Inhalt

VG Würzburg, Gerichtsbescheid v. 12.03.2025 – W 7 K 24.1386
Titel:

Private Wohnsitznahme, Krankheit, Passpflicht

Normenketten:
AufnG Art. 4 Abs. 5 S. 2 Nr. 1
AufnG Art. 4 Abs. 5 S. 3
Schlagworte:
Private Wohnsitznahme, Krankheit, Passpflicht
Fundstelle:
BeckRS 2025, 16034

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

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1. Der Kläger begehrt den Auszug aus einer Gemeinschaftsunterkunft. Der Kläger ist ein am … … 1973 geborener iranischer Staatsangehöriger. Er reiste im Jahr 2020 ins Bundesgebiet ein und beantrage Asyl. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 25. August 2021 insgesamt abgelehnt, eine dagegen gerichtete Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 31. Januar 2022 abgewiesen (W 8 K 21. …*).
2
Mit Bescheid der Regierung von Unterfranken vom 28. Februar 2022, zugestellt am 1. März 2022, wurde der Kläger ab 1. März 2022 der Stadt W* … zugewiesen. Als Wohnsitz wurde ihm die Gemeinschaftsunterkunft W* … zugewiesen, in der der Kläger bis heute lebt.
3
Mit Schreiben vom 20. Juni 2023 beantragte der Kläger die Gestattung der privaten Wohnsitznahme aus gesundheitlichen Gründen. Mit diesem Antrag und in der Folge wurden diverse ärztliche Unterlagen vorgelegt. Daraufhin wurde eine Stellungnahme des Gesundheitsamts eingeholt. Diese Stellungnahme vom 2. August 2023 gibt auf Grundlage der vorgelegten ärztlichen Unterlagen an, dass der Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft für die Gesundheit des Klägers zwingend erforderlich sei.
4
Mit E-Mail vom 4. April 2024 teilte die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken mit, der Kläger wirke nicht bei der Passbeschaffung mit. Auf Nachfrage teilte sein Bevollmächtigter mit E-Mail vom 26. April 2024 mit, der Betreuer des Klägers sei aktuell damit beschäftigt, einen Termin bei der Botschaft in B* … zu vereinbaren.
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Laut Aktenvermerk der Zentralen Ausländerbehörde Unterfranken vom 2. Juli 2024 wurde der Kläger am 24. Juli 2023, 21. September 2023, 16. Januar 2024 und 4. April 2024 zur Passbeschaffung aufgefordert. Aktuell sei von einer Mitwirkung bei der Passbeschaffung auszugehen, weil der Kläger einen Botschaftstermin beantragt habe. Nach dem Termin am 31. Juli 2024 müsse die Erfüllung der Mitwirkungspflichten erneut geprüft werden.
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Mit einer weiteren E-Mail vom 16. Juli 2024 teilte die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken mit, von einer Mitwirkung bei der Passbeschaffung könne weiterhin nicht ausgegangen werden.
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Mit E-Mail vom 11. September 2024 teilte die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken mit, es liege kein Pass vor, sondern lediglich die Kopie eines am 9. Dezember 2023 abgelaufenen Reisepasses. Im Original liege lediglich die Geburtsurkunde vor. Der gesetzliche Betreuer des Klägers habe mit E-Mail vom 4. Juni 2024 mitgeteilt, dass ein Termin beim iranischen Generalkonsulat in M* … am 31. Juli 2024 vereinbart worden sei, für den er die Geburtsurkunde des Klägers benötige. Am 22. Juli 2024 sei die Geburtsurkunde daraufhin an den Kläger versendet worden, zur Kenntnisnahme sei eine entsprechende E-Mail am Folgetag an den Bevollmächtigten des Klägers versendet worden. Am 25. Juli 2024 sei die Geburtsurkunde laut Eingangsstempel in der Unterkunft des Klägers eingegangen. Der Kläger habe das Schreiben aber erst am 1. August 2024 gegen Unterschrift abgeholt. Seitdem habe es keine Rückmeldung des Klägers mehr gegeben, auch die Geburtsurkunde sei nicht zurückgesendet worden. Ein entsprechender Beleg über Eingang und Aushändigung des Schreibens mit Geburtsurkunde befindet sich bei den Akten.
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Mit E-Mail vom 12. November 2024 teilte die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken erneut mit, von einer Mitwirkung bei der Passbeschaffung könne nicht ausgegangen werden.
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2. Mit Bescheid vom 16. Juli 2024 wurde der Antrag des Klägers auf private Wohnsitznahme abgelehnt (Ziffer 1) und auf die Kostenfreiheit des Bescheids hingewiesen (Ziffer 2).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen angegeben, zwar liege wegen der Erkrankung des Klägers ein Ausnahmefall nach Art. 4 Abs. 5 AufnG vor, der die Genehmigung der privaten Wohnsitznahme rechtfertigen könne. Allerdings stehe nach Art. 4 Abs. 5 Satz 3 AufnG der Genehmigung entgegen, dass der Kläger nicht im Besitz gültiger Pässe sei, obwohl er einen Pass in zumutbarer Weise erlangen könne, bzw. er an der Beschaffung von Heimreisedokumenten nicht mitwirke. Dies überwiege die vom Kläger vorgebrachten Gründe.
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3. Hiergegen ließ der Kläger am 9. August 2024 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg erheben und sinngemäß beantragen:
Der Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 16. Juli 2024 verpflichtet, dem Kläger die Genehmigung zur privaten Wohnsitznahme zu erteilen.
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Zur Begründung ließ er im Wesentlichen vorbringen, ein Pass liege zwar vor, die Verlängerung stehe aber aus, weil die Zentrale Ausländerbehörde dazu die Geburtsurkunde des Klägers hätte herausgeben müssen, die erst am 23. Juli 2024 an den Kläger versandt worden sei. Der Betreuer des Klägers sei aktuell mit der Verlängerung befasst. Mit einem weiteren Schriftsatz vom 8. November 2024 ließ der Kläger mitteilen, dem Betreuer sei es wegen Angstzuständen des Klägers nicht gelungen, diesen zum Betreten der Botschaft zu bringen. Der Kläger zeige regelmäßig akute Angstzustände und Weglauftendenzen. Die Mitwirkung bei der Passbeschaffung sei dem Kläger gesundheitlich unzumutbar. Hierzu wolle der Kläger eine weitere ärztliche Stellungnahme einholen.
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4. Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen angegeben, eine Gestattung der privaten Wohnsitznahme scheide wegen fehlender Mitwirkung bei der Passbeschaffung aus. Die Geburtsurkunde sei vor dem Konsulatstermin in der Gemeinschaftsunterkunft eingegangen. Der Kläger habe sie lediglich zu spät abgeholt. Bei der Abwägung sei insbesondere zu beachten, dass der Kläger im infrastrukturell sehr gut angebundenen W* … Stadtgebiet untergebracht sei. In der Unterkunft gebe es sogar ärztliche Sprechstunden.
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5. Mit Beschluss vom 19. Februar 2025 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Mit Beschluss vom selben Tag hat der Einzelrichter den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Mit Schreiben vom 20. Februar 2025 hat er Beteiligten zur Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört bzw. um Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gebeten. Der Kläger hat die Zustimmung am 7. März 2025 erteilt, der Beklagte hat nicht reagiert. Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die der Einzelrichter nach Anhörung durch Gerichtsbescheid entscheidet (§ 84 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Genehmigung der privaten Wohnsitznahme, sodass der streitgegenständliche Bescheid sich als rechtmäßig erweist und ihn nicht in seinen Rechten verletzt.
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Ein entsprechender Anspruch kann sich für Personen, die – wie der Kläger – die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft nach Art. 4 Abs. 3 AufnG nicht erfüllen, in begründeten Ausnahmefällen aus Art. 4 Abs. 5 Satz 1 AufnG ergeben.
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Bei der Frage nach einem begründeten Ausnahmefall handelt es sich um einen gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff, der dem Beklagten kein Ermessen eröffnet, sondern dessen Vorliegen nach objektiven Kriterien zu beurteilen ist. Bei der Bestimmung des begründeten Ausnahmefalls ist ein angemessener Ausgleich zwischen dem privaten Interesse am Auszug und dem öffentlichen Interesse am Wohnen in einer Gemeinschaftsunterkunft zu finden, wobei das Überwiegen des Privatinteresses nur unter engen Voraussetzungen in Betracht kommt (vgl. BayVGH, U.v. 23.1.2009 – 21 BV 08.30134 – juris Rn. 14).
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Nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 AufnG folgt ein begründeter Ausnahmefall insbesondere daraus, dass eine Krankheit die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft unzumutbar macht. Von einer solchen Unzumutbarkeit ist angesichts der vorgelegten Unterlagen, insbesondere der Stellungnahme des Gesundheitsamts, auszugehen.
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Nach Art. 4 Abs. 5 Satz 3 AufnG liegt ein begründeter Ausnahmefall allerdings in der Regel nicht bei Personen vor, die nicht im Besitz gültiger Pässe sind, obwohl sie in zumutbarer Weise einen Pass erlangen könnten. Die fehlende Mitwirkung bei der Passbeschaffung ergibt sich aus zahlreichen Stellungnahmen der Zentralen Ausländerbehörde, etwa aus der E-Mail vom 12. November 2024. Die Mitwirkung bei der Passbeschaffung ist dem Kläger zur Überzeugung des Einzelrichters auch zumutbar. Anders als der Klägerbevollmächtigte vorbringt, ist insbesondere nicht erkennbar, dass für den Kläger aus denselben Gründen, die unter Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 AufnG zur Unzumutbarkeit einer Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft führen, auch nach Art. 4 Abs. 5 Satz 3 AufnG die Passbeschaffung unzumutbar ist. Angesichts der Gesamtumstände ist vielmehr nicht davon auszugehen, dass die Passbeschaffung aufgrund gesundheitlicher Gründe unterblieben ist. Die Angstzustände des Klägers wurden erstmals am 8. November 2024 vorgebracht, ohne dass dazu ärztliche Atteste übermittelt wurden. Zuvor war ein Botschaftstermin am 31. Juli 2024 bekanntgegeben und darauf hingewiesen worden, dass der Kläger beabsichtige, diesen auch wahrzunehmen. Nach Verstreichen des Termins erfolgte keinerlei Rückmeldung in der Sache mehr. Nachdem der Kläger seine nach Aktenlage mit ausreichend zeitlichem Abstand übersandte Geburtsurkunde erst einen Tag nach dem Botschaftstermin abholte, ist davon auszugehen, dass die Wahrnehmung des Termins niemals ernsthaft beabsichtigt war. Dass zwischen dem 4. Juni 2024 – dem Tag, als der Betreuer des Klägers den Botschaftstermin mitteilte, – und dem 31. Juli 2024 eine gesundheitliche Verschlechterung eingetreten ist, die die Passbeschaffung nun unzumutbar macht, ist nicht erkennbar.
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Der Kläger verwirklicht damit einerseits das Regelbeispiel des Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 AufnG, wonach ein begründeter Ausnahmefall typischerweise anzunehmen ist, andererseits aber auch den Regel-Ausschlussgrund des Art. 4 Abs. 5 Satz 3 AufnG, wonach ein begründeter Ausnahmefall in der Regel nicht vorliegt.
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In einer solchen Situation, in der zwar gesundheitliche Gründe für einen Auszug streiten, gleichzeitig aber die verletzte Passpflicht als öffentliches Interesse gesetzlich besonders betont wird, ist mit dem in Art. 4 AufnG verankerten Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen dem Wohnen in einer Gemeinschaftsunterkunft und der privaten Wohnsitznahme (BayVGH, U.v. 23.1.2009 – 21 BV 08.30134 – juris Rn. 14) in der Regel von einem Überwiegen des öffentlichen Interesses und damit nicht von einem begründeten Ausnahmefall auszugehen. Dies gilt im Rahmen einer Gesamtabwägung im Einzelfall des Klägers auch deshalb, weil – wie der Beklagte im Schriftsatz vom 19. September 2024 zutreffend vorbringt – der Kläger in einer infrastrukturell gut angebundenen Unterkunft im W* … Stadtgebiet untergebracht ist, sodass ihn – trotz der tatbestandlichen Einschlägigkeit von Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 AufnG – die gesundheitlichen Folgen einer fortdauernden Unterbringung weniger hart treffen als Betroffene in vergleichbaren Fällen.
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2. Die Klage ist mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus §§ 84 Abs. 1 Satz 3, 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.