Titel:
Abgeltungsklausel, Arbeitnehmerhaftung, Vergleichsabschluß, Vergleichsmehrwert, Streitwertkatalog, Ausgleichsklausel, Einigungsgebühr, Güteverhandlung, Ungewissheit, Entgeltfortzahlung, Arbeitsgerichtsbarkeit, Prozeßbevollmächtigter, Urlaubsabgeltung, Geltendmachung, Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Beschwerde gegen, Wert des Beschwerdegegenstandes, Rechtsverhältnis, Landesarbeitsgericht, OLG Brandenburg
Leitsatz:
Eine Forderung muss zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses soweit manifestiert und konkretisiert sein, dass für den Forderungsgegner der Forderungsgrund und die ungefähre Forderungshöhe erkennbar sind. Rn. 3 bb
Schlagworte:
Vergleichsmehrwert, Abgeltungsklausel, Arbeitnehmerhaftung, Schadensrisiko, Streitwertkatalog, Generalschlüsselverlust, wirtschaftliches Interesse
Rechtsmittelinstanz:
LArbG Nürnberg, Beschluss vom 15.05.2025 – 2 Ta 14/25
Fundstelle:
BeckRS 2025, 15838
Tenor
1. Der Beschwerde vom 10.03.2025 wird teilweise abgeholfen und der Vergleichsmehrwert auf 4.240,- Euro festgesetzt.
2. Im Übrigen wird der Beschwerde nicht abgeholfen und die Beschwerde dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt.
Gründe
1
Die Parteien stritten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisse über Urlaubsabgeltung, Entgeltfortzahlung sowie Zahlung einer Zulage. Etwa drei Monate vor Erhebung der Klage hatte der Geschäftsführer der Beklagten dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin betreffend den ihr überlassenen Generalschlüssel des Hotels der Beklagten mitgeteilt, es seien „ja noch etliche Punkte offen – u.a. geht es ja auch um den kompletten Wechsel der Schließanlage auf Kosten von Frau F. – hier liegt uns ein erstes Angebot in Höhe von 15.900 € netto vor. Gerne können wir Ihnen dies zukommen lassen. Sollte die Rückgabe des Schlüssels mittlerweile gegen Dokument erfolgt sein, erübrigt sich dies natürlich.“ (E-Mail vom 09.10.2024, Anlage K11, Bl. 42 d.A.). Die Klägerin teilte der Beklagten mit, sie habe den Schlüssel an der Rezeption hinterlassen, verfüge jedoch über keine Quittung. In der Güteverhandlung am 03.02.2025, in der auch der weiterhin unklare Verbleib des Schlüssels thematisiert wurde, schlossen die Parteien einen Prozessvergleich einschließlich finanzieller Abgeltungsklausel.
2
Gegen die mit Beschluss vom 26.02.2025 erfolgte Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts iHv. 12.720,- Euro (80% von 15.900,- Euro) richtet sich die Beschwerde der Beklagten vom 10.03.2025.
3
1. Die Beschwerde gegen die Festsetzung nach § 33 Abs. 1 RVG ist gem. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG mit einem Wert des Beschwerdegegenstands von über 200,- Euro statthaft und gem. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG innerhalb von zwei Wochen nach Zuleitung des angegriffenen Beschlusses eingegangen.
4
2. Die Beschwerde ist teilweise begründet.
5
a) Das Gericht folgt der Rechtsprechung der zuständigen Kammer 2 des Landesarbeitsgerichts Nürnberg und den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit (derzeitige Fassung vom 01.02.2024).
6
aa) Eine Einigungsgebühr für die anwaltliche Tätigkeit fällt gem. Nr. 1000 VV RVG (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages an, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis oder einen Rechtsanspruch beseitigt wird. Dem tragen die Regelungen für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts in Ziffer I Nr. 25.1 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit Rechnung, wonach ein Vergleichsmehrwert nur festzusetzen ist, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. Dabei muss gerade über die Frage eines Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die jeweilige Regelung zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit bestanden haben; keine Werterhöhung tritt ein, wenn es sich lediglich um eine Gegenleistung zur Beilegung des Rechtsstreits handelt. Ausgleichsklauseln erhöhen den Vergleichswert nur, wenn durch sie ein streitiger oder ungewisser Anspruch erledigt wird. Abzustellen ist auf das wirtschaftliche Interesse der in Anspruch genommenen Partei (Ziffer I 15.1.5 Streitwertkatalog). Abzustellen ist auf die Umstände zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses (LAG Nürnberg 29.01.2021 – 2 Ta 6/21).
7
bb) Voraussetzung für die Existenz und Beilegung einer möglichen Forderung in einer Abgeltungsklausel ist allerdings, dass die erledigte Forderung zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses noch besteht bzw. bereits soweit manifestiert und konkretisiert sind, dass für den Forderungsgegner voraussichtlicher Forderungsgrund und ungefähre Forderungshöhe erkennbar sind und er auch erkennen kann, ob der Forderungsinhaber sich einer fassbaren Forderung ernsthaft berühmt und eine Geltendmachung möglich erscheint. Nur dann hat die Abgeltungsklausel bezüglich einer möglichen Forderung für die Beteiligten einen wirtschaftlichen Wert. Wird eine Abgeltungsklausel lediglich deklaratorisch vereinbart oder erfolgt ihre Vereinbarung aufgrund der pauschalen, jedoch weder näher konkretisierten noch fassbaren Anspruchsbehauptung einer Partei, kommt ihr kein eigener Wert zu (LAG Nürnberg 29.01.2021 – 2 Ta 6/21; LAG Rheinland-Pfalz 10.10.2011 – 1 Ta 179/11; LAG Baden-Württemberg 09.12.2014 – 5 Ta 180/14 Rn 7).
8
cc) Bei Ermittlung eines realistischen Schadensrisikos sind die von der Rechtsprechung entwickelten Haftungsobergrenzen nach den Grundsätzen der eingeschränkten Arbeitnehmerhaftung zu berücksichtigen (LAG Nürnberg 01.03.2010 – 4 Ta 171/09).
9
b) Nach diesen Grundsätzen hat sich eine Forderung iHv. 4.240,- Euro ausreichend manifestiert.
10
aa) In der E-Mail vom 09.10.2024 ist gegenüber der Klägerin eine konkret begründete und bezifferte Forderung ausdrücklich kommuniziert worden. Diese war auch im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses noch nicht erledigt, nachdem sie in der Güteverhandlung weiter thematisiert worden ist. Dass sie in Textform nur vorgerichtlich und nicht in einem Schriftsatz im Rahmen des Rechtsstreits erwähnt wurde, steht dem entgegen der Auffassung der Beklagten nicht entgegen. Die Beklagte hat sich dieser Forderung – vorbehaltlich der zu diesem Zeitpunkt nicht nachweisbaren Rückgabe des Schlüssels – ernsthaft berühmt; eine Geltendmachung erschien möglich.
11
bb) Realistisch war nach den Grundsätzen über die eingeschränkte Arbeitnehmerhaftung allerdings nur eine Haftung der Klägerin im Umfang von 33% (und damit etwas über drei Bruttomonatsgehälter, vgl. BAG 15.11.2001 – 8 AZR 95/01). Im Hinblick auf den Verlust des Generalschlüssels einer Schließanlage ist insoweit – und unabhängig von den konkreten Umständen eines etwaigen Verlustes – zu berücksichtigen, dass dieses Risiko zum einen versicherbar ist, zum anderen die geringe Vergütung der Klägerin (durchschnittlich 1.450,61 Euro brutto pro Monat) in einem deutlichen Missverhältnis zur möglichen Schadenshöhe steht (vgl. OLG Brandenburg 10.02.2021 – 7 U 100/19, Rn. 14 ff.).
12
cc) Im Hinblick auf die ungewisse Inanspruchnahme der Klägerin erfolgt ein weiterer Abschlag von 20%.
13
dd) Somit ergibt sich ein Vergleichsmehrwert von 4.250,- Euro.