Titel:
Keine Unterbringungspflicht und keine Kostenübernahme im Eilverfahren – Eigenhilfemöglichkeit und Subsidiarität der Obdachlosenfürsorge
Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1, Abs. 3, § 113 Abs. 1 S. 4
LStVG Art. 6, Art. 7 Abs. 2 Nr. 3
GO Art. 57 Abs. 1
GKG § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Verpflichtung der Gemeinde zur Abwehr von Obdachlosigkeit setzt eine unfreiwillige Obdachlosigkeit voraus. Diese liegt nicht vor, wenn der Betroffene im maßgeblichen Zeitpunkt über hinreichende finanzielle Mittel verfügt, um sich selbst eine vorübergehende Unterkunft zu beschaffen. (Rn. 18 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unfreiwillige Obdachlosigkeit liegt nur vor, wenn der Betroffene weder über eine Unterkunft verfügt, die den Mindestanforderungen an Schutz vor Witterung und Sicherung der grundlegenden Lebensbedürfnisse genügt, noch in der Lage ist, diesen Zustand aus eigener Kraft oder unter Inanspruchnahme sozialrechtlicher Hilfen innerhalb zumutbarer Zeit zu beheben. (Rn. 18 – 19 und 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorliegens (drohender) Obdachlosigkeit ist der Zeitpunkt der Antragstellung bei der zuständigen Behörde. Nachträgliche Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse sind insoweit unbeachtlich. (Rn. 15 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
4. Kosten für Hotelübernachtungen, Umzug, Kaution und Erstausstattung sind nicht von der sicherheitsrechtlichen Pflicht zur Unterbringung umfasst, sondern gegebenenfalls sozialhilferechtlich geltend zu machen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
5. Einstweilige Anordnungen nach § 123 VwGO setzen die Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und -grund voraus. Ein Anordnungsgrund fehlt regelmäßig bei rein vergangenheitsbezogenen Ansprüchen, kann jedoch ausnahmsweise bejaht werden, wenn die Beeinträchtigungen fortwirken und sonst effektiver Rechtsschutz nicht gewährleistet wäre. (Rn. 29 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
6. Ein Feststellungsantrag nach § 123 VwGO ist grundsätzlich unzulässig, wenn er allein auf die Feststellung einer in der Vergangenheit liegenden Verpflichtung gerichtet ist und keine fortdauernde Rechtsbeeinträchtigung geltend gemacht wird. Zudem kann ein Feststellungsantrag am fehlenden Rechtsschutzinteresse scheitern, wenn der Antragsteller stattdessen einen vorrangigen Verpflichtungsantrag stellen könnte. (Rn. 12 und 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
einstweilige Anordnung, Obdachlosenrecht, Feststellung, dass Gemeinde verpflichtet war, Notunterkunft bereitzustellen (abgelehnt), Verpflichtung, Kosten für Hotelübernachtungen und Umzug zu übernehmen (abgelehnt), keine Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes, Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs (offen), Anordnungsgrund, Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs, vergangener Leistungszeitraum – fehlende Eilbedürftigkeit, Feststellungsantrag im Eilverfahren – fehlendes Rechtsschutzinteresse, Obdachlosenfürsorge, drohende Obdachlosigkeit, unfreiwillige Obdachlosigkeit, maßgeblicher Zeitpunkt der Beurteilung, Eigenhilfemöglichkeit (finanzielle Selbsthilfe), Kostenübernahme für selbstbeschaffte Unterkunft, Umzugskosten, Mietkaution, Wohnungserstausstattung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 16014
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung festzustellen, dass die Antragsgegnerin im Rahmen der Obdachlosenfürsorge verpflichtet war, ihm eine Notunterkunft bereitzustellen, und die Antragsgegnerin zu verpflichten, Kosten für seine Hotelübernachtungen sowie die Kosten für den Umzug, die Kaution und die Erstausstattung seiner neuen Wohnung zu übernehmen.
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1. Der Antragsteller wandte sich erstmals am 7. Mai 2025 telefonisch bzw. per E-Mail und am 8. Mai 2025 persönlich an die Antragsgegnerin mit der Bitte, ihm eine Notunterkunft zuzuweisen. Er sei am 6. Mai 2025 in seiner Wohnung in der K* …, … H* … von der Tochter seiner damaligen Vermieterin und früheren Lebensgefährtin körperlich angegriffen, gewürgt und verletzt worden, wobei Letztere tatenlos zugesehen habe. Die Wohnung sei zwar zum 30. Juni 2025 gekündigt, nach dem vg. Vorfall könne er aber nicht zurück. Er sei in einer akuten Notlage. Er wisse nicht, wo er unterkommen solle. Er sei auch akut in seiner Gesundheit gefährdet.
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Mit Schreiben vom 7. Mai 2025 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass er nicht obdachlos sei, da die Wohnung zum 30. Juni 2025 gekündigt worden sei. Er habe nach den vorgelegten Unterlagen auch Geld auf seinem Konto und sei zur Selbsthilfe verpflichtet.
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Auch in der Folgezeit lehnte die Antragsgegnerin eine Unterbringung des Antragstellers ab.
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Seit dem 6. Mai 2025 hielt sich der Antragsteller – nach seinen eigenen Angaben – bei Freunden sowie in mehreren Hotels auf, die er aus Eigenmitteln bezahlte. Seit dem 1. Juni 2025 wohnt der Antragsteller in einer angemieteten Wohnung in … R* …
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2. Der Antragsteller wandte sich mit einem „Eilantrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 123 VwGO“, eingegangen bei Gericht am 2. Juni 2025, an das Verwaltungsgericht Würzburg und beantragte,
- 1.
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Das Verwaltungsgericht möge im Wege der einstweiligen Anordnung feststellen, dass die Gemeinde H* … verpflichtet war, ihm ab dem 6. Mai 2025 bis zur Anmietung einer Wohnung am 1. Juni 2025 eine Notunterkunft bereitzustellen bzw. die Kosten der selbst beschafften Unterkünfte zu erstatten.
- 2.
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Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die nachgewiesenen Kosten für Hotelübernachtungen in diesem Zeitraum vollständig zu übernehmen.
- 3.
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Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Kosten für Umzug, Kaution und Erstausstattung seiner Wohnung in R* … zu übernehmen, da die Anmietung in unmittelbarem Zusammenhang mit der versagten Hilfeleistung steht.
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Zur Begründung brachte der Antragsteller vor: Am 6. Mai 2025 sei er in seiner Wohnung von der Tochter seiner damaligen Vermieterin und früheren Lebensgefährtin körperlich angegriffen, gewürgt und verletzt worden, während Letztere tatenlos zugesehen habe. In der Folge sei von dieser ein Kontakt- und Näherungsverbot erwirkt worden, das ihm am 20. Mai 2025 durch die Polizei in H* … übergeben worden sei. Dieses Verbot habe einen weiteren Aufenthalt in der Wohnung unzumutbar und faktisch unmöglich gemacht. Bereits zuvor habe er mehrfach bei der Gemeinde H* … – telefonisch am 7. Mai 2025 und persönlich am 8. Mai 2025 – um eine Notunterkunft gebeten. Diese sei ihm verweigert worden. Obwohl seine Obdachlosigkeit für die örtlich zuständigen Stellen offensichtlich gewesen sei und er mehrfach auf seine gesundheitlichen und sozialen Einschränkungen hingewiesen habe (u. a. GdB 40, Trauma, Panikattacken), sei keinerlei Hilfeleistung erfolgt. Er sei gezwungen gewesen, auf eigene Kosten in verschiedenen Hotels unterzukommen, bis er am 1. Juni 2025 eine neue Wohnung in R* … bezogen habe. Die gesundheitlichen, sozialen und finanziellen Folgen dieser unterlassenen Hilfeleistung seien erheblich. Die Antragsgegnerin habe es trotz Kenntnis der akuten Notlage unterlassen, ihren gesetzlichen Pflichten aus dem Polizei- und Ordnungsrecht (BaySOG) nachzukommen. Diese Pflichtverletzung begründe sowohl einen Anspruch auf vorläufigen Rechtsschutz als auch auf nachträgliche Erstattung der Kosten, da ihm ohne eigenes Verschulden eine Unterkunft verweigert und seine gesundheitliche Unversehrtheit aufs Spiel gesetzt worden sei. Die Kostenlast sowie die gesundheitlichen Folgen trage er bis heute allein. Er ersuche daher um eine einstweilige richterliche Anordnung im Eilverfahren.
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3. Die Antragsgegnerin beantragte,
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Es bestehe keine Dringlichkeit, weil der Antragsteller aktuell in einer Mietwohnung untergebracht sei. Er sei vermutlich in der Zeit vom 6. Mai 2025 bis zum 1. Juni 2025 von Obdachlosigkeit bedroht gewesen. Zu dem Zeitpunkt der ersten Kontaktaufnahme mit der Gemeinde sei er jedoch weder wohnungslos noch obdachlos gewesen, weil sein Mietverhältnis (das er selbst gekündigt habe) zum damaligen Zeitpunkt noch bis zum 30. Juni 2025 bestanden habe. Der Antragsteller habe nach Einsicht in die Kontoauszüge über die finanziellen Mittel verfügt, um sich selbst eine (vorübergehende) Unterkunft zu besorgen, was er ja auch getan habe. Der Antragsteller habe die von der Gemeinde H* … angebotenen Hilfsangebote nicht erkennbar angenommen und auf der Unterbringung in einer Notunterkunft beharrt. Er habe sich ohne Rücksprache mit der Gemeinde selbstständig in einem Hotel (oder mehreren Hotels) untergebracht.
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4. Im Hinblick auf den weiteren Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
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Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben keinen Erfolg.
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1. Die Kammer hat bereits erhebliche Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit des Antrags, im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, dass die Antragsgegnerin verpflichtet war, dem Antragsteller ab dem 6. Mai 2025 bis zur Anmietung einer Wohnung am 1. Juni 2025 eine Notunterkunft bereitzustellen bzw. die Kosten der selbst beschafften Unterkünfte zu erstatten (Antrag 1). So verneint das Bundesverwaltungsgericht die Statthaftigkeit eines Begehrens auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ablehnung eines Verwaltungsakts analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO (vgl. BVerwG, B.v. 27.1.1995 – 7 VR 16/94 – NVwZ 1995,586; ebenso BayVGH, B.v. 26.5.1997 – 4 CS 96.3551 – BeckRS 2005, 30431; Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand 46. EL Aug. 2024, § 123 Rn. 36). Nach a.A. (vgl. Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123 Rn. 72; Happ in Eiermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 41) entfällt in einer derartigen Fallkonstellation das Rechtsschutzinteresse. Soweit der Antrag darauf gerichtet ist, festzustellen, dass die Antragsgegnerin verpflichtet ist, die Kosten der selbst beschafften Unterkünfte zu erstatten, dürfte der Antrag an der Subsidiarität der Feststellungsklage scheitern, zumal der Antragsteller mit seinem Antrag 2) (auch) einen Verpflichtungsantrag gestellt hat.
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2. Jedenfalls erweisen sich die Anträge des Antragstellers, die darauf gerichtet sind, im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, dass die Antragsgegnerin verpflichtet war, dem Antragsteller ab dem 6. Mai 2025 bis zur Anmietung einer Wohnung am 1. Juni 2025 eine Notunterkunft bereitzustellen bzw. die Kosten der selbst beschafften Unterkünfte zu erstatten (1), die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die nachgewiesenen Kosten für Hotelübernachtungen in diesem Zeitraum (2) sowie die Kosten für Umzug, Kaution und Erstausstattung seiner Wohnung in R* … zu übernehmen (3), als unbegründet.
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Nach § 123 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden, oder drohende Gewalt zu verhindern, oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung).
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Der Antragsteller hat demnach sowohl die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung, den sog. Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sogenannten Anordnungsanspruch, glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgeblich sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
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2.1. Zu diesem Zeitpunkt spricht nach summarischer Prüfung einiges dafür, dass hinsichtlich des vom Antragsteller im gerichtlichen Verfahren geltend gemachten Anspruchs gegen die Antragsgegnerin auf Feststellung, dass Letztere verpflichtet gewesen ist, ihm ab dem 6. Mai 2025 eine Notunterkunft bereitzustellen bzw. die Kosten der selbst beschafften Unterkünfte zu erstatten (Antrag 1), schon kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht wurde, weil dem Antragsteller zum Zeitpunkt seiner Antragstellung bei der Antragsgegnerin am 6./7. Mai 2025 wohl keine Obdachlosigkeit gedroht hat.
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Gemäß Art. 57 Abs. 1 GO, Art. 6 LStVG obliegt es den Gemeinden als Pflichtaufgabe im eigenen Wirkungskreis, Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu verhindern bzw. zu beseitigen. Der Zustand der (drohenden) Obdachlosigkeit ist als eine Störung der öffentlichen Ordnung bzw. im Hinblick auf die damit u.U. verbundene Gefährdung von Gesundheit und Leben des Obdachlosen als eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit anzusehen. Im Rahmen von Art. 7 Abs. 2 Nr. 3, 8 LStVG hat die zuständige Sicherheitsbehörde die (drohende) Obdachlosigkeit nach pflichtgemäßem Ermessen zu beseitigen.
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Ein Anspruch des Obdachlosen auf sicherheitsrechtliches Einschreiten be-steht allerdings nur, soweit und solange er die Gefahr nicht selbst aus eigenen Kräften oder mit Hilfe der Sozialleistungsträger in zumutbarer Weise und Zeit beheben kann (vgl. BayVGH, B.v. 21.9.2006 – 4 CE 06.2465 – BayVBl. 2007, 439; VGH Kassel, B.v. 24.9.1991 – 11 TG 1481.91 – juris). Denn die Gefahrenabwehrpflicht der Sicherheitsbehörde gilt nur bezüglich der Abwehr einer „unfreiwilligen“ Obdachlosigkeit, die nur dann vorliegt, wenn eine Person nicht über eine Unterkunft verfügt, die einen Minimalschutz vor der Witterung und zur Sicherung der notwendigsten Lebensbedürfnisse bietet (vgl. VGH Mannheim, B.v. 5.3.1996 – 1 S 470/96 – NVwZ-RR 1996, 439 = juris), die aber – wegen der Subsidiarität des Obdachlosenrechts – nicht vorliegt, wenn der Betroffene selbst – wirtschaftlich, finanziell und nach den gesamten tatsächlichen Verhältnissen des Wohnungsmarktes – dazu in der Lage ist, die drohende Obdachlosigkeit abzuwenden. Unfreiwillig obdachlos ist nämlich nur jemand, der keine Wohnung hat und nicht in der Lage ist, die Wohnungslosigkeit aus eigener finanzieller Kraft oder zumindest mit Hilfe von Sozialleistungen in zumutbarer Weise und Zeit zu beseitigen (vgl. VG Augsburg, B.v. 12.9.2014 – Au 7 S 14.1263 – juris Rn. 24). Dabei ist darauf abzustellen, ob sich der Betreffende unter Ausschöpfung aller ihm zu Gebote stehenden zumutbaren Eigenmaßnahmen, auch finanzieller Art, selber eine nur vorübergehende und den Mindestanforderungen genügende Bleibe verschaffen kann (vgl. BayVGH, B.v. 10.3.2005 – 4 CS 05.219 und B.v. 13.2.2014 – 4 CS 14.125; beide juris).
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Gemessen an diesen rechtlichen Maßstäben spricht einiges dafür, dass die Antragsgegnerin den Antragsteller auf dessen Antrag vom 6./7. Mai 2025 nicht hat unterbringen müssen. So hat die Antragsgegnerin – für die Kammer nachvollziehbar – den Antrag auf Unterbringung unter Hinweis darauf zurückgewiesen, dass der Antragsteller nach Einsicht in die von diesem vorgelegten Unterlagen „Geld auf (seinem) Konto“ habe. Tatsächlich ist es dem Antragsteller in der Folgezeit auch gelungen, sich mit Eigenmitteln vorübergehend eine Unterkunft in Hotels zu besorgen bzw. bei Freunden unterzukommen. Es spricht jedenfalls einiges dafür, dass der Antragsteller – zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung am 6./7. Mai 2025 über ausreichende eigene finanzielle Mittel verfügte, um sich eine zumindest vorübergehende und den Mindestanforderungen genügende Bleibe zu verschaffen. Darüber hinaus hat der Antragsteller selbst vorgetragen, dass ihm (erst) am 20. Mai 2025 ein Kontakt- und Näherungsverbot übergeben worden sei, das ihm „einen weiteren Aufenthalt in der Wohnung unzumutbar und faktisch unmöglich“ gemacht habe. Damit wäre aber eine Nutzung der Wohnung zwischen dem 6. Mai 2025 und dem 20. Mai 2025 durchaus möglich gewesen.
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Nach allem spricht auch einiges dafür, dass der vom Antragsteller auf die (drohende) Obdachlosigkeit gestützte (Folge-)Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Hotelübernachtungen (Antrag 2) nicht glaubhaft gemacht wurde.
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Unabhängig hiervon – also selbst man von einer Obdachlosigkeit des Antragstellers zum vg. Zeitpunkt ausgehen würde – ist eine Anspruchsgrundlage für den Antrag des Antragstellers auf Übernahme der Kosten für Umzug, Kaution und Erstausstattung seiner Wohnung gegen die Antragsgegnerin (Antrag 3) nicht erkennbar. Wie bereits dargelegt ist der Anspruch des Obdachlosen auf sicherheitsrechtliches Einschreiten der Gemeinden als untere Sicherheitsbehörde auf die Beseitigung der (drohenden) Obdachlosigkeit als eine Störung der öffentlichen Ordnung bzw. der damit u.U. verbundenen Gefährdung von Gesundheit und Leben des Obdachlosen als eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit gerichtet. Ein Rechtsanspruch darauf, dass die Gemeinde den bisherigen Bewohner einer Obdachlosenunterkunft die Kosten für den Umzug in eine Wohnung erstattet, ist hiervon nicht umfasst.
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Letztlich kann die Frage der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs auch offen bleiben.
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2. Denn jedenfalls wurde im vorliegenden Fall schon kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Im Einzelnen:
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Sowohl bei der Sicherungsanordnung als auch bei der Regelungsanordnung bedarf es eines spezifischen rechtlichen Grundes dafür, dass Rechtsschutz nicht erst im regulären Hauptsacheverfahren, sondern – und sei es eben nur vorläufig – im Eilverfahren gewährt wird. Das Gesetz (§ 123 Abs. 1 VwGO) normiert in Anlehnung an § 935 ZPO (für die Sicherungsanordnung) und an § 940 ZPO (für die Regelungsanordnung) die Voraussetzungen, unter denen ein Anordnungsgrund im konkreten Fall gegeben ist. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt ein Sicherungsgrund vor, „wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte“. Im Anwendungsbereich des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist ein Regelungsgrund zu bejahen, wenn die Regelung eines vorläufigen Zustandes „vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint“ (Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand 46. EL Aug. 2024, § 123 Rn. 77c).
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Dafür, dass vorliegend die Gefahr bestehen würde, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung), ist nichts erkennbar. Eine Rechtsvereitelung ist insbesondere im Falle der Schaffung irreversibler Fakten seitens der Behörde anzunehmen, weil zu befürchten ist, dass das gefährdete Recht (im gerichtlichen Hauptsacheverfahren) nicht mehr durchgesetzt werden kann; eine wesentliche Erschwerung der Rechtsverwirklichung liegt vor, wenn das Recht des Antragstellers derart entwertet wird, dass der status quo ante (bei einem Erfolg in der Hauptsache) theoretisch durchaus, praktisch aber kaum wiederhergestellt werden kann (Dombert in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, 7. Aufl. 2017, Rn. 166 und Rn. 167; Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand 46. EL Aug. 2024, § 123 Rn. 77c).
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Dafür, dass das Recht des Antragstellers in einem späteren Hauptsacheverfahren nicht mehr durchgesetzt werden könnte, wurde von Seiten des Antragstellers schon nichts vorgebracht und ist auch sonst nichts ersichtlich. Der Antragsteller hat nämlich zur Frage der Dringlichkeit der Eilentscheidung lediglich ausgeführt, dass die Antragsgegnerin es trotz Kenntnis der akuten Notlage unterlassen habe, ihren gesetzlichen Pflichten nachzukommen, und diese Pflichtverletzung „sowohl einen Anspruch auf vorläufigen Rechtsschutz als auch auf nachträgliche Erstattung der Kosten (begründe), da mir ohne eigenes Verschulden eine Unterkunft verweigert und meine gesundheitliche Unversehrtheit aufs Spiel gesetzt wurde“. Zur Dringlichkeit der Anordnung hat der Antragsteller nichts vorgetragen.
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Ebenso spricht nichts dafür, dass die Anordnung notwendig wäre, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern, oder aus anderen Gründen nötig erscheinen würde.
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Ob eine vorläufige Regelung „nötig erscheint“, ist auf der Grundlage einer Interessenabwägung zu beantworten. Es ist zu prüfen, ob es dem jeweiligen Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen, nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten (vgl. OVG Münster, B.v. 2.7.2021 – 1 B 461/21 – juris Rn. 17). Der Anordnungsgrund liegt in der Notwendigkeit, Rechtsschutz zu gewähren, bevor eine gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache ergeht (vgl. BayVGH, B.v. 19.2.2018 – 10 CE 17.2259 – BeckRS 2018, 2293). Es muss ein spezifisches Interesse gerade an der begehrten vorläufigen Regelung bestehen (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 14.6.2018 – 13 ME 208/18 – BeckRS 2018, 12878). Je schwerer die sich aus der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes ergebenden Belastungen wiegen und je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie im Falle des Obsiegens in der Hauptsache rückgängig gemacht werden können, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtspositionen zurückgestellt werden. Entscheidend ist im Hinblick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG, dass die Prüfung eingehend genug ist, um den Antragsteller vor erheblichen und unzumutbaren, anders weder abwendbaren noch reparablen Nachteilen effektiv zu schützen (vgl. BVerfG, B.v. 11.3.2005 – 1 BvR 2298/04 NVwZ-RR 2005, 442).
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Danach fehlt ein Anordnungsgrund mangels Eilbedürfnisses regelmäßig dann, wenn der Antrag auf Leistungen gerichtet ist, die für einen vergangenen Zeitraum hätten gewährt werden sollen. Insoweit drohen regelmäßig keine abzuwendenden wesentlichen Nachteile mehr. Solche Ansprüche sind in einem Hauptsacheverfahren geltend zu machen. Nur in Ausnahmefällen können in einem zurückliegenden Zeitraum erlittene Beeinträchtigungen zu berücksichtigen sein, nämlich wenn diese in die Gegenwart hineinwirken, daraus auch eine Dringlichkeit zum Zeitpunkt der Eilentscheidung resultiert und andernfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden könnte (vgl. OVG Münster, B.v. 1.8.2022 – 1 B 653/22 – BeckRS 2022, 19256 Rn. 8; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 14.4.2016 – OVG 6 S 6.16 – BeckRS 2016, 45655 Rn. 5; Kuhla, in BeckOK, Posser/Wolff, VwGO, Stand: 1. 7.2024, § 123 Rn. 128a; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123 Rn. 86).
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Dies zugrunde gelegt hat der Antragsteller den erforderlichen Anordnungsgrund für seine Anträge auf Erstattung der Kosten seiner selbst beschafften Unterkünfte sowie auf Verpflichtung zur Übernahme der Kosten für die getätigten Hotelübernachtungen (Antrag 2) sowie für die Kosten für Umzug, Kaution und Erstausstattung seiner neuen Wohnung (Antrag 3) nicht glaubhaft gemacht. Das Vorbringen des Antragstellers bezieht sich auf Ansprüche für Zeiträume, die im Zeitpunkt der Antragstellung bei dem Verwaltungsgericht bereits vergangen waren. Gründe, aus denen es ausnahmsweise erforderlich sein könnte, dem Antragsteller für die in der Vergangenheit liegenden Zeiträume Geldmittel im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig zuzusprechen, hat der Antragsteller weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.
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Nichts anderes gilt für den Antrag des Antragstellers auf Feststellung, dass die Antragsgegnerin verpflichtet gewesen ist, dem Antragsteller ab dem 6. Mai 2025 eine Notunterkunft bereitzustellen bzw. die Kosten der selbst beschafften Unterkünfte zu erstatten (Antrag 1). Auch insoweit ist es dem Antragsteller zuzumuten, seine Ansprüche im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens geltend zu machen. Es spricht – unter Zugrundelegung des Vortrags des Antragstellers – nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, dass die Anordnung notwendig wäre, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern, oder aus anderen Gründen nötig erscheinen würde.
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3. Nach allem waren die Anträge nach § 123 VwGO mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
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Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beträgt der Streitwert in Anlehnung an Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 in der Regel die Hälfte des Streitwerts im Hauptsacheverfahren.