Titel:
Vergleichsmehrwert – Schadensersatz – innerbetrieblicher Schadensausgleich
Normenkette:
GKG § 63, § 68
Leitsatz:
Macht der Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer außergerichtlich Schadensersatz geltend, können die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs bei der Bewertung einer allgemeinen Abgeltungsklausel, die alle wechselseitigen Ansprüche umfasst, berücksichtigt werden.
Schlagworte:
Vergleichsmehrwert, Abgeltungsklausel, Generalschlüsselverlust, Fahrlässige Haftung, Streitwertkatalog, Risiko der Inanspruchnahme
Vorinstanz:
ArbG Nürnberg, Beschluss vom 26.03.2025 – 3 Ca 47/25
Fundstellen:
FDArbR 2025, 015837
BeckRS 2025, 15837
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 03.03.2025 in der Fassung des Teilabhilfebeschlusses vom 26.03.2025, Az. 3 Ca 47/25, abgeändert
2. Der Vergleichsmehrwert wird auf 3.975,- € festgesetzt.
3. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
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Die Parteien stritten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisse über Urlaubsabgeltung, Entgeltfortzahlung sowie Zahlung einer Zulage. Etwa drei Monate vor Erhebung der Klage hatte der Geschäftsführer der Beklagten dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin betreffend den ihr überlassenen Generalschlüssel des Hotels der Beklagten mitgeteilt, es seien
„ja noch etliche Punkte offen – u.a. geht es ja auch um den kompletten Wechsel der Schließanlage auf Kosten von Frau A. – hier liegt uns ein erstes Angebot in Höhe von 15.900,- € netto vor. Gerne können wir Ihnen dies zukommen lassen. Sollte die Rückgabe des Schlüssels mittlerweile gegen Dokument erfolgt sein, erübrigt sich dies natürlich.“ (E-Mail vom 09.10.2024, Anlage K11, Bl. 42 d.A.). Die Klägerin teilte der Beklagten mit, sie habe den Schlüssel an der Rezeption hinterlassen, verfüge jedoch über keine Quittung. In der Güteverhandlung am 03.02.2025, in der auch der weiterhin unklare Verbleib des Schlüssels thematisiert wurde, schlossen die Parteien einen Prozessvergleich einschließlich finanzieller Abgeltungsklausel.
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Gegen die mit Beschluss vom 26.02.2025 erfolgte Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts iHv. 12.720,- € (80% von 15.900,- €) richtet sich die Beschwerde der Beklagten vom
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Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 26.03.2025 teilweise abgeholfen, den Vergleichsmehrwert auf 4.240,- € festgesetzt und das Verfahren dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Das Arbeitsgericht hielt die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts dem Grunde nach für richtig, da vorgerichtlich ein Streit über den Verbleib des Generalschlüssel bestanden habe, der im Vergleich beseitigt worden sei. Die Höhe sei unter Berücksichtigung der Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs auf 33% der thematisierten Kosten für den Austausch der Schlüsselanlage zu veranschlagen abzüglich eines weiteren Abschlags von 20% wegen der ungewissen Inanspruchnahme der Klägerin.
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Das Landesarbeitsgericht gab den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme bis 22.04.2025. Bis zum Tag der Entscheidung ist keine Stellungnahme eingegangen.
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I. Die Beschwerde ist statthaft, § 68 Abs. 1 GKG, denn sie richtet sich im Ausgangspunkt gegen einen Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühr gemäß § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt worden ist. Dies gilt auch bei der Beendigung des Verfahrens durch Vergleich und auch für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts (LAG Nürnberg 28.05.2020 – 2 Ta 76/20 juris; 24.02.2016 – 4 Ta 16/16 juris mwN). Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Vergleichsmehrwert im selben Beschluss wie der Verfahrenswert oder in einem separaten Beschluss festgesetzt wurde. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,- €. Die Beschwerde ist innerhalb der in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG bestimmten Frist eingelegt worden, § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG. Die vom Beklagtenvertreter eingelegte Beschwerde ist als Beschwerde der Beklagten auszulegen, da nur sie ein Rechtsschutzbedürfnis für die beantragte Herabsetzung des Vergleichsmehrwerts hat.
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II. Die Beschwerde gegen den Festsetzungsbeschluss in der Fassung des Teilabhilfbeschlusses ist zu einem geringen Teil begründet. Der Vergleichsmehrwert beträgt 3.975,- €
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1. Die seit 01.01.2020 für Streitwertbeschwerden allein zuständige Kammer 2 des Landesarbeitsgerichts Nürnberg folgt grundsätzlich den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission. Diese sind im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit niedergelegt (derzeitige Fassung vom 01.02.2024, NZA 2024, 308). Der Streitwertkatalog entfaltet zwar keine Bindungswirkung. Er stellt aber aus Sicht des erkennenden Gerichts eine ausgewogene mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmende Orientierung für die Arbeitsgerichte dar.
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2. Das Arbeitsgericht hat die im Streitwertkatalog angelegten Bewertungen für den Streit über die Rückgabe bzw. den Verbleib des Generalschlüssels zutreffend unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des LAG Nürnberg angewandt.
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a. Zutreffend ging das Arbeitsgericht zunächst davon aus, dass mit dem Vergleich auch ein Streit über den Verbleib des Generalsschlüssels beigelegt wurde. Dies ist in der Abgeltungsklausel mit enthalten.
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aa. Eine Einigungsgebühr für die anwaltliche Tätigkeit fällt gem. Nr. 1000 VV RVG (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages an, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis oder einen Rechtsanspruch beseitigt wird. Dem tragen die Regelungen für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts in Ziffer I Nr. 25.1 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit Rechnung, wonach ein Vergleichsmehrwert nur festzusetzen ist, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. Dabei muss gerade über die Frage eines Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die jeweilige Regelung zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit bestanden haben; keine Werterhöhung tritt ein, wenn es sich lediglich um eine Gegenleistung zur Beilegung des Rechtsstreits handelt. Ausgleichsklauseln erhöhen den Vergleichswert nur, wenn durch sie ein streitiger oder ungewisser Anspruch erledigt wird. Abzustellen ist auf das wirtschaftliche Interesse der in Anspruch genommenen Partei (Ziffer I 25.1.5 Streitwertkatalog). Abzustellen ist auf die Umstände zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses (LAG Nürnberg 29.01.2021 – 2 Ta 6/21).
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Voraussetzung für die Existenz und Beilegung einer möglichen Forderung in einer Abgeltungsklausel ist allerdings, dass die erledigte Forderung zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses noch besteht bzw. bereits soweit manifestiert und konkretisiert sind, dass für den Forderungsgegner voraussichtlicher Forderungsgrund und ungefähre Forderungshöhe erkennbar sind und er auch erkennen kann, ob der Forderungsinhaber sich einer fassbaren Forderung ernsthaft berühmt und eine Geltendmachung möglich erscheint. Nur dann hat die Abgeltungsklausel bezüglich einer möglichen Forderung für die Beteiligten einen wirtschaftlichen Wert. Wird eine Abgeltungsklausel lediglich deklaratorisch vereinbart oder erfolgt ihre Vereinbarung aufgrund der pauschalen, jedoch weder näher konkretisierten noch fassbaren Anspruchsbehauptung einer Partei, kommt ihr kein eigener Wert zu. Entscheidend ist dabei nicht das interne Mandatsverhältnis, sondern das Verhältnis zur gegnerischen Partei (LAG Nürnberg 22.09.2021 – 2 Ta 6/21 mwN).
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bb. Nach diesen Grundsätzen ist durch die Vereinbarung der Abgeltungsklausel auch der Streit um den Verbleib des Generalschlüssels beigelegt worden. Die Beklagte hatte die Thematik bereits drei Monate vor Klageerhebung gegenüber dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin aufgegriffen und ihm auch die mögliche Höhe der Kosten für den Austausch der gesamten Schließanlage mitgeteilt. In der mündlichen Verhandlung wurde der Verbleib des Generalschlüssels wiederum thematisiert und anschließend die umfassende Abgeltungsklausel vereinbart. Damit wurde ein konkreter Streit beigelegt.
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b. Der Vergleichsmehrwert war auf 3.975,- € festzusetzen.
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aa. Der Höhe nach ist bei Bemessung des Mehrwerts einer Ausgleichsklausel, die unbezifferte Forderungen auf Ersatz gegenwärtigen und/oder künftigen Schadens ausschließt, auf die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, die Höhe des (auch künftigen) Schadens, sowie das Risiko der tatsächlichen Inanspruchnahme abzustellen (ebenso Streitwertkatalog Ziff. I.25.1.5 in Verbindung mit Ziff. I.23). Die vorgenannten Kriterien sollen insbesondere unrealistische und überhöhte Wertfestsetzungen verhindern, die aus nur vage in Aussicht gestellten Schadensszenarien entstehen könnten. Zu berücksichtigen sind ferner die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs. Danach kommt bei lediglich fahrlässigem Handeln regelmäßig nur eine anteilige Haftung für den Schaden in Betracht (ebenso LAG Düsseldorf 04.10.2018 – 4 Ta 341/18, BeckRS 2018, 25724).
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bb. Aus diesen Grundsätzen leitet das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall einen Vergleichsmehrwert in Höhe von 3.975,- € ab.
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(1) Die Beklagte hatte vorgerichtlich den möglichen Schaden konkret auf 15.900,- € beziffert. Einen hieraus abgeleiteten Schadensersatzanspruch, den sie gegenüber der Klägerin auch durchsetzen wollte, hat sie hingegen nicht beziffert. Die angegebene Höhe ist nicht gleichzusetzen mit der Erhebung einer entsprechenden Schadensersatzforderung. Mangels anderer Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass der Klägerin lediglich fahrlässiges Verhalten angelastet wurde und deshalb nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs eine von der Höhe des tatsächlich eingetretenen Schadens abweichende Ersatzpflicht anzunehmen ist.
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Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausführt, käme im vorliegenden Fall sicher keine volle Haftung, sondern nur eine deutlich verringerte Haftungsquote der Klägerin in Frage (vgl. BAG 15.11.2001 – 8 AZR 95/01). Im Hinblick auf den Verlust des Generalschlüssels einer Schließanlage ist insoweit – und unabhängig von den konkreten Umständen eines etwaigen Verlustes – zu berücksichtigen, dass dieses Risiko zum einen versicherbar ist, zum anderen die geringe Vergütung der Klägerin (durchschnittlich 1.450,61 € brutto pro Monat) in einem deutlichen Missverhältnis zur möglichen Schadenshöhe steht (vgl. OLG Brandenburg 10.02.2021 – 7 U 100/19, Rn. 14 ff.).
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(2) Zutreffenderweise hat das Arbeitsgericht auch das Risiko der tatsächlichen Inanspruchnahme berücksichtigt.
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Im vorliegenden Fall erscheint das Risiko der tatsächlichen Inanspruchnahme gering. Denn da das Verschwinden eines Generalschlüssels in der Güteverhandlung noch thematisiert wurde, ist davon auszugehen, dass die Schließanlage nicht ausgetauscht worden und deshalb ein konkreter Schaden noch nicht entstanden ist. Dass der Austausch noch geschehen sollte, erscheint unwahrscheinlich. Ansonsten hätte die Beklagte, die ja ein Hotel betreibt, in das naturgemäß fremdes Eigentum mit nicht unerheblichem Wert eingebracht wird, längst die Schließanlage ausgetauscht. Gegen die Berücksichtigung des Risikos der tatsächlichen Inanspruchnahme hat sich auch kein Beteiligter gewandt, obwohl dies vom Arbeitsgericht bereits bei der ursprünglichen Festsetzung des Vergleichsmehrwerts beachtet wurde.
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(3) Das Beschwerdegericht hält allerdings die Bestimmung einer Quote je nach Risiko der tatsächlichen Inanspruchnahme für nicht ausreichend praktikabel und zieht eine Gesamtbetrachtung, in der die vorgenannten Punkte berücksichtigt werden, vor. In der Gesamtbetrachtung hält das Beschwerdegericht daher einen Vergleichsmehrwert in Höhe eines Viertels der von der Beklagten vorgerichtlich genannten Kosten für eine neue Schließanlage für angemessen. Das ist ein Betrag von 3.975,- €.
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Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.
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Für eine Kostenentscheidung bestand kein Anlass, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und eine Kostenerstattung nicht stattfindet, § 68 Abs. 3 GKG.