Titel:
Fachrichtungswechsel, wichtiger Grund, Chemie, Asthma bronchiale
Normenkette:
BAföG § 7 Abs. 3
Schlagworte:
Fachrichtungswechsel, wichtiger Grund, Chemie, Asthma bronchiale
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 11.03.2025 – AN 2 E 25.228
Fundstelle:
BeckRS 2025, 15676
Tenor
I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 11. März 2025 – AN 2 E 25.228 – wird aufgehoben.
II. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab 28. Januar 2025 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache die beantragte Ausbildungsförderung zu gewähren.
III. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Eilverfahrens in beiden Rechtszügen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
IV. Der Antragstellerin wird für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt … … … beigeordnet.
Gründe
1
Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 11. März 2025 ist begründet. Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Ausbildungsförderung für ihr Studium Lehramt an Realschulen in den Fächern Mathematik und Wirtschaftswissenschaften an der ...-Universität ... hinreichend glaubhaft gemacht.
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1. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat die Antragstellerin hinreichend belastbare Anhaltspunkte für ihre mangelnde Eignung für das Chemiestudium und damit das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG für den vorgenommenen Fachrichtungswechsel glaubhaft gemacht.
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Ein wichtiger Grund für einen Fachrichtungswechsel ist gegeben, wenn der Auszubildenden unter Berücksichtigung der im Rahmen der Ausbildungsförderung erheblichen Umstände einschließlich der mit der Förderung verbundenen persönlichen und öffentlichen Interessen die Fortsetzung der bisherigen Ausbildung nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 21.6.1990 – 5 C 45/87 – juris Rn. 11 m.w.N.). Ein solcher wichtiger Grund kann insbesondere ein Eignungsmangel sein, also etwa ein Mangel der körperlichen Eignung. Dies gilt grundsätzlich unter der Voraussetzung, dass der Eignungsmangel für die Auszubildende vor Aufnahme der Ausbildung nicht erkennbar war. Die Auszubildende muss überzeugend darlegen, warum ihr der Eignungsmangel bei Aufnahme der Ausbildung verborgen geblieben ist (Steinweg in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 8. Aufl. 2024, § 7 Rn. 137 und 139). Eignungsmängel, die durch rechtzeitige zumutbare Vorkehrungen hätten vermieden werden können, sind nicht geeignet, als wichtiger Grund für einen Fachrichtungswechsel Anerkennung zu finden (vgl. BVerwG, B.v. 14.12.1979 – 5 ER 243/79 – juris Rn. 5).
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Gemessen an diesem Maßstab hat die Antragstellerin einen wichtigen Grund im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG glaubhaft gemacht. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts ist der Antragstellerin ihre Unkenntnis bezüglich ihrer körperlichen Ungeeignetheit vor Aufnahme des Chemiestudiums nicht vorwerfbar.
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Zwar trifft sie die Pflicht zur umsichtigen und zielstrebigen Planung und Durchführung der Ausbildung (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 23.5.1989 – 5 B 117/88 – juris Rn. 2 m.w.N.). Allerdings konnte sie nachvollziehbare, hinreichend belastbare Anhaltspunkte dafür glaubhaft machen, dass es für sie trotz ihrer langjährigen Asthmaerkrankung keinen Anlass gab, sich bereits vor Aufnahme des Chemiestudiums mit etwaigen gesundheitlichen Folgen einer Labortätigkeit auseinanderzusetzen, und es ihr somit nicht möglich war, ihre fehlende Eignung vorab zu erkennen.
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Die Antragstellerin hat ausführlich dargelegt und an Eides Statt versichert, dass sie bis zum Praktikum im zweiten Fachsemester Chemie keinerlei praktische Erfahrungen mit Labortätigkeiten hatte. Erstmals während des Studiums war sie mit chemischen Substanzen im Rahmen von Laborarbeit konfrontiert und musste dort die Verschlimmerung ihrer Beschwerden feststellen. Vor diesem Hintergrund ist für den Senat nachvollziehbar dargelegt, weshalb der Antragstellerin ihr Eignungsmangel zunächst verborgen geblieben war. Ohne einschlägige negative Erfahrung gab es für sie keinen Anlass, an ihrer Eignung für ein Chemiestudium ernsthaft zu zweifeln.
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Der Einwand des Verwaltungsgerichts, die Antragstellerin hätte das Gespräch mit der Studienberatung suchen müssen, ist nicht zielführend, weil diese offensichtlich keine medizinische Beratung oder gar eine Prognose bezüglich der gesundheitlichen Eignung der Antragstellerin hätte vornehmen können. Auch der behandelnde Arzt hätte zwar möglicherweise das Risiko einer Verschlimmerung ihrer Beschwerden erkannt. Wie sehr die Antragstellerin jedoch beeinträchtigt sein würde, hätte sich abstrakt nicht mit hinreichender Gewissheit vorhersagen lassen. Auf dieser Grundlage bereits eine mangelnde Eignung anzunehmen und das Studium schon gar nicht aufzunehmen, überspannt die Anforderungen an eine umsichtige und zielstrebige Planung der Ausbildung. Dies gilt umso mehr unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die darauf abstellt, dass sich die Auszubildende (erst) „Gewissheit“ über die fehlende Eignung und Neigung verschafft haben muss; sodann trifft sie die Pflicht, unverzüglich die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen (vgl. BVerwG, U.v. 21.6.1990 – 5 C 45/87 – juris Rn. 13).
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Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts hat die Antragstellerin darüber hinaus auch glaubhaft gemacht, dass ihre Erkrankung tatsächlich zu einem Eignungsmangel führt. Maßstab ist hierfür nicht, dass die Antragstellerin „generell ungeeignet“ wäre, sondern dass ihr die Fortsetzung des Studiums mit dem Hauptfach Chemie aufgrund ihrer Erkrankung nicht zumutbar ist. Hierfür musste sie nicht glaubhaft machen, dass auch weitere Medikamente über ein Asthmaspray hinaus oder etwa Schutzmasken keinen Schutz böten. Vielmehr genügt es, dass sie nachvollziehbar dargelegt und glaubhaft gemacht hat, dass sie während laborbezogener Tätigkeiten mit Chemikalien an wiederholten Hustenanfällen und Atemnot litt und der Umgang mit chemische Substanzen ihre gesundheitlichen Beschwerden massiv verschlimmerten. Dieses Vorbringen genügt für die Annahme eines Eignungsmangels. Es war der Antragstellerin nicht zumutbar, sich im Rahmen von Labortätigkeiten weiteren unkalkulierbaren gesundheitlichen Risiken auszusetzen und ihre Belastungsgrenze gleichsam auszutesten. Dies gilt umso mehr, als in der Eingangsphase, d.h. bis zum Ablauf des ersten Jahres der Ausbildung geringere, mit zunehmender Dauer der bisherigen Ausbildung entsprechend höhere Anforderungen an die Anerkennung eines wichtigen Grundes zu stellen sind (vgl. BVerwG, U.v. 21.6.1990 – 5 C 45/87 – juris Rn. 17).
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2. Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Aufgrund der dargelegten und an Eides statt versicherten Einkommens- und Vermögensverhältnisse kann der Antragstellerin ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr zugemutet werden. Sie hat zudem mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 15. Mai 2025 klargestellt, dass sie keine rückwirkende, vorläufige Leistungsgewährung begehrt, sondern erst für den Zeitraum ab Stellung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
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4. Die Beschwerde ist auch begründet, soweit sie sich gegen Ziffer 3 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 11. März 2025, also gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe richtet. Hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne des § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO sind wie ausgeführt zu bejahen. Da die Antragstellerin die Kosten der Prozessführung nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen nicht aufbringen kann, ist ihr Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung zu bewilligen.
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5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).