Titel:
Türkei, Familie mit drei Kindern, Kurden, HDP, Rekrutierungsversuche des IS, Drohungen, Beschuss des Hauses, inländische Fluchtalternative, kein Abschiebungsverbot
Normenketten:
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft besteht nicht, wenn keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung aufgrund flüchtlingsrelevanter Merkmale vorliegt und das Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft dargelegt wird. (Rn. 14-30)
Schlagworte:
Türkei, Familie mit drei Kindern, Kurden, HDP, Rekrutierungsversuche des IS, Drohungen, Beschuss des Hauses, inländische Fluchtalternative, kein Abschiebungsverbot
Fundstelle:
BeckRS 2025, 16026
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 25. Juli 2024 wird aufgehoben, soweit die Asylanträge der Kläger in den Ziffern 1 und 3 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens haben die Kläger 4/5 und die Beklagte 1/5 zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
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Die Kläger sind türkische Staatsangehörige kurdischer Volks- und muslimischer Religionszugehörigkeit. Sie reisten am 28. Oktober 2023 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 20. November 2023 stellten sie Asylanträge.
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1. Die Kläger zu 1) und 2) wurden beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 22. Juli 2024 persönlich angehört. Der Kläger zu 1) gab im Wesentlichen an: Er sei von einem Mann immer wieder aufgefordert worden, ihn zu islamischen Vereinen zu begleiten. Als er – der Kläger zu 1) – einmal aus dem Gebäude der HDP herausgekommen sei, habe der Mann ihn gefragt, was er dort zu suchen habe. Die HDP sei mit der PKK gleichzusetzen. Er habe sie mit seiner Frau vor einem Supermarkt wiedergetroffen und gewollt, dass sie den Verein mit ihm besuchen sollten. Obwohl der Kläger zu 1) ihm mitgeteilt habe, dass er das nicht wolle, sei er bedrängt und ständig gestört worden. Deswegen sei er nach A* … geflohen, wo nach ca. eineinhalb Monaten das Haus beschossen worden sei. Die Töchter hätten ihn angerufen, da sie bedroht worden seien. Auch seine Frau sei bedroht und belästigt worden. Er und seine Frau hätten Anzeige bei der Polizei erstattet. Die Leute seien dann zur Polizeistation gerufen worden, um eine Aussage zu machen. Wegen fehlender Beweise seien sie wieder freigelassen worden. Sie hätten sich 20 Tage lang bei den Eltern der Klägerin zu 2) versteckt. Der Anwalt habe gesagt, die Polizei unternehme nichts. Man habe ihnen gesagt, dass man sie finden werde, egal, wo sie hingingen; dies sei auch an die Hauswand geschrieben worden. Konkreter Anlass für die Ausreise sei die ISIS gewesen. Die Klägerin zu 2) führte ebenfalls aus, dass die ISIS der Grund für die Ausreise gewesen sei. Der Mann habe die Familie aufgefordert, sich ihnen anzuschließen, sonst würden sie den Kläger zu 1) aus dem Weg räumen und die Klägerin zu 2) und die Kinder zu ihnen bringen. Eine Woche später sei habe die Familie einen Mann vor dem Supermarkt angetroffen. Zwei Tage später hätten sich der Klägerin drei Männer in den Weg gestellt, woraufhin sie Anzeige erstattet hätten, die nicht ernst genommen worden sei. Am nächsten Tag seien ihr die Männer in ihrer Gegend aufgefallen. Vier bis fünf Tage später seien die Mädchen von den Männern auf dem Weg zur Schule angehalten, belästigt und bedroht worden. Die Mädchen hätten ihren Vater angerufen. Dann seien sie nach A* … gegangen. Nach ca. 1,5 Monaten hätten sie nachts Schüsse gehört. Sie seien rausgegangen und hätten gesehen, dass das Haus, die Wände und Fenster beschossen worden seien. Die Wände seien mit Beschimpfungen beschmiert worden. Sie seien zur Polizei gegangen, die nichts unternommen habe. Ihr Anwalt habe zur Ausreise geraten. Die Asylgründe gälten auch für ihre Kinder.
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2. Mit Bescheid vom 25. Juli 2024 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1 des Bescheids), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf subsidiären Schutz (Nr. 3) jeweils als offensichtlich unbegründet ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Kläger wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen Staat, in den die Kläger einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, wurde angedroht. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der Klagefrist und im Falle der fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
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Zur Begründung führte das Bundesamt aus, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte lägen nicht vor. Die Kläger seien keine Flüchtlinge im Sinne des § 3 AsylG. Aus dem Vorbringen der Kläger ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass sie aufgrund eines asyl- und flüchtlingsrelevanten Merkmals von staatlichen Stellen verfolgt würden oder bei Rückkehr Gefahr liefen, Opfer einer solchen Verfolgung zu werden. Soweit der Kläger zu 1) vorgetragen habe, er werde aufgrund eines Geheimnisses, von dem er Kenntnis erhalten habe, verfolgt, drängten sich erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt auf. Vor allem die Benennung der „ISIS“ als Auslöser der Ausreise spreche gegen die Glaubhaftigkeit des Sachvortrags. Seit 2014 nenne sich die „ISIS“ nur noch „IS“. Zudem könnten die Kläger nicht belegen, inwiefern die türkische Regierung den IS unterstütze. Die türkische Regierung gehe gegen IS-Anhänger rigoros vor. Auffällig sei zudem, dass die Sachvorträger der Kläger zu 1) und 2) bis ins kleinste Detail identisch seien. Selbst bei Wahrunterstellung sei keine Asylrelevanz zu erkennen. Eine Verfolgungsgefahr werde durch niedrigschwellige Tätigkeiten für die HDP regelmäßig nicht begründet. Letztendlich vermöge auch die Zugehörigkeit zur ethnischen Minderheit der Kurden in der Türkei dem Asylantrag nicht zum Erfolg zu verhelfen. Die Volksgruppe der Kurden sei in der Türkei keiner landesweiten staatlichen Gruppenverfolgung ausgesetzt. Soweit es faktisch zu staatlichen Diskriminierungen komme, die allein an die Volkszugehörigkeit anknüpften, erreichten sie regelmäßig (auch unter dem Aspekt der Kumulierung) nicht den erforderlichen Schweregrad gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Es fehle zudem an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte. Den Klägern sei der subsidiäre Schutz i.S.v. § 4 Abs. 1 AsylG nicht zuzuerkennen. Soweit sie vortragen würden, vom IS verfolgt zu werden, seien Schutzakteure vorhanden. Die Kläger seien auf die Schutzgewährung durch schutzwillige und schutzfähige staatliche Institutionen zu verweisen. Es müsse der Schutz der Heimatbehörden (Polizei, Justiz) in Anspruch genommen werden. Die Kläger könnten im Übrigen auf interne Schutzmöglichkeiten im Westen der Türkei verwiesen werden. Kurden genössen wie alle türkischen Staatsangehörigen grundsätzlich Freizügigkeit in der Türkei und könnten sich bei einer Verschlechterung der Lage im Südosten der Türkei in anderen Landesteilen niederlassen, es bestehe die Möglichkeit internen Schutzes. In Anbetracht der Verhältnisse im Westen der Türkei sei i.d.R. davon auszugehen, dass Kurden aus dem Osten der Türkei in der Westtürkei eine ausreichende Lebensgrundlage fänden. Es sei den Klägern zumutbar, sich dort niederzulassen. Bei den Klägern zu 1) und 2) handele es sich um gesunde und arbeitsfähige Personen. Insbesondere lebten die Eltern des Klägers zu 1) in I* … Die Asylanträge würden zudem als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG abgelehnt. Die vorgetragenen Umstände seien nicht von Asylrelevanz. Zudem erfülle der Vortrag der Kläger § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Es sei offensichtlich falsch, dass die türkische Regierung den IS unterstütze. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Den Klägern drohe keine durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in der Türkei führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung der Kläger eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Es seien seitens der Kläger keine individuellen Gefahren geltend gemacht worden. Die Kläger zu 1) und 2) seien vor ihrer Ausreise erwerbstätig gewesen. Es sei davon auszugehen, dass sie sich in der Türkei erneut eine Existenzgrundlage sichern könnten. Von einer drohenden Verelendung bei Rückkehr könne deshalb nicht ausgegangen werden. Es drohe den Klägern auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Die Kläger hätten keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben vorgetragen. Sie litten an keinen Krankheiten. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
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3. Am 7. August 2024 ließen die Kläger über ihren Bevollmächtigten Klage mit dem zuletzt gestellten Antrag erheben,
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die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. Juli 2024 zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft,
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hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
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weiter hilfsweise festzustellen, dass für die Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die Kläger hätten aus der Türkei fliehen müssen, nachdem sie einer stetigen Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt gewesen seien. Der Kläger zu 1) sei bei mehreren Gelegenheiten von Personen bedrängt worden, die ihm Kontakte zur HDP vorgeworfen und ihn aufgefordert hätten, sich einer radikalen Gruppe, die als ISIS in der Region bekannt sei, anzuschließen. Der Kläger zu 1) habe dieses Ansinnen abgelehnt, woraufhin er und seine Familie Einschüchterungen und Bedrohungen durch diese Gruppe erlitten hätten. Das Bundesamt habe übersehen, dass diese Bedrohungen durch nichtstaatliche Akteure erfolgten und die Familie keine Unterstützung von staatlicher Seite erwarten könne. Um dem direkten Zugriff der Bedroher zu entgehen, sei die Familie nach A* … gezogen. Die Angst und der psychische Druck seien jedoch derart hoch gewesen, dass die Kläger nach weiteren Bedrohungen auch A* … verlassen hätten und sich in einem weiteren Versteck unter familiärem Schutz hätten aufhalten müssen. Trotz dieser Verlegung ihres Wohnorts in eine andere Region der Türkei hätten die Bedrohungen und Angriffe auf die Familie nicht aufgehört. Ihr Haus in A* … sei schließlich beschossen worden, was die Kläger endgültig dazu gezwungen habe, das Land zu verlassen. Der Vorfall, bei dem ihr Haus beschossen worden sei, zeige nicht nur das Bedrohungspotenzial der Täter, sondern auch das völlige Versagen der türkischen Behörden, der Familie Schutz zu bieten. Die Verwechslung der Begriffe „ISIS“ und „IS“ stelle keinen Widerspruch dar und könne keine Grundlage für die Ablehnung des Schutzersuchens bilden. Die Kläger hätten in ihren Anhörungen unabhängig voneinander ähnliche und detaillierte Berichte über die Bedrohungen abgegeben. Diese Konsistenz werde vom Bundesamt als Beweis für eine vermeintlich abgesprochene, unwahre Geschichte gewertet. Jedoch spreche genau diese Konsistenz für die Authentizität der Aussagen. Die angegriffene Entscheidung basiere auf der Annahme, dass die türkische Regierung gegen den IS vorgehe und daher die Kläger keine Bedrohung durch eine von der Regierung tolerierte Gruppe erfahren könnten. Diese Argumentation verkenne die Realität der Situation in der Türkei, wo staatliche Stellen nicht immer und in jedem Fall intervenierten, wenn Minderheiten durch nichtstaatliche Akteure bedroht würden. Die Kläger seien entweder als Flüchtlinge im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG anzuerkennen oder ihnen sei subsidiärer Schutz gemäß § 4 AsylG zu gewähren, da sie im Falle einer Rückkehr der Gefahr unmenschlicher Behandlung oder Folter ausgesetzt wären. Die Kläger sähen sich aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit und der Nähe zur HDP in einer besonders gefährdeten Lage ausgesetzt. Die kurdische Identität und die Unterstützung der HDP als politische Partei, die sich für die Rechte der Kurden in der Türkei einsetze, hätten sie zu einem Ziel für Bedrohungen und Einschüchterungen durch nichtstaatliche Akteure gemacht. Eine Abschiebung der Kläger in die Türkei sei mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer Verletzung von Art. 3 EMRK verbunden. Die geschilderten Lebensumstände und Vorfälle machten deutlich, dass die Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei nicht nur Gefahr laufen würden, erneut Opfer von Einschüchterungen zu werden, sondern dass ihnen auch eine konkrete Gefahr für Leib und Leben drohe.
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4. Die Beklagtenseite beantragte,
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Zur Begründung bezog sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung.
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5. Mit Beschluss vom 9. August 2024 ordnete das Verwaltungsgericht Würzburg die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nr. 5 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 25. Juli 2024 an. Auf die Gründe wird Bezug genommen.
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Mit Beschluss vom 2. Oktober 2024 übertrug die Kammer den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung.
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6. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte – insbesondere auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung am 13. März 2025 – sowie auf die beigezogenen Behördenvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
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Das Gericht konnte im vorliegenden Fall über die Klage entscheiden, ohne dass die Beklagtenseite an der mündlichen Verhandlung am 13. März 2025 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die Kläger haben zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus oder auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG; die Ziffern 1, 3 und 4 des Bescheids des Bundesamtes vom 25. Juli 2024 sind insoweit rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Ziffern 1 und 3 des Bescheids des Bundesamts vom 25. Juli 2024 sind allerdings insoweit rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, als ihre Asylanträge als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurden. Die Ziffern 5 und 6 des Bescheids des Bundesamtes vom 25. Juli 2024 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
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1.1. Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen. Schutz vor Verfolgung kann gemäß § 3d AsylG nur geboten werden vom Staat oder von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz zu bieten. Der Schutz muss gemäß § 3d Abs. 2 AsylG wirksam und nicht nur vorübergehender Art sein. Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e AsylG jedoch nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zum Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat, sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Bei Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes diese Voraussetzungen erfüllt, sind gemäß § 3e Abs. 2 AsylG die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der RL 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Nach Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet somit die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (BVerwG, U.v. 7.9.2010 – 10 C 11/09 – juris).
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Bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Dies setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei ist maßgeblich, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936/940).
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Der Schutzsuchende muss sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darlegen. Er muss die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, zu denen insbesondere seine persönlichen Erlebnisse fallen, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, den geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen (VG Bayreuth, U.v. 13.7.2015 – B 3 K 14.30344 – juris). Dies ist nicht der Fall, wenn der Schutzsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen unauflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich erachtet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. VGH BW, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; HessVGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris).
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Dies zugrunde gelegt haben die Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG. Im Einzelnen:
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1.2. Zunächst droht den Klägern im Falle der Rückkehr in die Türkei keine Gruppenverfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden.
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Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa U.v. 18.7.2006 – 1 C 15/05 – juris; U.v. 21.4.2009 – 10 C 11/08 – juris) voraus, dass entweder sichere Anhaltspunkte für ein an asylerhebliche Merkmale anknüpfendes staatliches Verfolgungsprogramm oder für eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegen, die die Vermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr einer Betroffenheit besteht. Zudem gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, wenn also auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar ist. Dies zugrunde gelegt, droht den Klägern wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden nicht die Gefahr einer landesweiten Verfolgung.
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Die Kläger gehören als Kurden zu einer weit verbreiteten Bevölkerungsgruppe in der Türkei, wobei Anhaltspunkte für eine staatliche oder staatlich geduldete Gruppenverfolgung nicht vorliegen. Die ethnische Gruppe der Kurden zählt in der Türkei 13 bis 15 Mio. Menschen, womit sie die größte Minderheit bilden. Sie sind aufgrund ihrer Abstammung keinen staatlichen Repressionen unterworfen, die Ausweispapiere enthalten auch keine Aussage zur ethnischen Zugehörigkeit. Der private Gebrauch der kurdischen Sprache ist in Wort und Schrift seit Anfang der 2000er Jahre keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt. Unterricht in kurdischer Sprache ist an öffentlichen Schulen seit 2012 und an privaten seit 2014 möglich (Wahlpflichtfach „Lebendige Sprachen und Mundarten“). Außerdem wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Dörfer im Südosten ihre kurdischen Namen zurückerhalten. Die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als einziger Nationalsprache bleibt jedoch erhalten. Seit einigen Jahren existiert im Südosten eine lebendige kurdischsprachige Medienlandschaft (TV, Funk, Print, Online). Viele – regierungskritische – Medien wurden jedoch seit 2015 von der Regierung verboten (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 14.6.2019, S. 12 f., Bericht vom 28.7.2022, S. 10 sowie zuletzt Bericht vom 20.5.2024, S. 10). Der Druck auf kurdische Medien und die Berichterstattung über kurdische Themen hält durch Gerichtsverfahren und Verhaftungen von Journalisten an. Es gibt Berichte über die Entlassung kurdischer Wissenschaftler und Dozenten, die teilweise unter Terrorismus-Verdacht stehen, und gegen die entsprechende Untersuchungen laufen. Weiter kam es zur Schließung kurdischsprachiger NGOs und Institutionen. Diejenigen, die abweichende Meinungen zu den Themen äußern, die das kurdische Volk betreffen, werden in der Türkei seit langem strafrechtlich verfolgt. Kurden in der Türkei sind aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit sowohl offiziellen als auch gesellschaftlichen Diskriminierungen ausgesetzt. Umfang und Form dieser Diskriminierung hängen von der geografischen Lage und den persönlichen Umständen ab. Kurden in der West-Türkei sind nicht mit dem gleichen Risiko konfliktbezogener Gewalt konfrontiert wie im Südosten. Viele Kurden, die nicht politisch aktiv sind, und diejenigen, die die Regierungspartei AKP unterstützen, sind in die türkische Gesellschaft integriert, identifizieren sich mit der türkischen Nation und leben ihr Leben auf normale Weise. Menschenrechtsbeobachter berichten jedoch, dass einige Kurden in der West-Türkei zögern, ihre kurdische Identität preiszugeben, etwa durch die Verwendung der kurdischen Sprache in der Öffentlichkeit, aus Angst, eine gewalttätige Reaktion zu provozieren. Im Südosten sind diejenigen, die in kurdischen politischen oder zivilgesellschaftlichen Organisationen tätig sind (oder als solche aktiv wahrgenommen werden), einem höheren Risiko ausgesetzt als nicht politisch tätige Personen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Türkei vom 22.9.2022, S. 150, sowie zuletzt vom 7.3.2024, S. 189).
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Kurdische Volkszugehörige unterliegen damit in der Türkei zwar einer gewissen Diskriminierung. Sie sind derzeit und in überschaubarer Zukunft jedoch keiner an ihre Volkszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten Verfolgung ausgesetzt. Es fehlt insoweit unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnismittel jedenfalls an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte (vgl. zur Gruppenverfolgung BVerfG, B.v. 23.1.1991 – 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 – BVerfGE 83, 216 m.w.N.; BVerwG, B.v. 24.2.2015 – 1 B 31/14 – juris).
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1.3. Soweit der Kläger zu 1) vorgetragen hat, Freiwilliger der HDP gewesen zu sein, vermag auch dies nicht der Klage zum Erfolg zu verhelfen. Das Risiko eines Mitglieds oder Sympathisanten der HDP, der Unterstützung der PKK verdächtigt und deswegen staatlichen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein, ist abhängig vom individuellen Profil und den konkreten Betätigungen des Einzelnen. Normale Mitglieder stehen dabei im Allgemeinen nicht allein wegen ihrer politischen Überzeugung im besonderen Fokus der staatlichen Ermittlungsbehörden. Die Aufmerksamkeit der Behörden erlangen normale Mitglieder meist nur darüber, dass sie ungünstig aufgefallen sind. Eine Verfolgungsgefahr wird nach Ansicht des erkennenden Einzelrichters durch niedrigschwellige Aktivitäten in Zusammenhang mit der HDP ohne Hinzutreten besonderer Anhaltspunkte regelmäßig nicht begründet (so auch VG Köln, U.v. 7.12.2022 – 22 K 2556/20.A – juris Rn. 38 ff.; VG Aachen, U.v. 11.2.2022 – 10 K 1852/19.A – juris Rn. 53 ff.; VG Kassel, U.v. 29.4.2021 – 5 K 74/19.KS.A – juris Rn. 45; VG Potsdam, U.v. 13.8.2020 – 1 K 4342/17.A – juris Rn. 39).
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Bei Zugrundelegung des klägerischen Vortrags treffen die genannten Risikofaktoren allenfalls in einem geringen Umfang auf den Kläger zu 1) zu. Nach seinen Angaben hat er das Parteigebäude aufgesucht und an Newroz-Feiern teilgenommen. Ein Funktionär war er nicht. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der türkische Staat ein entsprechendes Interesse an dem Kläger zu 1) allein in Folge der von ihm behaupteten Unterstützung der HDP entwickeln sollte, dass er strafrechtlich oder auf andere Weise gegen sie vorgehen könnte, lässt sich aus den dargestellten Aktivitäten nicht auf plausible Weise ableiten, zumal der Kläger zu 1) eine tatsächlich drohende Strafverfolgung in seinem Heimatland nicht behauptet, geschweige denn glaubhaft gemacht hat.
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1.4. Soweit die Kläger zu 1) und 2) für sich und die weiteren Kläger vortragen, die Familie sei durch nichtstaatliche Akteure belästigt und bedroht worden und auf ihr Wohnhaus sei geschossen worden, ist eine zielgerichtete Verfolgungshandlung gegen die Kläger nicht in plausibler Weise aufgezeigt worden. Die diesbezüglichen Angaben der Kläger zu 1) und 2) weisen in zentralen Aspekten des Fluchtvorbringens erhebliche Ungereimtheiten auf. So gab der Kläger zu 1) vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung an, dass der Mann ihn im Beisein der Klägerin zu 2) vor einem Supermarkt angesprochen habe („Er traf uns mit meiner Frau vor einem Supermarkt wieder und wollte, dass wir den Verein mit ihm besuchen sollen.“ bzw. „Im weiteren Verlauf des Jahres 2023 kam es dann zu einer Begegnung zwischen dem Mann und meiner Familie, d.h. meiner Frau und den drei Kindern in der Stadt.“). Demgegenüber schilderte die Klägerin zu 2) vor dem Bundesamt, sie sei während der Begegnung im Auto geblieben, und in der mündlichen Verhandlung, sie habe den Mann nur einmal – und zwar alleine, d.h. ohne familiäre Begleitung – auf dem Weg zur Arbeit angetroffen. Ungereimt sind auch die Angaben des Klägers zu 1) zu der geschilderten Situation gewesen, bei der der Mann zwei Töchter belästigt haben soll. Während vor dem Bundesamt davon die Rede war, dass diese sich telefonisch beim Kläger gemeldet hätten, schilderte der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung, dass die Schule ihn angerufen habe, dass ein Mann die Kinder auf dem Schulweg abgefangen und bedroht habe. In Bezug auf den Beschuss des Hauses stellte der Kläger zu 1) den zeitlichen Ablauf in der mündlichen Verhandlung so dar, dass die Polizei zwischen zwei und drei Uhr nachts eingetroffen sei, während vor dem Bundesamt insoweit noch von vier bis fünf Uhr die Rede war (vgl. S. 8 des Anhörungsprotokolls des Klägers zu 1)). Betreffend der Schmierereien am Haus in A* … verhalten sich die Einlassungen der Kläger zu 1) und 2) zueinander ebenfalls widersprüchlich. Während die Klägerin zu 2) in der mündlichen Verhandlung schilderte, dass das Haus zwei bis dreimal beschmiert worden sei, führte der Kläger zu 1) aus, das Haus sei fünf bis sechsmal beschmiert worden. Nicht plausibel aufgezeigt wurde ferner, weshalb der Verfolger gerade an der Person des Klägers zu 1) ein solch massives Verfolgungsinteresse haben soll. Der Kläger schilderte, dass andere Familien nicht in vergleichbarer Weise bedroht worden seien. Es ist aber nichts dafür ersichtlich, was dieses gesteigerte Interesse an dem Kläger zu 1) begründen könnte. Insgesamt zeigen sich Ungereimtheiten solch erheblichen Umfangs, so dass ein relevantes Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts dargelegt worden ist.
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Selbst wenn man dies anders beurteilen würde, fehlt es jedenfalls an einem flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmerkmal nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, da die Kläger nicht vorgetragen haben, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung und Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt worden zu sein. Das Vorbringen ist nicht geeignet, eine politische Verfolgung bzw. eine Anknüpfung an eines der Verfolgungsmerkmale zu belegen.
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Im Übrigen droht den Klägern bei einer eventuellen Rückkehr in die Türkei jedenfalls schon deshalb nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsschutzrechtliche Verfolgung bzw. ernsthafte Gefahr seitens Dritter, weil sie insoweit zum einen gehalten ist, sich an die staatlichen Stellen zu wenden, um um Schutz nachzusuchen (vgl. § 3d AsylG), und weil zum anderen für sie eine zumutbare inländische Flucht- bzw. Aufenthaltsalternative besteht (vgl. § 3e AsylG).
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Die Kläger können auf Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG durch den türkischen Staat verwiesen werden. Gemäß § 3c Nr. 3 AsylG kann Verfolgung auch von einem nichtstaatlichen Akteur ausgehen, sofern der Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, einschließlich internationaler Organisationen, nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten. Der türkische Staat ist grundsätzlich in der Lage, für die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu sorgen. In der Türkei existiert ein breites Netz an Polizei- und Sicherheitsbehörden, das zur Bekämpfung der allgemeinen Kriminalität bereitsteht (vgl. etwa BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Türkei vom 7.3.2024, S. 72 ff.). Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass kein Staat einen lückenlosen Schutz vor Kriminalität oder sonstigen Übergriffen durch private Dritte bieten kann. Entscheidend kann im vorliegenden Zusammenhang allein sein, dass der betreffende Staat bereit und in der Lage ist, mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln im Großen und Ganzen Schutz zu gewähren (vgl. VG Minden, B.v. 30.8.2019 – 10 L 370/19.A – juris Rn. 40 m.w.N.). Hiervon geht das erkennende Gericht aus. Die Kläger konnten den Vorfall, als nach ihrer Schilderung auf ihr Haus geschossen worden sei, zur Anzeige bringen; die Polizei leitete auch Ermittlungen ein, wenngleich diesbezüglich nach Darstellung der Klägerseite keine Rückmeldung erfolgte; die vage Vermutung, dass die Polizei mit den Angreifern zusammenarbeite, ist nicht näher begründet worden und steht auch in Widerspruch zu einschlägigen Erkenntnismitteln, wonach die türkische Regierung die Sicherheit des Staates u.a durch den sog. „Islamischen Staat“, dem die Kläger den Angriff zuordnen, und weiteren islamistisch-terroristischen Gruppierungen als gefährdet ansieht (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 20. Mai 2024, S. 4). Die Kläger haben alle zur Verfügung stehenden Mittel und Wege für staatlichen Schutz im Herkunftsstaat auszuschöpfen, bevor sie im Ausland Schutz suchen. Dem sind sie nicht ausreichend nachgekommen.
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Schließlich sind die Kläger auch auf eine interne Fluchtalternative innerhalb der Westtürkei zu verweisen (§ 3e AsylG). Das Gericht ist der Überzeugung, dass die Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei in einer der türkischen Großstädte in der Westtürkei etwaigen Übergriffen ausweichen könnten. Es ist für das Gericht insoweit nicht erkennbar, dass die Kläger ohne weiteres aufgefunden werden könnten, wenn sie ihre bisherigen Aufenthaltsorte meiden. Die Westtürkei ist als innerstaatliche Fluchtalternative geeignet und zumutbar, so dass erwartet werden kann, dass die Kläger sich dort vernünftigerweise niederlassen können. Es bestehen insbesondere keine Anhaltspunkte dafür, dass der klägerischen Familie eine Reintegration in die Lebensverhältnisse ihres Heimatstaates – selbst außerhalb ihrer Heimatregion – nicht möglich und zumutbar wäre und ihnen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben wegen der allgemeinen Versorgungslage drohen könnte. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet. Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294 über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität und Nr. 5263 über Organisation und Aufgaben der Generaldirektion für Soziale Hilfe und Solidarität gewährt. Personen, die freiwillig in die Türkei zurückkehren, können im Rahmen des „REAG/GARP Rückkehrprogramms“ finanzielle Hilfen erhalten. Zusätzliche Unterstützung bietet das Programm „Starthilfe Plus“. Dieses Programm bietet für Rückkehrende in die Türkei Sachleistungen für den Bereich Wohnen, wie z.B. Kosten für Miete, Bau- und Renovierungsarbeiten. Bei den Klägern zu 1) und 2) handelt es sich um gesunde, erwerbsfähige Personen. Der Kläger zu 1) hat in der Türkei auf dem Bau gearbeitet, die Klägerin zu 2) als Verkäuferin. Mit ihrem Einkommen und Vermögen kamen sie normal zurecht. Aktuell arbeiten sie im Gastronomiebereich. Es ist zu erwarten, dass sie im Fall der Rückkehr eine für die Kernfamilie existenzsichernde Tätigkeit ausüben können. Im Übrigen ist erforderlichenfalls mit familiärer Unterstützung zu rechnen, nachdem die Eltern des Klägers zu 1) in I* … leben. Auch in Bezug auf die volljährige Klägerin zu 3) ist nichts vorgetragen, was der Aufnahme einer das Existenzminimum sichernden Erwerbstätigkeit entgegenstehen könnte; ordnet man sie aufgrund der eingetretenen Volljährigkeit nicht mehr der Kernfamilie zu, kann sie jedenfalls für ihr eigenes Existenzminimum sorgen oder erforderlichenfalls auf familiäre oder staatliche Hilfe zurückgreifen.
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1.5. Insgesamt sieht das Gericht dementsprechend die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach §§ 3 ff. AsylG als nicht gegeben an.
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2. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf die hilfsweise beantragte Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht, wobei nach S. 2 als solcher die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts (Nr. 3) gilt.
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Den Klägern droht nach Überzeugung des Gerichts nicht die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG. Sie haben hierzu bereits keine Tatsachen vorgetragen.
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Die Kläger haben auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihnen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden durch Folter oder durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht. Eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung liegt vor, wenn unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und nach Art und Ausmaß der in Rede stehenden Maßnahmen besonders schwer gegen Menschenrechte verstoßen wird (Bergmann/Dienelt/Bergmann, 14. Aufl. 2022, AsylG § 4 Rn. 10). Eine Bestrafung ist in diesem Zusammenhang insbesondere dann unmenschlich oder erniedrigend, wenn die damit verbundenen Lasten und Leiden über das in rechtmäßigen Bestrafungsmethoden enthaltene Maß hinausgehen oder gerade wegen einer politischen Einstellung die Strafe verschärft wird (s. BeckOK AuslR/Kluth, 32. Ed. 1.7.2024, AsylG § 4 Rn. 18). Aufgrund des Vortrags der Kläger zu 1) und 2) in der persönlichen Anhörung durch das Bundesamt sowie des jeweiligen Vorbringens im gerichtlichen Verfahren steht für das Gericht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass die Kläger im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei der Gefahr eines ernsthaften Schadens durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ausgesetzt wären. Das Vorbringen der Kläger ist nicht geeignet, eine in ihrem Heimatland bestehende, relevante Verfolgungs- oder Bedrohungslage aufzuzeigen. Insoweit wird auf die Ausführungen unter 1. verwiesen.
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Den Klägern droht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Nach dieser Vorschrift ist subsidiärer Schutz zuzuerkennen, wenn der Ausländer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht. Vorliegend ist nicht ersichtlich und von Klägerseite auch nicht näher dargelegt worden, dass in der Türkei ein landesweiter internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne der genannten Vorschrift vorliegen könnte und dass die Kläger im Fall ihrer Rückkehr infolgedessen willkürlicher Gewalt ausgesetzt sein könnten. Individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person der Kläger sind ebenfalls nicht erkennbar. Die Gefahr für die Kläger hat sich nach Überzeugung des Gerichts vielmehr nicht in einer Weise verdichtet, dass die Kläger – auch unter Berücksichtigung ihrer Volkszugehörigkeit – eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ihrer Person i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG befürchten müssten.
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3. Allerdings sind die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 AsylG vorliegend nicht erfüllt, soweit die Ziffern 1 bis 3 des streitgegenständlichen Bescheids betroffen sind.
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Bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Az. W 5 S 24.31362) hat das Gericht ausgeführt, dass die Kläger ihre individuellen Fluchtgründe im Rahmen der Anhörung zumindest in Ansätzen dargelegt haben und eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr aufgrund dessen jedenfalls nicht offensichtlich ausgeschlossen werden konnte. Die Kläger haben demnach nicht nur Umstände vorgebracht, die für die Prüfung des Asylantrags „nicht von Belang“ sind (vgl. § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Vielmehr haben sie – wenngleich nicht überzeugend (s.o.) – durch ihre Ausführungen zumindest in Ansätzen ein asylrechtlich als relevant anzusehendes Verfolgungsgeschehen geschildert, welches an konkrete Lebenssachverhalte und Bedrohungsereignisse anknüpft. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Verfolgungsvorbringen – so wie es geschildert wurde – über die strukturell in der türkischen Gesellschaft verankerte Diskriminierungen hinausgehen, welche die Anforderungen an eine Gruppenverfolgung nicht erfüllen. Die Kläger berufen sich hierbei nicht allein auf grundsätzlich asylunerhebliche Gründe wie z.B. rein wirtschaftliche Gründen oder eine allgemeine Notsituation, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AslyG zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht als gegeben angesehen werden können. Es sind auch keine anderen Rechtsvorschriften zu erkennen, auf die das vom Bundesamt ausgesprochene Offensichtlichkeitsverdikt gestützt werden könnte. Die Angaben der Kläger sind zwar mit Ungereimtheiten und Widersprüchen behaftet, die das Vorbringen insgesamt als nicht überzeugend erscheinen lassen (s.o.); das für § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG erforderliche Ausmaß, wonach die Begründung für den Asylantrag offensichtlich nicht überzeugend ist, ist indessen – angesichts der im vorliegenden Einzelfall ebenfalls gegebenen Übereinstimmungen im Vorbringen der Kläger zu 1) und 2) – nach dem Dafürhalten des Gerichts noch nicht erreicht.
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4. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die weiter hilfsweise begehrte Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
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4.1. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da den Klägern keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht.
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Insbesondere führt die allgemeine Versorgungslage in der Türkei im Fall der Kläger nicht zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK. Zwar können bei entsprechenden Rahmenbedingungen auch schlechte humanitäre Verhältnisse eine entsprechende Gefahrenlage begründen. Hierbei sind indes eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, darunter etwa der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und nicht zuletzt die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse, auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen usw. (BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960; ausführlich: VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris m.w.N.). Sowohl die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch diejenige des Bundesverwaltungsgerichts (EGMR, U.v. 28.6.2011 – 8319/07 und 11449/07 – NVwZ 2012, 681 und BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167) machen deutlich, dass ein sehr hohes Schädigungsniveau erforderlich ist, da nur dann ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, wenn die humanitären Gründe entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ sind.
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Diese besonders strengen Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Kläger würden im Fall ihrer Abschiebung in die Türkei keiner besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt sein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass ihre elementarsten Bedürfnisse im Sinne eines absoluten Existenzminimums nicht gesichert wären. Insoweit wird auf die Ausführungen zur innerstaatlichen Fluchtalternative Bezug genommen, aus denen sich ergibt, dass den Klägern eine Reintegration in die Lebensverhältnisse ihres Heimatstaates – selbst außerhalb ihrer Heimatregion – möglich und zumutbar ist.
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4.2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies kann aus individuellen Gründen – etwa wegen drohender An- oder Übergriffe Dritter oder auf Grund von Krankheit – der Fall sein, kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht (VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris).
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Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Von einer solchen Unzumutbarkeit ist auszugehen, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – NVwZ 2013, 1489; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; vgl. zudem BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 13).
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Eine solche, extreme Gefahrenlage kann vorliegend nicht angenommen werden. Zum einen besteht – wie sich unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen bereits ergibt – keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit der Kläger auf Grundlage der angegebenen Fluchtursachen. Im Weiteren bestehen in der Person der Kläger keine zu berücksichtigenden Besonderheiten gesundheitlicher Art. Hinsichtlich der Klägerin zu 4) hat die Klägerin zu 2) in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass sie über die Ereignisse psychisch krank geworden sei und dass ihr Nierensteine hätten entfernt werden müssen. Bezüglich einer schwerwiegenden Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG wurden keinerlei substantielle Angaben gemacht, geschweige denn, eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG) vorgelegt. Im Weiteren drohen den Klägern auch aufgrund der Versorgungslage in der Türkei keine extreme Gefahr infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte. Liegen – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus (BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960; VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris).
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5. Die Ziffer 5 des Bescheids vom 25. Juli 2024 begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere wurde die Ausreisefrist infolge des stattgebenden Beschlusses im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gem. § 37 Abs. 2 AsylG kraft Gesetzes von der im Bescheid tenorierten Woche auf 30 Tage verlängert, so dass auch insofern keine Bedenken bestehen.
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Das in Ziffer 6 des streitgegenständlichen Bescheids angeordnete und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot findet seine Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 1 AufenthG, ist auch im Übrigen rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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6. Nach alldem hat die Klage im tenorierten Umfang Erfolg.
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Die Kostenfolge beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben.