Titel:
Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung in einem freizügigkeitsrechtlichen Verfahren
Normenkette:
FreizügG/EU § 2 Abs. 1, § 6
Leitsätze:
1. Bei einer auf spezialpräventive Gründe gestützten Verlustfeststellung können im Rahmen der Gefahrenprognose auch die Lebensverhältnisse des Betroffenen im Hinblick auf eine mangelnde wirtschaftliche Integration berücksichtigt werden. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Falle einer langfristig fortbestehenden Gefährdungsprognose auch bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (Anschluss an BVerwG BeckRS 2007, 27261). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Freizügigkeitsrecht (bulgarischer Staatsangehöriger), Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt, Verurteilung in Österreich u.a. wegen Aktivitäten in einer terroristischen Vereinigung („Islamischer, Staat“), sog. Syrien-Rückkehrer, Gefahrenprognose (nicht ausschließlich wegen der Tatsache der strafrechtlichen Verurteilung), keine glaubhafte Distanzierung, nach Angaben des Klägers ungeeigneter Dolmetscher im Strafverfahren, Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 20 Jahre nicht zu beanstanden, Freizügigkeit, Verlustfeststellung, strafrechtliche Verurteilungen, Wiederholungsgefahr, Gefahrenprognose, langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 11.03.2025 – M 4 K 24.2811
Fundstelle:
BeckRS 2025, 15670
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger, ein zur türkischen Minderheit gehörender bulgarischer Staatsangehöriger, seine in erster Instanz erfolglose Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 13. Mai 2024 weiter. Darin wurde der Verlust des Rechts des Klägers auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet festgestellt, die Einreise und der Aufenthalt befristet für zwanzig Jahre untersagt sowie der Kläger zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland aufgefordert und ihm die Abschiebung nach Bulgarien angedroht.
2
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die geltend gemachten ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch eine Abweichung von der obergerichtlichen Rechtsprechung (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO).
3
1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
4
Solche Zweifel bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Die von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geforderte Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert innerhalb der Zulassungsbegründungsfrist von zwei Monaten eine konkret fallbezogene und hinreichend substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung; es muss dargelegt werden, dass und weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- und Tatsachenfragen unrichtig entschieden hat (BayVGH, B.v. 29.4.2020 – 10 ZB 20.104 – juris Rn. 3), wobei „darlegen“ schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis bedeutet; „etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – juris Rn. 3 m.w.N.). Diese Anforderungen verfehlt das Zulassungsvorbringen.
5
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Verlustfeststellung sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Der 1994 in Bulgarien geborene bulgarische Staatsangehörige, der dortigen türkischen Minderheit angehörend, sei 2015 mit seinen Eltern in die Türkei umgezogen und von dort aus Ende März 2015 nach Syrien in das Herrschaftsgebiet der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat (IS) eingereist, wo er am Aufbau einer radikal islamistisch ausgerichteten sozialen Infrastruktur des IS mitgewirkt und an einer Ausbildung als Kämpfer des IS teilgenommen habe. Anfang Juli 2015 sei er mit seinen Eltern und seinem Bruder nach Wien übergesiedelt. Dort habe er im „Islamischer Kulturverein Wien für alle Muslime“ Kontakt mit Sympathisanten des IS aufgenommen und unter Verwendung seiner in Syrien angeeigneten Kenntnisse neue Mitglieder für den IS zur Durchführung von Terroranschlägen in Europa, insbesondere auch in Österreich, angeworben. Nach seiner Verhaftung am 26. Januar 2017 sei er mit Urteil vom 28. November 2018 vom Landgericht für Strafsachen Graz zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren (vorsätzliche Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung) verurteilt worden und am 13. Oktober 2022 aus der Haft heraus nach Bulgarien abgeschoben worden. Von dem am 15. Januar 2023 in das Bundesgebiet eingereisten Kläger, der seine Freiheitsstrafe noch nicht vollständig verbüßt habe, gehe nach wie vor eine Wiederholungsgefahr aus. Er habe keine Einsicht in die Schwere, Tragweite und Gefährlichkeit seines Verhaltens erkennen lassen. Von einem Abstandnehmen könne keine Rede sein. Die Verlustfeststellung sei insbesondere auch verhältnismäßig und ermessenfehlerfrei erfolgt. Soweit der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen habe, eine bulgarische Freundin, die in Köln lebe, zu haben, sei dies nicht Anlass, die Ermessensentscheidung abzuändern. Der Kläger sei in Bulgarien aufgewachsen und kenne die Kultur seines Heimatlandes gut.
6
Das Zulassungsvorbringen des Klägers zieht diese Erwägungen nicht durchgreifend in Zweifel.
7
a) Die Annahme des Verwaltungsgerichts, vom Kläger gehe eine erhebliche Wiederholungsgefahr aus, erweist sich auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der Senatsentscheidung (BayVGH, U.v. 27.9.2022 – 10 B 22.263 – BeckRS 2022, 31549 – Rn. 20) als zutreffend.
8
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU u.a. aus Gründen der öffentlichen Ordnung festgestellt werden. Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU genügt die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung für sich allein nicht, um die Verlustfeststellung zu begründen. Es dürfen nach § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU nur im Bundeszentralregister nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zugrundeliegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss gemäß § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gemeinschaft berührt. Bei der demnach allein auf spezialpräventive Gründe zu stützenden Verlustfeststellung hat das Verwaltungsgericht eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Dabei sind die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Umstände der Begehung der Straftat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (stRspr, siehe z.B. BayVGH, U.v. 21.5.2019 – 10 B 19.55 – juris Rn. 27).
9
Gemessen daran geht vom Kläger noch eine Wiederholungsgefahr aus. Das Zulassungsvorbringen rügt insofern – großteils lediglich unter Wiedergabe des Ablaufs der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht – zu Unrecht, dass das angefochtene Urteil an einem Ermessensfehlgebrauch leide, weil eine (in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erfolgte) Befragung des Klägers zu seiner Verurteilung die Beiziehung der strafrechtlichen Akte aus Österreich erfordert hätte. Nur so hätte überprüft werden können, ob der Kläger das Unrecht seiner Taten noch nicht eingesehen hätte und sein Verhalten sowohl bagatellisieren als auch externalisieren würde, oder ob dem vielmehr andere Gründe zugrunde liegen würden, wie die Tatsache, dass der Kläger während des strafrechtlichen Prozesses der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig gewesen sei und die Hinzuziehung eines Dolmetschers für die bulgarische Sprache unterblieben wäre, stattdessen ein Dolmetscher für die bosnische Sprache hinzugezogen worden sei. Aus diesem Grund habe der Kläger (beim Verwaltungsgericht) nicht „ins Detail gehen“ wollen, jedoch ausdrücklich mitgeteilt, dass das Strafurteil akzeptiert worden sei. Die Antwort des Klägers als fehlende Unrechtseinsicht zu bewerten, erweise sich als ermessensfehlerhaft.
10
Soweit der Kläger damit entgegen dem Wortlaut seiner Ausführungen nicht die Ermessensentscheidung der Beklagten, sondern die Gefahrenprognose des Gerichts in Zweifel ziehen will, gelingt dies nicht. Entgegen der Behauptung im Zulassungsschriftsatz stellt das Verwaltungsgericht dabei nicht ausschließlich auf die Tatsache der rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung des Klägers zu einer noch nicht vollständig verbüßten Freiheitsstrafe von sieben Jahren ab, die inzwischen in das Bundeszentralregister eingetragen wurde (Bl. 35 der Verwaltungsgerichtsakte), sondern bewertet auch die Tatumstände und das daraus erkennbare persönliche Verhalten des Klägers. Danach habe sich dieser im Alter von 20 Jahren für mehrere Monate freiwillig nach Syrien begeben, sich dort zum IS Kämpfer ausbilden lassen und danach in Österreich seine Unterstützungstätigkeit für den IS über einen weiteren erheblichen Zeitraum fortgesetzt. Sodann trifft es eine nicht zu beanstandende, eigenständige Gefahrenprognose unter Würdigung auch des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks vom Kläger, dessen mangelnder Einsicht in die Schwere, Tragweite und Gefährlichkeit seines Verhaltens, des nicht erkennbaren Abstandnehmens von den Taten, des noch nicht abgeschlossenen Prozesses der Deradikalisierung trotz Anbindung an den Verein DERAD, seiner prekären Lebensverhältnisse sowie fehlender sonstiger Anhaltspunkte für eine Aufarbeitung der Straftaten. Damit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander.
11
Die Rüge des Klägers, das Erstgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass er mit der regelmäßigen Teilnahme an der Beratung bei DERAD unter Beweis stelle, dass er sich mit seiner Vergangenheit bzw. Verurteilung tiefgreifend auseinandersetze, und die Anbindung an die Beratungsstelle, die in Absprache mit dem LKA erfolge, eine Distanzierung von den vorgeworfenen sicherheitsgefährdenden Handlungen darstelle, greift nicht durch. Auf die Erwägung des Verwaltungsgerichts, dass der Deradikalisierungsprozess ersichtlich noch nicht abgeschlossen sei, geht das Zulassungsvorbringen nicht ein. Aus der Teilnahme selbst ergibt sich nicht, dass die Beratung erfolgreich verläuft oder bereits mit positivem Ergebnis abgeschlossen wäre. Nachweise oder Stellungnahmen von DERAD selbst legt der Kläger im Übrigen auch nicht vor. Er verkennt, dass die schlichte Teilnahme an der Beratung bei DERAD allein noch kein Nachweis für eine tiefgreifende Distanzierung darstellt. Des Weiteren stellte das Verwaltungsgericht auch maßgeblich auf das Aussageverhalten des Klägers in der mündlichen Verhandlung auf Frage nach seiner Verurteilung und seiner Motivation für die Unterstützung des IS ab. Zurecht hat das Verwaltungsgericht seine Einlassungen dahingehend, dass er jung und pubertierend gewesen sei, er bereue, dass er in Wien diese Leute in der Moschee kennengelernt habe und er nur verurteilt worden sei, weil er ein Syrien-Rückkehrer gewesen sei, nicht als Aufarbeitung seiner Taten oder gar als Abstandnehmen bewertet. Der Kläger zeigt damit keine eigene Schuldeinsicht und einen von innerer Überzeugung getragenen Einstellungswandel, sondern schiebt die Verantwortung auf äußere Umstände, wie sein jugendliches Alter (das mit 21 bis 23 Jahren nicht mehr der Pubertät zugeordnet werden kann) und den Einfluss Dritter („Leute in der Moschee“). Dieses Rechtfertigungsmuster ist besonders auch angesichts der herausragenden individuellen Einsatzbereitschaft des Klägers für die Sache des IS über einen erheblichen Zeitraum hinweg ungeeignet. Auch spricht vorliegend ggf. nicht schon ein bis heute andauerndes Unterlassen weiterer Gefährdungshandlungen und erst recht nicht der zeitliche Abstand zu den letzten Taten gegen eine fortbestehende Wiederholungsgefahr.
12
Der Zusammenhang zwischen der Hinzuziehung eines nach dem Vortrag des Klägers ungeeigneten Dolmetschers im Strafverfahren in Österreich und der Würdigung des Verwaltungsgerichts unter anderem des Aussageverhaltens des Klägers in der mündlichen Verhandlung, es fehle dem Kläger an einer gegenwärtigen Distanzierung, ist nicht nachvollziehbar dargelegt und erschließt sich auch sonst nicht. Der Kläger legt nicht dar, inwieweit die Bestellung eines Dolmetschers für die bulgarische Sprache im österreichischen Strafverfahren und die Hinzuziehung der Strafakten sich entscheidungserheblich auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren ausgewirkt hätte.
13
Das Verwaltungsgericht konnte bei seiner Bewertung des Sachverhalts die strafrechtlichen Feststellungen berücksichtigen. Der Kläger hat keine neuen Tatsachen oder Beweismittel benannt, die für ihn günstigere strafrechtliche Entscheidungen begründen könnten (vgl. BVerwG, B.v. 18.8.2011 – 3 B 6.11 – juris Rn. 10 f.), und die sich unter Umständen auf die Gefahrenprognose auswirken könnten. Im Übrigen ergibt sich bereits aus dem vorliegenden Strafurteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz (Az. 6 Hv 104/18w, Bl. 9 der Behördenakte) vom 28. November 2018, dass entgegen der Behauptung im Zulassungsvorbringen nicht nur ein Dolmetscher für die bosnische Sprache, sondern auch ein Dolmetscher für die türkische Sprache (und die arabische Sprache) hinzugezogen worden ist. Wie der Kläger selbst in seinem undatierten Schreiben, bei der Beklagten am 26. April 2024 eingegangen (Bl. 49 der Behördenakte), im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Verlustfeststellung mitgeteilt hat, ist seine Muttersprache Türkisch. Der Kläger trägt des Weiteren auch nicht vor, dass er im Strafverfahren Verständigungsprobleme gehabt habe oder die ungeeignete Dolmetscherbestellung gerügt habe. Dass das Urteil in der Sache unrichtig ist, legt der Kläger nicht dar; vielmehr betont er, dass dieses akzeptiert worden sei. Wie sich dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien vom 30. September 2019 (Bl. 419 der Behördenakte), mit dem gegen den Kläger ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden ist, entnehmen lässt, wurde auch die vom Kläger eingelegte Berufung mit der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Graz vom 24. April 2019 (Az. 9 Bs 86/19v) zurückgewiesen. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger nochmals mitteilen lassen, dass das Urteil akzeptiert worden sei. Verständigungsprobleme wurden in diesem Zusammenhang nicht geltend gemacht. Die Gelegenheit, die Hintergründe für sein Verhalten oder gar einen Gesinnungswandel zu erläutern, nahm er dagegen nicht wahr, vielmehr verzichtete er bewusst darauf, „ins Detail zu gehen“.
14
Es ist des Weiteren nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht bei der Gefahrenprognose alle Umstände des Einzelfalls und somit auch die („prekären“) Lebensverhältnisse des Klägers im Hinblick auf eine mangelnde wirtschaftliche Integration in Blick genommen hat. Der Kläger legt im Übrigen nicht dar, woraus er entnimmt, dass das Verwaltungsgericht ihm eine „Verschleierungsabsicht“ unterstellt. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht die Tatsache, dass er sich erst nach einer gewissen Zeit (über einem Jahr nach seiner Einreise) offiziell angemeldet hat, negativ bewertet haben könnte. Für die Behauptung im Zulassungsverfahren, der Kläger habe seit 1. Juni 2025 eine eigenständige Wohnung angemietet, legt er keine Nachweise vor.
15
b) Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Beklagte habe das ihr in § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU eingeräumte Ermessen bei Erlass der Verlustfeststellung pflichtgemäß ausgeübt, ist nicht zu beanstanden.
16
Soweit der Kläger rügt, die Ermessensausübung der Beklagten sei fehlerhaft gewesen, weil sie die Bindung zu seiner Lebensgefährtin nicht berücksichtigt habe, ist darauf hinzuweisen, dass nach den Ausführungen im Urteil der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen habe, nunmehr eine bulgarische Freundin zu haben, die in Köln lebe, und die Beklagte dies nicht zum Anlass genommen habe, ihre Ermessensentscheidung abzuändern. Dies ist nicht zu beanstanden. Wesentliche Umstände, die sich auf die Ermessensentscheidung auswirken könnten bzw. müssten, wurden nicht dargelegt. Zum einen handelt es sich bei dem Vortrag des Klägers, er habe eine Lebensgefährtin, lediglich um eine Behauptung, für die nicht anhand von konkreter Angaben oder Dokumenten nachvollzogen werden kann. So hat der Kläger weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Zulassungsverfahren Namen und Wohnanschrift seiner angeblichen Lebensgefährtin angegeben. Auch sonstige Nachweise, unter anderem zu der nun angeblich erfolgten Verlobung und der Anmietung einer eigenständigen Wohnung, wurden nicht vorgelegt. Dass die Lebensgefährtin mit ihm in die Wohnung einziehen wird, wurde allenfalls angedeutet. Der Kläger genügt damit bereits nicht seiner Darlegungspflicht. Im Übrigen wäre es ggf. in Anbetracht der Schwere der vom Kläger begangenen Straftaten, der von ihm ausgehenden Wiederholungsgefahr und der allenfalls erst wenige Monate bestehenden und in Kenntnis der Verlustfeststellung eingegangenen Beziehung der Lebensgefährtin jedenfalls ersichtlich zumutbar, den Kontakt auf andere Weise aufrecht zu erhalten.
17
Zugunsten des Klägers wurde bei der Entscheidung des Beklagten berücksichtigt, dass sein Bruder und seine Eltern ebenfalls im Bundesgebiet leben. Aufgrund der Volljährigkeit des Klägers und der fehlenden Verpflichtungen seinem Bruder und seinen Eltern gegenüber ist es nicht zu beanstanden, dass dies nur mit geringem Gewicht eingestellt worden ist. Gleiches gilt für die behaupteten Bindungen zu seiner Lebensgefährtin; wie ausgeführt ist der Kläger im Übrigen insoweit seiner Darlegungspflicht nicht nachgekommen. Wieso bei einem volljährigen Ausländer, der im Jahr 1994 in Bulgarien geboren und aufgewachsen ist und dort bis ins Jahr 2015 gelebt hat, maßgeblich ins Gewicht fallen sollte, dass er in seinem Heimatland keine Familie mehr habe, wurde nicht dargelegt. Zukünftig eintretende Umstände wären im Rahmen eines Antrags nach § 7 Abs. 2 Satz 8 FreizügG/EU zu berücksichtigen.
18
c) Aus den Einwendungen des Klägers, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Befristungsentscheidung der Beklagten mit einer Frist von 20 Jahren nicht beanstandet, weil es nicht auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abgestellt und insbesondere nicht berücksichtigt habe, dass der Kläger keine Familie in Bulgarien mehr habe, seine Lebensgefährtin ebenfalls im Bundesgebiet lebe und es praktisch keine Abwägung getroffen habe, sodass ein Ermessensausfall vorliege, ergeben sich ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Hinblick auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU. Das Verwaltungsgericht hat die von der Beklagten getroffenen Abwägung überprüft und unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklungen zutreffend nicht beanstandet.
19
Im Hinblick auf die erhebliche Wiederholungsgefahr, die Gefährlichkeit des Klägers sowie dessen nur kurzer Aufenthalt im Bundesgebiet auch unter Berücksichtigung der persönlichen und familiären Bindungen (vgl. die Ausführungen zu a und b) lässt die durch die Beklagte vorgenommene Fristbemessung keinen Rechtsfehler zulasten des Klägers erkennen; insbesondere gebietet auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesichts der dargelegten Umstände keine Festsetzung einer Frist von weniger als zwanzig Jahren. Vor dem aktuellen Hintergrund der nicht erfolgten Aufarbeitung seiner Taten und einer fehlenden Abstandnahme und auch unter Berücksichtigung der hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU ist von einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Wiederholungsgefahr auszugehen, die die erhebliche Dauer der Wirkungen der Verlustfeststellung rechtfertigt. Im Falle einer langfristig fortbestehenden Gefährdungsprognose ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BVerwG, U.v. 4.9.2007 – 1 C 21.07 – juris Rn. 19 unter Hinweis auf BT-Drs. 15/420 S. 105), zumal der Kläger wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und unter anderem wegen des Anwerbens neuer Mitglieder zur Durchführung von Terroranschlägen in Europa verurteilt worden ist.
20
2. Soweit man in der Rüge, das Verwaltungsgericht habe die strafrechtlichen Akten aus Österreich beiziehen müssen, da das Verwaltungsgericht nur dann ermessensfehlerfrei hätte überprüfen können, ob der Kläger das Unrecht seiner Taten noch nicht eingesehen hätte, der Sache nach die Geltendmachung eines Verstoßes gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) und damit eines Verfahrensfehlers im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO sehen will, greift dies schon deswegen nicht durch, weil eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht grundsätzlich nicht geltend gemacht werden kann, wenn ein anwaltlich vertretener Kläger es – wie hier – unterlassen hat, in der mündlichen Verhandlung insoweit einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen (vgl. etwa BVerwG, B.v. 20.12.2012 – 4 B 20.12 – juris Rn. 6). Mit der Aufklärungsrüge können Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten, vor allem unterbliebene Beweisanträge, nicht kompensiert werden (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2017 – 10 ZB 16.1049 – juris Rn. 8). Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung am 11. März 2025 (Bl. 1010 ff. der Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts) hat der Kläger keinen Beweisantrag hierzu gestellt oder die Beiziehung der entsprechenden Gerichtsakten angeregt. Eine Aufklärungsrüge nach § 86 Abs. 1 VwGO setzt zudem die Darlegung voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zur Verfügung gestanden hätten und welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (BVerwG, B.v. 8.7.2009 – 4 BN 12.09 – juris Rn. 7). Solche Darlegungen, vor allem zu letzterer Voraussetzung, enthält der Zulassungsantrag nicht.
21
3. Soweit der Kläger vorträgt, das erstinstanzlichen Urteil weiche von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ab und beruhe auf dieser Abweichung (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO), zeigt er bereits keine divergierenden Rechtssätze auf.
22
Die Darlegung einer Divergenz erfordert, dass ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender Rechts- oder Tatsachensatz bezeichnet wird, mit dem die Vorinstanz von einem in der Rechtsprechung eines übergeordneten Gerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift abgewichen ist. Die divergierenden Sätze sind einander so gegenüberzustellen, dass die Abweichung erkennbar wird (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 22.3.2019 – 10 ZB 18.2598 – juris Rn. 18; B.v. 18.4.2019 – 10 ZB 18.2660 – juris Rn. 9 m.w.N.). Es genügt nicht, wenn in der angegriffenen Entscheidung ein in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellter Grundsatz lediglich übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewandt worden ist (BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 6 B 35.16 – juris Rn. 12 m.w.N).
23
Gemessen daran zeigt das Zulassungsvorbringen, das im Kern auf die Richtigkeit des Urteils abzielt, eine entscheidungserhebliche Divergenz nicht auf. Der Kläger verweist zwar auf zwei Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 3.8.2004 – 1 C 30/02 und U.v. 16.12.2021 – 1 C 60.12), ohne jedoch einen konkreten Rechtssatz zu nennen, von dem das Verwaltungsgericht abgewichen sein soll. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass entgegen der Behauptung des Klägers die Verlustfeststellung nicht aus generalspräventiven Gründen und nicht ausschließlich wegen der hohen strafrechtlichen Verurteilung erfolgte; auf die Ausführungen unter 1. a) wird verwiesen. Des Weiteren wurde auch der Vortrag des Klägers zu seiner Lebensgefährtin (vgl. dazu 1. b)) berücksichtigt. Soweit der Kläger auf die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 27.10.1977 – Rs. 30/77 und U.v. 29.4.2004 – C-482/01 und C-493/01) hinweist, stellt er ebenfalls schon keinen Rechtssatz auf, gegen den das Verwaltungsgericht verstoßen haben soll. Der EuGH ist im Übrigen bereits kein in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO bezeichnetes Divergenzgericht (vgl. Happ in Eyermann, 16. Aufl. 2022, VwGO, § 124 Rn. 45).
24
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
25
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
26
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).