Inhalt

VGH München, Urteil v. 25.02.2025 – 21 B 20.1993
Titel:

Keine Unzuverlässigkeit eines Zahnarztes trotz Vorenthaltens von Arbeitsentgelt

Normenketten:
StGB § 53, § 266a Abs. 1
ZHG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 4 Abs. 2 S. 1
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Der Widerruf der Approbation als Zahnarzt ist rechtswidrig, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung keine hinreichende Prognose der zukünftigen Unzuverlässigkeit vorliegt. (Rn. 21, 23 und 32)
Schlagworte:
Berufsrecht der Ärzte, Widerruf der Approbation als Zahnarzt wegen Unzuverlässigkeit, drei Verurteilungen wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (Geldstrafen von 70, 180 und 150 Tagessätzen), Prognosetatsache: Eröffnung des Insolvenzverfahrens, Restschuldbefreiungsverfahren; positiver Verlauf von etwa 1,5 Jahren bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, Approbation, Widerruf, Zahnarzt, Unzuverlässigkeit, Vorenthalten von Arbeitsentgelt, Insolvenzverfahren, entscheidungserheblicher Zeitpunkt
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 10.09.2018 – W 7 K 17.174
Fundstellen:
ZInsO 2025, 2222
BeckRS 2025, 15684
LSK 2025, 15684

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 10. September 2018 geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 12. Januar 2017 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Approbation als Zahnarzt.
2
Dem im Jahr … geborenen Kläger wurde vom Bayerischen Staatsministerium des Inneren mit Urkunde vom 17. Januar 1990 die Approbation als Zahnarzt erteilt. Seit 1. März 1991 betreibt der Kläger eine Zahnarztpraxis.
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Der Kläger ist mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten, insbesondere ergingen folgende Strafurteile:
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a) Mit Urteil des Amtsgerichts … vom 25. September 2007 (rechtskräftig seit 3. Oktober 2007) wurde der Kläger wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 11 tatmehrheitlichen Fällen gemäß §§ 266a, 53 StGB zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 70,00 EUR verurteilt.
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b) Mit Urteil des Amtsgerichts … vom 2. Juli 2010 (rechtskräftig seit 2. Juli 2010) wurde der Kläger wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß §§ 266a Abs. 1 und 3, 53 StGB in 31 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 65,00 EUR verurteilt.
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c) Mit Urteil des Amtsgerichts … vom 18. Januar 2016 (rechtskräftig seit 16. August 2016) wurde der Kläger wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 12 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 60 EUR verurteilt. In den Urteilsgründen stellte das Gericht u.a. fest, der Kläger habe insgesamt 4.882,96 EUR angefallene Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht oder nur verspätet an die zuständigen Einzugsstellen abgeführt. Strafmildernd wurde berücksichtigt, dass der Kläger sich geständig gezeigt hat und die Rückstände mittlerweile bezahlt hat, dass die Tatzeiten (Februar 2013 bis September 2013) lange zurückliegen sowie der relativ geringe Schaden. Strafschärfend wurden insbesondere die zwei einschlägigen Voreintragungen berücksichtigt.
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Mit Bescheid vom 12. Januar 2017 widerrief die Regierung von Unterfranken die Approbation des Klägers als Zahnarzt. Aus einer Gesamtschau der strafrechtlichen Verfehlungen des Klägers, insbesondere aus dem Sachverhalt, der dem Urteil vom 18. Januar 2016 zugrunde liege, ergebe sich die Unzuverlässigkeit und Unwürdigkeit des Klägers, den zahnärztlichen Beruf weiterhin auszuüben. Der Kläger sei unzuverlässig zur weiteren Berufsausübung, da er wiederholt wegen gleichartiger oder ähnlicher (Vermögens-)Delikte straffällig geworden sei. Die Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen stelle eine schwerwiegende Verletzung der Berufspflichten dar. Wegen der angespannten wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers – nach den Feststellungen im Strafurteil vom 18. Januar 2016 stünden dem monatlichen Einkommen des Klägers als selbständiger Zahnarzt von 2.000.- EUR Schulden in Höhe von 400.000.- EUR aus diversen Darlehen gegenüber – sei zu befürchten, dass er auch in Zukunft versucht sein werde, sich durch kriminelles Handeln „Abhilfe“ zu verschaffen. Der Kläger habe sich durch frühere strafrechtliche Verurteilungen nicht beeindrucken lassen, was zumindest eine charakterliche Fehlhaltung und ein fehlendes soziales Verantwortungsbewusstsein bzw. Sorglosigkeit hinsichtlich der einzuhaltenden Berufspflichten darstelle, die für die Zukunft keine alsbaldige Verhaltensänderung erwarten lasse.
8
Ein im Oktober 2013 gestellter Fremdantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers wurde mit Beschluss des Amtsgerichts … mit Beschluss vom 17. Dezember 2013 mangels Masse abgelehnt. Es erfolgte die Eintragung des Klägers in das Schuldnerverzeichnis. Der Kläger gab am 28. März 2014 die Vermögensauskunft ab.
9
Am 1. Juli 2015 stellte der Kläger einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Restschuldbefreiung (§§ 287 ff. InsO). Mit Beschluss des Amtsgerichts … vom 7. November 2018 wurde dem Kläger vorzeitig Restschuldbefreiung erteilt. Mit Beschluss des Amtsgerichts … vom 28. Januar 2022 wurde das Insolvenzverfahren nach Abhalten des Schlusstermins im schriftlichen Verfahren und Vollzug der Schlussverteilung aufgehoben.
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Gegen den Bescheid ließ der Kläger am 20. Februar 2017 Anfechtungsklage zum Verwaltungsgericht Würzburg erheben. In der mündlichen Verhandlung vom 10. September 2018 erklärte die Vertreterin des Beklagten, im Falle einer Klagerücknahme käme eine Wiedererteilung der Approbation frühestens zum August 2019, also drei Jahre nach Rechtskraft der letzten Verurteilung in Betracht. Die Klägerseite erklärte, der Kläger habe seine finanzielle Situation inzwischen geordnet. So komme aufgrund des derzeit laufenden Insolvenzverfahrens voraussichtlich noch im September 2018 die Restschuldbefreiung zum Tragen.
11
Das Verwaltungsgericht Würzburg hat die Klage mit Urteil vom 10. September 2018 abgewiesen. Im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung hätten die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZHG vorgelegen. Der Kläger sei für die Ausübung des zahnärztlichen Berufs unzuverlässig. Seit dem Jahr 2007 sei der Kläger drei Mal wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt verurteilt worden, zuletzt mit Urteil vom 18. Januar 2016. Zwar beträfen diese Verurteilungen nicht das unmittelbare Verhältnis zwischen Arzt und Patient, seien aber berufsbezogen. Seit der Praxisübernahme im Jahr 1999 sei der Kläger hoch verschuldet. Im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung habe sich der Kläger in einer problematischen finanziellen Lage befunden, wie dem Strafurteil zu entnehmen sei. Daran ändere auch die voraussichtlich bevorstehende Restschuldbefreiung des Klägers im September 2018 nichts. Schließlich spreche die Fülle der seit dem Jahr 1995 begangenen und abgeurteilten Straftaten für die Tendenz des Klägers zur Missachtung der Rechtsordnung und die negative prognostische Einschätzung. Im vorliegenden Einzelfall handele es sich jedoch nicht um derart gravierende Verfehlungen, die auch ein Unwürdigkeitsurteil gegen den Kläger rechtfertigen würden.
12
Der Kläger hat gegen das am 15. Oktober 2018 zugestellte Urteil am 15. November 2018 die Zulassung der Berufung beantragen lassen.
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Der Kläger hat seine mit Beschluss des Senats vom 3. September 2020 zugelassene Berufung wie folgt begründet: Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht von seiner Unzuverlässigkeit zur Ausübung des zahnärztlichen Berufs ausgegangen. Die von der Beklagten getroffene Prognose, dass die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers erwarten ließen, dass er in Zukunft Zahlungspflichten nicht nachkommen werde, sei nicht zutreffend. Für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit des Klägers komme es allein auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, also den Erlass des streitgegenständlichen Bescheids vom 12. Januar 2017 an. Der Kläger habe bereits anderthalb Jahre zuvor am 1. Juli 2015 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Restschuldbefreiung gestellt gehabt. Im seither laufenden Insolvenzverfahren habe der Kläger die im Verfahren festgelegten monatlichen Raten erbracht und die Forderungen des Insolvenzverwalters erfüllt. Dies habe dazu geführt, dass das Amtsgericht … dem Kläger mit Beschluss vom 7. November 2018 vorzeitig Restschuldbefreiung erteilt habe. Dem Kläger sei es durch diszipliniertes und zuverlässiges Verhalten gelungen, Schuldentilgung zu bewirken. Hätte die Prognose am 12. Januar 2017 das Verhalten des Klägers im laufenden Insolvenzverfahren berücksichtigt, wäre sie nicht negativ ausgefallen. Die Lebensumstände, in denen sich der Kläger zum Zeitpunkt der Entscheidung am 12. Januar 2017 befunden habe, ließen Verstöße gegen seine Berufspflichten objektiv nicht befürchten und begründen.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 10. September 2018 abzuändern und den Bescheid des Beklagten vom 12. Januar 2017 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Nach Auffassung des Beklagten ist der Kläger in einer Gesamtschau seines Verhaltens unzuverlässig für die Ausübung des zahnärztlichen Berufs. Die wirtschaftliche Situation des Klägers als praktizierender Zahnarzt sei in seiner eigenen Verantwortung gelegen. Der Kläger habe – obwohl er deswegen bereits rechtskräftig verurteilt worden war – des Öfteren riskiert, dass die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung wegen nicht ausreichender Deckung seines Lastschriftkontos zeitweise nicht (rechtzeitig) abgeführt worden seien. Die Befürchtung des Beklagten, es könne wegen der angespannten finanziellen Situation des Klägers zu weiteren Straftaten und Verstößen gegen beruflicher Verpflichtungen kommen, werde auch nicht dadurch widerlegt, dass dem Kläger vom Amtsgericht … mit Beschluss vom 7. November 2018 vorzeitig Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren erteilt worden sei. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sei der Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung. Weitere Entwicklungen seien ausschließlich in einem Verfahren zur Wiedererteilung der zahnärztlichen Approbation zu berücksichtigen.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die Behördenakten Bezug genommen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

20
Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg.
21
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die zulässige Anfechtungsklage begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 12. Januar 2017, in dem der Widerruf der dem Kläger erteilten Approbation als Zahnarzt verfügt wurde, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 12 Abs. 1 GG). Im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung lagen die Voraussetzungen für den Widerruf der Approbation als Zahnarzt nicht vor.
22
1. Rechtliche Grundlage für den Widerruf der zahnärztlichen Approbation ist § 4 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde (ZHG). Danach ist Voraussetzung für den Widerruf der Approbation als Arzt, dass sich der Betreffende nachträglich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des zahnärztlichen Berufs ergibt. Die Merkmale der Unwürdigkeit und der Unzuverlässigkeit sind jeweils eigenständige unbestimmte Rechtsbegriffe, die der Behörde weder einen Beurteilungs- noch einen Ermessensspielraum eröffnen (vgl. BVerwG, U.v. 26.9.2002 – 3 C 37.01 – juris Rn. 28; BayVGH, U.v. 28.3.2007 – 21 B 04.3153 – juris Rn. 21, 23; BayVGH, U.v. 28.4.2010 – 21 BV 09.1993 – juris Rn. 17). Liegen die Voraussetzungen für einen Widerruf der Approbation vor, ist dieser zwingend auszusprechen (BayVGH, B.v. 14.9.2021 – 21 CS 21.2087 – juris Rn. 31).
23
Unter Würdigung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalles rechtfertigen nach der Überzeugung des Senats die mit Urteil des Amtsgerichts … vom 18. Januar 2016 geahndeten Taten (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) auch unter Berücksichtigung der einschlägigen Vorverurteilungen nicht die Annahme der Unzuverlässigkeit des Klägers zur Ausübung des zahnärztlichen Berufs. Im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung – ausgehend von der objektiven Sachlage – lässt sich nach den gesamten Umständen des Falles die Prognose der zukünftigen unzuverlässigen Berufsausübung nicht treffen.
24
Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht bereits festgestellt, dass es sich im vorliegenden Einzelfall bei den strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers nicht um derart gravierende Verfehlungen handelt, die ein Unwürdigkeitsurteil gegen den Kläger rechtfertigen würden. Die Pflichtverstöße erreichen nicht den für die Annahme der Unwürdigkeit erforderlichen Schweregrad. Auf die entsprechenden Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts wird Bezug genommen (vgl. UA S. 17 ff.)
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1.1 Unzuverlässig im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZHG (entsprechend § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO) ist, wer aufgrund seines bisherigen Verhaltens keine Gewähr dafür bietet, dass er in Zukunft seinen Beruf als (Zahn-)Arzt ordnungsgemäß ausüben wird (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1997 – 3 C 12.95 – juris Rn. 25 m.w.N.; BayVGH, U.v. 28.3.2007 – 21 B 04.3153 – juris Rn. 21). Danach ist eine „Unzuverlässigkeit“ zu bejahen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der (Zahn-)Arzt werde in Zukunft die berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten nicht beachten. Dem Begriff der Unzuverlässigkeit wohnt wegen seiner Zukunftsbezogenheit ein prognostisches Element inne. Es geht um die Beantwortung der Frage, ob der (Zahn-)Arzt nach den gesamten Umständen des Falles willens und in der Lage sein wird, künftig die (zahn-)ärztlichen Berufspflichten zuverlässig zu erfüllen (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2010 – 3 C 22.09 – juris Rn. 10; B.v. 27.10.2010 – 3 B 61.10 – juris Rn. 5; B.v. 31.7.2019 – 3 B 7.18 – juris Rn. 15). Bei der insofern anzustellenden Prognose ist auf die jeweilige Situation des (Zahn-)Arztes im für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (stRspr BVerwG, B.v. 28.4.1998 – 3 B 174.97 – juris Rn. 5; U.v. 26.9.2002 – 3 C 37.01 – juris Rn. 28; B.v. 31.7.2019 – 3 B 7.18 – juris Rn. 9; BayVGH, U.v. 28.3.2007 – 21 B 04.3153 – juris Rn. 21, 23; U.v. 28.4.2010 – 21 BV 09.1993 – juris Rn. 17) sowie auf seinen vor allem durch die Art, die Schwere und Zahl der Verstöße gegen Berufspflichten manifest gewordenen Charakter abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1997 – 3 C 12.95 – juris Rn. 25 m.w.N.). Ausschlaggebend für die Prognose ist eine Würdigung der gesamten Persönlichkeit des (Zahn-)Arztes und seiner Lebensumstände auf der Grundlage der Sachlage im Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1997 – 3 C 12.95 – juris Rn. 25 m.w.N.; U.v. 26.9.2002 – 3 C 37.01 – juris Rn. 21; BayVGH, U.v. 28.3.2007 – 21 B 04.3153 – juris Rn. 21). Für die Annahme der Unzuverlässigkeit eines (Zahn-)Arztes muss aus seinem in der Vergangenheit liegenden Verhalten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geschlossen werden können, dass der (Zahn-)Arzt auch in Zukunft seinen Berufspflichten nicht mehr genügen werde, wobei für die Prognoseentscheidung die begründete Besorgnis genügt, der (Zahn-)Arzt werde den genannten Pflichten und Anforderungen nicht mehr zuverlässig gerecht (vgl. BayVGH, U.v. 28.4.2010 – 21 BV 09.1993 – juris Rn. 17; B.v. 14.9.2021 – 21 CS 21.2087 – juris Rn. 32).
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1.2 Für die anzustellenden Prognose der beruflichen Unzuverlässigkeit ist auf die im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung objektiv bestehende Sachlage abzustellen. Das (Tatsachen-)Gericht hat den Sachverhalt bezogen auf diesen Zeitpunkt gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO von Amts wegen zu ermitteln und auf dieser Grundlage zu würdigen, ob der (Zahn-)Arzt im rechtlich entscheidenden Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zur weiteren Ausübung des (zahn-) ärztlichen Berufs unzuverlässig war oder nicht (zum vergleichbaren Fall der Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs vgl. BVerwG, U.v. 11.7.1985 – 7 C 33.83 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 14.9.2021 – 21 CS 21.2087 – juris Rn. 38). Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind daher auch solche Tatsachen, Umstände und Erkenntnismittel heranzuziehen und zu bewerten, die zwar erst nach der letzten Behördenentscheidung der Behörde bekannt geworden sind, die aber im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung bereits vorlagen (vgl. Schelling in Spickhoff, Medizinrecht, 4. Aufl. 2022, BÄO § 5 Rn. 21; Laufs/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztrechts, 5. Aufl. 2019, § 8 Rn. 42 und 74; OVG Saarland, U.v. 29.5.2013 – 1 A 306/12 – juris Rn. 39).
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1.3 Als der Unzuverlässigkeitsprognose zugrundeliegendes Fehlverhalten des Klägers in der Vergangenheit sind seine wiederholten Verurteilungen wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (Urteile des Amtsgerichts … von 18. Januar 2016, 2. Juli 2010 und 25. September 2007) heranzuziehen. Diese abgeurteilten Taten waren ursächlich auf die zur Zeit der Tatbegehung jeweils äußerst angespannte finanzielle Situation des Klägers zurückzuführen. Den Verurteilungen lag jeweils das nicht fristgerechte oder nicht vollständige Abführen der für seine Arbeitnehmer in der Zahnarztpraxis angefallenen Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung zugrunde. Nach den Einlassungen des Klägers erfolgte die verspätete Zahlung, weil die kontoführende Bank wegen gesunkener Einkünfte des Klägers die Kontokorrentlinie zurückgefahren hatte und weil die jeweiligen Lastschriften der Krankenkassen mangels Kontodeckung oder anderweitiger Kontopfändung nicht eingelöst wurden. Verhaltensweisen, die die korrekte Abführung der für die Beschäftigten eines selbständigen Zahnarztes anfallenden Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung betreffen, sind berufsbezogen, d.h. mit der eigentlichen ärztlichen Tätigkeit in Zusammenhang stehende Handlungen und Unterlassungen. Das einer Verurteilung wegen einer Straftat nach § 266a StGB zugrundeliegende Fehlverhalten stellt daher auch eine berufliche Pflichtverletzung des Klägers als freiberuflich tätiger Zahnarzt dar. Durch das Nichtabführen von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung offenbart sich ein Mangel an sozialem Verantwortungsbewusstsein.
28
Das Verwaltungsgericht ging – unter Außerachtlassung des bereits am 1. Juli 2015 auf Antrag des Klägers eröffneten Insolvenzverfahrens und des eingeleiteten Restschuldbefreiungsverfahrens (§§ 287 ff. InsO) – im Hinblick auf die finanzielle Situation des Klägers davon aus, dass dieser seit Praxisübernahme im Jahr 1999 hoch verschuldet war. Es hat weiter in den Urteilsgründen Folgendes ausgeführt: Dem Strafurteil vom 18. Januar 2016 sei zu entnehmen, dass einem monatlichen Einkommen des Klägers von ca. 2.000.- EUR Verbindlichkeiten in Höhe von etwa 400.000.- EUR gegenüberstünden. Dies lasse befürchten, dass es zu weiteren Verstößen gegen berufliche Verpflichtungen kommen könne. Daran ändere auch nichts, dass den Krankenkassen finanziell kein Schaden entstanden sei, weil die nicht fristgerecht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge nachbezahlt worden seien, sowie die voraussichtlich bevorstehende Restschuldbefreiung des Klägers im September 2018. Für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit des Klägers komme es allein auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an. Schließlich spreche auch die Fülle der seit dem Jahr 1995 begangenen und abgeurteilten Straftaten für die Tendenz des Klägers zur Missachtung der Rechtsordnung und die negative prognostische Einschätzung. Eine Gesamtschau ergebe, dass der Kläger charakterliche Mängel gezeigt habe, welche im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt die Besorgnis begründeten, dass der Kläger auch zukünftig seine Pflichten als Zahnarzt nicht beachten werde.
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1.4 Diesen Ausführungen und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts folgt der Senat nicht:
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Entgegen der Maßgabe, dass für die Prognosebeurteilung entscheidend auf die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (12. Januar 2017) objektiv bestehende Sachlage abzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht im Rahmen der Unzuverlässigkeitsprognose nicht berücksichtigt, dass am 1. Juli 2015 auf Antrag des Klägers ein Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet wurde, das die Vermögenssituation des Klägers maßgeblich beeinflusst hat und erhebliche Auswirkungen auf die zu prognostizierende Unzuverlässigkeit wegen zu befürchtender weiterer Vermögensdelikte in der Zukunft hat. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr das bereits laufende Insolvenzverfahren, das in diesem Zusammenhang gezeigte Wohlverhalten des Klägers und die Aussicht auf Sanierung der Vermögensverhältnisse des Klägers bis zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses zu Unrecht nicht gewürdigt. Soweit sich das Verwaltungsgericht darauf berufen hat, dass es sich bei der voraussichtlich im September 2018 eintretenden vorzeitigen Restschuldbefreiung des Klägers um einen nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung eintretenden Umstand handele, der für die Prognose nicht zu berücksichtigen sei (UA S. 14 f.), ist zwar zutreffend, dass der Beschluss des Amtsgerichts … vom 7. November 2018, in dem dem Kläger vorzeitig Restschuldbefreiung erteilt wurde, nach dem maßgeblichen Zeitpunkt erlassen wurde und er daher als solcher nicht für die Prognose berücksichtigt werden konnte. Insoweit handelt es sich um nachträgliche Umstände, deren Berücksichtigung ggf. einem Wiedererteilungsverfahren zugewiesen wären (BVerwG, B.v. 27.10.2010 – 3 B 61/10 – juris Rn. 8).
31
Der Umstand aber, dass das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers am 1. Juli 2015 eröffnet wurde, sowie die weitere Entwicklung des laufenden Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahrens, das Verhalten des Klägers in diesem Zusammenhang und die Einschätzung der Erfolgsaussichten des Insolvenzverfahrens bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, haben im vorliegenden Fall für die maßgeblich von der Entwicklung der finanziellen Situation des Klägers abhängende Unzuverlässigkeitsprognose entscheidende Bedeutung. Sie stellen die im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids bestehende und relevante Tatsachenlage dar und sind daher in die Prognose einzustellen.
32
1.5 Nach der Überzeugung des Senats ist im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung unter Berücksichtigung aller Umstände – einschließlich des seit 1. Juli 2015 eröffneten Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers und dessen Verlauf bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt – eine negative Prognose der Zuverlässigkeit des Klägers nicht gerechtfertigt.
33
Der Kläger hatte am 1. Juli 2015 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Restschuldbefreiung (§§ 287 ff. InsO) gestellt. Zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung hatte der Kläger bereits anderthalb Jahre im Insolvenzverfahren die im Verfahren festgelegten monatlichen Raten erbracht und die sonstigen Forderungen des Insolvenzverwalters erfüllt. Durch das positiv verlaufende Insolvenzverfahren wird ersichtlich, dass der Kläger durchaus sowohl den Willen hatte, seine schwierige finanzielle Situation zu überwinden, als auch, dass er ein diszipliniertes und zuverlässiges Verhalten in Abstimmung mit dem Insolvenzgericht an den Tag gelegt hatte, um sein Ziel der Restschuldbefreiung erreichen zu können. Durch das laufende Insolvenzverfahren befand sich der Kläger im Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 12. Januar 2017 auf einem guten und erfolgversprechenden Weg zur Stabilisierung seiner Vermögensverhältnisse. Es bestand die begründete Aussicht auf eine Sanierung seiner Vermögensverhältnisse infolge der im Insolvenzverfahren durchzuführenden Maßnahmen. Dementsprechend bestand keine hinreichende Gefahr, dass sich der Kläger trotz laufenden Insolvenzverfahrens erneut wegen eines Vermögensdelikts in der Zukunft strafbar machen würde. Durch seine positive Mitarbeit im Insolvenzverfahren und sein die finanzielle Situation regelndes und stabilisierendes Verhalten hat der Kläger deutlich gemacht und nachgewiesen, dass er sich von seinen früheren strafrechtlichen Verurteilungen beeindrucken ließ und nachhaltig eine Verhaltensänderung im Hinblick auf die Stabilisierung seiner Vermögensverhältnisse betrieb. Seine Persönlichkeit war im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses so gefestigt, dass im Hinblick auf den Kläger keine Tendenz zur Missachtung der Rechtsordnung, eine charakterliche Fehlhaltung, fehlendes soziales Verantwortungsbewusstsein und Sorglosigkeit hinsichtlich der einzuhaltenden Berufspflichten prognostiziert werden kann.
34
Eine negative prognostische Einschätzung dahingehend, dass sich der Kläger -entsprechend seiner strafrechtlich abgeurteilten Taten in der Vergangenheit – auch künftig nicht an die ihm auferlegten Regeln und Pflichten halten wird und weitere Verstöße gegen seine Berufspflichten zu befürchten sind, lässt sich im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung bei einer Gesamtbetrachtung aller vorhandenen tatsächlichen Umstände und einer Würdigung der gesamten Persönlichkeit des Klägers und seiner Lebensumstände nicht rechtfertigen.
35
Nach alledem ist die Berufung des Klägers erfolgreich. Der angefochtene Widerrufsbescheid ist aufzuheben und das Urteil des Verwaltungsgerichts entsprechend abzuändern.
36
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
37
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).