann sich allerdings relativieren, wenn man diese im Gesamtkontext mit den nachfolgenden Aspekten in den Blick nimmt.
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Denn die Ausführungen zu den exilpolitischen Aktivitäten des Antragstellers sind grundsätzlich geeignet, mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer günstigeren Entscheidung beizutragen. Einerseits ist festzuhalten, dass das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid auf das entsprechende Vorbringen des Antragstellers in dessen schriftlicher Folgeantragsbegründung überhaupt nicht eingegangen ist. Andererseits ist genauso festzuhalten, dass das Vorbringen im behördlichen Verfahren sehr pauschal und dürftig gewesen ist. Der Antragsteller hat etwa auch nicht angegeben, an wie vielen Demonstrationen er wann genau teilgenommen hat, insbesondere ob diese schon vor dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens lagen bzw. vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Ansbachs vom 11. März 2023. Ebenso wenig reicht zur Plausibilisierung ein allgemeiner Hinweis auf seine sozialen Medien oder auf I., ohne dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder auch dem Gericht dementsprechende Fotos oder Sreenshots und dergleichen vorzulegen. Gleichermaßen ist nicht zu erkennen, welche Funktion der Antragsteller bei diesen Demonstrationsteilnahmen und dergleichen hatte, ob er sich exponiert hat und inwiefern er aus der Masse der übrigen exilpolitischen Iraner herausragt und weshalb gerade bei ihm – anders als bei der Masse der anderen Teilnehmer – ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staats bestehen sollte.
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Denn insbesondere exponierte Einzelpersonen und Gruppierungen unterliegen einer höheren Gefährdung. Gerade bei Demonstrationen ist zu unterscheiden, ob der Betreffende schon in der Vergangenheit im Iran an Demonstrationen teilgenommen hat oder lediglich im Ausland. Zudem konzentrieren sich iranische Behörden eher an Anführende als an einfache Teilnehmer. Organisatoren sind mehr betroffen. Erforderlich ist als Voraussetzung für eine relevante politische Verfolgung, ob eine Person mit ihrer oppositionellen und exilpolitischen Aktivitäten derart nach außen in Erscheinung getreten ist, dass sie zum einen für die iranischen Sicherheitsbehörden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als ernsthafte Regimegegnerin, welche auf die Verhältnisse im Iran einzuwirken vermag, identifiziert und qualifiziert worden ist, und dass zum anderen wegen der von ihr ausgehenden Gefahr ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staats besteht. Angesichts der Massenproteste in und außerhalb Iran und auch in Deutschland – auch im Internet und den sozialen Medien – ist es lebensfremd und unwahrscheinlich, dass jeglicher Teilnehmer unterschiedslos bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit flüchtlingsrelevanten Repressalien rechnen muss. Aufgrund der Masse an regimekritischen Aktionen, gerade in Deutschland und auch andernorts, sowie der Anzahl der Teilnehmenden an diesen Aktionen in den letzten Jahren, einschließlich der damit verbundenen Masse an Veröffentlichungen auch in den sozialen Medien und der begrenzten Kapazität der iranischen Behörden fehlt es nach den vorliegenden Erkenntnissen an Anhaltspunkten, dass jeder Teilnehmer ohne weiteres mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr verfolgt würde. Erforderlich ist vielmehr eine Gesamtschau vom Ausmaß der Aktivitäten vor und nach der Ausreise und den zu erwartenden Grad der Aktivitäten bei einer Rückkehr in den Iran. Relevant sind dabei zum Beispiel auch die Intensität der Aktivitäten in Deutschland, die Verbindung zu einer im Iran verbotenen oppositionellen Partei, die Erkennbarkeit nach außen, die Identifizierbarkeit der Person bei ihren Aktivitäten und neben der Qualität auch die Quantität der Aktivitäten, um letztlich auf ein beachtlich wahrscheinliches Verfolgungsinteresse des iranischen Staats schließen zu können. Maßgeblich ist weiter die Frage, ob ein Iraner bei einer Rückkehr in den Iran mit Verfolgung rechnen müsste, wenn und soweit er sich in Deutschland ernsthaft offen und kontinuierlich regimekritisch betätigt hat, und ob gerade diese Betätigung die Annahme rechtfertigt, dass der freie Ausdruck seiner regimekritischen Haltung für seine Identität so wichtig ist, dass er auch bei einer Rückkehr in den Iran den Drang verspüren würde, sich an regimekritischen Protesten im Iran zu beteiligen (vgl. etwa nur VG Würzburg, U.v. 25.3.2024 – W 8 K 23.30793 – juris Rn. 39 und 62 f. m.w.N.).
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Ob der Antragsteller tatsächlich über die massentypischen und die nichtprofilierten Erscheinungsformen exilpolitscher Proteste hinaus Aktivitäten entfaltet oder Funktionen wahrgenommen hat, die ihn aus der Masse der mit dem iranischen Regime unzufrieden herausheben und ihn insofern für den iranischen Staat als gefährlichen, auch in den Iran hineinwirkenden Oppositionellen erscheinen zu lassen, ist vorliegend unklar, aber offen. Jedenfalls ist sein betreffendes Vorbringen nicht ohne jegliche Relevanz, weil die vorgebrachten zahlreichen Aktivitäten über Jahre hinweg bis heute grundsätzlich dazu beitragen können, zu einer anderen Beurteilung eines möglichen Schutzanspruchs zu führen. Die betreffende Prüfung hat aber dann in einem Asylfolgeverfahren zu erfolgen.
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Ähnliches gilt im Grundsatz auch für die vorgebrachten Tätowierungen, auf die die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid nur pauschal eingegangen ist, nicht jedoch konkret auf die Qualität der einzelnen Tätowierungen, wie sie der Antragsteller schon in seiner schriftlichen Folgeantragsbegründung vorgebracht hat. Allerdings ist auch insoweit anzumerken, dass der Antragsteller auch in seiner Antragserwiderung bis auf den Hinweis, die Tätowierungen befänden sich auf den Unterarmen und auf den Händen nicht vorgebracht hat, welche der konkreten Tätowierungen sich wo befindet. Er hat auch keinerlei Angabe zur Größe der Tätowierungen gemacht und hat auch kein Lichtbild oder dergleichen vorgelegt, um dem Bundesamt und auch dem Gericht zu ermöglichen die Relevanz der Tätowierungen näher einschätzen zu können. Weiter fehlen jegliche Angaben, warum der Antragsteller gerade im Jahr 2025 – nach Eintritt der Rechtskraft im ersten Asylverfahren infolge des Beschlusses des bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Dezember 2024 – begonnen hat, sich tätowieren zu lassen, sodass er sich ohne Erläuterungen dazu dem Missbrauchsvorwurf stellen muss (vgl. § 28 Abs. 2 AsylG).
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Insofern ist anzumerken, dass Tätowierungen für sich im Iran nicht verfolgungsrelevant sind. Denn eine Tätowierung führt im Iran für sich betrachtet und losgelöst von dem festgestellten Motiv nicht zu flüchtlingsschutzrelevanten Repressionen (vgl. ausführlich unter Auswertung der Erkenntnislage OVG NRW, U.v. 22.4.2024 – 6 A 242/21.A – juris Rn. 188 f.). Auch bei einem christlichen Motiv ist nicht allgemein mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass im Iran eine Verfolgung droht (so OVG NRW, U.v. 22.4.2024 – 6 A 242/2.A – juris Rn. 204 ff. mit Bezug auf zwei miteinander kämpfende Engel als Symbol für gut gegen böse). Selbst die Tätowierung eines Kreuzes ist für sich allein nicht verfolgungsrelevant, weil schon zweifelhaft ist, ob eine vollständig, von der Kleidung, bedeckte Tätowierungen den Behörden überhaupt im Iran überhaupt zur Kenntnis gelangen kann und weiter ein Kreuz nicht automatisch als Abfall vom Glauben verstanden werden muss und zudem auch die Möglichkeit der Entfernung oder Änderung der Tätowierungen möglich ist (vgl. VG Göttingen, U.v. 28.7.2014 – 4 A 24/13 – juris UA S. 6). Dies gilt auch wenn das Kreuz auf eine Hand tätowiert ist (siehe VG Bremen, U.v. 30.3.2022 – 1 K 2400/19 – juris UA S. 7). Eine auffällige Tätowierung kann zwar wie auch sonstige Auffälligkeiten zu gewissen Nachteilen bei Kontrollen führen, würden aber keine weiteren Verfolgungsmaßnahmen nach sich ziehen, wenn der Betreffende die Sache herunterspielt (so VG Berlin, U.v. 20.8.2020 – VG 35 K 143.18 A – juris UA S. 11). So gesehen, bestehen Zweifel, ob die Tätowierungen letztlich tatsächlich zu einer beachtlichen wahrscheinlichen Verfolgung im Iran oder betreffenden Repressionen führen.
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Allerdings ist nicht von der Hand zu weisen, dass Tätowierungen im Einzelfall im Iran Repressionen nach sich ziehen können, gerade auch abhängig vom Motiv, von der Art und Weise der Präsentation und vom Verhalten des Betreffenden (vgl. nur Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Iran, Tattoos in Iran vom 14.4.2020 bzw. Tätowierungen im Iran vom 23.3.2018). Vor diesem Hintergrund sind auch Tätowierungen zumindest im hier vorgebrachten Umfang und mit dem vorgebrachten inhaltlichen Motiven geeignet, möglicherweise eine günstigere Entscheidung herbeizuführen.
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Gerade wenn man alles zusammen nimmt, ist eine Signifikanz der der regime- und islamkritischen sowie israelfreundlichen Aktivitäten des Antragstellers verbunden mit seinen Tätowierungen und auch mit seiner weltanschaulich-religiösen Anschauung vor einer erheblichen Relevanz, so dass diese neuen Elemente und Erkenntnisse die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung eröffnen, so dass ein Asylfolgeverfahren durchzuführen ist.
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Nach alledem hat schon der Hauptantrag Erfolg, ohne dass es auf den Hilfsantrag und auf das Vorliegen nationaler Abschiebungsverbote noch ankommt. Gleichwohl ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass ein abstrakter Verweis auf ein nicht vorgelegtes Attest und ohne weitere Ausführungen nicht geeignet ist, das Vorliegen eines nationalen Abschiebungsverbotes anzunehmen, weil schon kein Ausstellungzeitpunkt genannt ist und von Seiten des Gerichts weiter nicht überprüft werden kann, ob die Voraussetzungen einer erforderlichen qualifizierten ärztlichen Bescheinigung gemäß § 60a Abs. 2c Satz 2 und Satz 3 AufenthG erfüllt, so dass es bei der Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG bleibt, wonach der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstünden. Vor diesem Hintergrund fehlt es bislang auch an einer substantiierten Grundlage für das Vorbringen, wonach dem Antragsteller wegen seines Konsums von Alkohol und Drogen Iran Gefahren drohen sollten. Diese Aspekte brauchen hier nicht indes weiter vertieft zu werden.
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Angesichts der vorliegenden ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides überwiegt das Interesse des Antragstellers, jedenfalls bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache von einer Abschiebung nach Iran verschont zu bleiben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben.