Titel:
Erfolglose Asylklage zweier armenischer Staatsangehöriger – Strafverfolgung wegen Desertion oder Befehlsverweigerung
Normenketten:
AsylG § 3 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, § 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3, § 3b Abs. 2, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
Anerkennungs-RL Art. 9 Abs. 2 lit. b, lit. c
GG Art. 16a Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Die Strafverfolgung eines armenischen Staatsangehörigen und eine ggf. erfolgende Verurteilung wegen Desertion bei seiner Rückkehr stellen grundsätzlich keine politische Verfolgung dar. (Rn. 33 – 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen iSv § 3b AsylG, insbesondere der politischen Überzeugung, diskriminiert, ist in Armenien nicht feststellbar. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Armenien, Tätigkeit für Sondertruppe der Polizei, Bergkarabach-Konflikt, Strafverfolgung wegen Desertion oder Befehlsverweigerung, kein Politmalus, keine unverhältnismäßige Bestrafung, Herkunftsland Armenien, Yezide, Desertion oder Befehlsverweigerung, Strafverfolgung, Bestrafung, Strafzumessung, Politmalus, RL 2011/95/EU
Fundstelle:
BeckRS 2025, 16027
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
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Die Kläger wenden sich gegen die Ablehnung ihres Asylantrags und begehren hilfsweise die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote hinsichtlich Armenien.
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1. Die Kläger sind armenische Staatsangehörige, kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischer (Kläger zu 1) bzw. armenisch-orthodoxer (Klägerin zu 2) Religionszugehörigkeit. Sie reisten am 6. Dezember 2021 gemeinsam mit ihrem im Jahr 2008 geborenen Sohn in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 24. Januar 2022 Asylanträge.
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Bei der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gab der Kläger zu 1) im Wesentlichen an: Er sei als stellvertretender Kommandeur eines Truppenteils bei der armenischen Polizei und Leiter des Fernmeldebetriebs tätig gewesen und als solcher im armenisch-aserbaidschanischen Krieg im Jahr 2020 eingesetzt worden. Zunächst habe seine Aufgabe darin bestanden, die Fernmeldung herzustellen und aufrechtzuerhalten. Zudem habe er an einer Operation zur Bergung der Leichen armenischer Soldaten teilgenommen. Danach sei er zunächst nach Yerevan zurückgeschickt worden. Am 2. November 2020 sei erklärt worden, dass vom Gebiet Bergkarabach illegal Waffen auf armenisches Staatsgebiet gebracht worden seien, weshalb dort Posten aufgestellt werden müssten. Etwa eine Kompanie (ca. 120 – 150 Polizisten) sei dort hingebracht worden. Sie hätten Offizieren des Verteidigungsministeriums zur Verfügung gestanden. In kleineren Gruppen seien sie mit LKWs zum Einsatz, unweit der Stadt Shushi, gebracht worden. Sie hätten dann auf schwere Technik des Verteidigungsministeriums und auf Anweisungen der Offiziere warten müssen. Da schon Artilleriebeschuss zu hören gewesen sei, habe der Kläger zu 1) zur Sicherheit der ihm unterstehenden 20 Personen befohlen, Gräben und Stellungen auszuheben. Der Beschuss sei mit der Zeit immer schlimmer geworden. Es seien Stunden vergangen und vier Polizisten seien schwer verletzt worden und auch dem Kläger sei schwarz vor Augen geworden. Die schwere Technik sei nicht angekommen. Der Kläger zu 1) habe daher beschlossen, den Rückzug anzutreten. Die Munition hätten sie zurückgelassen. Nach Kriegsende sei der Kläger zum Komitee für Staatssicherheit bestellt und beschuldigt worden, Waffen und Munition verloren zu haben und dass auf seinen Befehl hin Polizisten ihre Stellung verlassen hätten. Das habe er nicht akzeptiert. Er sei dann nochmals einbestellt worden und man habe ihm den Befehl gegeben, eine Truppe von zwölf bis 15 Polizisten zusammenzustellen, um in einem Dorf aserbaidschanische Diversanten zu bekämpfen. Er habe geahnt, dass man ihm mit diesem Einsatz schaden wolle, da es für derartige Einsätze Spezialeinheiten gebe. Er habe sich geweigert, den Befehl auszuführen. Ihm sei angedroht worden, dass er dafür vor Gericht komme und ihm eine Haftstrafe von acht bis zehn Jahren erwarte. Er sei dann zurück zum Standort des Truppenteils gegangen. Es sei Zeit vergangen und man habe immer mehr Leichen nach Yerevan gebracht. Mit Eltern von Gefallenen habe es Auseinandersetzungen gegeben. Auch die Leiche des Kommandeurs des Truppenteils sei eines Tages gebracht worden. Etwa einen Monat nach der Beerdigung, sei er ein weiteres Mal zum Komitee für Staatssicherheit bestellt worden. Ihm sei eröffnet worden, dass wegen des Verlusts der Waffen und Munition, des Befehls, die Stellung zu verlassen und der Befehlsverweigerung ein Verfahren laufe. Er habe dann versucht, den Dienst zu quittieren, aber von einem guten Bekannten bei der Staatssicherheit erfahren, dass auch gegen ihn ein Verfahren eingeleitet worden sei. Er wisse, was in solchen Fällen passiere. Personen, die viel wüssten, würden tot aufgefunden. Sein Freund habe ihm den Rat gegeben, das Land zu verlassen. Auch seine Ehefrau und sein Sohn seien in Gefahr, da er im Falle einer Verurteilung als Landesverräter gelte. Er sei der einzige Yezide, der den Rang eines Oberstleutnants habe. Aufgrund seiner Volkszugehörigkeit habe er die Presse wegen des Vorfalls nicht einschalten können, da man ihm nicht glaube. Sie seien dann über Russland und ihm unbekannte Länder nach Deutschland gereist. Eine volljährige Tochter sowie ein Bruder hielten sich in Deutschland auf.
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Die Klägerin zu 2) gab im Wesentlichen an: Die Probleme hingen mit ihrem Mann zusammen. Man habe ihn vor Gericht bringen und mit ihm abrechnen wollen. Er habe gesagt, man wolle auch mit ihr abrechnen, so hätten sie letztendlich das Land verlassen.
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Mit Bescheid vom 31. Mai 2023 – per Einschreiben zur Post gegeben am 2. Juni 2023 – lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Anträge der Kläger auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1 des Bescheides), Anerkennung als Asylberechtigte (Nr. 2) sowie Zuerkennung subsidiären Schutzes ab (Nr. 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Abschiebung nach Armenien oder in einen anderen übernahmebereiten Staat wurde angedroht (Nr. 5) und das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
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2. Am 14. Juni 2023 ließen die Kläger zum Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Klage erheben. Zur Begründung wird unter Vorlage eines Schreibens der Union der Veteranen der Spezialeinheiten der Polizei aus Yerevan im Wesentlichen ausgeführt: Die angefochtene Entscheidung sei rechtswidrig und verletze die Kläger in ihren Rechten. Die Beklagte habe offensichtlich keine Zweifel am Wahrheitsgehalt der vorgetragenen Fluchtgeschichte und Situation im Heimatland. Es sei nicht nachvollziehbar, dass diese davon ausgehe, dass im Falle einer Rückkehr keine asylrelevanten Konsequenzen bestünden. Dies zeige auch die beigefügte Bescheinigung. Die Beklagte verkenne den Ernst der Lage. Dem Kläger werde vorgeworfen, für den Verlust von Waffen und Munition verantwortlich und einen Einsatzbefehl, den er aus nachvollziehbaren Gründen verweigert habe, missachtet zu haben, was als strafbar bewertet werde. Auch gegen andere Personen werde nach wie vor ermittelt und es würden Verfahren geführt. Dies sei den armenischen Medien zu entnehmen. Es würden Sündenböcke für die vielen Todesopfer gesucht, zu denen es aus mangelnder militärischer Planung gekommen sei. Die Regierung versuche die Schuld von sich auf andere Personen, wie den Kläger zu 1), umzulenken. Bei einer Rückkehr nach Armenien würde dieser unmittelbar verhaftet und vor Gericht gestellt. Mit einem fairen Verfahren sei nicht zu rechnen, vielmehr mit einer völlig überzogenen und rechtswidrigen Freiheitsstrafe von vielen Jahren. Die Stellungnahme des Auswärtigen Amtes bestätige die Angaben des Klägers zu 1). Es sei für ihn nicht zumutbar, darauf zu vertrauen, dass er lediglich eine Bewährungsstrafe bekommen werde. Inhaltlich gehe es darum, dass ein rechtsstaatswidriges und mit dem „fair-trial“-Grundsatz nicht vereinbares Gerichtsverfahren geführt werde. Er solle für nachvollziehbare und evident rechtmäßige Handlungen bestraft werden. Es sei auch unzumutbar, sich einem solchen Verfahren aussetzen zu müssen. Es handele sich um ein politisch motiviertes Strafverfahren, welches die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertige. Es gebe nun auch entsprechende Urteile, in denen keine Bewährungsstrafe verhängt worden sei.
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Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beantragt für die Beklagte,
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Zur Begründung wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen und ergänzend ausgeführt: Unabhängig von der Glaubhaftigkeit der Fluchtgeschichte des Klägers zu 1) drohe den Klägern aufgrund der Desertion des Klägers zu 1) keine asylrelevante Verfolgung. Eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung wegen Wehrdienstentziehung oder Desertion finde in Armenien nach Erkenntnislage der Beklagten nicht statt. Hinweise, dass diesbezügliche Strafverfolgungsmaßnahmen an einen Verfolgungsgrund anknüpften, lägen nicht vor. Auch unter Berücksichtigung der Auskunft des Auswärtigen Amtes werde an dem streitgegenständlichen Bescheid festgehalten. Eine den Klägern drohende flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung in Armenien wegen der Desertion und / oder Befehlsverweigerung des Klägers zu 1) sei nicht beachtlich wahrscheinlich. Es seien in öffentlich zugänglichen Quellen bereits keine Angaben enthalten, die auf eingeleitete Straf- oder Disziplinarverfahren gegen den Kläger zu 1) hindeuteten. Es sei überaus fraglich, ob dem Kläger zu 1) bei Rückkehr nach Armenien überhaupt noch die Einleitung eines straf- oder disziplinarrechtlichen Verfahrens drohen würde. Der Umstand, dass nach dem bewaffneten Bergkarabach-Konflikt 2020 zahlreiche Strafverfahren wegen Desertion, Verlassen des Truppenteils oder Einsatzortes eingeleitet worden seien, der Kläger zu 1) aber von der Einleitung eines solchen Verfahrens bislang verschont geblieben sei, spreche gegen die Annahme, dass der armenische Staatsapparat ein erhöhtes Verfolgungsinteresse an ihm habe. Nach der Auskunft sei im Übrigen von einer gemäßigten rechtsstaatlichen Vorgehensweise der armenischen Ermittlungsbehörden und Gerichte in vergleichbaren Fällen auszugehen. Mithin habe der Kläger zu 1), selbst für den Fall, dass zukünftig noch ein Verfahren gegen ihn eingeleitet werden sollte, keine asylrechtlich relevante unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung zu befürchten.
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3. Mit Beschluss vom 5. Juni 2024 (Az.: 6a K 2253/23.A) erklärte sich das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg.
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Mit Beschluss vom 20. Juni 2024 übertrug die Kammer den Rechtsstreit auf den Einzelrichter zur Entscheidung.
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Zur mündlichen Verhandlung am 11. September 2024 ist für die Beklagte niemand erschienen. Die Kläger wurden informatorisch gehört.
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Sie ließen beantragen,
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 31. Mai 2023 wird aufgehoben.
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Die Beklagte wird verpflichtet, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen und den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
Hilfsweise den Klägern den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen;
Hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Armenien vorliegen.
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Mit Beschluss vom 17. September 2024 erhob das Gericht Beweis durch Einholung einer sachverständigen Auskunft des Auswärtigen Amtes, welche mit Schreiben vom 28. März 2025 erstattet wurde. Auf den Inhalt des Beweisbeschlusses und des Schreibens des Auswärtigen Amtes wird verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
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Die Beteiligten haben jeweils auf die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung verzichtet.
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4. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Behördenakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 11. September 2024 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Sie ist zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 31. Mai 2023 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Sie haben im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Anerkennung als Asylberechtigte, Zuerkennung subsidiären Schutzes oder die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Armenien (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Auch die übrigen im Bescheid getroffenen Entscheidungen sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 3 AsylG). Die Ausführungen decken sich mit der Erkenntnislage des Gerichts, insbesondere mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien, 5.3.2024; siehe auch: BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Armenien (LIF), 15.11.2024).
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Ergänzend ist auszuführen:
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1. Über die Klage konnte nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden. Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 17. April 2025 (Beklagte) und 23. April 2025 (Kläger) dahingehende Erklärungen abgegeben.
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2. Die Klage ist unbegründet.
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Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Anerkennung als Asylberechtigte, Zuerkennung subsidiären Schutzes oder die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Auch die übrigen im Bescheid getroffenen Entscheidungen sind rechtlich nicht zu beanstanden.
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a.) Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Anerkennung als Asylberechtigte.
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Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
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Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG; vgl. hierzu auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2011/95/EU – Qualifikationsrichtlinie), oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1.) beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG; siehe hierzu auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. b Qualifikationsrichtlinie).
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Zudem müssen die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d Qualifikationsrichtlinie (vgl. jetzt § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“), was dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32 m.w.N.). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG; vgl. hierzu bereits BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118.90 – juris; BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris). Die Tatsache, dass ein Antragteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie).
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Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 –, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asyl- oder Flüchtlingsanspruch voraus, dass der Schutzsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asyl- bzw. Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 –, Buchholz, § 108 VwGO Nr. 147).
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Gemessen hieran haben die Kläger nicht zur Überzeugung des erkennenden Einzelrichters darlegen können, dass ihnen im Falle einer Rückkehr nach Armenien flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
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Dies gilt insbesondere auch für den Kläger zu 1). Er gab gegenüber dem Bundesamt und im Rahmen der mündlichen Verhandlung übereinstimmend im Wesentlichen an, im Bergkarabach-Krieg im Jahr 2020 als Kommandant für Sondertruppe der Polizei im Einsatz gewesen zu sein, wobei er bei einem Einsatz in der Nähe der Stadt Shushi aufgrund heftigen Beschusses den Rückzug seiner Einheit befohlen habe und mitgebrachte Ausrüstung und Waffen zurückgelassen worden seien. Im Nachgang habe man ihm dies vorgeworfen und er befürchte die Einleitung eines Strafverfahrens, bei dem er eine härtere Bestrafung als üblich aus politischen Gründen zu erwarten habe.
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Das Gericht hält das Vorbringen des Klägers zu 1) dabei im Ausgangspunkt für nachvollziehbar und glaubhaft, insbesondere hinsichtlich seiner Zugehörigkeit zu der genannten Polizeieinheit und des Einsatzes auf dem Gebiet Bergkarabachs. Auch stellt das Gericht dem Kläger zu 1) nicht in Abrede, dass die geschilderten Ereignisse bei dem dortigen Einsatz im Wesentlichen so ereignet haben.
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Gleichwohl führt dies nicht zu einem Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Zunächst ist aufgrund der eingeholten Auskunft festzustellen, dass es in öffentlich zugänglichen Quellen keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass gegen den Kläger zu 1) ein Straf- oder Disziplinarverfahren wegen Desertion oder ähnlichem anhängig ist. Der vorgelegten anderslautenden „Bescheinigung“ der Union der Veteranen der Spezialeinheiten der Polizei kommt demgegenüber kein Beweiswert zu. Aus der eingeholten Auskunft ergibt sich, dass zum einen die in der Bescheinigung angegebene Anschrift, nicht die der im Staatsregister für diese Vereinigung festgehaltenen Anschrift entspricht und die Organisation nicht berechtigt oder befugt ist, jemanden wegen angeblicher Handlungen mit einem strafrechtlichen Gutachten anzuzeigen und diese Gutachten keinen juristischen Wert haben. Die Echtheit der Bescheinigung konnte nicht bestätigt werden. Vor diesem Hintergrund ist sie nicht geeignet, eine tatsächliche Strafverfolgung gegenüber dem Kläger zu 1) zu belegen.
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Selbst wenn der Kläger zu 1) entgegen vorstehender Ausführungen im Falle einer Rückkehr tatsächlich einem Straf- oder Disziplinarverfahren wegen Desertion ausgesetzt sein sollte, stellt dieses keine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 AsylG, Art. 9 Abs. 2 Buchst. b) und c) der Qualifikationsrichtlinie in Form gesetzlicher, administrativer oder justizieller Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden oder unverhältnismäßiger oder diskriminierender Strafverfolgung oder Bestrafung, dar.
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Strafverfolgung und eine ggf. folgende Verurteilung wegen Desertion sind im Grundsatz keine Verfolgung in diesem Sinne. Die Bestimmung des Art. 9 Abs. 2 Buchst. b) und c) der Qualifikationsrichtlinie erfasst Maßnahmen öffentlicher Stellen, deren diskriminierender oder unverhältnismäßiger Charakter nach Art. 9 Abs. 1 einen bestimmten Schweregrad erreichen muss, um als Verletzung von Grundrechten eingestuft werden zu können, die eine Verfolgung im Sinne von Art. 1 Abschnitt A der Genfer Konvention darstellt. Dabei müssen fragliche Handlungen aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der absoluten Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten keine Abweichung zulässig ist. Ferner ist nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie auch eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist, als Verfolgung anzusehen. Die Feststellung einer Unverhältnismäßigkeit etwaiger Strafverfolgung und Bestrafung, welche dem Kläger zu 1) aufgrund einer etwaigen Desertion / Befehlsverweigerung drohen würde, setzt voraus, dass ein solches Vorgehen über das hinausgeht, was erforderlich ist, dass der betreffende Staat (hier: Armenien) sein legitimes Recht auf Unterhaltung einer Streitkraft bzw. im Falle des Klägers zu 1) der in Rede stehenden Polizeitruppen, ausüben kann (vgl. zu alldem: EuGH, U.v. 26.2.2015 – C-472/13 – „Shepherd“ – juris Rn. 25, 49f f.; VG München, U.v. 16.11.2016 – M 25 K 15.31291 – juris Rn. 59 f.).
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Dies zu Grunde gelegt, stellt selbst eine dem Kläger zu 1) drohende Bestrafung im Falle der Rückkehr keine Verfolgung im obigen Sinne dar. Es ist zunächst festzustellen, dass Desertion im armenischen Strafgesetzbuch nach Art. 362 im einfachen Fall mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, in qualifizierten Fällen bis zu zwölf Jahren bestraft wird (vgl. http://www.parliament.am/legislation.php?sel=show& ID=1349& lang=eng#12; zuletzt abgerufen am 5.5.2025). Die Bestrafung im einfachen Fall entspricht den Regelungen zur Fahnenflucht im deutschen Wehrstrafrecht (§ 16 Abs. 1 WStG; Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren). Auch andere Rechtsordnungen sehen Freiheitsstrafen in ähnlichem (§ 9 Abs. 1 Militärstrafgesetz der Republik Österreich – sechs Monate bis fünf Jahre), milderen (Art. 148 des Militärstrafgesetzbuchs für Friedenszeiten der Republik Italien – Militärhaft von sechs Monaten bis zu zwei Jahren) oder strengerem bzw. potentiell strengerem Umfang vor (§ 886. Art. 86 Uniform Code of Military Justice der Vereinigten Staaten von Amerika – Strafe nach Ermessen des Militärgerichts; Section 8 Abs. 4 Buchst. a United Kingdom Armed Forces Act – bis zu lebenslanger Haft).
36
Gleiches gilt für weitere in Frage kommende Straftatbestände wie Befehlsverweigerung (Art. 356 des armenischen Strafgesetzbuchs – Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre) oder der eigenmächtigen Abwesenheit (Art. 361 – Arrest bis zu drei Monaten). Vergleichbare Straftatbestände sind in anderen Rechtsordnungen ebenfalls vorgesehen. Die eigenmächtige Abwesenheit (§ 15 Abs. 1 WStG) sowie der Ungehorsam (§ 19 WStG) oder Gehorsamsverweigerung (§ 20 WStG) werden jeweils mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. Das österreichische Militärstrafgesetz sieht für die unerlaubte Abwesenheit (§ 8 MilStG) eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten bzw. einem Jahr vor und für den Ungehorsam (§ 12 MilStG) eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren. Für Soldaten, die während der Wache oder Patrouille ihren Posten verlassen oder Befehlen zuwiderhandeln, sieht das Militärstrafgesetzbuch der Republik Italien Militärhaft von bis zu drei Jahren bzw. in besonderen Fällen bis zu fünf Jahren vor (Art. 118). Das unerlaubte Fernbleiben wird ebenfalls mit Militärhaft von bis zu sechs Monaten pönalisiert (Art. 147). Der United Kingdom Armed Forces Act sieht in Section 12 Abs. 2 für Ungehorsam gegenüber rechtmäßigen Befehlen eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren vor und für ein unerlaubtes Entfernen / Fernbleiben von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe (Section 15 Abs. 3).
37
Insoweit sind die ggf. in Armenien zu erwartenden Strafen im Grundsatz keinesfalls unüblich oder im Vergleich zu anderen Rechtsordnung unangemessen. Vielmehr bewegen sie sich im Rahmen dessen, was für die Durchsetzung des legitimen Rechts des armenischen Staates auf Unterhaltung einer Streitkraft bzw. der in Rede stehenden Polizeitruppen erforderlich und üblich ist.
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Zuletzt zeigt auch die Erkenntnislage, insbesondere die eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28. März 2025, dass die Bestrafungspraxis in Armenien, in Fällen wie vom Kläger zu 1) geschildert, als gemäßigt anzusehen ist und in vielen Fällen Bewährungsstrafen ausgesprochen wurden, wenn die Verfahren nicht bereits in der Vorermittlungsphase eingestellt wurden (Bl. 5 f. der Auskunft vom 28.3.2025).
39
Es ist vor diesem Hintergrund nicht erkennbar, dass der Kläger zu 1) im Falle eines tatsächlich durchgeführten Strafverfahrens eine diskriminierende justizielle Maßnahme (§ 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG) oder eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung (§ 3 Abs. 2 Nr. 3 AsylG) zu befürchten hätte. Es wäre ihm nach Vorstehendem zumutbar, sich einem etwaigen Strafverfahren in Armenien zu stellen, zumal vor dem Hintergrund, dass die bislang in vergleichbar gelagerten Fällen geführten Verfahren nach der eingeholten Auskunft den Prinzipien eines fairen Gerichtsverfahrens entsprochen haben (vgl. Beantwortung Frage 6 in der Auskunft vom 28.3.2025). Es gibt im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger zu 1) aufgrund des Umstands, dass sich die Vorfälle im Rahmen des in Armenien hoch brisanten Bergkarabach-Konfliktes ereignet haben, eine politische Gegnerschaft unterstellt oder seine Strafe aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der Yeziden strenger als übliche ausfallen würde (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG; sog. Politmalus). Dies kann den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln nicht entnommen werden. Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, welche nach Merkmalen im Sinne von § 3b AsylG, insbesondere auch der politischen Überzeugung, diskriminiert, ist in Armenien nicht feststellbar (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 8). Ebenso sind durch den armenischen Staat begangene menschrechtswidrige Handlungen wie extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Fälle von Verschwindenlassen, Zwangsarbeit oder unmenschliche / erniedrigenden Strafen nicht bekannt (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 13).
40
Soweit der Kläger zu 1) zuletzt noch auf eine Verurteilung des Generalleutnants Jalal Harutyunyan zu einer Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren Bezug nimmt, ist dem insoweit angeführten Pressebericht bereits nicht zu entnehmen, dass dieser Fall mit dem des Klägers zu 1) vergleichbar war und im Übrigen ist – soweit man die Informationen in dem Pressebericht als wahr unterstellt – die Verurteilung zu fünfeinhalb Jahren Haft bei einem angegebenen Strafrahmen von fünf bis zehn Jahren ebenfalls nicht als unverhältnismäßig hoch sondern vielmehr als gemäßigt anzusehen (vgl. https://armenpress.am/ru/article/1211490; abgerufen am 5.5.2025).
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Nach alledem hat der Kläger zu 1) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
42
Die Klägerin zu 2) hat keinerlei in ihrer Person liegende Gründe, welche die Annahme einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgung im Falle der Rückkehr rechtfertigen würden, vorgetragen. Soweit sie befürchtet, dass sich eine etwaige Strafverfolgung des Klägers zu 1) auch auf sie beziehen würde, ist darauf hinzuweisen, dass die Anwendung staatlicher Repressionen gegenüber Angehörigen oder sonstigen nahestehenden Personen (sog. „Sippenhaft“) in Armenien nach der Erkenntnislage nicht praktiziert wird (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 8). Greifbare Gründe, weshalb dies bei der Klägerin zu 2) anders sein sollte, wurden weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich.
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Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte scheidet nach obigen Ausführungen ebenfalls aus. Im Übrigen würde einem solchen Anspruch Art. 16a Abs. 2 GG entgegenstehen, da die Kläger nach eigenen Angaben von Kaliningrad (Russische Föderation) mit dem Auto nach Deutschland eingereist sind (Bl. 201 der Behördenakte), was notwendigerweise die Einreise über Mitgliedsstaaten der Europäischen Union voraussetzt.
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b.) Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes.
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Es ist aufgrund der Erkenntnislage insbesondere nicht davon auszugehen, dass dem Kläger zu 1) im Falle einer Rückkehr nach Armenien eine unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht.
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Auf die obigen Ausführungen und die Darstellung im streitgegenständlichen Bescheid (§ 77 Abs. 3 VwGO) wird verwiesen.
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c.) Die Kläger haben keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.
48
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung eines Ausländers ist danach unzulässig, wenn ihm im Zielstaat unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht oder wenn im Einzelfall andere in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgte, von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind (vgl. BVerwG, U.v. 24.5.2000 – 9 C 34/99 – juris Rn. 11).
49
Dabei können unter bestimmten Umständen auch schlechte humanitäre Bedingungen eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen. Jedoch können diese nur in ganz außergewöhnlichen Fällen zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn es sich hierbei um zwingende humanitäre Gründe handelt (vgl. OVG NW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris m.w.N.). Aus der Rechtsprechung des EGMR (U.v. 28.6.2011 – Nr. 8319/07 und 11449/07 – BeckRS 2012, 8036 – Rn. 278) und des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12) ergibt sich, dass die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraussetzt. Nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechenden humanitären Gründe zwingend sind. Entscheidend ist, dass die Person keiner Situation extremer materieller Not ausgesetzt wird, die es ihr unter Inkaufnahme von Verelendung verwehrt, elementare Bedürfnisse zu befriedigen. Maßstab für die im Rahmen der Prüfung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK anzustellende Gefahrenprognose ist grundsätzlich, ob der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer nach seiner Rückkehr, gegebenenfalls durch ihm gewährte Rückkehrhilfen, in der Lage ist, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen. Nicht entscheidend ist hingegen, ob das Existenzminimum eines Ausländers in dessen Herkunftsland nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist (BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10.21 – juris Rn. 25 ff.).
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Gemessen hieran haben die Kläger keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Das Gericht verweist auch insofern auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung ab (§ 77 Abs. 3 AsylG). Insbesondere hat das Bundesamt die derzeitige humanitäre Situation in Armenien im streitgegenständlichen Bescheid ausführlich gewürdigt (S. 8 ff.).
51
An dieser Einschätzung hat sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung unter Berücksichtigung des Vorbringens der Kläger und der Erkenntnislage (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 14 f.; BFA, a.a.O., S. 45 ff.) nichts geändert.
52
Der Kläger zu 1) hat in Armenien nach eigenen Angaben lange Jahre gearbeitet und eine Rente bezogen sowie von seinen Ersparnissen gelebt (Bl. 188 f. der Behördenakte). Die Klägerin zu 2) ist mit 50 Jahren zudem noch im erwerbsfähigen Alter. Im Übrigen haben die Kläger noch diverse Familienangehörige im Heimatland. Es ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich, weshalb es ihnen im Falle einer Rückkehr nicht gelingen sollte, sich einen den Anforderungen des Art. 3 EMRK genügenden Lebensstandard durch Erwerbstätigkeit zu erwirtschaften, zumal sie zur Überbrückung der Anfangszeit nach der Rückkehr auf Rückkehr- und Starthilfen für freiwillig Zurückkehrende zurückgreifen können. Im Bedarfsfalle sind die Kläger auf das soziale Sicherungssystem in seinem Heimatland zu verweisen (vgl. zu letzteren: BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Armenien, Version 13 Stand: 15.11.2024, S. 47 f.).
53
Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sie bei realitätsnaher Betrachtung nur gemeinsam mit ihrem 17-jährigen Sohn, der sich ebenfalls in Deutschland befindet und seine Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid zurückgenommen hat, nach Armenien zurückkehren würden (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 49.18 – juris Rn. 15 ff.). Dass es den Klägern zu 1) und 2) bei einer Rückkehr nicht gelingen sollte – wie in der Vergangenheit auch – einen dem Art. 3 EMRK genügenden Lebensstandard für die Familie zu erwirtschaften, ist nicht ersichtlich.
54
d.) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Das Gericht nimmt insoweit Bezug auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid und sieht von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 3 AsylG).
55
e.) Die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheides ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ebenfalls rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.
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Insoweit wird zunächst wiederum auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheides verwiesen und von einer nochmaligen Darstellung abgesehen (§ 77 Abs. 3 AsylG).
57
Dem Erlass der Abschiebungsandrohung stehen zudem im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt weder familiäre Belange noch das Kindeswohl entgegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG).
58
Der 17-jährige Sohn der Kläger hat seine Klage gegen den vorliegenden Bescheid am 21. Dezember 2023 gegenüber dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zurücknehmen lassen (vgl. Bl. 52 der elektronischen Gerichtsakte), weshalb die ihm gegenüber ergangene Abschiebungsandrohung bestandskräftig geworden ist. Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung verfügt der Sohn der Kläger zudem nicht über ein gesichertes Bleiberecht in Form eines Aufenthaltstitels, weshalb er ebenfalls ausreisepflichtig ist und eine (dauerhafte) Trennung mithin nicht zu befürchten steht.
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f.) Das in Nr. 6 des Bescheids angeordnete und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot findet seine Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 1 AufenthG und ist auch im Übrigen rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Insbesondere sind hinsichtlich der Befristung, die sich innerhalb des gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG zulässigen Rahmen bewegt, keine Ermessensfehler ersichtlich (§ 114 VwGO), zumal diesbezüglich keine schützenswerten Belange (vgl. hierzu insbesondere BayVGH, B.v. 6.4.2017 – 11 ZB 17.30317 – juris Rn. 13) vorgetragen wurden.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.