Titel:
Konsultationsverfahren – rechtzeitige Einleitung – Wirksamkeit der Kündigung
Normenkette:
KSchG § 17 Abs. 2
Leitsätze:
1. Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG kann mit den Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs/Sozialplans verbunden werden. Übermittelt ein Arbeitgeber einen Entwurf eines Interessenausgleichs/Sozialplans, aus dem eine Verbindung dieser beiden Verfahren hervorgeht, wird damit regelmäßig auch ein Konsultationsverfahren eingeleitet. Das gilt auch dann, wenn auf diese Verbindung beider Verfahren nicht ausdrücklich hingewiesen wird.
2. Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ist rechtzeitig durchzuführen. Vorher darf ein Arbeitgeber keine unumkehrbaren Maßnahmen einleiten. Entscheidend ist, ob der Arbeitgeber selbst unumkehrbare Maßnahmen getroffen hat (BAG 14.04.2015, 1 AZR 794/13). Es geht hier um die Konsultationspflicht des Arbeitgebers und das Verbot für den Arbeitgeber, vorher unumkehrbare Maßnahmen zu treffen. Für Maßnahmen anderer hat dieser nur einzustehen, wenn er diese selbst steuert.
3. Solange seitens eines Arbeitgebers noch keine Kündigungen ausgesprochen wurden, kann ein Konsultationsverfahren grundsätzlich noch wirksam durchgeführt werden, auch wenn das Konsultationsverfahren früher hätte durchgeführt werden können. Die Frage der Rechtzeitigkeit eines Konsultationsverfahrens gehört nicht zu den Kriterien, die dazu führen, dass ein Konsultationsverfahren nicht ordnungsgemäß ist. Eine Kündigung nach einem "verspätet" ausgeführten Konsultationsverfahren führt daher nicht zur Nichtigkeit der Kündigung nach § 134 BGB.
Schlagworte:
Betriebsstilllegung, Sozialauswahl, Massenentlassung, Konsultationsverfahren, Betriebsratsanhörung, Kündigungsschutz
Vorinstanz:
ArbG Bayreuth, Urteil vom 08.07.2024 – 1 Ca 817/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 15831
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das das Urteil des Arbeitsgerichts Bayreuth vom 8.7.2024 – 1 Ca 817/23 – abgeändert und die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten (nach am 13.12.2023 eingegangener Klage) über die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung der Beklagten vom 23.11.2023 zum 30.06.2024, hilfsweise zum nächst zulässigen Termin.
2
Der Kläger war seit dem 02.09.1991 bei der Beklagten (und jetzigen Berufungsklägerin) in deren Betrieb in A-Stadt bei einer Vergütung von 3.662,00 € brutto im Monat zuletzt als „Schichtleiter in der Fertigung“ beschäftigt. Der Kläger war Vorsitzender des bei der Beklagten gebildeten Betriebsrats. Die Beklagte produzierte in ihrem Betrieb in der C-Straße in A-Stadt Möbel für die Möbelindustrie und beschäftigte insgesamt regelmäßig rund 200 Mitarbeiter. Das Lager der Beklagten befand sich in H-Stadt.
3
Im Juni/Juli 2023 beendete I. die Geschäftsbeziehungen zur J. Gruppe, was starke wirtschaftliche Nachteile unter anderem für die Beklagte hatte. Die Beklagte ist Teil der J. Gruppe. Diese besteht aus mehreren Tochterunternehmen, die ebenfalls Möbel produzieren. Die K. Verwaltungs GmbH war im Jahr 2023 die Kommanditistin der Beklagten und Eigentümerin des Betriebsgeländes samt der Gebäude in der C-Straße in A-Stadt. Dieses verkaufte sie an die L. GmbH, ein auf dem Nachbargrundstück der Beklagten angesiedeltes Unternehmen. Der Verkauf des Grundstücks wurde von der L. GmbH am 03.08.2023 mittels einer Pressemitteilung kommuniziert. Die Übergabe des Grundstücks und damit der Vollzug des Kaufvertrages erfolgte zum 11.11.2023. Für das Grundstück gab es eine weitere Kaufinteressentin, die beabsichtigte, den Betrieb fortzusetzen.
4
Die K. Verwaltungs GmbH war auch Eigentümerin der Produktionsmaschinen einschließlich des Inventars. Die Produktionsmaschinen nebst Zubehör wurden vom 10.08.2023 bis zum 15.09.2023 versteigert.
5
Die Geschäftsführung der Beklagten traf die unternehmerische Entscheidung, den Geschäftsbetrieb vollständig einzustellen. Beide Betriebe wurden stillgelegt. Sämtlichen Mitarbeitenden wurde mit ihrer individuellen Kündigungsfrist gekündigt, soweit sie nicht das Unternehmen anderweitig verlassen haben.
6
Nach ursprünglicher Planung sollte am 21.08.2023 die Produktion nach den Betriebsferien wieder hochgefahren werden. Im August beschloss die Beklagte, ab dem 21.08.2023 keine Aufträge mehr anzunehmen. Die Produktionsmitarbeiter wurden teilweise von der Erbringung Ihrer Arbeitsleistung freigestellt und teilweise dazu eingeteilt, die Immobilien auf dem Betriebsgelände der Beklagten auszuräumen. Zum 31.10.2023 hat die Beklagte ihren Produktionsbetrieb in A-Stadt vollständig eingestellt. Seit diesem Zeitpunkt war keinerlei Arbeitsleistung im Rahmen der Produktion mehr erforderlich, sodass die entsprechenden Mitarbeiter, sofern sie nicht bereits freigestellt waren, spätestens zu diesem Zeitpunkt von der Erbringung Ihrer Arbeitsleistung freigestellt wurden. Spätestens zum 31.03.2024 sollte der gesamte Geschäftsbetrieb der Beklagten einschließlich der letzten Abwicklungsarbeiten eingestellt werden. Der Logistikbetrieb in H-Stadt wurde zum 31.12.2023 eingestellt.
7
Am 03.08.2023 wurde der Betriebsrat über die beabsichtigte Betriebsstilllegung informiert, ebenso die Belegschaft. Die jetzige Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat am selben Tag mit dem Betriebsrat Kontakt aufgenommen und versucht, einen Termin für Verhandlungen zu dieser Planung zu vereinbaren. Der 22.08.2023 war der frühestmögliche Termin, den der Betriebsrat angeboten hat. Am 22.08.2023 und 31.08.2023 fanden gemeinsame Verhandlungstermine zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat im Hinblick auf die geplante Betriebsstilllegung statt. Am 22.08.2023 wurden dem Betriebsrat Entwürfe für einen Interessenausgleich, einen Sozialplan, eine Betriebsvereinbarung Kündigungsabwicklung sowie eine Verfahrensvereinbarung übergeben. Diese Entwürfe wurden dem Betriebsrat im Rahmen des Termins auch inhaltlich vorgestellt. Außerdem informierte die Beklagte den Betriebsrat mündlich kurz über die Hintergründe der Betriebsstilllegung. Die genannten Entwürfe wurden zudem mit Datum vom 23.08.2023 an die Bevollmächtigten des Betriebsrats versandt. Der Entwurf des Interessenausgleichs enthält auszugsweise folgende Regelungen:
„§ 2 Regelungsgegenstand/Einstellung der operativen Betriebstätigkeit
Der Interessenausgleich regelt die Umsetzung der getroffenen unternehmerischen Entscheidung im Hinblick auf die vollständige Stilllegung des Betriebes und den Verkauf des Grundstücks und Gebäudes in der C-Straße, A-Stadt an die L. GmbH. Erfasst hiervon sind alle Arbeitsplätze.
Die hieraus resultierenden Maßnahmen gestalten sich wie folgt:
- Die Gesellschaft wird den Produktionsbetrieb am 31.10.2023 vollständig einstellen.
- Die Gesellschaft wird den Logistikbetrieb in H-Stadt zum 31.12.2023 beenden. – Die Gesellschaft wird den gesamten Geschäftsbetrieb am 31.3.2024 beenden.
Konsequenz der vorgenannten Umsetzungen ist die Notwendigkeit, die Arbeitsverhältnisse mit sämtlichen Beschäftigten durch betriebsbedingte Beendigungskündigungen zu beenden.
§ 3 Durchführung des Personalabbaus
(1) Bei Durchführung des Personalabbaus werden die gesetzlichen Kündigungsfristen eingehalten. Die Kündigungen der Beschäftigten werden damit frühestens ab Ende September 2023 ausgesprochen.
(6) Zwischen den Betriebsparteien besteht Einigkeit, dass der Betriebsrat im Rahmen der Interessenausgleichsverhandlungen umfassend gemäß § 17 Abs. 2 KSchG unterrichtet und beteiligt worden ist. Ihm sind insbesondere die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, der Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden, mitgeteilt sowie die Sozialauswahl mit ihm erörtert worden. Das Konsultationsverfahren im Zusammenhang mit der anzeigepflichtigen Massenentlassung (§ 17 Abs. 2 KSchG) ist hiermit abgeschlossen. Es besteht Einigkeit darüber, dass dieser Interessenausgleich die Unterrichtung des Betriebsrates nach § 17 Abs. 2 KSchG und § 170 SGB IX ersetzt. Der Betriebsrat wird eine entsprechende Stellungnahme gem. § 17 Abs. 3 KSchG abgeben.“
8
Zu den weiteren Einzelheiten des Entwurfs wird auf die Anl. 14 zum Schriftsatz der Beklagten vom 10.06.2024 verwiesen.
9
Eine telefonische Nachfrage der jetzigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 30.08.2023 beim Betriebsrat hat ergeben, dass dieser Fragen habe, aber er sicher sei, dass diese in dem für den 31.08.2023 angesetzten Verhandlungstermin beantwortet werden können. Eine Fragenliste wurde nicht übersandt.
10
Im Termin vom 31.08.2023 teilte die Beklagte mittels einer Präsentation die Hintergründe der Betriebsstilllegung und die wirtschaftliche Lage sowie das von ihr geplante Volumen des Sozialplans mit. Der Betriebsrat äußerte sich weder im Termin vom 22.08.2023 noch im Termin vom 31.08.2023 zur Planung der Beklagten. Auch eine Verfahrensvereinbarung kam nicht zustande. Rückfragen des Betriebsrats betrafen nur die Frage der Konzernverflechtungen und die Übersendung eines Organigramms. Inhaltliche Nachfragen zur geplanten Betriebsstilllegung wurden durch den Betriebsrat nicht gestellt. Der Betriebsrat bemängelte lediglich, dass er die Jahresabschlüsse der letzten beiden Jahre nicht vorliegen habe und er daher keine weiteren Aussagen treffen könne. Er kündigte lediglich an, dass er sich im Nachgang zum Verhandlungstermin äußern werde. Daraufhin erklärte die Beklagte die Verhandlungen für gescheitert und beantragte noch am selben Tag beim Arbeitsgericht Bayreuth das Einsetzen einer Einigungsstelle.
11
Am 03.09.2023 übermittelte der Betriebsrat einen Fragenkatalog an die Beklagte mit der Bitte um Beantwortung und Übermittlung von Unterlagen bis zum 15.09.2023. Wegen der Einzelheiten zu diesem Fragenkatalog wird auf die Anl. 2 zum Schriftsatz des Klägers vom 06.02.2025 verwiesen. Am 11.09.2023 antwortete die Beklagte und übermittelte die angeforderten Unterlagen, soweit hierauf aus Sicht der Beklagten ein rechtlicher Anspruch bestand. Die Beklagte und der Betriebsrat vereinbarten einen Verhandlungstermin für den 20.09.2023. Bis zum 16.09.2023 kam keine Rückmeldung des Betriebsrats. Auf Nachfrage der jetzigen Prozessbevollmächtigten beim Betriebsrat äußerte dieser, man werde sich im Termin am 20.09.2023 äußern. Daraufhin sagte die Beklagte den für den 20.09.2023 vereinbarten Termin ab.
12
Die am 31.08.2023 von der Beklagten beim Arbeitsgericht Bayreuth beantragte Einigungsstelle wurde mit Beschluss vom 26.09.2023 eingesetzt. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vor dem Landesarbeitsgericht Nürnberg einigte man sich auf die Einsetzung einer Einigungsstelle unter dem Vorsitz von Herrn M.. Diese tagte am 08. und 09.11.2023 und stellte am 09.11.2023 durch Spruch fest, dass die Verhandlungen über den Interessenausgleich gescheitert sind. Zudem wurde ein Sozialplan beschlossen, dergestalt, dass mangels wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit kein Ausgleich oder eine Minderung der wirtschaftlichen Nachteile für den Verlust des Arbeitsverhältnisses erfolgen werde. Der Betriebsrat führt hiergegen Klage beim Arbeitsgericht Bayreuth. Dieses Verfahren ist noch nicht entschieden.
13
Mit Schreiben an den Betriebsrat vom 30.10.2023 hat die Beklagte ausdrücklich ein Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG eingeleitet und forderte den Betriebsrat auf, spätestens bis 14.11.2023 hierzu Stellung zu nehmen. Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf die Anl. 3 zum Schriftsatz der Beklagten vom 05.03.2024 verwiesen.
14
Der Betriebsrat übersandte mit Schreiben vom 14.11.2023 seine Stellungnahme. Darin betonte er, dass er nicht bestätigen könne, dass er über die geplanten Entlassungen rechtzeitig, umfassend und vollständig schriftlich informiert worden sei. Wegen des Wortlauts des Schreibens wird auf die Anl. 5 des klägerischen Schriftsatzes vom 18.02.2025 verwiesen.
15
Mit Schreiben vom 13.11.2023 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur Kündigung des Klägers an. Nachdem der Betrieb der Beklagten bereits geschlossen war, schlug auf Anfrage der Beklagten am 12.11.2023 der Betriebsrat eine Übergabe der Anhörungsschreiben für den Folgetag zu einer von ihm bestimmten Zeit im Sitzungssaal des A-Stadter Rathauses vor. Vereinbarungsgemäß übergab die Beklagte dort die Anhörungsschreiben an den Betriebsrat. Der Betriebsrat verweigerte die Unterzeichnung der Empfangsbestätigung für die Anhörungsschreiben. Wegen des Inhalts des Schreibens wird auf die Anl. 11 des Schriftsatzes vom 05.03.2024 verwiesen. Eine Stellungnahme seitens des Betriebsrats erfolgte nicht.
16
Mit Schreiben vom 20.11.2023 an die Agentur für Arbeit Bayreuth zeigte die Beklagte eine Massenentlassung an. Wegen des Inhalts dieser Anzeige wird auf die Anl. 9 zum Schriftsatz der Beklagten vom 05.03.2024 verwiesen.
17
Mit Schreiben vom 23.11.2023 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich zum 30.06.2024. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 12.12.2023 beim Arbeitsgericht Bayreuth eingegangenen Klage.
18
Der Kläger ist der Ansicht, die Kündigung sei u.a. mangels Vorliegens eines Kündigungsgrundes im Sinne von § 1 KSchG sozial ungerechtfertigt. Die Beklagte habe eine Massenentlassung im Sinne von § 17 KSchG vorgenommen. Es werde bestritten, dass die Beklagte vor den Entlassungen der Agentur für Arbeit ordnungsgemäß Anzeige erstattete. Eine nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung des Klägers liege nicht vor und sei auch nicht durch gerichtliche Entscheidung ersetzt. Es sei rechtsmissbräuchlich, wenn die Beklagte eine Betriebsstilllegung vornehme, um für ihre Muttergesellschaft, die J. GmbH, einen finanziellen Verlust zu vermeiden. Die wirtschaftliche Lage der Beklagten sei nicht so düster wie von ihr geschildert. Die Betriebsschließung habe in erster Linie nur dazu gedient, den Arbeitnehmern den Kündigungsschutz zu entziehen und sich von Ihnen zu trennen, um die Arbeit künftig von anderen Arbeitnehmern in den anderen Tochtergesellschaften verrichten zu lassen.
19
Eine Sozialauswahl sei nicht entbehrlich. Die Beklagte habe den Betrieb etappenweise stillgelegt. Sie habe sich dabei nicht an den individuellen Kündigungsfristen orientiert, sondern an den Notwendigkeiten der Abwicklungsarbeiten. Die Kündigung sei zudem gemäß § 15 Abs. 4 KSchG unzulässig. Der Kläger dürfe erst zusammen mit der letzten Gruppe gekündigt werden. Die Beklagte habe im 1. Quartal des Jahres 2024 weiteren Arbeitnehmern gekündigt. Außerdem seien weitere Beschäftigungsmöglichkeiten gegeben. Hierzu sei es nicht erforderlich, dass der Kläger einen ganz bestimmten freien Arbeitsplatz bezeichne. Es genüge, wenn er angebe, wie er sich eine andere Beschäftigung vorstelle. Es gebe andere Unternehmen der J. Gruppe, die ebenfalls Möbel produzieren würden. Dort könne er eingesetzt werden.
20
Insbesondere sei das Konsultationsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, die Kündigung sei mithin gem. § 134 BGB nichtig. Mit Übergabe bzw. Übersendung des Entwurfs eines Interessenausgleichs/Sozialplans am 22./23.08.2023 sei kein Konsultationsverfahren eingeleitet worden. Die Beklagte habe damit nicht zum Ausdruck gebracht, gleichzeitig auch dieses einzuleiten. Darüber hinaus sei auch das zu spät gewesen, da bereits seit Mitte Juli die Beklagte vom Verkauf des Grundstücks gewusst haben musste.
21
Bei Einleitung des Konsultationsverfahrens am 30.10.2023 seien bereits unumkehrbare Tatsachen geschaffen worden. Dem Betriebsrat sei damit die Möglichkeit genommen worden, seine Beteiligungsrechte gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG auszuüben. Die Firma K. GmbH sei Eigentümerin des Grundstücks, auf dem sich der Betrieb der Beklagten befunden habe, gewesen. Auch hätten die Produktionsmaschinen im Eigentum der K. GmbH gestanden. Diese sei Kommanditistin der Beklagten und habe die Grundstücke bereits vor August 2023 an die Firma L. GmbH veräußert. Er vermute, der Beklagten sei bereits seit Mitte Juli bekannt gewesen, dass es zu einem Verkauf des Grundstücks komme und dadurch eine Betriebsstillegung erforderlich werde. Die Beklagte müsse sich das Wissen ihrer Kommanditistin zurechnen lassen.
22
Auch seien die Produktionsmaschinen und entsprechendes Zubehör in der Zeit vom 10.08.2023 bis 15.09.2023 durch den professionellen Versteigerer N. versteigert worden und von den Erwerbern kurz darauf abtransportiert worden. Des Weiteren seien im August 2023 alle Aufträge storniert und ein Auftragsannahmestopp verhängt worden. Es habe nur noch eine Abwicklung der Restaufträge stattgefunden. In der Folge seien Material, Halb- und Fertigwaren verkauft und später verschrottet worden. Damit habe der Betriebsrat am 30.10.2023 keine Möglichkeit mehr gehabt, über eine Vermeidung oder Einschränkung von Entlassungen nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG zu beraten.
23
Der Kläger beantragte erstinstanzlich zuletzt:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 23.11.2023 nicht aufgelöst wird, sondern über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus unverändert fortbesteht.
24
Die Beklagte beantragte erstinstanzlich die
25
Sie trägt vor, die Beklagte habe aufgrund der wirtschaftlichen Situation Ende Juli/Anfang August 2023 die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Geschäftsbetrieb vollständig einzustellen und die Grundstücke und Gebäude in der C-Straße in A-Stadt zu veräußern.
26
Die Grundstücke hätten im Eigentum der K. Verwaltungs-GmbH gestanden, welche diese an die L. GmbH, ein auf dem Nachbargrundstück der Beklagten angesiedeltes Unternehmen, veräußert habe. Die Übergabe des Grundstücks und damit der Vollzug des Kaufvertrages sei zum 11.11.2023 erfolgt. Die Beklagte habe weder auf die Veräußerung des Grundstücks samt Gebäuden, noch die Veräußerung der Maschinen einen Einfluss gehabt, da diese nicht in ihrem Eigentum gestanden hätten.
27
Bereits Mitte August 2023 habe die Beklagte ihre Produktion eingestellt. Bis Ende September 2023 seien die Produktionshallen angesichts der geplanten Übergabe des Betriebsgeländes nahezu leergeräumt worden. Die Produktionsmitarbeiter seien mit Ausnahme derer, die für die Räumung des Betriebsgeländers zuständig waren, widerruflich freigestellt gewesen. Die Einstellung der operativen Betriebstätigkeit sei zum 31.10.2023 erfolgt, die Einstellung der Logistiktätigkeiten zum 31.12.2023. Spätestens zum 31.03.2024 sei der gesamte Geschäftsbetrieb der Beklagten einschließlich der letzten Abwicklungsarbeiten eingestellt worden.
28
Gegenüber allen Arbeitnehmern seien betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen worden, eine Sozialauswahl sei deshalb entbehrlich. Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten gebe es nicht.
29
Die Beklagte habe im Vorfeld Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich und Sozialplan geführt, die durch den Spruch der Einigungsstelle beendet worden seien.
30
Erste Informationen seien bereits am 03.08.2023 erfolgt, am 22.08.2023 habe ein erster Verhandlungstermin stattgefunden, ein weiterer am 31.08.2023. Auch Konsultationsverfahren und Massenentlassungsanzeige seien gemäß § 17 KSchG ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die am 22./23.08.2023 übermittelten Dokumente hätten sämtliche Informationen enthalten, die im Rahmen eines Konsultationsverfahrens zu geben seien. Insbesondere sei mitgeteilt worden, dass sämtlichen Mitarbeitenden mit ihren gesetzlichen Kündigungsfristen frühestens ab Ende September 2023 gekündigt werden soll.
31
Die Verbindung von Konsultationsverfahren und Interessenausgleichsverhandlungen ergebe sich eindeutig aus dem Entwurf des Interessenausgleichs. Das Konsultationsverfahren sei rechtzeitig durchgeführt worden. Entscheidend sei, dass von der Beklagten vorhergehend keine unumkehrbaren Maßnahmen getroffen worden seien. Der Verkauf von Betriebsgelände und Produktionsmaschinen sei nicht von ihr durchgeführt worden, sondern von der Kommanditistin. Das habe sie nicht zu vertreten. Der Stopp der Auftragsannahme, die Freistellung der Mitarbeitenden und der Verkauf der Lagerbestände sei nicht unumkehrbar. Es sei auch zu berücksichtigen, dass es sich beim Konsultationsverfahren um einen laufenden Prozess handle, der jederzeit ergänzt werden könne.
32
Aufgrund der Besprechungstermine sei der Betriebsrat über die Hintergründe für die Kündigungen informiert gewesen. Er sei darüber informiert worden, dass alle Arbeitsverhältnisse unter Berücksichtigung der individuellen Kündigungsfristen gekündigt werden würden. In diesem Verhandlungstermin habe die Beklagte darauf verwiesen, dass eine schnelle Einigung zwischen den Betriebsparteien gefunden werden müsse. Man habe darauf hingewiesen, dass je länger sich eine Einigung zwischen den Betriebsparteien hinauszögere, desto mehr Mittel für die Abwicklung der Arbeitsverträge unter Einhaltung der Kündigungsfristen aufgebraucht würden. Dies habe zur Folge, dass sich das zur Verfügung stehende Budget für Abfindungen mindere. Das Abfindungsbudget habe sich aus diesem Grund fortlaufend vermindert.
33
Zudem sei es nicht relevant, dass die unternehmerische Entscheidung zur Betriebsschließung bereits getroffen gewesen sei. Dem Betriebsrat stehe von Gesetzes wegen nicht die Möglichkeit zu, die unternehmerische Entscheidung vollständig zu verhindern. Die Massenentlassungsrichtlinie verbiete es den Arbeitgebern nicht, ohne Beteiligung des Betriebsrats unternehmerische Entscheidungen zu treffen. Insoweit unterscheide auch der EuGH zwischen bloßen Planungen und irreversiblen Maßnahmen zur Umsetzung dieser Planung. Dem Betriebsrat stehe insoweit nur ein Beteiligungsrecht hinsichtlich des „wie“ zu, nicht jedoch hinsichtlich des „ob“. Die Konsultationspflicht könne zudem nicht entstehen, bevor Kriterien für die beabsichtigten Entlassungen festgelegt seien. Dies setze voraus, dass sich die Planungen insoweit verdichtet haben, dass Massenentlassungen mehr als wahrscheinlich seien.
34
Die Beklagte habe umfassend Alternativen geprüft und erst im Nachgang eine unternehmerische Entscheidung getroffen. Insoweit erfülle das Konsultationsverfahren auch dann seinen Zweck, wenn es dem Betriebsrat ermöglicht werde, Vorschläge zur Milderung der Folgen der geplanten Entlassungen zu unterbreiten. Es reiche auch in wirtschaftlichen Zwangssituationen, die eine Stilllegung und damit die Entlassung aller Arbeitnehmer bedingen, aus, wenn das Konsultationsverfahren zu einem Zeitpunkt eingeleitet werde, in dem jedenfalls noch die Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen möglich bleibe, also z.B. die Verschiebung des Zeitpunkts der Kündigungen. Dies sei, selbst wenn man den 30.10.2023 als Zeitpunkt der Einleitung des Konsultationsverfahrens heranziehen würde, noch möglich gewesen, da die Kündigungen noch nicht ausgesprochen gewesen seien. Zu diesem Zeitpunkt haben noch keine unumkehrbaren Maßnahmen bestanden. Man habe noch auf das Knowhow der Arbeitskräfte zurückgreifen können und man habe die Betriebsstilllegung noch rückgängig machen können.
35
Zudem seien die Kündigungen gleichwohl wirksam, wenn der Arbeitgeber das Konsultationsverfahren später doch noch ordnungsgemäß durchführe, bei der Einleitung noch keine unumkehrbaren Maßnahmen getroffen worden seien und zumindest eine Milderung der Folgen der Entlassungen noch möglich wäre. Die Rechtsfolge der Nichtigkeit läge nur vor, wenn die Durchführung des Konsultationsverfahrens gänzlich unterblieben sei.
36
Dass die Beklagte bereits vollendete Tatsachen geschaffen habe, werde bestritten, insbesondere da noch am 09.11.2023 Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan stattfanden.
37
Erst im Anschluss an die Stellungnahme des Betriebsrats vom 14.11.2023 habe die Beklagte mit Schreiben vom 20.11.2023 die Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit übersandt.
38
Schließlich habe die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 13.11.2023 ordnungsgemäß gem. § 102 BetrVG zur Kündigung der Klagepartei angehört. Der Betriebsrat habe die Frist zur Stellungnahme verstreichen lassen.
39
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens vor dem Arbeitsgericht wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze vom 12.12.2023, 16.01.2024, 05.03.2024, 17.04.2024, 05.06.2024, 10.06.2024, 20.06.2024, 26.06.2024, 28.06.2024 samt ihren Anlagen sowie auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 08.07.2024 verwiesen.
40
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 08.07.2024, der Beklagten zugestellt am 15.07.2024, der Klage stattgegeben. Die Kündigung sei gemäß § 134 BGB i.V.m. § 17 Abs. 2 KSchG nichtig und habe das Arbeitsverhältnis nicht beendet, da das Konsultationsverfahren gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Das Konsultationsverfahren solle dem Betriebsrat Einfluss auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen, deshalb dürften bei Einleitung des Verfahrens noch keine unumkehrbaren Maßnahmen getroffen und damit noch keine vollendeten Tatsachen geschaffen worden sein. Die Beklagte habe das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG nicht ordnungsgemäß durchgeführt, da sie es erst eingeleitet habe, nachdem unumkehrbare Maßnahmen getroffen worden seien.
41
Insbesondere sei das Konsultationsverfahren nicht bereits Anfang August oder am 23.08.2023 eingeleitet worden. Zwar könnten Interessenausgleich und Konsultationsverfahren verbunden werden. Voraussetzung sei aber, dass der Betriebsrat klar erkennen könne, dass die Handlungen des Arbeitgebers (auch) der Erfüllung der Konsultationspflicht aus § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG dienen sollen. Hier fehle es an einem solchen Hinweis durch den Arbeitgeber. Im Gegenteil: Durch die separaten Anhörungen und Mitteilungen zu Interessenausgleich und Massenentlassungen habe die Beklagte gezeigt, dass die Verfahren gerade nicht gemeinsam, sondern getrennt durchgeführt werden sollen. In der E-Mail vom 23.08.2023 sei mit keinem Wort von einem Konsultationsverfahren die Rede. Die Formulierung im Entwurf des Interessenausgleichs entspreche der üblichen Formulierung, die Betriebsparteien in Interessenausgleichen vereinbaren, um den Erfordernissen des § 17 Abs. 1 und 3 KSchG Genüge zu tun. Dass der Betriebsrat mit dieser Formulierung in einem noch zu verhandelnden Entwurf eines Interessenausgleichs erkennen sollte und musste, dass damit gleichzeitig das Konsultationsverfahren eingeleitet werden soll, sei mit dem objektiven Empfängerhorizont nicht vereinbar. Der Betriebsrat müsse aktiv darauf hingewiesen werden, dass das Konsultationsverfahren eingeleitet werden soll. Nur dann sei ihm auch bewusst, dass er von nun an seine Beteiligungsrechte wahrzunehmen habe.
42
Dieses Ergebnis werde auch aus dem vorgelegten Schreiben der Beklagten an den Betriebsrat vom 30.10.2023 deutlich. Hier werde nicht darauf verwiesen, dass das Konsultationsverfahren bereits vorher eingeleitet gewesen sein sollte und nunmehr „nochmals“ eingeleitet oder etwa „vervollständigt“ werde.
43
Zudem seien am 23.08.2023 dem Betriebsrat die nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG notwendigen Angaben nicht vollständig übermittelt worden. Dies habe bereits deshalb nicht erfolgen können, da einige Mitarbeiter im Laufe des August und September das Unternehmen verließen.
44
Die Einleitung eines Konsultationsverfahrens mit Schreiben vom 30.10.2023 sei nicht rechtzeitig erfolgt, da die Beklagte zu diesem Zeitpunkt bereits unumkehrbare Tatsachen geschaffen habe. Die bloße Einstellung einer Geschäftstätigkeit könne grundsätzlich rückgängig gemacht werden. Anders sei dies dann zu sehen, wenn ein Arbeitgeber – etwa durch die Veräußerung der Betriebsmittel – bereits mit der Auflösung der betrieblichen Organisation begonnen habe. Zum Zeitpunkt der Einleitung des Konsultationsverfahrens am 30.10.2023 sei das Grundstück bereits an die L. GmbH verkauft gewesen, der Vollzug der Übergabe war für den 11.11.2023 avisiert. Alle für die Produktion notwendigen Maschinen seien bereits veräußert gewesen. Im August 2023 sei ein Auftragsannahmestopp verhängt und alle Aufträge storniert worden. Die Produktion sei ebenfalls im August 2023 eingestellt worden. Das für die Möbelproduktion notwendige Material sei spätestens im September 2023 veräußert worden. Der Betrieb der Beklagten habe daher im Zeitpunkt der Einleitung des Konsultationsverfahrens mit Schreiben vom 30.10.2023 ausschließlich noch aus den – zum Großteil freigestellten – Mitarbeitern bestanden. Die Arbeitskräfte seien in einem Produktionsbetrieb ohne die erforderliche Infrastruktur (Gebäude, Maschinenpark und Material) nicht einsetzbar. Es sei auch lebensfremd zu behaupten, dass die theoretische Möglichkeit bestünde, aufgrund der widerruflichen Freistellung auf die sofortige Rückkehr der Arbeitskräfte an den Arbeitsplatz drängen zu können und damit jederzeit auf das Knowhow zurückgreifen zu können. Ohne Gebäude, Produktionsmaschinen und Material bestehe schlichtweg keine Organisationseinheit mehr, in der die Mitarbeiter eingesetzt werden können. Die Auflösung der betrieblichen Organisation sei mit Ausnahme der Kündigung der Arbeitsverhältnisse abgeschlossen gewesen.
45
Es spiele auch keine Rolle, ob die Beklagte auf die Entscheidung zum Verkauf der Grundstücke und der Maschinen habe Einfluss nehmen können, da beides nicht in ihrem Eigentum gestanden habe. In dem Moment, in dem der Beklagten bekannt gewesen sei, dass beabsichtigt sei, das Grundstück samt Gebäude sowie die Maschinen, die von ihr benutzt werden, zu verkaufen, hätte das Konsultationsverfahren eingeleitet werden müssen. Nur zu diesem Zeitpunkt wäre es dem Betriebsrat noch möglich gewesen, seine Beteiligungsrechte wahrzunehmen und über die Vermeidung von Entlassungen, die Beschränkung von Entlassungen und deren Folgenabmilderung zu beraten. Dass es dem Betriebsrat am 30.10.2023 noch möglich gewesen wäre, die Folgen der Entlassungen abzumildern, indem man über das Herausschieben der Kündigungszeitpunkte bzw. den Interessenausgleich noch sprechen konnte, erfülle nicht den Sinn und Zweck der Vorschrift des § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG.
46
Eine Verhandlungsbereitschaft des Arbeitgebers, mit dem Betriebsrat Gespräche zu führen, bestand ebenfalls nicht mehr. Dem Betriebsrat sei im Schreiben vom 30.10.2023 eine Frist gesetzt worden, bis zu der er sich zu äußern habe. Auf die Einwände sei zu keinem Zeitpunkt eingegangen worden. Eine Beteiligung des Betriebsrats an der Willensbildung zum Stilllegungsbeschluss sei zu keinem Zeitpunkt möglich gewesen. Insgesamt habe die Beklagte ihre Planungen vor Einleitung des Konsultationsverfahrens bereits umgesetzt bzw. mit deren Vollzug begonnen.
47
Sei das Konsultationsverfahren vor Ausspruch der Kündigungen gänzlich unterblieben oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, seien die Kündigungen nach § 134 BGB nichtig, denn das Konsultationsverfahren diene vorrangig der Vermeidung von Kündigungen. Dieser Zweck könne durch eine Nachholung der Konsultationen im Anschluss an den Ausspruch der Kündigung nicht mehr erreicht werden.
48
Gegen diese am 15.07.2024 zugegangene Entscheidung richtet sich die am 17.07.2024 bei dem Landesarbeitsgericht Nürnberg eingegangene Berufung der Beklagten nebst der am 11.10.2024 eingegangenen Berufungsbegründung. Die Berufungsbegründungsfrist wurde bis zu diesem Tag verlängert.
49
Die Beklagte wiederholt und vertieft in der Berufungsinstanz ihren bisherigen Vortrag.
50
Das Konsultationsverfahren sei bereits am 22.08.2023 eingeleitet worden. Aus dem im Termin präsentierten Entwurf eines Interessenausgleichs/Sozialplans sei klar hervorgegangen, dass die Beklagte beabsichtige, beide Verhandlungen zu verbinden.
51
Jedenfalls mit Schreiben vom 30.10.2023 sei das Konsultationsverfahren eingeleitet worden. Mit diesem Schreiben habe die Beklagte dem Betriebsrat mehrere Verhandlungstermine angeboten. Hierauf sei der Betriebsrat nicht eingegangen. Der Betriebsrat habe auf dieses Unterrichtungsschreiben am 14.11.2023 abschließend Stellung genommen. Soweit er in diesem Schreiben Informationsdefizite geltend mache, sei er dazu verpflichtet gewesen, diese konkret zu benennen. Das sei nicht erfolgt.
52
Zum Zeitpunkt 30.10.2023 seien noch keine unumkehrbaren Maßnahmen getroffen worden. Auch nach einer Veräußerung von Betriebsmitteln sei eine Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs grundsätzlich möglich. Die Betriebsmittel hätten nicht im Eigentum der Beklagten gestanden, die Veräußerung sei ihr daher nicht zuzurechnen. Der Betriebsrat sei zudem zu keinem Zeitpunkt verhandlungsbereit gewesen. Erst mit Durchführung der Entlassungen würden unumkehrbare Maßnahmen getroffen. Im Übrigen seien die Verhandlungen über einen Interessenausgleich/Sozialplan mit Beginn am 22.08.2023 bzw. 30.10.2023 noch nicht abgeschlossen gewesen. Verhandlungen über die Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen seien noch ohne weiteres möglich gewesen.
53
Auch dann, wenn das Konsultationsverfahren nicht rechtzeitig eingeleitet worden sein sollte, führe das nicht zu einer Nichtigkeit nach § 134 BGB. Es sei eine offene Rechtsfrage, ob ein nicht rechtzeitig eingeleitetes Konsultationsverfahren einem nicht ordnungsgemäßen Konsultationsverfahren in der Rechtsfolge gleichzustellen sei. Würde man von einer Nichtigkeit ausgehen, könne nach einem verspäteten Konsultationsverfahren nie wirksam gekündigt werden. Im Falle von Nachkündigungen sei die Rechtsprechung durchgehend von der Rechtzeitigkeit bei nachgeholten Konsultationsverfahren nach Betriebsstilllegung ausgegangen.
54
Die Beklagte habe den Betriebsrat am 22.08.2023 über alle erforderlichen Angaben im Sinne des § 17 Abs. 2 KSchG informiert. Die Beklagte habe dem Betriebsrat die Gründe für die geplanten Entlassungen mitgeteilt und ihn darüber informiert, dass alle Arbeitsverhältnisse unter Berücksichtigung der individuellen Kündigungsfristen (nach damaliger Planung) ab Ende September 2023 gekündigt werden sollen. Es sei eine vollständige Betriebsstilllegung und Entlassung sämtlicher Mitarbeitender kommuniziert worden. Die Mitteilung von Berufsgruppen sei in diesem Fall entbehrlich. Mit Übersendung des Entwurfs eines Sozialplans seien die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien mitgeteilt worden.
55
Die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG sei wirksam durchgeführt worden. Der Betriebsrat habe keine Stellung genommen. Mit Datum vom 20.11.2023 habe die Beklagte die Massenentlassungsanzeige samt aller Anlagen bei der Agentur für Arbeit in Bayreuth eingereicht, was von dieser mit Schreiben vom selben Tag bestätigt worden sei.
56
Die Kündigung sei erst anschließend ausgesprochen worden.
57
Die Beklagte beantragt,
Das Urteil des Arbeitsgerichts Bayreuth vom 08.07.2024, Az. 1 Ca 817/23 wird abgeändert und die Klage wird abgewiesen.
Das Endurteil des Arbeitsgerichts Bayreuth vom 08.07.2024 mit dem gerichtlichen Aktenzeichen 1 Ca 817/23 bleibt aufrechterhalten und die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
59
Die Beklagte habe bereits seit Mitte Juli gewusst, dass das Betriebsgrundstück verkauft werde. Die Beklagte habe von vornherein kein Interesse an ernsthaften Verhandlungen gehabt, da die Entscheidung der Beklagten, den Betrieb zu schließen, bereits gefallen gewesen sei. Konstruktive Verhandlungen seien deswegen mit ihr nicht möglich gewesen.
60
In den beiden Verhandlungsterminen am 22.08.2023 und am 30.08.2023 sei das Wort „Konsultationsverfahren“ nie gefallen. Es sei von der Beklagten auch nicht erwähnt worden, dass sie beabsichtige, die Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan mit denen des Konsultationsverfahrens zu verbinden. Auch die E-Mail vom 23.08.2023 enthalte keinen Hinweis hierauf. Die Formulierung im Entwurf für den Interessenausgleich entspreche der üblichen Formulierung, die regelmäßig in solchen Fällen vereinbart würde. Auch im Schreiben vom 30.10.2023 werde kein Bezug zu einem angeblich schon eingeleiteten Konsultationsverfahren hergestellt. Die Formulierung dort spreche sogar gegen ein vorhergehendes Konsultationsverfahren.
61
Am 30.10.2023 habe für den Betriebsrat keine Gestaltungsmöglichkeit mehr bestanden. Er sei aufgrund der von der Beklagten getroffenen unumkehrbaren Maßnahmen vor vollendete Tatsachen gestellt worden.
62
Die Informationen am 22.08.2023 enthielten nicht alle nach § 17 Abs. 2 KSchG notwendigen Angaben, da einige Mitarbeiter im Laufe des August und September 2023 das Unternehmen verlassen hätten.
63
Die Auflösung der betrieblichen Organisation habe am 30.10.2023 nicht nur begonnen, sie sei durch den Verkauf des Grundstücks, der Maschinen sowie Materialien und durch die Einstellung der Produktion mit Ausnahme der Kündigung der Arbeitsverträge bereits vollendet gewesen. Es sei lebensfremd, ohne die nötige Infrastruktur von einer noch bestehenden Organisationseinheit zu sprechen. Die theoretische Möglichkeit, die Folgen der Entlassungen abzumildern, indem man über das Hinausschieben der Kündigungszeitpunkte oder Abfindungen spreche, entspräche nicht Sinn und Zweck des § 17 Abs. 2 KSchG. Im Übrigen seien nach Darstellung der Beklagten hierfür keine finanziellen Mittel mehr vorhanden gewesen. Die Einleitung des Konsultationsverfahrens am 30.10.2023 sei daher zu spät erfolgt. Damit sei das Konsultationsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden und deshalb die gegenständliche Kündigung nach § 134 BGB nichtig. Ansonsten könne ein Arbeitgeber sanktionslos vor Durchführung des Konsultationsverfahrens Fakten schaffen und damit Einwirkungsmöglichkeiten für den Betriebsrat verhindern.
64
Zum weiteren Vorbringen in der Berufung wird auf die Schriftsätze der Parteien vom 13.08.2024, 11.10.2024, 14.11.2024, 05.12.2024, 14.02.2025, 18.02.2025 samt Anlagen und das Sitzungsprotokoll vom 24.02.2025 verwiesen, § 46 Abs. 2 ArbGG, § 313 Abs. 2 ZPO.
Entscheidungsgründe
65
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bayreuth vom 15.07.2024, gegen deren Zulässigkeit keinerlei Bedenken bestehen, ist begründet. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.11.2023 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis des Klägers rechtswirksam zum 30.06.2023 aufgelöst.
66
1. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.11.2023 ist nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG sozial gerechtfertigt.
67
1.1 Die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes, die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG sowie die Mindestbetriebsgröße gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG sind gegeben.
68
1.2 Nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG muss die Kündigung bedingt sein durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen. Das ist der Fall, wenn die Umsetzung einer unternehmerischen Entscheidung, etwa der zur Stilllegung des gesamten Betriebs, spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlich dauerhaften Wegfall des Bedarfs an einer Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers führt. Erforderlich ist, dass der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung den ernsthaften und endgültigen Entschluss gefasst hat, den Betrieb stillzulegen. Die geplanten Maßnahmen müssen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits „greifbare Formen“ angenommen haben. Davon kann ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber seine Stilllegungsabsicht unmissverständlich äußert, allen Arbeitnehmern kündigt, etwaige Miet- oder Pachtverträge zum nächstmöglichen Zeitpunkt auflöst, die Betriebsmittel, über die er verfügen darf, veräußert und die Betriebstätigkeit vollständig einstellt (zusammenfassend BAG 14.05.2020, 6 AZR 235/19).
69
1.3 Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Beklagte hat hier unstreitig den Entschluss gefasst, den Betrieb stillzulegen und allen Mitarbeitenden, darunter auch dem Kläger, zu kündigen. Mit dieser unternehmerischen Entscheidung ist der Beschäftigungsbedarf für den Kläger jedenfalls mit Ablauf der Kündigungsfrist entfallen. Zum Zeitpunkt der Kündigung hatte die Beklagte mit der Umsetzung dieses Stilllegungskonzepts zumindest bereits begonnen, tatsächlich war der Betrieb zum 30.10.2023 bereits stillgelegt worden. Die beabsichtigte Stilllegung hatte so bereits „greifbare Formen“ angenommen.
70
Nicht entscheidend ist, ob der Kläger die wirtschaftliche Lage nicht ganz so düster einschätzt wie die Beklagte. Nicht entscheidend ist auch, ob die J. Gruppe Investitionen bei anderen Töchtern tätigt, und ob es aus Sicht des Klägers möglich gewesen wäre, den Betrieb zu modernisieren und so zukunftsfähig zu machen. Es hält sich im Rahmen der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit, wenn ein Arbeitgeber bei schwieriger wirtschaftlicher Situation (dass sie gut gewesen sei, behauptet auch der Kläger nicht) den Entschluss fasst, einen Betrieb stillzulegen und in der Folge plant, allen Mitarbeitenden auf der Grundlage der gesetzlichen Vorschriften zu kündigen.
71
Entgegen der Auffassung des Klägers sind die Kündigungen auch nicht ausgesprochen worden, um den Mitarbeitenden einen Kündigungsschutz zu entziehen. Sollte es so sein, dass Tätigkeiten, die früher die Beklagte ausgeführt hat, jetzt von anderen Töchtern der Gruppe erledigt werden, ändert das nichts an der zulässigen Möglichkeit einer Betriebsstilllegung. Dass tatsächlich ein (Teil) Betriebsübergang stattgefunden haben soll, wird vom Kläger nicht behauptet.
72
1.4 Es bestand keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger auf einem anderen freien Arbeitsplatz.
73
Für das Fehlen einer anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ist gemäß § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig. Dabei gilt eine abgestufte Darlegungslast. Bestreitet der Arbeitnehmer lediglich den Wegfall seines bisherigen Arbeitsplatzes, genügt der Vortrag des Arbeitgebers, wegen der betrieblichen Notwendigkeiten sei eine Weiterbeschäftigung zu den gleichen Bedingungen nicht möglich. Macht der Arbeitnehmer geltend, es sei eine Beschäftigung an anderer Stelle möglich, obliegt es ihm darzulegen, wie er sich seine anderweitige Beschäftigung vorstellt. Erst daraufhin muss der Arbeitgeber eingehend erläutern, aus welchen Gründen eine solche Beschäftigung nicht möglich war (BAG 01.06.2023, 2 AZR 150/22).
74
Vorliegend hat der Kläger keine konkrete freie Stelle bei der Beklagten benannt, auf die er hätte versetzt werden können. Er geht selbst davon aus, dass die Beklagte ihren Betrieb eingestellt hat. Soweit er sich auf eine Weiterbeschäftigung bei einem anderen Unternehmen der Gruppe bezieht, ist diese für die Kündigung der Beklagten ohne Bedeutung. Der Kläger benennt keine solche Stelle konkret. Zudem sind die Voraussetzungen einer nur ausnahmsweise möglichen konzernbezogenen Weiterbeschäftigungspflicht (vgl. BAG 24.09.2015, 2 AZR 562/14) vorliegend nicht vorgetragen, worauf die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 05.03.2024 zutreffend hinweist.
75
1.5 Die Kündigung der Beklagten ist nicht wegen einer unzureichenden Sozialauswahl i.S.v. § 1 Abs. 3 KSchG unwirksam. Die Beklagte hat sämtlichen Mitarbeitenden gekündigt, was grundsätzlich eine Sozialauswahl entbehrlich macht.
76
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Behauptung des Klägers, die Beklagte habe den Betrieb etappenweise stillgelegt, so dass hinsichtlich der Etappen eine Sozialauswahl erforderlich wird.
77
Im Ausgangspunkt ist allerdings zutreffend, dass bei einer etappenweisen Betriebsschließung eine Sozialauswahl nicht entbehrlich ist. Kündigt der Arbeitgeber zwar allen Arbeitnehmern gleichzeitig, orientiert sich bezüglich der Beendigung aber nicht an der jeweils maßgeblichen Kündigungsfrist, sondern an dem sich nach und nach verringernden Beschäftigungsbedarf im Rahmen einer „Ausproduktion“, liegt ein Unterfall einer etappenweisen Stilllegung vor, sodass eine Sozialauswahl erforderlich wird (BAG 08.12.2022, 6 AZR 31/22).
78
Die Beklagte hat hier die Standorte A-Stadt und H-Stadt zu unterschiedlichen Zeitpunkten stillgelegt. Dadurch wird die Betriebsstilllegung allerdings nicht zu einer etappenweisen Betriebsstilllegung im vorstehenden Sinn. Die Beklagte hat allen Mitarbeitenden, auch denen in H-Stadt, einheitlich und mit ihrer individuellen Kündigungsfrist gekündigt. Sie hat keine Entscheidung getroffen, abweichend hiervon einzelne Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter länger zu beschäftigen als andere.
79
Die Betriebsstillegung wird vorliegend auch nicht dadurch zu einer etappenweisen Schließung, dass einzelne Mitarbeitende, bei denen vor Ausspruch der Kündigung behördliche Zustimmungen erforderlich waren, erst nach Vorliegen derselben mit ihren ordentlichen Kündigungsfristen gekündigt wurden. Die Beklagte hat auch insoweit nicht entschieden, einzelne Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter im Rahmen einer „Ausproduktion“ unabhängig von ihrer jeweils individuellen Kündigungsfrist unterschiedlich lange noch zu beschäftigen. Der Kündigungsentschluss der Beklagten betraf alle Mitarbeitenden zum gleichen Zeitpunkt und umfasste die jeweiligen individuellen Kündigungsfristen. Der Vollzug dieses Kündigungsentschlusses musste lediglich in den Fällen zeitlich etwas hintangestellt werden, in denen eine behördliche Zustimmung erforderlich war. Eine solche Vorgehensweise stellt keine etappenweise Schließung dar.
80
Schließlich hat der Kläger die soziale Auswahl „pauschal gerügt“. Soweit diese danach zu prüfen wäre, erweist sie sich nicht als fehlerhaft. Insoweit trifft den Kläger die (abgestufte) Darlegungs- und Beweislast (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG). Er hat aber keinerlei Arbeitnehmer benannt, die mit ihm vergleichbar und sozial weniger schutzwürdig gewesen wären.
81
2. Die Kündigung ist nicht wegen eines Verstoßes gegen § 17 Abs. 2 KSchG i.V.m. § 134 BGB nichtig. Die Beklagte hat das hierzu erforderliche Konsultationsverfahren sowohl rechtzeitig als auch ordnungsgemäß durchgeführt.
82
2.1 Die Kündigung des Klägers ist Teil einer Massenentlassung nach § 17 KSchG, da der Betrieb vollständig stillgelegt wurde und die in § 17 Abs. 1 KSchG genannten Schwellenwerte durch die Anzahl der vorgenommenen Kündigungen überschritten wurden. Die Beklagte hatte daher vor Ausspruch der Kündigung ein Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG durchzuführen. Hierfür gilt:
83
Der in § 17 KSchG geregelte besondere Kündigungsschutz bei Massenentlassungen unterfällt in zwei getrennt durchzuführende Verfahren mit jeweils eigenen Wirksamkeitsvoraussetzungen, nämlich die in § 17 Abs. 2 KSchG normierte Pflicht zur Konsultation des Betriebsrats einerseits und die in § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG geregelte Anzeigepflicht gegenüber der Agentur für Arbeit andererseits. Beide Verfahren stehen selbstständig nebeneinander und sind auch vor einer Betriebsstilllegung durchzuführen. Dies gilt ebenso bei Nachkündigungen (BAG 08.11.2022, 6 AZR 15/22).
84
Das Konsultationsverfahren soll dem Betriebsrat Einfluss auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entsteht die Konsultationspflicht deshalb zu dem Zeitpunkt, ab dem der Arbeitgeber im Rahmen eines Restrukturierungsplans eine Verringerung der Arbeitsplätze ins Auge fasst oder plant, deren Zahl die Schwellenwerte für den Abbau von Arbeitsplätzen überschreiten kann. Zwar hat der Gerichtshof zum einen festgestellt, dass ein vorzeitiges Entstehen der Konsultationspflicht Folgen haben kann, die dem Zweck der RL 98/59 zuwiderlaufen, z.B. eine Beschränkung der Flexibilität der Unternehmen in Bezug auf ihre Umstrukturierung, eine Verschärfung der administrativen Zwänge und bei den Arbeitnehmern einen unnötigen Anlass zur Sorge um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes. Zum anderen hat er entschieden, dass es für die Durchführung von Konsultationen im Einklang mit ihren Zielen, nämlich Kündigungen von Arbeitsverträgen zu vermeiden oder ihre Zahl zu beschränken sowie ihre Folgen zu mildern, erforderlich ist, dass die einschlägigen Faktoren und Kriterien für beabsichtigte Massenentlassungen festgelegt sind. Ist eine Entscheidung, von der angenommen wird, dass sie zu Massenentlassungen führen wird, nur beabsichtigt und sind diese daher nur wahrscheinlich und die einschlägigen Faktoren für Konsultationen nicht bekannt, so können diese Ziele nicht erreicht werden. Er hat jedoch ebenfalls ausgeführt, dass sich, da sich die Konsultationen gemäß Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der RL 98/59 insbesondere auf die Möglichkeit erstrecken sollen, geplante Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken, eine Konsultation, die beginnt, obwohl bereits eine Entscheidung getroffen wurde, die derartige Massenentlassungen notwendig macht, nicht mehr auf die Prüfung etwaiger Alternativen erstrecken könnte, um diese Massenentlassungen zu vermeiden (EuGH 22.2.2024, C-589/22).
85
Welche Informationen im Rahmen des Konsultationsverfahrens erforderlich sind, hängt vom konkreten Einzelfall ab. Hat der Betriebsrat, etwa durch Verhandlungen über den Interessenausgleich oder auf andere Weise, schon Kenntnisse über die Umstände der beabsichtigten Massenentlassung erlangt, genügen auch schlagwortartige Informationen. Die danach erforderlichen Auskünfte sind seitens des Arbeitgebers zwar nicht unbedingt zum Zeitpunkt der Eröffnung der Konsultationen zu erteilen, er hat sie aber „im Verlauf des Verfahrens“ zu vervollständigen und alle einschlägigen Informationen bis zu dessen Abschluss zu erteilen. Die Unterrichtungspflicht kann daher flexibel gehandhabt werden, jedoch darf der Arbeitgeber noch keine unumkehrbaren Maßnahmen getroffen und damit noch keine vollendeten Tatsachen geschaffen haben (BAG 13.06.2019, 6 AZR 459/18).
86
2.2 Die Beklagte hat mit der Auftaktveranstaltung am 22.08.2023 und der Übermittlung der Unterlagen am 23.08.2023 wirksam ein Konsultationsverfahren eingeleitet. Das ergibt eine Auslegung des Entwurfs des Interessenausgleichs.
87
2.2.1 Rechtsgeschäftliche Willenserklärungen sind grundsätzlich nach einem objektivierten Empfängerhorizont auszulegen. Dabei haben die Motive des Erklärenden, soweit sie nicht in dem Wortlaut der Erklärung oder in sonstiger, für die Gegenseite hinreichend deutlich erkennbaren Weise ihren Niederschlag finden, außer Betracht zu bleiben. Es besteht keine Verpflichtung des Erklärungsempfängers, den Inhalt oder den Hintergrund des ihm regelmäßig formularmäßig gemachten Angebots durch Nachfragen aufzuklären. Kommt der Wille des Erklärenden nicht oder nicht vollständig zum Ausdruck, gehört dies zu dessen Risikobereich (vgl. BAG 17.11.2010, 4 AZR 127/09). Haben alle Beteiligten eine Erklärung übereinstimmend in demselben Sinne verstanden, so geht der wirkliche Wille dem Wortlaut des Vertrages und jeder anderweitigen Interpretation vor und setzt sich auch gegenüber einem völlig eindeutigen Vertragswortlaut durch (vgl. zum Ganzen auch BAG 18.05.2010, 3 AZR 373/08).
88
Die Konsultationspflicht ist der Sache nach regelmäßig erfüllt, wenn der Arbeitgeber bei einer Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG, soweit mit ihr ein anzeigepflichtiger Personalabbau verbunden ist oder sie allein in einem solchen besteht, einen Interessenausgleich abschließt und dann erst kündigt. Soweit die ihm obliegenden Pflichten aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG mit denen nach § 111 Satz 1 BetrVG übereinstimmen, kann der Arbeitgeber sie nämlich gleichzeitig erfüllen. Voraussetzung ist aber, dass der Betriebsrat klar erkennen kann, dass die Handlungen des Arbeitgebers (auch) der Erfüllung der Konsultationspflicht aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG dienen sollen (BAG 13.06.2019, 6 AZR 459/18).
89
Dazu ist es nicht erforderlich, dass das Schreiben, mit dem das Konsultationsverfahren eingeleitet werden soll, einen expliziten Hinweis darauf enthält, dass der Arbeitgeber hiermit seinen Verpflichtungen nach § 17 Abs. 2 KSchG nachkommen will (so im Ergebnis BAG 13.06.2019, 6 AZR 459/18). Die Unterrichtung nach § 17 Abs. 2 KSchG kann auch dadurch erfolgen, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat die erforderlichen Informationen durch Übermittlung eines Entwurfs eines Interessenausgleichs gibt (so ausdrücklich BAG 09.06.2016, 6 AZR 405/15; vgl. auch wie hier Landesarbeitsgericht Niedersachsen 26.02.2015, 5 Sa 1318/14 und 29.06.2015, 8 Sa 1534/14).
90
2.2.2 Die Auslegung des am 22.08.2023 dem Betriebsrat vorgestellten und übergebenen Entwurfs eines Interessenausgleichs sowie des anwaltlichen Schreibens vom 23.08.2023 samt Anlagen ergibt, dass die Verhandlungen über den Interessenausgleich gleichfalls der Erfüllung der Konsultationspflicht nach § 17 Abs. 2 KSchG dienen sollen.
91
Zwar enthält das Anschreiben keinen expliziten Hinweis darauf, dass die Beklagte hiermit ihren Verpflichtungen nach § 17 Abs. 2 KSchG nachkommen wollte und auch in der Verhandlungsrunde vom 22.08.2023 wurde dies nicht erwähnt. Allerdings sah der Entwurf eines Interessenausgleichs ausdrücklich eine Verbindung beider Verfahren vor. Auch wenn der in Bezug genommene Interessenausgleich nicht abgeschlossen wurde, konnte der Betriebsrat doch so die von der Beklagten beabsichtigte Verbindung der beiden Verfahren deutlich erkennen. Beide Verfahren, sowohl das Verfahren zum Interessenausgleich als auch das Konsultationsverfahren weisen so große Schnittmengen auf, dass es wenig effizient erscheint, beide Verfahren wirklich getrennt zu betreiben. Eine Verbindung beider Verfahren ist daher weithin üblich, sodass von einer entsprechenden Verkehrssitte gesprochen werden kann (vgl. auch Gerhard Pfeiffer in Gallner/Mestwerdt/Nägele, Kündigungsschutzrecht § 17 Rn. 47). Auch der Kläger hält es (zutreffend) für üblich, dass beide Verfahren miteinander verbunden werden.
92
Es ist daher für den Betriebsrat wenig überraschend und damit auch nicht den objektiven Empfängerhorizont überschreitend, wenn die Beklagte auch hier eine beabsichtigte Verbindung durch einen entsprechenden Entwurf eines Interessenausgleichs kommuniziert. Dem Betriebsrat ist damit klar, dass die weitergehenden Handlungen der Beklagten im Rahmen eines Interessenausgleichs/Sozialplans auch unter dem Gesichtspunkt eines Konsultationsverfahrens zu sehen sind und er in diesem Rahmen seine Beteiligungsrechte wahrnehmen kann.
93
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Schreiben der Beklagten vom 30.10.2023, mit dem ein (neuerliches) Konsultationsverfahren eingeleitet wurde. Auf das Verständnis des Betriebsrats im August 2023 konnte dieses Schreiben bereits aus zeitlichen Gründen keinen Einfluss haben.
94
Auch wenn es im Schreiben vom 30.10.2023 auf Seite 1, zweiter Absatz heißt, dass „mit dem nachfolgenden Schreiben“ das Verfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG eingeleitet werde und Unterlagen zur Verfügung gestellt würden, muss das nicht so verstanden werden, dass mit diesem Schreiben „erstmalig“ ein Konsultationsverfahren eingeleitet wird. Das Schreiben verhält sich neutral zu dieser Frage.
95
Das Schreiben der Beklagten vom 30.10.2023 enthält zwar keinen Hinweis auf die Einleitung eines Konsultationsverfahrens im August, das schließt aber vorstehendes Verständnis bereits deswegen nicht aus, weil es gerade keinen Bezug dazu enthält. Es bringt insbesondere nicht eine übereinstimmende Rechtsauffassung aller Beteiligten zum Ausdruck, dass bisher kein Konsultationsverfahren stattgefunden hat. Das Schweigen im Schreiben vom 30.10.2023 zum Konsultationsverfahren im August 2023 hat keinen darüberhinausgehenden Erklärungswert.
96
Schließlich setzt sich die Beklagte mit dem Vortrag zur Einleitung eines Konsultationsverfahrens beginnend mit ihrem Schriftsatz vom 10.06.2024 auch nicht in Widerspruch zu ihrem vorhergehenden Vortrag in den Schriftsätzen vom 16.01.2024, 05.03.2024 und 05.06.2024. Die Rechtsauffassung der Beklagten zugrunde gelegt, kommt es vorliegend auf den Zeitpunkt der Einleitung des Konsultationsverfahrens nicht an. Danach könne jedenfalls eine Kündigung durch „zu spätes Durchführen des Konsultationsverfahrens“ nicht rechtswidrig werden. Es gab daher bei ihrer Sichtweise keinen zwingenden Grund, auf ein früheres Konsultationsverfahren zu verweisen. Sofern sie dann aufgrund des klägerischen Vortrags ihre Argumentation um einen 2. Strang erweitert, widerspricht sie sich nicht, sondern handelt vorsorglich.
97
2.3 Die Beklagte hat das Konsultationsverfahren am 22.08.2023 rechtzeitig eingeleitet.
98
Sie hat vorher keine unumkehrbaren Tatsachen geschaffen.
99
2.3.1 Der Unternehmer beginnt mit der Durchführung einer Betriebsänderung, wenn er unumkehrbare Maßnahmen ergreift und damit vollendete Tatsachen schafft. Eine Betriebsänderung in Form der Stilllegung besteht in der Aufgabe des Betriebszwecks unter gleichzeitiger Auflösung der Betriebsorganisation für unbestimmte, nicht nur vorübergehende Zeit. Ihre Umsetzung erfolgt, sobald der Unternehmer unumkehrbare Maßnahmen zur Auflösung der betrieblichen Organisation ergreift. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn er die bestehenden Arbeitsverhältnisse zum Zwecke der Betriebsstilllegung kündigt. Dem Arbeitgeber ist es aber nicht verwehrt, ohne vorherige Beteiligung des Betriebsrats Entschlüsse zu einer Betriebsänderung zu fassen. In der tatsächlichen Einstellung der betrieblichen Tätigkeit liegt ebenfalls keine unumkehrbare Maßnahme. Die bloße Einstellung einer Geschäftstätigkeit kann grundsätzlich rückgängig gemacht werden. Anders ist dies ggf. dann zu sehen, wenn ein Arbeitgeber – etwa durch die Veräußerung von Betriebsmitteln – bereits mit der Auflösung der betrieblichen Organisation beginnt. Nichts anderes folgt daraus, dass ein Arbeitgeber die Mitarbeitenden nicht mehr beschäftigt. In der bloßen Nichtbeschäftigung von Arbeitnehmern liegt keine Auflösung der Betriebsorganisation. Auch eine Freistellung der Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht stellt regelmäßig noch keine Durchführung der Betriebsstilllegung dar. Dies gilt jedenfalls, wenn die Freistellung jederzeit widerruflich ist (BAG 14.04.2015, 1 AZR 223/14). Danach gilt:
100
2.3.2 Die geplanten Kündigungen waren zu dem Zeitpunkt noch nicht ausgesprochen, womit eine zentrale Forderung von EuGH und BAG erfüllt ist.
101
Denn praktische Wirksamkeit erlangen die mit Art. 2 MERL und § 17 Abs. 2 KSchG verfolgten Ziele des Arbeitnehmerschutzes allein dadurch, dass die Regelungen in § 17 Abs. 2 KSchG als gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB verstanden werden, eine Kündigung vor Abschluss des Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat zu erklären. Nur auf diese Weise wird verhindert, dass der Arbeitgeber durch den Ausspruch von Kündigungen unumkehrbare Fakten schafft, bevor das Konsultationsverfahren durchgeführt ist. Für die Arbeitnehmervertreter wäre es erheblich schwieriger, die „Rücknahme“ einer bereits ausgesprochenen Kündigung zu erreichen als den Verzicht auf eine nur beabsichtigte Entlassung (EuGH 27.01.2005, C-188/03, BAG 01.03.2013, 2 AZR 60/12).
102
2.3.3 Nicht entscheidend ist, ob bzw. dass die Beklagte bereits einige Zeit vor diesem Termin Kenntnis über den (geplanten) Verkauf von Grundstück und Produktionsmitteln durch die Kommanditistin hatte.
103
Zwar kann nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass die Kenntnis einer Kommanditistin dem Arbeitgeber zugerechnet werden muss. Die Beklagte stellt hier allerdings nicht in Abrede, dass sie spätestens Mitte Juli 2023 Kenntnis von den geplanten Verkaufsvorgängen durch die Kommanditistin hatte, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 24.02.2025 präzisierte. Die Beklagte legt nicht dar, zu welchem Zeitpunkt genau die Vereinbarungen zum Verkauf des Grundstücks und der Produktionsmittel getroffen wurden und wann sie davon erfahren hat. Der dementsprechende Vortrag des Klägers gilt daher als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO).
104
2.3.4 Daraus folgt allerdings nicht, dass der Beginn des Konsultationsverfahrens mit der Auftaktsitzung am 22.08.2023 nicht mehr rechtzeitig ist. Zum einen muss hier berücksichtigt werden, dass der Betriebsrat am 03.08.2023 keinen früheren Termin für die Auftaktsitzung genannt hat. Auch wenn in dem Zeitraum urlaubsbedingt der Betrieb Großteils geschlossen war, kann das nicht zulasten der Beklagten gehen. Zum anderen muss der Beklagten Zeit für die Planung der mit dem Verkauf im Raum stehenden Betriebsstilllegung zugestanden werden. Das gilt umso mehr, als nach klägerischem Vortrag auch der Verkauf des Grundstücks an einen Mitbewerber im Raum gestanden hat, der den Betrieb sogar hätte übernehmen wollen.
105
Vor diesem Hintergrund ist bei Kenntnis der Beklagten ab Mitte Juli vom Verkauf der Beginn des Konsultationsverfahrens am 22.08.2023 jedenfalls dann noch rechtzeitig, wenn in der Zwischenzeit keine unumkehrbaren Maßnahmen seitens der Beklagten getroffen wurden. Das entspricht dem vom BAG aufgestellten Grundsatz, dass die Unterrichtungspflichten hinsichtlich des genauen Zeitpunkts vom Arbeitgeber flexibel gehandhabt werden können.
106
2.3.5 Bei der Frage, ob vor dem 22.08.2023 bereits unumkehrbare Maßnahmen getroffen worden sind, ist entscheidend, ob die Beklagte selbst unumkehrbaren Maßnahmen getroffen hat (BAG 14.04.2015, 1 AZR 794/13). Es geht hier um die Konsultationspflicht der Beklagten und das Verbot für die Beklagte, vorher unumkehrbare Maßnahmen zu treffen. Für Maßnahmen anderer hat sie in dem vorliegenden Zusammenhang nicht einzustehen, solange sie diese nicht selbst steuert. Das ist hier nicht vorgetragen. Es ist deswegen auch unerheblich, wann genau das Grundstück und die Produktionsmittel durch die Kommanditistin veräußert wurden.
107
2.3.6 Unstreitig ist, dass die Beklagte noch vor dem 22.08.2023 den Entschluss gefasst hat, die Produktion nach dem Betriebsurlaub nicht wieder aufzunehmen und dementsprechend Aufträge zu stornieren. Eine solche tatsächliche Einstellung des Betriebs ist aber keine unumkehrbare Maßnahme (s.o.). Nichts anderes gilt für die Nichtbeschäftigung von Arbeitnehmern bzw. für die widerrufliche Freistellung der Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht.
108
2.3.7 Der Verkauf des Lagerbestands durch die Beklagte (unabhängig davon, wann er genau erfolgt ist) markiert hier nicht den Beginn einer Auflösung einer betrieblichen Organisation. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass eine Wiederbeschaffung dieser oder ähnlicher Materialien für einen möbelherstellenden Betrieb auf größere Schwierigkeiten stoßen könnte.
109
2.3.8 Die Einleitung des Konsultationsverfahrens mit dem Auftakttermin 22.08.2023 war daher rechtzeitig im Sinne von § 17 Abs. 2 KSchG. Die Beklagte hat vorher keine unumkehrbaren Tatsachen geschaffen.
110
2.3.9 Nichts anderes ergäbe sich, wenn man die Information der Beklagten über den geplanten Verkauf von Grundstück und Produktionsanlagen etwas früher verorten würde.
111
Die dadurch entstehende Situation hätte sich nicht entscheidend verändert.
112
2.4 Die Beklagte hat das Konsultationsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt.
113
Ohne Erfolg rügt der Kläger, die Beklagte habe inhaltlich gegen ihre Konsultationspflicht aus § 17 Abs. 2 KSchG verstoßen. Nach dieser Vorschrift hat der Arbeitgeber bei anzeigepflichtigen Entlassungen dem Betriebsrat rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich insbesondere über die in dieser Vorschrift genannten Umstände zu unterrichten.
114
2.4.1 Der Arbeitnehmer ist darlegungs- und gegebenenfalls beweispflichtig für die tatsächlichen Voraussetzungen der Verpflichtungen nach § 17 KSchG. Stehen – wie hier – die Verpflichtungen der Beklagten aus der geplanten Massenentlassung fest, hat der Arbeitgeber auf die konkrete Rüge des Arbeitnehmers die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens darzulegen und zu beweisen (BAG 18.01.2012, 6 AZR 407/10).
115
Im Rahmen des Konsultationsverfahrens ist es Sache des Arbeitgebers zu beurteilen, wann er den Betriebsrat für ausreichend unterrichtet hält und damit seine Verpflichtungen als erfüllt ansieht. Insoweit obliegt es zunächst dem Arbeitgeber zu entscheiden, ob er gestellte Fragen beantwortet oder geforderte Informationen nachreicht. Er kann das ablehnen, wenn er die dahinterstehenden Überlegungen des Betriebsrats nach Abwägung mit seinen eigenen Vorstellungen für nicht zielführend hält oder wenn sich der Betriebsrat nicht auf Grundbedingungen einlässt, die der Arbeitgeber im Rahmen seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit zur Grundlage der Beratung gemacht hat oder mit denen er in die Beratung gegangen ist. Bei der gerichtlichen Kontrolle der Zweckdienlichkeit der erteilten Auskünfte sind diese Vorstellungen bzw. Bedingungen des Arbeitgebers zu berücksichtigen (BAG 14.05.2020, 6 AZR 235/19).
116
Danach ergibt sich für die Rügen des Klägers Folgendes:
117
2.4.2 Vorliegend hat die Beklagte im gegenständlichen Verfahren die von ihr erteilten Informationen im Rahmen des Konsultationsverfahrens vorgetragen und die dazu an den Betriebsrat übermittelten Unterlagen schriftsätzlich beigelegt. Damit wurde der Kläger in die Lage versetzt, eventuelle Informationspflichtverletzungen zu rügen.
118
2.4.3 Entgegen der Auffassung des Klägers war die Beklagte nicht verpflichtet, den für die Entlassungen vorgesehenen Zeitraum weiter zu präzisieren. Die Angaben der Beklagten waren nicht zu pauschal.
119
Die Beklagte hat hier klar zum Ausdruck gebracht, dass sie beabsichtige, allen Mitarbeitenden zu kündigen und zwar mit deren individueller Kündigungsfrist, beginnend im September 2023. Damit ist nach § 17 Abs. 2 Nr. 4 KSchG der Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, klar umschrieben. Eine nähere Präzisierung ist weder sinnvoll noch erforderlich. Eine solche hängt nämlich ganz erheblich vom Fortgang der Maßnahmen ab, die vom Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung abzuarbeiten sind, um diese wirksam aussprechen zu können. Diese ganzen Arbeitsschritte können vom Arbeitgeber nur eingeschränkt in zeitlicher Hinsicht gesteuert werden. Er ist daher in der Regel gar nicht in der Lage, den Zeitpunkt für die Kündigungen präziser zu prognostizieren.
120
2.4.4 Entgegen der Auffassung des Klägers scheitert das Konsultationsverfahren nicht daran, dass nach klägerischem Vortrag im August und September 2023 Personen das Unternehmen bereits verlassen haben, und dass die Information an den Betriebsrat deshalb nicht vollständig gewesen sei. § 17 Abs. 2 KSchG enthält keine ausdrückliche Verpflichtung der Beklagten, dem Betriebsrat die Anzahl der bereits (freiwillig) ausgeschiedenen Mitarbeitenden vor Ausspruch der geplanten Kündigungen mitzuteilen.
121
Sollte der Einwand des Klägers so zu verstehen sein, dass es Aufgabe der Beklagten gewesen sei, ihre ursprünglichen Angaben wegen veränderter tatsächlicher Umstände zu korrigieren, ist die Frage entscheidend, ob die Zwecke des Konsultationsverfahrens und der dazu gegebenen Informationen eine erneute und korrigierte Information erforderlich machen. Entscheidend ist daher, ob bei unveränderter Information trotz geänderter tatsächlicher Grundlage der Zweck des Konsultationsverfahrens und der dazu erforderlichen Informationen gefährdet wird, mit dem Betriebsrat die geplante Maßnahme zu beraten und Abmilderungen zu erwägen. Das ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn – wie hier – dadurch das Gesamtvolumen der zu entlassenden Mitarbeitenden nicht wesentlich geändert wird. Eine solche Änderung behauptet der Kläger nicht. Es sollte nach wie vor der Betrieb völlig stillgelegt und sämtliche Mitarbeitenden mit ihrer jeweiligen Kündigungsfrist entlassen werden.
122
Im Übrigen kann ein Unterlassen dieser Unterrichtung keine Folgen für die Prüfung konstruktiver Vorschläge durch den Betriebsrat zur Verhinderung oder Beschränkung der Massenentlassung oder hinsichtlich von Abmilderungen haben. Ein etwaiger Unterrichtungsfehler konnte sich insoweit nicht zulasten der betroffenen Arbeitnehmer auswirken (zu diesem Gesichtspunkt vergleiche BAG 13.06.2019, 6 AZR 459/18).
123
2.4.5 Die Unterrichtung erfolgte unter Einhaltung der gesetzlichen Formvorschrift. Der Beklagte hat dem Betriebsrat die Auskünfte nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 6 KSchG schriftlich erteilt. Die Wahrung der Textform entsprechend § 126b BGB reicht hierzu aus (BAG 22.06.2016, 2 AZR 276/16). Vorliegend hat die Beklagte die Unterlagen dem Betriebsrat im Auftakttermin vom 22.08.2013 übergeben sowie am Folgetag per E-Mail zusätzlich versandt. Damit ist der erforderlichen Form des § 17 Abs. 2 KSchG Genüge getan.
124
2.4.6 Der Kläger kann nicht damit gehört werden, die Beklagte sei gar nicht zu ernsthaften Verhandlungen bereit gewesen. Sie habe zu keinem Zeitpunkt die geplante Betriebsstilllegung und Entlassung sämtlicher Mitarbeitender zur Disposition stellen wollen und auch das im Termin vom 31.08.2023 in den Raum gestellte Sozialplanvolumen als unverhandelbar bezeichnet.
125
Die Beklagte ist nicht verpflichtet, im Rahmen des Konsultationsverfahrens ihre unternehmerische Entscheidung zur Disposition zu stellen. Im Konsultationsverfahren besteht kein Einigungszwang und erst recht kein Zwang für den Arbeitgeber, die Vorstellungen des Betriebsrats zu übernehmen. Es reicht aus, wenn der Arbeitgeber mit dem ernsthaften Willen zur Einigung in die Verhandlungen mit dem Betriebsrat geht und bereit ist, dessen abweichende Vorschläge ins Kalkül zu ziehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Dem steht nicht entgegen, dass der Arbeitgeber die Vermeidung oder Einschränkung von Entlassungen von bestimmten Bedingungen abhängig macht (BAG 08.11.2022, 6 AZR 15/22).
126
Es mag sein, dass der Betriebsrat den Eindruck hatte, er könne an der bereits beschlossenen Betriebsstilllegung nichts mehr ändern. Diese Wertung bleibt dem Betriebsrat unbenommen. Der Kläger trägt allerdings keine Tatsachen vor, die der Kammer den Schluss erlauben würde, die Beklagte habe – entgegen deren Vortrag im vorliegenden Verfahren – über keinen ernsthaften Verhandlungswillen verfügt. Soweit der Kläger hier die gleichen Argumente anführt, die er bereits bei der Frage, ob das Konsultationsverfahren rechtzeitig eingeleitet wurde, vorgebracht hat, gilt auch hier das oben Gesagte. Das waren – soweit die Beklagte gehandelt hat – keine unumkehrbaren Maßnahmen. Aus diesen Maßnahmen kann deshalb auch nicht der Schluss gezogen werden, die Beklagte sei nicht zu Verhandlungen bereit gewesen.
127
Sollte der Vortrag des Klägers so zu verstehen sein, dass aus der ablehnenden Reaktion der Beklagten auf Vorschläge, wie der Lagerbestand verwertet werden könnte, auf eine mangelnde Verhandlungsbereitschaft geschlossen werden könnte, tritt die Kammer dem nicht bei. Im Rahmen des Konsultationsverfahrens besteht kein Einigungszwang. Es besteht auch keine Verpflichtung nach § 17 Abs. 2 KSchG, dem Betriebsrat die Gründe dafür, seinen Vorschlägen nicht zu folgen, zu erläutern (auch wenn dies durchaus sinnvoll sein kann). Unabhängig davon, welchen Buchwert die Lagerbestände hatten, kann auch daraus, dass dieser nicht annähernd realisiert werden konnte, nichts abgeleitet werden. Unabhängig von einem Buchwert sind Gegenstände tatsächlich immer nur so viel wert, wie jemand anderer bereit ist, dafür zu bezahlen. Aus welchen Gründen der seitens des Klägers mitgeteilte Wert von der Beklagten beim Verkauf der Lagerbestände nicht erreicht werden konnte, trägt die Beklagte unwidersprochen vor.
128
Der Kläger trägt auch nicht vor, dass bzw. welche Vorschläge der Betriebsrat der Beklagten im Rahmen des Konsultationsverfahrens gemacht haben will, die die Beklagte nicht in Erwägung gezogen hat. Vielmehr trägt die Beklagte unwidersprochen vor, dass sich der Betriebsrat inhaltlich mit der Entscheidung zur Betriebsstilllegung in beiden Verhandlungsrunden im August 2023 nicht auseinandergesetzt hat.
129
Die Beklagte ist auch nicht verpflichtet, im Rahmen des Konsultationsverfahrens die geplante Summe für den Sozialplan nach oben zu verhandeln. Das ergibt sich bereits daraus, dass nach § 17 Abs. 2 Nr. 6 KSchG lediglich die Kriterien für die Berechnung etwaiger Abfindungen mitzuteilen sind, nicht das Sozialplanvolumen insgesamt.
130
2.4.7 Die Beklagte hat das Konsultationsverfahren auch ordnungsgemäß abgeschlossen. Die Beklagte konnte nach dem ergebnislosen Verlauf auch des zweiten Verhandlungstermins am 31.08.2023 ohne Rechtsverstoß davon ausgehen, dass die Verhandlungen mit dem Betriebsrat im Rahmen des Konsultationsverfahrens gescheitert sind.
131
2.4.7.1 Eine absolute Verhandlungs(mindest) dauer ist weder nach nationalem noch nach Unionsrecht vorgeschrieben. Die Konsultationen sind ohne Einigung der Betriebsparteien beendet, wenn der Arbeitgeber annehmen darf, es bestehe kein Ansatz für weitere, zielführende Verhandlungen. Dem Arbeitgeber kommt in diesem Rahmen eine Beurteilungskompetenz zu, wann er den Beratungsanspruch des Betriebsrats als erfüllt ansieht (BAG 08.11.2022, 6 AZR 15/22).
132
Der Betriebsrat hat weder im Termin vom 22.08.2023 noch im Termin vom 31.08.2023 Ausführungen zu den Planungen der Beklagten gemacht. Er hat insbesondere keine eigenen Vorstellungen dazu eingebracht, wie die geplanten Entlassungen vermieden oder eingeschränkt werden können oder welche Abmilderungen aus seiner Sicht machbar sein könnten. Es kann daher nicht zulasten der Beklagten gehen, wenn eine inhaltliche Beratung dazu nicht zustande kommt. Die Beklagte hat im Nachgang zum Verhandlungstermin am 22.08.2023 und zu ihrem Schreiben vom 23.08.2023 mit der Übermittlung des ausformulierten Entwurfs eines Interessenausgleichs und der damit erfolgten Unterrichtung des Betriebsrats im darauf folgenden Verhandlungstermin am 31.08.2023 ihre Planung nochmals erläutert und zunächst die Reaktion des Betriebsrats abgewartet.
133
Die Rückfragen des Betriebsrats betrafen nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beklagten nur Konzernverflechtungen und die Bitte um die Übersendung eines Organigramms. Weitere Rückfragen wurden nicht gestellt, auch nicht zur wirtschaftlichen Situation. Es wurde lediglich seitens des Betriebsrats pauschal darauf verwiesen, dass man die Jahresabschlüsse der letzten beiden Jahre nicht vorliegen habe und daher keine weiteren Aussagen treffen könne. Sämtliche weiteren Fragen könne man ebenfalls nicht ad hoc stellen. Auch eine Rückmeldung zu den im Vorfeld übersandten Dokumenten sei nicht möglich.
134
Die Vorlage von Jahresabschlüssen gehört nicht zu den nach § 17 Abs. 2 KSchG notwendigen Informationen. § 17 Abs. 2 Nr. 1 KSchG bezieht die Unterrichtungspflicht auf die „Gründe für die geplanten Entlassungen“. Dementsprechend sind die von der Beklagten geltend gemachten wirtschaftlichen Gründe für die geplante Betriebsstillegung zu erläutern. Das war allerdings der Fall. Dass diese Erläuterungen zu pauschal gewesen sein sollen, trägt der Kläger nicht vor. Eine gesetzliche Notwendigkeit, darüber hinaus im Rahmen des Konsultationsverfahrens Jahresabschlüsse zu übermitteln, ist nicht gegeben. Das gilt auch für die erbetene Übermittlung eines Organigramms.
135
Soweit der Kläger geltend macht, angesichts der Anzahl der zu kündigenden Mitarbeitenden sei die Zeit zur Prüfung der geplanten Maßnahme zu kurz, greift dieser Einwand nicht durch. Es mag sein, dass die Zeit sehr kurz war, um endgültige Bewertungen treffen zu können. Dass die Zeit aber zu kurz gewesen sein soll, um überhaupt inhaltliche Beiträge zu bringen, ist nicht ersichtlich.
136
Entgegen der Ansicht des Klägers ist ein Konsultationsverfahren nicht erst dann abgeschlossen, wenn der Betriebsrat seinen Beratungsanspruch als erfüllt ansieht und wenn sich der Betriebsrat abschließend zu den bevorstehenden Massenentlassungen geäußert hat. Ansonsten bestünde ein faktischer Einigungszwang mit dem Betriebsrat, den das Konsultationsverfahren gerade nicht kennt. Dem BAG folgend kommt es für die Beendigung des Konsultationsverfahrens auf die Einschätzung des Arbeitgebers an, die einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt und sich im Rahmen des dem Arbeitgeber zustehenden Beurteilungsspielraums halten muss.
137
Der Beklagten kann daher nicht vorgeworfen werden, dass sie zum Schluss kam, der Betriebsrat wolle auch in der zweiten Verhandlungsrunde trotz einer Sitzungsunterbrechung für eineinhalb Stunden, die er zu Beratungen nutzen konnte, völlig offen verbleiben. Irgendwelche Verhandlungsansätze, die sie hätte weiter verfolgen können, lies der Betriebsrat nicht erkennen. In dieser Situation ist es vom Beurteilungsermessen der Beklagten umfasst, wenn sie nach zwei völlig ergebnislosen Verhandlungsrunden weitere Verhandlungen als nicht mehr zielführend erachtet.
138
Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es auf die Reaktion des Betriebsrats vom 03.09.2023 im Nachgang zum Verhandlungstermin vom 31.08.2023 nicht an. Zu diesem Zeitpunkt waren die Verhandlungen bereits gescheitert. Im Übrigen enthält auch dieses Schreiben (zum Wortlaut siehe die Anl. 2 zum Schriftsatz des Klägers vom 18.02.2025) keinen Ansatz zu weiteren Verhandlungen mit dem Betriebsrat. Das Schreiben enthält eine Auflistung von erbetenen Dokumenten zur wirtschaftlichen Situation der Beklagten und einzelnen Fragen hierzu. Diese Punkte gehen über den notwendigen Katalog des § 17 Abs. 2 KSchG hinaus.
139
2.5 Aber auch dann, wenn man nicht davon ausgehen wollte, dass bereits im August 2023 sowohl rechtzeitig als auch ordnungsgemäß ein Konsultationsverfahren durchgeführt wurde, sondern erst beginnend mit dem Schreiben vom 30.10.2023 (Zugang am selben Tag), ergäbe sich kein anderes Ergebnis. Insbesondere ist nicht Voraussetzung, dass die Beklagte vor Einleitung eines (neuerlichen) Konsultationsverfahrens den Betrieb wieder eröffnet (so ausdrücklich BAG 22.09.2016, 2 AZR 276/16). Im Einzelnen:
140
2.5.1 Die Beklagte hat das Konsultationsverfahren mit Schreiben vom 30.10.2023 rechtzeitig eingeleitet. Kündigungen hat sie bis dahin nicht ausgesprochen.
141
Der Rechtzeitigkeit steht nicht entgegen, dass es aus Sicht des Betriebsrats zu diesem Zeitpunkt nicht allzu aussichtsreich erschien, in den Konsultationen mit der Beklagten eine Wiedereröffnung des Betriebs zu erreichen und hierfür Vorschläge zu erarbeiten. Durch die Veräußerung von Produktionsstätte und -mitteln durch die Kommanditistin wurden sehr hohe Hürden geschaffen. Wie bereits oben dargestellt, kann dies der Beklagten allerdings nicht zugerechnet werden. Sie hat weder den Verkauf getätigt noch über diesen entschieden. Von ihr veranlasst wurde „lediglich“ die Einstellung der Produktion und der Verkauf der in ihrem Eigentum stehenden Lagerbestände in der Konsequenz aus den Verkäufen durch die Kommanditistin und in Folge der wirtschaftlichen Situation der Beklagten. Die beiden Handlungen der Beklagten waren wie bereits oben dargestellt nicht unumkehrbar. Nicht sie hat daher die entscheidenden Fakten geschaffen, die eine Wiedereröffnung des Betriebs als äußerst unwahrscheinlich erscheinen lässt, sondern die Kommanditistin.
142
Der Beklagten kann auch nicht der Vorwurf gemacht werden, sie habe zugewartet, nachdem sie davon erfahren hat, dass der Verkauf von Grundstück und Produktionsmitteln durch die Kommanditistin besiegelt ist. Auch wenn der Kläger vorträgt, die Beklagte sei am 03.08.2023 nur deshalb an den Betriebsrat herangetreten, weil es aufgrund einer Pressemitteilung der L. GmbH zum Kauf des Betriebsgeländes zu Unruhe im Betrieb und Nachfragen gekommen sei, ist doch unstreitig, dass die Beklagte an diesem Tag an den Betriebsrat herangetreten ist und die Initiative mit der Vereinbarung von Verhandlungsterminen mit dem Betriebsrat ergriffen hat. Der Beklagten ist auch nicht vorzuwerfen, dass sie die Entscheidung getroffen hat, die Verhandlungen im Rahmen des Konsultationsverfahrens mit denen zum Interessenausgleich/Sozialplan zu verbinden. Dass sie diese Entscheidung getroffen hat, ist durch den Entwurf des Interessenausgleichs dokumentiert. Das gilt unabhängig davon, dass vorliegend zwischen den Parteien unterschiedliche Ansichten dazu bestehen, ob dies für den Betriebsrat ausreichend erkennbar war.
143
Schließlich kann der Beklagten auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass die im August angegangenen Verhandlungen zu einem Interessenausgleich/Sozialplan am 31.08.2023 gescheitert sind und der Weg über die Einsetzung einer Einigungsstelle über zwei Instanzen hinweg begangen werden musste. Die Beklagte ist nicht dazu gezwungen, in einem solchen Fall das Konsultationsverfahren vorzuziehen, auch wenn ihr das unbenommen bleibt.
144
Die Entscheidung, angesichts einer sich abzeichnenden Einigungsstelle das Konsultationsverfahren jetzt nicht mehr mit den Verhandlungen zu Interessenausgleich/Sozialplan in der Einigungsstelle zu verbinden, bleibt ihr unbenommen. Das gilt umso mehr, als jedenfalls teilweise vertreten wird, dass Verhandlungen in einer Einigungsstelle ein Konsultationsverfahren nicht ersetzen können (so LAG Berlin-Brandenburg 09.12.2015, 15 Sa 1512/15, kritisch hierzu Naber in beck-online.GROSSKOMMENTAR GesamtHrsg: Höpfner/Picker/Temming, Stand: 01.12.2024, § 17 KSchG Rn. 102).
145
Hinzu kommt, dass die Beklagte das Konsultationsverfahren am 30.10.2023 angegangen ist, bevor die Einigungsstelle am 07.11.2023 endgültig eingesetzt wurde und bevor sie am 09.11.2023 den Beschluss zu Interessenausgleich und Sozialplan gefasst hat.
146
Entgegen der Ansicht des Klägers war es dem Betriebsrat zum Zeitpunkt 30.10.2023 nicht von vornherein unmöglich, im Rahmen des Konsultationsverfahrens zu verhandeln. Die Einflussnahmemöglichkeit des Betriebsrats reduzierte sich zu diesem Zeitpunkt faktisch auf die Abmilderung der Stilllegungsfolgen. Aber auch das ist nach dem Wortlaut von § 17 Abs. 2 KSchG Gegenstand der Konsultationsverhandlungen.
147
An dieser Möglichkeit zu Verhandlungen im Rahmen des Konsultationsverfahrens ändert sich nichts dadurch, dass nach dem Spruch der Einigungsstelle mangels wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ein Ausgleich oder eine Milderung der wirtschaftlichen Nachteile für die Beschäftigten nicht möglich war. Dass die Beklagte die Zeit seit August 2023 genutzt habe, Mittel beiseite zu schaffen oder Mittel der Beklagten in andere Unternehmen der J. Gruppe zu verschieben, behauptet der Kläger nicht. Die Entscheidungen der Beklagten zum Verkauf ihrer Lagerbestände (aus Sicht des Klägers und des Betriebsrats unter Wert) ist jedenfalls von ihrer unternehmerischen Entscheidungsfreiheit umfasst und hinsichtlich des Preises den gescheiterten Versteigerungsbemühungen geschuldet.
148
2.5.2 Dasselbe Ergebnis würde sich ergeben, wenn man entgegen der vorherstehenden Auffassung der Kammer davon ausgehen wollte, dass die Einleitung des Konsultationsverfahrens am 30.10.2023 zu spät erfolgte. Das gilt jedenfalls dann, wenn noch keine Kündigungen ausgesprochen wurden und falls eine bewusste Verzögerung nicht dazu geführt hat, dass jedenfalls Verhandlungen über eine Abmilderung nicht mehr möglich waren. Letzteres trägt der Kläger nicht vor. Soweit es um die Frage des Verkaufs von Lagerbeständen (nach Ansicht des Betriebsrats unter Wert) gehen sollte, wird auf das oben Dargelegte verwiesen. Im Übrigen hat sich die Verzögerung im Verfahren dadurch ergeben, dass der Weg über eine erst im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens eingesetzte Einigungsstelle gegangen werden musste. Von einer bewussten Verzögerung kann in einem solchen Fall nicht gesprochen werden. Im Einzelnen:
149
2.5.2.1 Für den Bereich der Nachkündigung nach einer erfolglosen ersten Kündigung im Rahmen einer Betriebsstillegung hat das BAG bereits entschieden, dass es genügt, wenn vor erneuter Kündigung ordnungsgemäß ein Konsultationsverfahren durchgeführt wird, auch wenn bei realistischer Sicht eine Wiedereröffnung des Betriebs wohl nicht mehr im Raum steht. Anderenfalls wäre eine Nachkündigung in dieser Konstellation rechtlich unmöglich, weil mangels möglicher Einflussnahme der Arbeitnehmervertretung auf die Stilllegungsentscheidung ein Konsultationsverfahren niemals mehr rechtzeitig eingeleitet werden könnte. Die Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung zur Stilllegung des Betriebs wäre dann ausgeschlossen. Hinsichtlich der europarechtlichen Grundlage verweist das BAG darauf, dass die MERL als lediglich teilharmonisierendes Unionsrecht die unternehmerische Entscheidungsfreiheit unangetastet lasse und nur das bei Massenentlassungen erforderliche Verfahren regele, wobei Entlassungen nach dessen ordnungsgemäßer Durchführung möglich bleiben müssen. § 17 Abs. 2 KSchG statuiert als bloßes Umsetzungsrecht deshalb kein Verbot solcher Nachkündigungen, sondern knüpft an die der Planung zugrundeliegenden tatsächlichen Verhältnisse an. Die Einflussnahmemöglichkeit der Arbeitnehmervertretung reduziert sich dann faktisch auf die Abmilderung der Stilllegungsfolgen (so BAG 08.11.2022, 6 AZR 16/22).
150
2.5.2.2 In der Literatur wird der vorstehende Gedanke auch auf die Konstellation eines verspäteten Konsultationsverfahrens übertragen. So vertritt Bayreuther, dass der Betriebsrat zwar gegen den Arbeitgeber einen Anspruch auf eine frühzeitige Beteiligung an dessen Planungen habe, sollten diese zu einer Massenentlassung führen, doch bleibe es auf individualrechtlicher Ebene unschädlich, wenn der Arbeitgeber die Unterrichtung verspätet vorgenommen bzw. Beratungen erst mit Verspätungen eingeleitet habe, soweit im Ergebnis doch noch ein Konsultationsverfahren durchgeführt und nachfolgend eine wirksame Anzeige erstattet wurde (Linck/Krause/Bayreuther/Bayreuther, 16. Aufl. 2019, KSchG § 17 Rn. 130). Ähnlich Spelge, wonach es auch in wirtschaftlichen Zwangssituationen, die eine Stilllegung und damit die Entlassung aller Arbeitnehmer bedingen, ausreiche, wenn das Konsultationsverfahren zu einem Zeitpunkt eingeleitet wird, in dem jedenfalls noch die Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen möglich bleibt, also z.B. die Verschiebung des Zeitpunkts der Kündigungen, die Zahlung von Abfindungen oder der Wechsel in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft in Betracht kommen (Spelge, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2: Individualarbeitsrecht II, 6. Auflage 2024 Rn. 129). Allgemeiner noch Moll, wonach die Frage, ob das Konsultationsverfahren rechtzeitig eingeleitet worden ist, jedenfalls dann unerheblich sei, wenn in der Folge das Konsultationsverfahren durchgeführt und zum Abschluss gebracht wird (Ascheid/Preis/Schmidt/Moll, 7. Aufl. 2024, KSchG § 17 Rn. 99).
151
2.5.2.3 Dieser Auffassung schließt sich die Kammer an. Die Situation bei einem nachgeholten Konsultationsverfahren entspricht der Situation bei einem „zu spät“ eingeleiteten Konsultationsverfahren. Auch dann muss ein Arbeitgeber grundsätzlich die Möglichkeit haben, eine Betriebsstilllegung auch mittels Kündigungen umzusetzen.
152
Es wäre unverhältnismäßig, einen Arbeitgeber, der erkennt, den richtigen Zeitpunkt für den Beginn eines Konsultationsverfahrens verpasst zu haben, darauf zu verweisen, zunächst eine unwirksame Kündigung auszusprechen, um dann unverändert den Weg über eine Nachkündigung zu gehen. Inhaltlich würde sich, wollte man das wirklich verlangen, keine verbesserte Situation für den Betriebsrat ergeben. Auch dann müsste sich die Beteiligung des Betriebsrats auf die Abmilderung beschränken.
153
Dem Kläger ist zwar darin zuzustimmen, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass damit unter Umständen auch Fehlanreize gesetzt werden könnten. Allerdings würde ein bewusstes Hinauszögern eines Konsultationsverfahrens bedeuten, dass ein Arbeitgeber bewusst in Kauf nimmt, erst später kündigen zu können und dadurch auch länger zur Entgeltzahlung verpflichtet zu sein. Den Arbeitnehmern käme das zugute, da dann ja länger Entgeltansprüche erworben werden. Das Ziel des § 17 Abs. 2 KSchG, die wirtschaftlichen Folgen einer Kündigung abzumildern, würde auch dadurch jedenfalls faktisch gefördert.
154
2.5.3 Die Beklagte hat das Konsultationsverfahren ordnungsgemäß eingeleitet und durchgeführt. Hierzu wird auf das oben Dargestellte zum Konsultationsverfahren im August 2023 verwiesen.
155
2.5.4 Die Beklagte hat das Konsultationsverfahren schließlich ordnungsgemäß abgeschlossen, bevor sie die Massenentlassungsanzeige erstattet hat. Sie konnte aufgrund der Stellungnahme des Betriebsrats vom 14.11.2023 die Anzeige der Massenentlassungen gegenüber der Agentur für Arbeit ohne weitere Wartezeit vornehmen.
156
Zwar hat der Betriebsrat in seiner Stellungnahme vom 14.11.2023 ausgeführt, dass er nicht bestätigen könne, dass er über die geplanten Entlassungen rechtzeitig, umfassend und vollständig schriftlich informiert worden sei. Insbesondere sei der Spruch der Einigungsstelle fehlerhaft und der Ausspruch von Kündigungen sei ohne soziale Lösungen für die betroffenen Mitarbeiter unzumutbar (zum genauen Wortlaut dieses Schreibens wird auf die Anl. 8 zum Schriftsatz vom 05.03.2024 verwiesen).
157
Die Beklagte konnte dennoch ohne Rechtsfehler diese Stellungnahme als abschließende Stellungnahme betrachten. Sie lässt weder genau erkennen, welche Informationen der Betriebsrat vermisst, noch lässt sie einen Ansatz für weitere Verhandlungen mit dem Betriebsrat erkennen. Die wirtschaftliche Situation der Beklagten wurde bereits im August dargestellt und erläutert, erneut in der Einigungsstelle. Das Ergebnis des Verfahrens in der Einigungsstelle ist sowohl für den Betriebsrat als auch für alle Mitarbeitenden unbefriedigend. Und es ist auch sicherlich unbefriedigend, dass keine Lösung im Konzernzusammenhang gefunden wurde. Es liegt allerdings im Beurteilungsermessen der Beklagten, wenn sie in diesen Aspekten keinen Ansatz für erneute Verhandlungen mit dem Betriebsrat erkennen kann.
158
2.5.5 Eine Frist von mindestens zwei Wochen zwischen der Unterrichtung des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG und den Entlassungen wurde vorliegend eingehalten.
159
2.5.6 Jedenfalls das Konsultationsverfahren vom 30.10.2023 wurde deshalb insgesamt rechtzeitig und ordnungsgemäß und damit wirksam durchgeführt.
160
3. Die Beklagte hat auch die weiterhin erforderliche Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit Bayreuth wirksam durchgeführt. Die Kündigung wurde erst danach ausgesprochen.
161
Der Kläger rügt insoweit lediglich, dass er bestreite, die Beklagte habe vor den Entlassungen der Agentur für Arbeit ordnungsgemäß Anzeige erstattet. Dabei genügt es im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast zunächst, dies mit Nichtwissen zu bestreiten. Es ist dann an der Beklagten, das von ihr hierzu durchgeführte Verfahren darzulegen. Das hat die Beklagte vorliegend getan und sowohl die Massenentlassungsanzeige als auch die Eingangsbestätigung der Massenentlassungsanzeige durch die Agentur für Arbeit Bayreuth in Kopie als Anlage übermittelt. Es wäre dann am Kläger, wollte er an seinem Bestreiten festhalten, seine Rüge soweit zu präzisieren, dass zumindest die Stoßrichtung erkennbar wird. Nur dann kann sich die Kammer hiermit auseinandersetzen. Das ist nicht erfolgt.
162
4. Die Beklagte hat auch die nach § 102 Abs. 1 BetrVG erforderliche Betriebsratsanhörung wirksam durchgeführt.
163
Der Kläger kann hier mit seiner Rüge nicht durchdringen, der Betriebsratsvorsitzende oder im Falle seiner Verhinderung der Stellvertreter seien nicht verpflichtet, außerhalb der Arbeitszeit und außerhalb der Betriebsräume Mitteilungen entgegenzunehmen. Für die Frage des Zugangs der Betriebsratsanhörung beim Betriebsrat ist nicht entscheidend, ob der Betriebsrat an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt dazu verpflichtet war, etwas entgegenzunehmen. Entscheidend ist allein die tatsächliche Entgegennahme und damit die Bewirkung des Zugangs durch die Beklagte.
164
Hinzu kommt, dass Zeit und Ort der Übergabe auf einem Vorschlag des Betriebsrats beruhten. Es kann daher nicht eingewandt werden, Ort und Zeitpunkt seien falsch gewählt. Im Übrigen bestanden zum Zeitpunkt der Übergabe der Betriebsratsanhörungen kein Betrieb und damit auch keine Betriebsräume mehr, in denen die Schreiben hätten übergeben werden können. Wegen der Freistellung sämtlicher Mitarbeitender galten auch keine Arbeitszeiten an dem Tag.
165
Schließlich greift auch der Einwand des Klägers nicht durch, die Betriebsratsanhörung sei deswegen fehlerhaft, weil der Betriebsrat den ordnungsgemäßen Zugang der Anhörungsschreiben nicht durch seine Unterschrift dokumentiert hat. Entscheidend ist auch hier der wirksame Zugang der Anhörungsschreiben beim Betriebsrat und nicht die Form der Dokumentation und damit des Nachweises des Zugangs.
166
5. Die Kündigung des Klägers verstößt weder gegen § 15 Abs. 1 KSchG noch gegen § 103 Abs. 1, 2 BetrVG. Danach ist die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung, einer Bordvertretung oder eines Seebetriebsrats unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist.
167
Allerdings ist gemäß § 15 Abs. 4 KSchG die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer nach § 15 Abs. 1 KSchG geschützten Person ohne besondere Voraussetzungen zulässig, wenn der Betrieb stillgelegt wird. Das ist hier der Fall. § 103 Abs. 1 BetrVG erfordert auch keine Zustimmung des Betriebsrats zu einer außerordentlichen Kündigung der in der Vorschrift genannten Personen, soweit der Kündigung ein von § 15 Abs. 4, 5 KSchG umfasster Sachverhalt zugrunde liegt (BAG 18.09.1997, 2 ABR 15/97).
168
6. Nach alldem war die klagestattgebende erstinstanzliche Entscheidung abzuändern und die Klage abzuweisen.
169
Als unterliegende Partei hat der Kläger gemäß § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
170
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Rechtsstreit wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.