Titel:
Bayerisches Oberstes Landesgericht, Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen, Antragsgegner, Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens, Schiedsverfahren, Gerichtliche Bestellung, Bestellungsverfahren, Internationales Zivilprozeßrecht, Streitwertfestsetzung, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Bestellung der Schiedsrichter, Bestellungsanträge, Bestellung durch das Gericht, Rechtsanwalt, Besonderes elektronisches Anwaltspostfach, Einvernehmensanwalt, Europäische Rechtsanwälte, Schiedsgerichte, Schiedsklage, Elektronisches Dokument
Schlagworte:
Schiedsverfahren, Schiedsrichterbestellung, Schiedsvereinbarung, Unparteilichkeit, Vertragsstreitigkeiten, Verfahrenskosten
Fundstelle:
BeckRS 2025, 15897
Tenor
I. Zur Durchführung eines Schiedsverfahrens zwischen den Parteien über Zahlungsansprüche der Antragstellerin aus der Subunternehmervereinbarung vom 7. März 2023 wird zum beisitzenden Schiedsrichter bestellt:
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Bestellungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Bestellungsverfahren wird auf 179.697,82 € festgesetzt.
Gründe
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Die Antragstellerin ist eine vereinfachte Aktiengesellschaft französischen Rechts mit Sitz in Frankreich. Sie beabsichtigt, gegen die in Deutschland ansässige Antragsgegnerin eine Schiedsklage zur Durchsetzung von Ansprüchen zu erheben, die sie auf die mit der Antragsgegnerin am 7. März 2023 geschlossene Subunternehmervereinbarung über die Erstellung von passiven Infrastrukturen und Gewerken als Teilbereich eines sogenannten FTTH-Netzes (faser to the home) in Deutschland stützt.
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Die Subunternehmervereinbarung enthält unter Ziffer 24 eine Schiedsklausel mit folgendem Wortlaut:
24.1. Alle sich aus oder im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Vertrag ergebenden Streitigkeiten sollen in einem Schiedsverfahren gem. §§ 1025 ff. der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO) endgültig entschieden werden.
24.2. Das Schiedsgericht besteht aus drei Schiedsrichtern. Der Vorsitzende muss ein bei einem Oberlandesgericht zugelassener Richter sein, die beiden anderen Schiedsrichter müssen voll ausgebildete Rechtsanwälte sein.
24.3. Der Sitz des Schiedsgerichts ist München.
24.4. Die Schiedssprache ist Deutsch.
24.5. Das Schiedsgericht hat deutsches materielles Recht anzuwenden. In Bezug auf das Verfahren wendet das Schiedsgericht deutsches Recht an – insbesondere in Bezug auf die Beweiserhebung.
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Gemäß Ziffer 26.3 (Schlussbestimmungen) verzichten die Parteien auf den Austausch der Originalverträge und erkennen ein unterschriebenes, als pdf gespeichertes Dokument als wirksam an.
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Nachdem es im Zuge der Vertragsdurchführung zu Meinungsverschiedenheiten unter den Vertragsparteien gekommen war und die Antragstellerin mit Anwaltsschreiben vom 23. Januar 2025 die Antragsgegnerin erfolglos zur Zahlung eines Betrags in Höhe von insgesamt 539.093,45 € (ausstehende Vergütung und Schadensersatz) aufgefordert hatte, leitete die Antragstellerin mit Anwaltsschreiben vom 11. März 2025 an die Antragsgegnerin ein Schiedsverfahren ein, in dem sie die bereits mit Schreiben vom 23. Januar 2025 eingeforderten Beträge weiterverfolgt. In ihrer Erklärung über die Eröffnung eines Schiedsverfahrens teilte sie mit, ihrerseits Rechtsanwalt … zum Schiedsrichter bestellt zu haben. Zugleich forderte sie die Antragsgegnerin auf, innerhalb einer Frist von einem Monat den zweiten Schiedsrichter zu bestellen. Für den Fall, dass die Antragsgegnerin dieser Aufforderung nicht fristgerecht nachkommen sollte, kündigte die Antragstellerin an, bei Gericht die Bestellung eines Schiedsrichters zu beantragen.
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Mit Schriftsatz vom 30. Mai 2025, gerichtet an das Oberlandesgericht München, hat die Antragstellerin beantragt, für das gegen die Antragsgegnerin eingeleitete Schiedsverfahren einen Schiedsrichter zu bestellen.
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Mit Beschluss vom 3. Juni 2025 hat das Oberlandesgericht München den Antrag zuständigkeitshalber an das Bayerische Oberste Landesgericht abgegeben.
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Die Antragsgegnerin hat Gelegenheit erhalten, sich zum Bestellungsantrag zu äußern und dem Senat eine geeignete Person für das Schiedsrichteramt vorzuschlagen. Sie hat den im Tenor bezeichneten Rechtsanwalt für das Amt des beisitzenden Schiedsrichters benannt.
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Der vorgeschlagene Rechtsanwalt hat gegenüber dem Bayerischen Obersten Landesgericht seine Bereitschaft zur Übernahme des Amts erklärt und mitgeteilt, dass im Rahmen seiner Konfliktprüfung keine Umstände bekannt geworden seien, die Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit wecken könnten. Seine Anwaltskanzlei sei als deutsche Sozietät Mitglied eines internationalen Zusammenschlusses unabhängiger Anwaltskanzleien. Die einzelnen Mitgliedskanzleien teilten keine Gewinne und hätten auch keinen Zugriff auf die IT-Systeme der jeweils anderen Mitgliedskanzleien. Für die Konfliktprüfung sei daher nur die deutsche Sozietät ausschlaggebend. Eine portugiesische Kanzlei, die ebenfalls Mitglied des internationalen Verbunds sei, berate portugiesische Unternehmen, welche dieselbe oberste Muttergesellschaft hätten wie die Antragsgegnerin. Art und Umfang der Beratung seien ihm nicht bekannt.
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Dies ist den Parteien zur Kenntnis gebracht worden.
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Die Antragstellerin hat ihr Einverständnis mit dem Vorschlag erklärt.
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Auf den zulässigen Antrag ist ein zweiter beisitzender Schiedsrichter zu bestimmen.
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1. Der Antrag ist seinem Inhalt nach statthaft und auch im Übrigen zulässig.
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a) Gemäß § 1025 Abs. 1 ZPO finden die Vorschriften des Zehnten Buchs der Zivilprozessordnung Anwendung, weil der Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens im Sinn des § 1043 Abs. 1 ZPO gemäß der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung in Deutschland liegt.
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b) Der Antrag auf Bestellung des zweiten Schiedsrichters ist nach § 1035 Abs. 3 Satz 3 ZPO statthaft.
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Für das schiedsrichterliche Verfahren ist nach der Parteivereinbarung (§ 1034 Abs. 1 Satz 1 ZPO) ein mit drei Schiedsrichtern besetztes Schiedsgericht zu bilden. Eine Vereinbarung der Parteien über das Verfahren zur Bestellung der Schiedsrichter fehlt. Somit richtet sich die Bestellung nach § 1035 Abs. 3 ZPO.
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Hinsichtlich der beisitzenden Schiedsrichter gilt danach, dass jede Partei einen Schiedsrichter bestellt. Hat eine Partei den Schiedsrichter nicht innerhalb eines Monats nach Empfang einer entsprechenden Aufforderung durch die andere Partei bestellt, so ist der Schiedsrichter auf Antrag einer Partei durch das Gericht zu bestellen.
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c) Die internationale, sachliche und örtliche Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts ergibt sich aus § 1062 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 ZPO i. V. m. § 7 GZVJu und § 1025 Abs. 2 ZPO.
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Der von den Parteien im Subunternehmervertrag vereinbarte Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens (München) liegt im Bezirk des Bayerischen Obersten Landesgerichts, das auf dem Gebiet des Freistaats Bayern kraft Konzentrationsanordnung in § 7 GZVJu seit dem 1. Mai 2020 (wieder) allein zuständig ist für gerichtliche Entscheidungen in schiedsrichterlichen Angelegenheiten nach § 1062 ZPO.
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d) Der über einen in Frankreich zugelassenen Rechtsanwalt über das besondere elektronische Anwaltspostfach beim Bayerischen Obersten Landesgericht eingereichte Antrag ist auch wirksam gestellt.
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Gemäß § 28 Abs. 1 EuRAG darf der dienstleistende europäische Rechtsanwalt in gerichtlichen Verfahren, in denen der Mandant nicht selbst den Rechtsstreit führen oder sich verteidigen kann, nur im Einvernehmen mit einem Rechtsanwalt (Einvernehmensanwalt) handeln. Ein Einvernehmensanwalt ist aber dann nicht erforderlich, wenn sich die Parteien nicht gemäß § 78 ZPO durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 2025, IX ZB 1/24, juris Rn. 21).
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Dies ist in Verfahren wegen Bestellung eines Schiedsrichters, in denen ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, der Fall, § 1063 Abs. 2 ZPO.
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2. Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für eine gerichtliche Bestellung liegen vor.
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a) Gegen die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung (§ 1029 Abs. 1 und 2 ZPO) und deren Anwendbarkeit auf den vorliegenden Streit bestehen nach summarischer Bewertung keine Bedenken.
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aa) Die gerichtliche Bestellung eines Schiedsrichters für eine konkrete Streitigkeit setzt einen entsprechenden Schiedsvertrag voraus. Dabei gilt mit Blick auf den Verfahrensgegenstand ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab. Ein Antrag auf Bestellung ist danach nur abzulehnen, wenn die vom Antragsteller geltend gemachte Schiedsvereinbarung offensichtlich unwirksam ist oder offensichtlich den inmitten stehenden Streit nicht betrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 30. April 2009, III ZB 5/09, NJW-RR 2010, 425 Rn. 8 f.; Urt. v. 27. Februar 1969, KZR 3/68 – Fruchtsäfte, NJW 1969, 978 [979]; BayObLG, Beschluss vom 21. Dezember 2020, 1 SchH 89/20, juris Rn. 36).
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bb) Die Frage, welches Recht auf die Schiedsvereinbarung anzuwenden ist, muss nicht vertieft geprüft werden, wobei vieles für die Maßgeblichkeit deutschen Rechts spricht (zum maßgeblichen Schiedsvereinbarungsstatut: BGH, Urt. v. 26. November 2020, I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 Rn. 46 ff.; Paulus in beck.OGK, Stand: 1. Juni 2025, Rom I-VO Art. 1 Rn. 104 ff.). Der Abschluss einer Schiedsvereinbarung zwischen Unternehmen ist durch den Austausch elektronischer Dokumente sowohl nach nationalem Recht, § 1031 Abs. 1 Alt. 2 ZPO, als auch nach Art. II Abs. 2 Alt. 2 UNÜ wirksam möglich (vgl. zu § 1031 ZPO: Geimer in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 1031 Rn. 7; zu Art. II UNÜ: Gottwald in Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 9. Aufl. 2025, § 18 Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 18.31; Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 9. Aufl. 2022, § 7 Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen Rn. 7.331; Schlosser in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, Anhang zu § 1061 Rn. 101; auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. Dezember 2015, 1 SchH 1/15, juris Rn. 37 f.).
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b) Die Kompetenz zur Bestellung des zweiten Schiedsrichters ist auf das Gericht übergegangen.
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Gemäß § 1035 Abs. 3 Satz 3 ZPO ist der zweite Schiedsrichter auf Parteiantrag durch das Gericht zu bestellen, wenn eine Partei nicht innerhalb eines Monats nach Empfang einer entsprechenden Aufforderung durch die andere Partei den Schiedsrichter benannt hat.
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Die einmonatige Frist zur Benennung wurde mit dem Zugang des Aufforderungsschreibens vom 11. März 2025 bei der Antragsgegnerin wirksam in Gang gesetzt, denn in dem Schreiben hatte die Antragstellerin zugleich die Person des für die eigene Partei gewählten Schiedsrichters und den Gegenstand, über den eine Entscheidung des Schiedsgerichts herbeigeführt werden soll, konkret bezeichnet (vgl. KG, Beschluss vom 13. Mai 2013, 20 SchH 14/12, MDR 2013, 931 [juris Rn. 9]; OLG München, Beschluss vom 14. Oktober 2010, 34 SchH 7/10, juris Rn. 11; Geimer in Zöller, ZPO, § 1035 Rn. 14).
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3. Gemäß § 1035 Abs. 3 und Abs. 5 ZPO bestellt der Senat die oben bezeichnete Person zum Schiedsrichter.
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Der säumigen Partei bleibt es trotz Ablaufs der Monatsfrist unbenommen, einen geeigneten Schiedsrichter zur Bestellung durch das Gericht vorzuschlagen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 16. Januar 2002, 4Z SchH 9/01, BayObLGZ 2002, 17 [juris Rn. 10 f.]).
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Der vorgeschlagene Rechtsanwalt erfüllt die spezifischen Qualifikationsanforderungen, welche nach der Schiedsvereinbarung an die beisitzenden Schiedsrichter gestellt werden. Er verfügt ausweislich des Internetauftritts außerdem über vertiefte Erfahrungen in schiedsgerichtlichen Angelegenheiten und erscheint zur Bearbeitung der gegenständlichen Auseinandersetzung bestens geeignet. Zur Übernahme des Schiedsrichteramts ist er bereit. Anhaltspunkte, die Zweifel an seiner Unabhängigkeit und Unparteilichkeit erwecken könnten, sind nicht geltend gemacht worden oder sonst zutage getreten. Seine Angaben zum internationalen Verbund der unter der Kurzbezeichnung … auftretenden Anwaltskanzleien werden durch den Internetauftritt der in Deutschland ansässigen Sozietät (https:…) bestätigt. Danach handelt es sich bei … um eine internationale Organisation unabhängiger Anwaltssozietäten („…“). Damit besteht kein Anlass, von einer Bestellung der vorgeschlagenen Person Abstand zu nehmen.
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Die Nebenentscheidungen ergehen von Amts wegen.
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1. Entsprechend § 91 ZPO hat die Antragsgegnerin die Kosten des Bestellungsverfahrens zu tragen, da das gerichtliche Verfahren aufgrund ihrer nicht gerechtfertigten Weigerung, an der Bildung des Schiedsgerichts mitzuwirken, notwendig geworden ist.
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2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 3, 5 ZPO, § 48 Abs. 1, § 63 Abs. 2 GKG. Mit einem Bruchteil (etwa einem Drittel des mit der Schiedsklage verfolgten Werts der Hauptsache) ist im Regelfall – und auch in der vorliegenden Sache – eine angemessene Bewertung für die Bestellung gegeben (vgl. BayObLG, Beschluss vom 3. Dezember 2020, 1 SchH 89/20, juris Rn. 64 m. w. N.).
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Ausgehend von einem Streitwert der Schiedsklage in Höhe von 539.093,45 € gemäß Anlage A24 errechnet sich der Wert des Bestellungsverfahrens mit 179.697,82 €.
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3. Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben, § 1065 Abs. 1 Satz 2 ZPO.