Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 07.07.2025 – 206 StRR 196/25
Titel:

Billigung von Straftaten, Revisionsrechtliche Überprüfung, Beweiswürdigung, Landgerichte, Vermummungsverbot, Aufhebung, Revisionsverfahren, Andere Strafkammer, Strafzumessungserwägungen, Verteidiger-Schriftsätze, Tagessatz, Erneute Verhandlung, Verurteilung, Gesamtgeldstrafe, Identitätsfeststellung, Einzelgeldstrafe, Versammlungsrecht, Tatmehrheit, Allgemeine Sachrüge, Versammlungsteilnehmer

Schlagworte:
Revision, Beweiswürdigung, Meinungsfreiheit, Vermummungsverbot, Billigung von Straftaten, Öffentlichkeitsbegriff, Strafzumessung
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 21.01.2025 – 18 NBs 510 Js 663/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 15814

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 21. Januar 2025 mit den ihm zu Grunde liegenden Feststellungen insoweit aufgehoben, als der Angeklagte der Billigung von Straftaten schuldig gesprochen wurde.
II. Die Sache wird im aufgehobenen Umfang zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.
III. Im Übrigen wird die Revision des Angeklagten als unbegründet verworfen.

Gründe

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1. Das Amtsgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom 6. März 2024 der Billigung von Straftaten in Tatmehrheit mit einem Verstoß gegen das versammlungsrechtliche Vermummungsverbot schuldig gesprochen und ihn zu einer Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätzen zu je 30,- Euro verurteilt. Für den Verstoß gegen das Vermummungsverbot setzte das Amtsgericht eine Einzelgeldstrafe von 30 Tagessätzen und für die Billigung von Straftaten eine solche von 90 Tagesätzen fest.
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Die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit Urteil vom 21. Januar 2025 als unbegründet verworfen. Es hat der Verurteilung folgenden Sachverhalt zu Grunde gelegt:
„Am Freitag, 13.10.2023, gegen 18 Uhr nahm der Angeklagte an einer zuvor vom Kreisverwaltungsreferat München mit Bescheid vom 13.10.2023 untersagten, sich fortbewegenden Versammlung am M. O.platz mit dem Thema „Solidarität mit dem palästinensischen Volk“ unter freiem Himmel teil. Hierbei trug der Angeklagte willentlich und wissentlich über einen Zeitraum von knapp drei Minuten einen Schal oder ein ähnliches Kleidungsstück aus Stoff, das Mund und Nase bedeckte. Wie der Angeklagte erkannt hatte, war diese Aufmachung geeignet, die Feststellung und Überprüfung seiner Identität zu verhindern, was von ihm auch so beabsichtigt war.
Während der Versammlung von ca. 100 Versammlungsteilnehmern wurde von einigen dieser Teilnehmer „Allahu akbar“ sowie „Free Palestine“ gerufen. Der Angeklagte stand unmittelbar neben dies skandierenden Personen und streckte dabei zustimmend einen Arm in die Höhe. Ob er sich auch an den Rufen beteiligte, war aufgrund des über Mund und Nase gezogenen Schals nicht erkennbar.
Zwischenzeitlich ohne Vermummung ließ sich der Angeklagte gegen 18:15 Uhr während der Versammlung von einem Journalisten des B. R. interviewen, wobei er damit rechnete, dass seine Äußerungen später im Fernsehen gegenüber einer unbekannten Zahl von Zuschauern ausgestrahlt werden würden. Folgende Äußerung aus dem Interview, dessen Inhalt im Übrigen nicht bekannt ist, wurden wenig später in der Sendung „Kontrovers“ das B. R. ausgestrahlt:
‚Für die Tat alleine habe ich kein Verständnis, aber für die Jahre davor, was da passiert ist, wenn ich dann diese Tat anschaue, dann sage ich, das ist viel zu wenig.‘
Wie der Angeklagte wusste, waren wenige Tage zuvor, am 7. Oktober 2023 bei einem von der Terrororganisation „Hamas“ sowie verbündeten palästinensischen Milizen verübten Angriff vom Gazastreifen auf Israel hunderte friedliche Zivilpersonen vorsätzlich getötet und weitere Zivilpersonen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden. Mit seiner Äußerung brachte der Angeklagte zum Ausdruck, dass diese Taten nicht nur gut zu heißen seien, sondern seiner Meinung nach noch deutlicher hätten ausfallen sollen.
Dem Angeklagten war dabei bewusst, dass seine Äußerungen geeignet waren, in der deutschen Bevölkerung wenige Tage nach dem Angriff zu einem Gefühl von Rechtsunsicherheit zu führen sowie in Deutschland lebende Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufzubringen und ein die Begehung von Straftaten zum Nachteil von in Deutschland lebenden Juden und Israelis begünstigendes Klima zu schaffen.“
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Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf eine formelle Rüge und die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Er beantragt das angefochtene Urteil samt den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des gleichen Landgerichts zurückzuverweisen.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Vorlageschreiben vom 15. Mai 2025 beantragt, die Revision des Angeklagten als unbegründet kostenpflichtig zu verwerfen.
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Der Angeklagte hat hierauf mit Verteidigerschriftsatz vom 27. Juni 2025 erwidert.
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2. Die Revision erweist sich hinsichtlich der Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das versammlungsrechtliche Vermummungsverbot als offensichtlich unbegründet, § 349 Abs. 2 StPO. Hinsichtlich der Verurteilung wegen Billigung von Straftaten verhilft jedenfalls die Sachrüge der Revision zum Erfolg.
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a) Die Aufmachung des Angeklagten – ein über Mund und Nase gezogenes Kleidungsstück – war objektiv dazu geeignet, die Feststellung der Identität des Angeklagten zu verhindern. Die Strafbarkeit erfordert nicht, dass die Vermummung Erfolg hatte (Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 2. Auflage 2022, Rn. 20 zu § 17a VersammlG). Nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts, war sie den Gesamtumständen nach auch darauf gerichtet (vgl. Dürig-Friedl/Enders, a.a.O., Rn. 22). So prüfte der Angeklagte mehrfach den Sitz des Schals (UA S. 4). Die Verurteilung gem. Art. 20 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m Art. 16 Abs. 2 Nr. 1 BayVersG begegnet damit ebenso wenig rechtlichen Bedenken wie die diesbezüglichen Strafzumessungserwägungen des Landgerichts und die am unteren Rand des zutreffend festgestellten Strafrahmens angesiedelte Einzelstrafe von 30 Tagessätzen.
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b) Dagegen hält die Verurteilung wegen Billigung von Straftaten (§ 140 Nr. 2 StGB) revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
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Das Landgericht hat den im Fernsehen verbreiteten, vorzitierten Satz des Angeklagten dahingehend ausgelegt, dass er den am 7. Oktober 2023 von der Hamas und verbündeten Milizen ausgeführte Angriff gutheißt und dieser Angriff seiner Auffassung nach sogar noch deutlicher hätte ausfallen müssen (UA S. 6). Eine andere Auslegung hält das Landgericht für „völlig fernliegend“ (UA S. 7).
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Dem kann der Senat nicht folgen. Zwar ist zuzugeben, dass die vorbeschriebene Auslegung des geäußerten Satzes nahe liegt, wenn dieser für sich allein betrachtet wird. Allerdings ist weder die Frage des interviewenden Journalisten bekannt, noch weitere Teile des mit dem Angeklagten geführten Interviews. Der dem Angeklagten zur Last gelegte Satz ist vielmehr vom Sender nach unbekannten Kriterien aus einem Interview, dessen Gesamtlänge ebenso wie sein Verlauf unbekannt ist, herausgeschnitten worden. Wie das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend erkannt hat, ist für die Auslegung von Äußerungen, deren Strafbarkeit in Betracht kommt, die vom Bundesverfassungsgericht für Beleidigungen entwickelte Rechtsprechung heranzuziehen (Senatsbeschluss vom 26. Januar 2024, 206 StRR 362/23, NStZ 2024, 498, 499). Danach ist für die Deutung einer Äußerung die Ermittlung ihres objektiven Sinns aus Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums maßgeblich, wobei stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen ist. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht und von den erkennbaren Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine tragfähige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (ständige Rspr., z.B. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2009 – 1 BvR 2272/04 –, juris, Rn. 31).
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Vorliegend hat sich das Landgericht zwar mit den äußeren Umständen, unter denen sich der Angeklagte geäußert hat (Tatzeit wenige Tage nach dem Angriff vom 7. Oktober 2023, Versammlungsthema „Solidarität mit dem palästinensischen Volk“, zustimmende Gesten des Angeklagten zu „Allahu akbar“ sowie „Free Palestine“ – Rufen) auseinandergesetzt (UA S. 6/7). Es hat jedoch ausgeschlossen, dass sich aus dem Verlauf des ganzen Interviews eine andere Bedeutung des Satzes ergeben könnte (UA S. 9). Dies begegnet vor dem Hintergrund des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG durchgreifenden Bedenken. Insbesondere angesichts des ersten Satzteils („Für die Tat alleine habe ich kein Verständnis…“) ist es vielmehr keineswegs ausgeschlossen, dass sich der Angeklagte im vorangegangenen oder weiteren Gespräch gegenüber dem Journalisten differenzierter geäußert, den Terrorangriff vom 7. Oktober 2025 abgelehnt oder jedenfalls nicht gebilligt hat. In diesem Fall wäre der Sinngehalt der aus ihrem Zusammenhang gerissenen Äußerung letztlich auf die vom Sender vorgenommene Auswahl, die für die Sendung „Kontrovers“ nicht ausschließbar redaktionell zugespitzt war, zurückzuführen.
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Rechtlichen Bedenken begegnet überdies die Annahme des Landgerichts, die Äußerung des Angeklagten sei deshalb „öffentlich“ im Sinne des § 140 Nr. 2 StGB gewesen, weil sie gegenüber einem filmenden Journalisten erfolgte und der Angeklagte (daher) „damit rechnete, dass seine Äußerungen später im Fernsehen gegenüber einer unbekannten Zahl von Zuschauern ausgestrahlt werden würden.“ Das Interview des Angeklagten wurde nicht „live“ ausgestrahlt, sondern später vom Sender auf einen einzigen Satz gekürzt und redaktionell in einen vom Angeklagten nicht beeinflussbaren Zusammenhang gestellt. Dass der Angeklagte damit rechnete und es billigte, dass genau dieser Satz – sogar ohne die ihm vorausgehende Frage – ausgestrahlt werden würde, drängt sich daher nicht in einem solchen Maße auf, dass hierzu keine nähere Begründung erforderlich gewesen wäre.
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Auf diesen Mängeln beruht die Verurteilung des Angeklagten wegen Billigung von Straftaten. Der Senat vermag angesichts der aufgezeigten Mängel bei der Beweiswürdigung nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung, die wie ausgeführt im Lichte des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG zu erfolgen hat, zu einem anderen Beweisergebnis gekommen wäre.
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Auf die gleichfalls erhobene Rüge der Verletzung formellen Rechts kommt es daher nicht mehr an.
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Das Urteil war daher gemäß § 349 Abs. 4, § 353 StPO im tenorierten Umfang samt den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und insoweit gemäß § 354 Abs. 2 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückzuverweisen.