Titel:
Entzug des Doktorgrades, Bestandskräftiger Grundverwaltungsakt, Aufschiebende Bedingung, Nebenbestimmung sui generis, Statthafte Klageart, Nachbesserungsverfahren, Wissenschaftliche Standards, Zitierweise
Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 1 Alt. 1
VwGO § 43
BayVwVfG Art. 48
GG Art. 19 Abs. 4
Leitsatz:
Eine Feststellungsklage ist unzulässig, wenn der Kläger seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO). (Rn. 18-19)
Schlagworte:
Entzug des Doktorgrades, Bestandskräftiger Grundverwaltungsakt, Aufschiebende Bedingung, Nebenbestimmung sui generis, Statthafte Klageart, Nachbesserungsverfahren, Wissenschaftliche Standards, Zitierweise
Fundstelle:
BeckRS 2025, 16007
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
1
Im Streit steht die Entziehung des akademischen Grades „Dr. jur.“ des Klägers.
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1. Am 25. November 2009 verlieh die Beklagte dem Kläger für die Dissertation „Straftheorie im Dritten Reich“ den Akademischen Grad „Dr. jur.“.
3
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 27. Juli 2022 entzog die Beklagte dem Kläger diesen Akademischen Grad rückwirkend, sofern er nicht u.a. spätestens bis zum 1. Juli 2023 eine korrigierte Fassung seiner Dissertation veröffentlicht und in der korrigierten Fassung alle plagiierten Stellen korrigiert und alle wörtlichen Zitate als solche kennzeichnet habe (Ziffern 1.a) und 1.c)). Die Ziffer 3 dieses Bescheids bestimmt, dass die Feststellung der Erfüllung oder Nichterfüllung der Voraussetzung der aufschiebenden Bedingung der Promotionsausschuss der Juristischen Fakultät der Beklagten treffe. Die Ziffer 4 dieses Bescheids hat folgenden Wortlaut: „Sollte der Promotionsausschuss feststellen, dass die Bedingung eingetreten ist, weil der Kläger nicht eine ordnungsgemäß korrigierte Fassung fristgemäß veröffentlicht hat, so ist die ihm verliehene Doktorurkunde innerhalb von zwei Wochen nach der Mitteilung der feststellenden Entscheidung des Promotionsausschusses, spätestens jedoch mit Eintritt der Rechtskraft zurückzugeben“. Auf die Begründung des Bescheids wird verwiesen.
4
Mit E-Mail vom 30. Mai 2023 reichte der Kläger bei der Beklagten vorab eine elektronische Version seiner überarbeiteten Dissertation ein. Dabei änderte der Kläger die zuvor noch als „Zweite Auflage“ bezeichnete Fassung auf Bitten der Beklagten in die Angabe „korrigierte Fassung“.
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In seiner Sitzung vom 12. Juli 2023 entschied der Promotionsausschuss einstimmig, dass der Kläger die in dem Bescheid vom 27. Juli 2022 unter Ziffer 1.c) genannte Bedingung, bis zum 1. Juli 2023 eine korrigierte Fassung vorzulegen, in der alle plagiierten Stellen korrigiert und alle wörtlichen Zitate als solche gekennzeichnet wurden, nicht erfüllt habe. Damit sei die aufschiebende Bedingung eingetreten, sodass dem Kläger der Doktortitel automatisch auf Grund des bestandskräftig gewordenen Bescheids vom 27. Juli 2022 entzogen werde. Der Kläger habe keine ordnungsgemäß korrigierte Fassung der Dissertation vorgelegt, denn auch in der korrigierten Fassung litten die Fußnoten nach wie vor an erheblichen Mängeln. Der Kläger habe wörtliche Zitate nicht mit der notwendigen wissenschaftlichen Präzision belegt. Besonders schwere Mängel zeigten sich bei dem Umgang mit Primär- und Sekundärquellen, u.a. bei den wörtlichen Zitaten des Nationalsozialisten Freisler. In der Gesamtschau weise die vorgelegte Fassung weiterhin grundlegende wissenschaftliche Mängel auf. Es handele sich nicht um eine korrigierte Fassung im Sinne der Ziffer 1.c) des Bescheids vom 27. Juli 2022.
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Mit Bescheid vom 26. Oktober 2023 an den Klägerbevollmächtigten teilte die Beklagte mit, dass der Promotionsausschuss in seiner Sitzung vom 12. Juli 2023 einstimmig zu dem Ergebnis gekommen sei, dass der Kläger die unter Ziffer 1.c) im Bescheid vom 27. Juli 2022 genannte Bedingung nicht erfüllt habe. Dies ergebe sich daraus, dass in der korrigierten Fassung die Fußnotenbelege nach wie vor an erheblichen Mängeln litten. Es handele sich nicht um eine korrigierte Fassung im Sinne der Ziffer 1.c) des Bescheids vom 27. Juli 2022. Die mit der aufschiebenden Bedingung geschaffene Möglichkeit der Rückkehr in die Legalität habe der Kläger nicht wahrgenommen. Er habe durch die vorgelegte korrigierte Fassung nicht gezeigt, dass er das wissenschaftliche Handwerk beherrsche, indem er dem Promotionsausschuss nun eine korrigierte, im Sinne des wissenschaftlichen Arbeitens korrekte Fassung vorgelegt habe. Teilweise seien die vermeintlich korrigierten Stellen durch die Gleichsetzung von Primär- und Sekundärquellen dramatisch verschlimmert worden. Damit sei die aufschiebende Bedingung eingetreten und der Doktortitel sei automatisch aufgrund des bestandskräftig gewordenen Bescheids vom 27. Juli 2022 entzogen. Auf die weitere Begründung wird verwiesen.
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2. Dagegen ließ der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 10. November 2023, eingegangen bei Gericht am 11. November 2023, Klage erheben. Zugleich beantragte er einstweiligen Rechtsschutz im Verfahren W 2 E 23.156 mit dem Ziel, bis zur Entscheidung in der Hauptsache den akademischen Grad „Dr. iur.“ weiterführen und die Doktorurkunde solange behalten zu dürfen.
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Zur Begründung ließ der Kläger im Wesentlichen ausführen: Der Kläger habe die Vorgaben der im Bescheid vom 27. Juli 2022 in der Ziffer 1.c) formulierten aufschiebenden Bedingung erfüllt. In der Mitteilung über den Entzug werde nur die technische Art und Weise, wie der Kläger zitiert habe, moniert. Dieser habe jedoch lediglich die Art und Weise des Zitierens fortgesetzt, welche er auch im Rahmen der Dissertation ursprünglich verwendet habe und die nicht im Plagiatsverfahren kritisiert worden sei. Der Kläger habe in der korrigierten Fassung alle plagiierten Stellen korrigiert und alle wörtlichen Zitate als solche gekennzeichnet. Die Frage der Art und Weise des Zitierens sei nicht Gegenstand der aufschiebenden Bedingung gewesen. Die Prüfung, ob die vorgenommenen Korrekturen des Klägers die Anforderungen der aufschiebenden Bedingung tatsächlich erfüllten, unterliege keinem Beurteilungsspielraum und sei damit gerichtlich voll prüfbar. Die Regelung in Ziffer 3 des Bescheids vom 27. Juli 2022, dass die Feststellung der Erfüllung oder Nichterfüllung der Voraussetzungen der aufschiebenden Bedingung der Promotionsausschuss der J.-M.-Universität W. treffe, eröffne auch keinen Spielraum für eine vollständige Neubewertung der Dissertation. Ziffer 3 stelle eine bloße interne Bestimmung der Zuständigkeit innerhalb der Organisationsstruktur der Beklagten dar. Zudem sei keine Anhörung nach Art. 28 BayVwVfG im Vorfeld der Mitteilung vom 26. Oktober 2023 erfolgt.
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Auf die näheren Einzelheiten der Klagebegründung wird verwiesen.
10
Der Kläger beantragt zuletzt,
Es wird festgestellt, dass die aufschiebende Bedingung gemäß Bescheid der Beklagten vom 27. Juli 2022, unter welcher der von der Beklagten am 25. November 2009 verliehene akademische Grad „Dr. iur.“ rückwirkend entzogen wird, entgegen der Mitteilung der Beklagten vom 26. Oktober 2023 nicht eingetreten ist. Darüber hinaus wird festgestellt, dass der Kläger berechtigt ist, den akademischen Grad „Dr. iur.“ weiterhin zu führen.
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Der Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 2023 wird aufgehoben.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Klägerseite verkenne den begrifflichen Inhalt des Wortes „korrigiert“. Was unter einer „korrigierten Fassung“ zu verstehen sei, bestimme sich nach dem objektiven Empfängerhorizont, §§ 133, 157 BGB analog. Zur inhaltlichen Bestimmung sei neben der Wortbedeutung auch die Begründung des Bescheids heranzuziehen. Das Wort „Korrektur“ habe seine Wurzeln im lateinischen Wort „correctura“ und bedeute „Verbesserung; Berichtigung; Richtigstellung“. Alle plagiierten Stellen zu „korrigieren“, bedeute daher nicht nur, dass der Kläger seiner Kennzeichnungspflicht nachkomme, sondern dass diese „korrekt“, mithin im Sinne des wissenschaftlichen Standards lege artis umgesetzt werde. Eine Korrektur beinhalte damit zwingend das Vorlegen einer korrekten Fassung, die dem wissenschaftlichen Standard entspreche. Für eine solche Auslegung spreche auch, dass die Beklagte mit der Einräumung der Möglichkeit der Nachkorrektur das Ziel verfolge, den wissenschaftlichen Ruf der Universität wiederherzustellen. Diese Ziele und Vorgaben seien in der Begründung des Bescheids vom 27. Juli 2022 enthalten. Fast alle monierten „Korrekturen“ resultierten daraus, dass der Kläger nun unter anderem die Werke von Telp und Werle eingepflegt habe, sodass der Beklagten nicht vorgeworfen werden könne, sie moniere jetzt Mängel, die bereits zuvor bestanden hätten. Der Kläger als Träger eines Doktortitels müsse in der Lage sei, wissenschaftlich zu arbeiten und die aufgezeigten Mängel lege artis auszubessern, was nicht geschehen sei. Insbesondere sei es bei dem Umgang mit Quellen aus dem Nationalsozialismus elementar, dass auch in den Fußnoten deutlich werde, von wem die entsprechende Aussage stamme und wer sie sich zu eigen mache (oder dies gerade nicht tue). Es dürfe unter keinen Umständen der Eindruck erweckt werden, dass Wissenschaftler, die den Nationalsozialismus untersuchen und aufarbeiten, die Auffassungen der Nationalsozialisten teilten, indem sie mit diesen gemeinsam und undifferenziert in Fußnoten genannt würden. Dem Kläger sei der Unterschied zwischen Primär- und Sekundärliteratur offenbar weiterhin unklar, was seine gesetzten Fußnoten aufzeigten. Es sei keine Neubewertung der Dissertation vorgenommen worden, sondern schlicht moniert worden, dass keine korrigierte Fassung vorliege. Durch den falschen Umgang mit Sekundär- und Primärquellen werde regelmäßig der Eindruck erweckt, als machten sich unter anderem Werle und Telp nationalsozialistisches Gedankengut zu eigen. Dabei sei es entgegen der Meinung der Klägerseite nicht Aufgabe des Lesers, durch einen Blick in das Literaturverzeichnis zu erfahren, wer die Primär- und wer die Sekundärquelle darstelle. Da diese falsche, nicht im Ansatz gängigen wissenschaftlichen Standards entsprechende Zitationsweise die ganze Dissertation durchziehe, liege keine korrigierte Fassung vor. Eine Anhörung nach Art. 28 BayVwVfG analog sei nicht notwendig gewesen.
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Auf die näheren Einzelheiten der Klageerwiderung wird verwiesen.
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3. Mit Beschluss vom 29. November 2023 wurde das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz (Az.: W 2 E 23.1561) nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestellt.
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4. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auch in dem Verfahren W 2 E 23.1561, sowie auf die beigezogene Behördenakte der Beklagten verwiesen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlungen wird auf das Protokoll vom 12. Februar 2025 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die mit dem Hauptantrag erhobene Feststellungsklage ist unzulässig; die hilfsweise gegen den Bescheid vom 26. Oktober 2023 erhobene Anfechtungsklage ist zulässig, jedoch unbegründet, da der angegriffene Verwaltungsakt sich als rechtmäßig erweist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Aufgrund § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist die mit dem Hauptantrag erhobene Feststellungsklage unzulässig, da das Klagebegehren mit der im Hilfsantrag erhobenen Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) verfolgt werden kann.
19
Die Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses ist unzulässig, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können, § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Gestaltungsklage i.S.d § 43 Abs. 2 VwGO sind die allgemeine Gestaltungsklage und die Anfechtungsklage, Leistungsklage die allgemeine Leistungsklage und die Verpflichtungsklage (Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 43 Rn. 40, beck-online). Die Subsidiaritätsklausel verfolgt im Interesse der Prozessökonomie den Zweck, den erforderlichen Rechtsschutz auf ein einziges gerichtliches Verfahren zu konzentrieren (BVerwG, U.v. 12.6.2000 – 7 C 3/00 – BVerwGE 111, 306, 308 f.), nämlich dasjenige Verfahren, das seinem Anliegen am wirkungsvollsten gerecht wird (BVerwG, U.v. 19.3.2014 – 6 C 8/13 – BVerwGE 149, 194 Rn. 13; NVwZ 2017, 56 Rn. 28). Dort, wo der Kläger sein Ziel mit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage erreichen kann, ist die Feststellungsklage ein unnötiger Umweg, der nur zu einer nicht vollstreckbaren Feststellung führt und ein weiteres unmittelbar rechtsgestaltendes oder vollstreckbares Urteil erforderlich machen kann (BVerwG, U.v. 16.10.2013 – 8 C 21/12 – BVerwGE 148, 146 Rn. 18).
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1.1 Der Bescheid der Beklagten vom 27. Juli 2022, wonach der akademischer Grad des Klägers entzogen wird, sofern er nicht bis zum 1. Juli 2023 eine korrigierte Fassung seiner Dissertation veröffentlicht (Ziffer 1.a)) und in der korrigierten Fassung alle plagiierten Stellen korrigiert und alle wörtlichen Zitate als solche kennzeichnet (Ziffer 1.c)) ist infolge der Rücknahme des hiergegen gerichteten Widerspruchs mit Schreiben vom 5. Oktober 2022 bestandskräftig geworden. Insoweit hat das Gericht diesen Bescheid ohne inzidente Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit der Entscheidung zugrunde zu legen. An der Wirksamkeit des Bescheids (Art. 43 BayVwVfG) bestehen keine Zweifel. Insbesondere stellt er sich mangels eines offenkundigen besonders schwerwiegenden Fehlers (Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG) nicht als nichtig dar.
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1.2 Bei dem Bescheid vom 27. Juli 2022 handelt es sich nicht um einen vorläufigen Verwaltungsakt, welcher durch einen Schlussverwaltungsakt – hier die Mitteilung der Entscheidung des Promotionsausschusses vom 26. Oktober 2023 – ersetzt wurde.
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Bei einem vorläufigen Verwaltungsakt wird der gesamte Gegenstand unter dem Vorbehalt einer endgültigen Entscheidung geregelt und damit durch den Verwaltungsakt selbst das Regelungsprogramm der Art. 43, 48 ff. BayVwVfG modifiziert. Grund ist die Ungewissheit über die zu treffende endgültige Entscheidung, weil entweder eine endgültige Ermittlung des Sachverhalts trotz Erfüllung der Sachverhaltsermittlungspflicht noch nicht möglich ist oder eine noch nicht feststehende Rechtslage vorliegt, weil von anderen Stellen zu klärende Vorfragen noch nicht abschließend entschieden sind (vgl. hierzu Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, 10. Aufl. 2022, VwVfG § 35 Rn. 243, beck-online).
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Die Beklagte führt in dem Bescheid vom 27. Juli 2022 aus, dass die Verleihung des Doktorgrades rechtwidrig erfolgt sei und somit die Voraussetzung für eine Rücknahme (auch mit Wirkung für die Vergangenheit) vorliege. Als milderes Mittel im Vergleich zu einer unbedingten Rücknahme gab sie dem Kläger die Gelegenheit, eine korrigierte Fassung seiner Dissertation zu veröffentlichen. Es liegt somit keine Vorfrage oder Ungewissheit über die zu treffende Entscheidung vor, sondern die Beklagte wollte die Entscheidung über den Entzug des Doktorgrades abschließend mit Bescheid vom 27. Juli 2022 regeln und bejahte das Vorliegen der Voraussetzungen einer Rücknahmeentscheidung. Dem Kläger wurde anstelle einer unbedingten Rücknahme lediglich zusätzlich und für ihn vorteilhaft die Möglichkeit eröffnet, in einem „Nachbesserungsverfahren“ den Entzug seines Doktorgrades abzuwenden.
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Ein anderes Verständnis der Regelung im Bescheid vom 27. Juli 2022 ist auch nicht etwa mit Blick auf die gesetzliche Systematik der Vorschriften über die Aufhebung von Verwaltungsakten oder das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) geboten. Insbesondere stellt die hier in Rede stehende Regelung keine unzulässige Umgehung der Art. 43 Abs. 2, 48 Abs. 1 BayVwVfG dar. Das Verwaltungsverfahrensgesetz hat in den Vorschriften über die Bestandskraft und die Rücknahme von Verwaltungsakten für den Fall, dass sich ein Verwaltungsakt bei erneuter rechtlicher Bewertung durch die zuständige Behörde als rechtswidrig erweist, ein austariertes Regelungssystem geschaffen, das den Prinzipien der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit gleichermaßen Rechnung trägt (vgl. BVerwG U.v. 16.6.2015 – 10 C 15.14 – juris Rn. 18). Der streitgegenständliche Sachverhalt unterscheidet sich von den Fällen im Gebiet der Subventionsvergabe, in welchen die Systematik mit vorläufigen Verwaltungsakt und Schlussverwaltungsakt hauptsächlich zur Anwendung kommt. Eine Umgehung besonderer Vertrauensschutzbestimmungen liegt nicht vor, da es sich bei dem Bescheid vom 27. Juli 2022 bereits um die Rücknahmeentscheidung nach Art. 48 BayVwVfG an sich handelt, in welchem das Interesse des Klägers im Rahmen der Ermessensausübung maßgeblich berücksichtigt wurde. Es stand dem Kläger frei, gegen diesen Bescheid gerichtlich vorzugehen und die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rücknahmeentscheidung überprüfen zu lassen. Eine unzulässige Beschränkung der Rechtschutzmöglichkeiten des Klägers fand somit nicht statt.
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1.3 Bei der von der Beklagten als aufschiebende Bedingung bezeichneten Nebenbestimmung handelt es sich nach Auffassung der Kammer um eine Nebenbestimmung „sui generis“, welche sich durch die im Rahmen der Ermessenausübung eingeräumte Nachbesserungsmöglichkeit als „Minusmaßnahme“ zur unbedingten Entziehung des akademischen Grades erweist und anhand der spezifischen Besonderheiten des Einzelfalls auszulegen ist. So ist in Ziffer 3 des Bescheids vom 27. Juli 2022 geregelt, dass der Promotionsausschuss der Juristischen Fakultät die Erfüllung oder Nichterfüllung der Voraussetzung der aufschiebenden Bedingung feststellt. Die feststellende Entscheidung sollte dem Kläger mitgeteilt werden (Ziffer 4).
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Die von der Beklagten gewählte Formulierung „dass der Promotionsausschuss darüber entscheidet, ob die Bedingung erfüllt bzw. nicht erfüllt wurde“ lässt auf eine eigene mit einem Beurteilungsspielraum versehene Prüfungsentscheidung des Promotionsausschusses schließen, ob eine korrigierte Fassung i.S.v. Ziffer 1.c) des Bescheids vorliegt. Die Beklagte bringt damit selbst zum Ausdruck, dass diese Feststellung einer wertenden Entscheidung bedarf. Das Gericht erkennt in der von der Beklagten gewählten Nebenbedingung die Anordnung zur Durchführung eines in sich selbstständigen „Nachbesserungsverfahrens“. Die hierbei zu treffenden Prüfungsentscheidung beschränkt sich auf das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen einer korrigierten Fassung und beinhaltet eine Bewertungskompetenz des Promotionsausschusses. Aufgrund dieser zu treffenden Prüfungsentscheidung weist die Entscheidung des Promotionsausschusses auch einen eigenständigen Regelungscharakter auf. Wird dem Kläger im Rahmen eines – gesetzlich nicht explizit geregelten oder vorgesehenen – Nachbesserungsverfahrens eine Möglichkeit eröffnet, den Entzug seines akademischen Grades abzuwenden, und wird diese Möglichkeit wahrgenommen, so hat die Bewertung der eingeräumten Nachbesserung im Rahmen anerkannter Prüfungsvorschriften und Prüfungsgrundsätze zu erfolgen und kann insofern einer gerichtlichen Kontrolle nicht gänzlich entzogen sein (vgl. zu von der Prüfungsordnung nicht vorgesehenen Wiederholungsprüfungen Fischer in Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 771, beck-online). Der Entscheidung des Promotionsausschusses darüber, ob eine korrigierte Fassung der klägerischen Dissertation vorliegt, kommt somit nach Ansicht der Kammer innerhalb des Nachbesserungsverfahrens eine eigenständige Regelungswirkung zu, welche Verwaltungsaktqualität aufweist, Art. 35 Satz 1 BayVwVfG. Da somit eine Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 26. Oktober 2023 möglich ist und der Kläger hierdurch sein Rechtschutzinteresse am wirkungsvollsten erreichen kann, führt dies zur Unzulässigkeit der erhobenen Feststellungsklage.
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2. Die gegen den feststellenden Verwaltungsakt vom 26. Oktober 2023 gerichtete – hilfsweise – erhobene Anfechtungsklage ist zulässig, jedoch unbegründet. Der angefochtene Verwaltungsakt erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO)
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Es handelt es sich aufgrund des eigenständigen Regelungscharakters um einen Verwaltungsakt i.S.d. Art. 35 BayVwVfG (s.o.). Die hiergegen erhobene Anfechtungsklage erfolgte auch innerhalb der – aufgrund der fehlenden Rechtsbehelfsbelehrung- maßgeblichen Jahresfrist, § 58 Abs. 2 VwGO.
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Die Entscheidung des Promotionsausschusses, dass keine korrigierte Fassung vorliegt und somit die aufschiebende Bedingung für den Entzug der Doktorwürde eingetreten ist, kann rechtlich nicht beanstandet werden.
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Die Kammer erachtet in Anbetracht der spezifischen Besonderheiten des von der Beklagten gewählten Nachbesserungsverfahrens einen Prüfungsmaßstab in Anlehnung an die Maßstäbe einer „klassischen“ Prüfungsanfechtung für sachgerecht. Der gerichtliche Prüfungsumfang beschränkt sich in diesen Fällen im Wesentlichen darauf, ob die rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums überschritten wurden. Dies ist nur dann der Fall, wenn das vorgeschriebene Prüfungsverfahren nicht eingehalten worden ist, das Prüfungsorgan von falschen Tatsachen ausgegangen ist, allgemein anerkannte Bewertungsmaßstäbe nicht beachtet hat, sich von unsachlichen Erwägungen hat leiten lassen oder seine Bewertung willkürlich ist (BVerwG, B.v. 28.6.2018 – 2 B 57/17 – juris; B.v. 5.3.2018 – 6 B 71/17 – juris). Uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar sind hingegen Fachfragen, d.h. Fragen, die einer fachwissenschaftlichen Erörterung zugänglich sind. Für diese ist entscheidend, ob die vertretene Auffassung nach dem Stand der Fachwissenschaft vertretbar ist. Dieser objektive Bewertungsmaßstab tritt für die Beantwortung von Fachfragen an die Stelle der autonomen Einschätzung des Prüfers. Die Verwaltungsgerichte haben nachzuprüfen, ob der Prüfer diesen Maßstab beachtet, d.h. eine fachlich richtige oder doch vertretbare Bemerkung nicht als falsch bewertet hat (BVerwG, B.v. 5.3.2018 – 6 B 71/17 – juris; B.v. 17.12.1997 – 6 B 55/97 – juris).
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Gemessen an diesen Maßstäben begegnet die Entscheidung des Promotionsausschusses, dass die von dem Kläger vorgelegte überarbeitete Dissertation nicht einer korrigierten Fassung i.S.v. Ziffer 1.c) des Bescheids vom 27. Juli 2022 entspricht, keine rechtlichen Bedenken.
32
2.1 Das Prüfungsverfahren wurde vom zuständigen Promotionsausschuss ordnungsgemäß durchgeführt.
33
Eine vorherige Anhörung war aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls entbehrlich, Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG. Mit der Nachbesserungsmöglichkeit sollte dem Kläger die Möglichkeit eröffnet werden, nachzuweisen, dass er in der Lage ist, selbständig wissenschaftlich zu arbeiten. Wenn dem Kläger im Rahmen der Anhörung die Kritikpunkte an seiner Zitierweise eröffnet worden wären, hätte man ihm damit quasi die Nachbesserung der Nachbesserung ermöglicht, was erkenntlich nicht im Sinne dieser für ihn günstigeren Vorgehensweise sein kann.
34
Weitere Anhaltspunkte für einen Verfahrensmangel sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
35
2.2 Der Promotionsausschuss hat die rechtlichen Grenzen seines Beurteilungsspielraums nicht überschritten. Dabei hat er die zu beachtenden Bewertungsmaßstäbe nicht verletzt.
36
In Übereinstimmung mit den Beteiligten geht die Kammer davon aus, dass keine vollständige Neubewertung der klägerischen Dissertation Gegenstand des Nachbesserungsverfahrens ist, sondern sich die Prüfung des Promotionsausschusses auf die Nachbesserung der als Plagiat monierten und nicht als wörtliche Zitate gekennzeichneten Stellen beschränkt.
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Der klägerischen Auffassung, wonach Bewertungsmaßstab alleine sein könne, ob alle Plagiate durch die Kennzeichnung als wörtliche Zitate korrigiert wurden, ist nicht zu folgen.
38
Maßgeblich ist entsprechend den zu §§ 133, 157 BGB entwickelten Maßstäben der objektive Erklärungswert, also wie der Empfänger die Erklärung unter Berücksichtigung der ihm erkennbaren Umstände bei objektiver Würdigung verstehen muss. Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen und deren objektiver Gehalt unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts zu ermitteln. Bedeutung kommt nicht nur dem Tenor eines Bescheids, sondern auch der Begründung zu. Allerdings muss eine Nebenbestimmung schon im Tenor angelegt sein (Schröder in Schoch/Schneider, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. EL Juli 2024, § 36 Rn. 41, beck-online).
39
Durch den Begriff „Korrektur“ im Bescheid vom 27. Juli 2022 wird klargestellt, dass eine Berichtigung/Richtigstellung gefordert ist, nicht bloß eine (wissenschaftlichen Standards nicht genügende) irgendwie geartete Zitation. Dies ergibt sich insbesondere auch aus der Begründung des Bescheids, die u.a. auf „wissenschaftliches Fehlverhalten“ insgesamt („erhebliche Mängel, die den Anforderungen an wissenschaftliches Arbeiten nicht mehr genügen und die Bagatellgrenze erheblich überschreiten“), auf eine erforderliche „ordnungs- und fristgemäße Überarbeitung der Dissertation“, auf die „wesentliche Bedeutung für die wissenschaftliche Aussagekraft der Arbeit des Klägers“ und darauf hinweist, dass „das Veröffentlichen einer um alle plagiierten Stellen korrigierten Fassung, in der im Vorwort auf das Plagiatsverfahren hingewiesen und der Grund für die korrigierte Fassung genannt wird, als milderes Mittel geeignet [ist], den wissenschaftlichen Ruf der Universität wiederherzustellen“ sowie dass der Doktorgrad „nicht nur Ausdruck eines bestimmten fachlichen Könnens, sondern zugleich auch einer wissenschaftlichen Lauterkeit“ ist.
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Es konnte von der Beklagten auch nicht verlangt werden, dass sie in dem Ausgangsbescheid vom 27. Juli 2022 zugleich mögliche neue (Zitier-)Fehler, die der Kläger in seiner überarbeiteten Fassung erstmals begehen könnte, konkret benennt und ausschließt. Dies entsprach auch nicht dem Erwartungshorizont der Beklagten. Dass sich der Bescheid auf die zu dem damaligen Zeitpunkt vorliegenden Fehler beschränkt, ist nicht zu beanstanden. Anzumerken ist auch, dass die Begründung des Bescheids zumindest mittelbar auch auf die mangelnde Unterscheidung von Primär- und Sekundärquellen eingeht. So wird explizit ausgeführt, dass „auch bei der Übernahme von Paraphrasierungen für den Leser immer erkennbar sein muss, wer zu ihm spricht.“
41
Das mit der gestatteten Nachbesserungsmöglichkeit verfolgte und in dem Bescheid mehrmals genannte Ziel der Beklagten, den wissenschaftlichen Ruf der Universität wiederherzustellen, gab dem Kläger klar zu erkennen, dass nicht eine irgendwie geartete Zitation für das Vorliegen einer korrigierte Fassung ausreichend sein kann, sondern dass die Zitation in der korrigierten Fassung alle wissenschaftlichen Anforderungen erfüllen muss.
42
2.3 Bei der Entscheidung des Promotionsausschusses ist dieser auch von einer zutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen, denn die überarbeitete Dissertation des Klägers entspricht in weiten Teilen nicht den Anforderungen an eine korrigierte Fassung i.S.v. Ziffer 1.c) des Bescheids vom 27. Juli 2022. Dabei würde es im Hinblick auf den eingeschränkten Prüfungsmaßstab des Gerichts nach Ansicht der Kammer schon genügen, wenn nicht alle Zitate der überarbeiteten Dissertation den wissenschaftlichen Standards entsprechen.
43
Eine Anforderung an eine Doktorarbeit ist grundsätzlich – und hierbei kann in einem „Nachbesserungsverfahren“ nichts anderes gelten –, dass es sich um eine selbstständige wissenschaftliche Leistung handelt. Aus dem Begriff der „selbständigen wissenschaftlichen Leistung“ folgt, dass fremde geistige Hervorbringungen, die zulässigerweise in der Dissertation verwertet werden, als solche in einer Weise zu kennzeichnen sind, dass der Leser ohne eigenen Aufwand (wie z.B. das Nachschlagen von Zitaten) in die Lage versetzt wird, fremde geistige Hervorbringungen in der Dissertation zuverlässig von eigenen geistigen Hervorbringungen des Verfassers der Dissertation zu unterscheiden. Ein Zitat darf beim Leser keine Fehlvorstellungen darüber hervorrufen, welchen Umfang es abdeckt (NdsOVG, U.v. 15.7.2017 – 2 LB 363/13 – juris Rn. 104 und 110). Schließlich ist im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit eine Kennzeichnung der wörtlichen Übernahmen unmittelbar an den betreffenden Passagen vorzusehen (VGH BW, U.v. 19.4.2000 – 9 S 2435/99 – KMK-HSchR/NF 21A Nr. 19; VG Karlsruhe, U.v. 4.3.2013 – 7 K 3335/11 – VBlBW 2013, 429; VG Freiburg, U.v. 23.5.2012 – 1 K 58/12 – juris; VG Frankfurt, U.v. 23.5.2007 – 12 E 2262/05 – juris; VG Düsseldorf, U.v. 20.3.2014 – 15 K 2271/13 – ZUM 2014, 602).
44
Dass die Kennzeichnung fremder Texte in der überarbeiteten Fassung der Dissertation des Klägers in vielen Fällen unzureichend ist und nicht wissenschaftlichen Standards entspricht, hat die Beklagte sowohl schriftsätzlich als auch durch die Ausführungen von Prof. Suerbaum in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung der Kammer dargelegt.
45
Welche Anforderungen insoweit zu stellen sind, leitet die Kammer für die hier vorliegende Fallgestaltung nicht aus Regelwerken oder Handreichungen ab, die für den Wissenschaftsbetrieb nützlich sein mögen, sondern aus der auch für den Kläger ohne Weiteres erkennbaren Natur der Sache (so auch NdsOVG, U.v. 15.7.2015 – 2 LB 363/13 – BeckRS 2015, 49356 Rn. 92, beck-online):
- Die Einleitung eines Zitats mit dem Kürzel „vgl.“ ist sinnwidrig, wenn ein fremder Text wörtlich übernommen wird, denn der Leser hätte nichts davon, zwei wörtlich gleiche Texte miteinander zu vergleichen. Sie wäre nur berechtigt, wenn das in Bezug genommene Werk die gleiche Thematik aus einer eigenen Perspektive beleuchtet und damit zusätzlichen Erkenntnisgewinn verheißt (NdsOVG, U.v. 15.7.2015, aaO).
- Gerade im Rahmen wissenschaftlicher Arbeiten, welche den Nationalsozialismus und nationalsozialistischen Gedankengut thematisieren, ist bei der Verwendung wörtlicher Zitate genau darauf zu achten, dass für den Leser jederzeit deutlich erkennbar sein muss, „wer zu ihm spricht“. Die undifferenzierte Angabe sowohl von Sekundär- als auch von Primärliteratur in einer Fußnote zum Beleg eines wörtlichen Zitats lässt hierbei nicht eindeutig erkennen, von wem das wörtliche Zitat stammt und wer diese Aussage vertritt. Welche angegebene Literatur Primär- oder Sekundärquelle ist, muss für den Leser aufgrund des Textes und der gewählten Zitierweise – auch ohne einen Blick in das Literaturverzeichnis – erkennbar sein.
- Zitationen, welche fälschlicherweise den Eindruck erwecken, dass ein Autor von Sekundärliteratur sich nationalsozialistisches Gedankengut zu eigen mache, sind mit wissenschaftlichen Standards nicht vereinbar.
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Gemessen hieran führt die Beklagte nachvollziehbar aus, dass die vom Kläger verwendete Zitierweise, insbesondere im Umgang mit Primär- und Sekundärquellen, nicht wissenschaftlichen Standards genügt.
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Beispielhaft ist Folgendes zu nennen:
- Auf Seite 94 der Dissertation führt der Kläger aus:
48
Die Todesstrafe bei Mord und Totschlag sollte eine „echte Sühnestrafe“ sein, wobei „ihr Anknüpfungspunkt die sittliche Schuld und ein ethisch gefärbter Tätertyp“ seien.
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In der dazugehörigen Fußnote 457 wird Werle, der Autor der Sekundärliteratur, zuerst genannt. Auf Dahm, welchen Werle in seinem Werk zitiert, wird nachgestellt lediglich mit einem „vgl.“ verwiesen. Zutreffend und nachvollziehbar hat die Beklagte dargelegt, dass die Zitation das wörtliche Zitat „ethisch gefärbten Tätertyp“ Werle zuschreibt, obwohl es tatsächlich von Dahm stammt. Wie oben gezeigt ist zudem die Einleitung eines Zitats mit dem Kürzel „vgl.“ sinnwidrig, wenn ein fremder Text wörtlich übernommen wird, denn der Leser hätte nichts davon, zwei wörtlich gleiche Texte miteinander zu vergleichen. Sie wäre nur berechtigt, wenn das in Bezug genommene Werk die gleiche Thematik aus einer eigenen Perspektive beleuchtet und damit zusätzlichen Erkenntnisgewinn verheißt, was hier nicht zutrifft. Die Zitation in Fußnote 457 vermittelt somit fälschlicherweise den Eindruck, dass das wörtliche Zitat von Werle selber stammt. Auch aus dem Textzusammenhang ist für die Kammer nicht ohne Weiteres ersichtlich, dass das wörtliche Zitat Dahm, welcher erst im darauffolgenden Abschnitt, 9.b) Literaturstimmen, im Text genannt wird, zuzuschreiben ist.
- Auch auf Seite 111 der Dissertation in dem Kapitel „Teil 5 I.1.“ verwendet der Kläger mehrere wörtliche Zitate, welche er am Ende des Kapitels in der Fußnote 516 sinnwidrig mit „vgl. hierzu insgesamt Grimm“ kennzeichnet.
- Auf Seite 98 der Dissertation führt der Kläger aus:
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Vielmehr sei sie „eine natürliche Funktion des Volksorganismus“. Das Sühneerfordernis sei „sein gesundes Reinigungsbedürfnis“. Entscheidend sei, „ob die Sauberkeit, Integrität und Selbstachtung der Volksgemeinschaft die dauernde Ausschließung des Verbrechers“ verlangt.
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In der dazugehörigen Fußnote 474 zitiert der Kläger zuerst Werle und darauffolgend Freisler. Entgegen der Ausführungen des Klägerbevollmächtigten lässt die undifferenzierte Nennung Werles mit Freisler nicht eindeutig erkennen, von wem das wörtliche Zitat stammt bzw. wer hinter den Gedanken steht. Insbesondere die Nennung Werles vor Freisler legt den Schluss nahe, dass Werle zumindest auch hinter dem Gedankengut der wörtlichen Zitate steht, was unzutreffend ist. Dass der betroffene Absatz auf der vorherigen Seite 97 mit „nach Freisler war […]“ beginnt, ändert nichts an dieser Einschätzung. Zum einen steht diese Einleitung mehrere Sätze vor der genannten Stelle; zum anderen erweckt die gewählte Zitierweise – falls man das wörtliche Zitat Freisler zuschreibt – zumindest den Eindruck, dass Werle sich diese Ausführungen zu eigen macht. Insbesondere die Nennung Werles an erster Stelle in der Fußnote ist für die Kammer jedenfalls nicht mit wissenschaftlichen Standards vereinbar.
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Dieselbe – nicht wissenschaftlichen Standards entsprechende – Art der Literaturzitation findet sich an mehreren Stellen in der Dissertation des Klägers. Hierbei ist insbesondere auf die Fußnoten 412, 447, und 473 bis 475 zu verweisen.
- Auf Seite 97 der Dissertation verweist der Kläger in den Fußnoten 470 und 471 auf „Telp, Ausmerzung und Verrat S. 117 dort Fußnote 50“. Nachvollziehbar führte die Beklagte aus, dass ein solcher Verweis den Eindruck erweckt, als werde Telp als geistiger Urheber zitiert, welcher in der dort befindlichen Fußnote 50 Ausführungen zu der Thematik mache. Dass hiermit die von Telp in der Fußnote 50 zitierten Werke gemeint sein sollten, ergibt sich aus der vom Kläger gewählten Zitierweise nicht.
- Auf Seite 101f. gibt der Kläger mehrere Stellen aus „Peters, Reichsjudengesetz“ wörtlich wieder, setzt hierzu jedoch jeweils erst am Ende des Absatzes Fußnoten. Nachvollziehbar hat die Beklagte dargelegt, dass dies – gerade unter dem Aspekt, dass die Fußnoten 493 und 494 sich nicht am Ende eines wörtlichen Zitats, sondern am Ende eines Satzes befinden, welcher selbst kein wörtliches Zitat enthält – nicht wissenschaftlichen Standards genügt.
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2.4 Aufgrund des begrenzten Umfangs der Nachbesserung und des mit der Nachbesserung verfolgten Ziels der Beklagten, ihren wissenschaftlichen Ruf wiederherzustellen, ist auch ein strenger Maßstab an eine korrigierte Fassung nicht zu beanstanden. Eine „korrigierte Fassung“, welche auch nur in kleinen Teilen nicht den wissenschaftlichen Standards entspricht, würde dem von der Beklagten verfolgten Ziel diametral zuwiderlaufen.
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3. Mit der somit rechtmäßigen streitgegenständlichen Entscheidung der Beklagten vom 26. Oktober 2023 hat der im Bescheid vom 27. Juli 2022 enthaltene Entzug des akademischen Grades innere Wirksamkeit erlangt und der Kläger hat keine Berechtigung mehr, diesen akademischen Grad weiterhin zu führen.
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4. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.