Titel:
Verwaltungsgerichte, Bundsverwaltungsgericht, Nachbarschützende Festsetzung, Außergerichtliche Kosten, Nachbarschützende Wirkung, Beiladung, Wirksamer Bebauungsplan, Festsetzung im Bebauungsplan, Nachbarschützende Vorschrift, Ernstliche Zweifel, Zulassungsverfahren, Zulassungsantrag, Nachbarschutz, Einsichtnahmemöglichkeit, Tragender Rechtssatz, Abstrakter Rechtssatz, Klärungsbedürftigkeit, Streitwertfestsetzung, Einhaltung der Abstandsflächen, Beweiswürdigung
Schlagworte:
Baugenehmigung, Nachbarschutz, Rücksichtnahmegebot, Bebauungsplan, Hanglage, Berufungszulassung, Abstandsflächen
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Entscheidung vom 14.08.2024 – B 2 K 23.54
Fundstelle:
BeckRS 2025, 15666
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 und 2 zu tragen. Die Beigeladene zu 3 trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Kläger wendet sich gegen eine den Beigeladenen zu 1 und 2 erteilte Baugenehmigung vom 20. Dezember 2022 zum Umbau des auf dem Vorhabengrundstück (FlNr. .../1 Gemarkung L.) bestehenden, bisher eingeschossigen Wohnhauses unter Erhöhung des Daches und Ausbau des Dachgeschosses mit Gauben. Der Kläger ist Eigentümer des dem Vorhabengrundstück nördlich benachbarten Wohngrundstücks (FlNr. .../3).
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, das Bauvorhaben verletze keine nachbarschützenden Vorschriften. Zwar sei bei der Baugenehmigung eine Innenbereichslage zugrunde gelegt worden und hätten sich nachfolgend Indizien für die Existenz eines Bebauungsplans ergeben, von dessen etwaigen Festsetzungen zur Geschossigkeit keine Befreiung erteilt worden sei. Belastbare Anknüpfungspunkte für einen intendierten Nachbarschutz fänden sich nicht, allein die Hanglage reiche nicht aus. Bei allen Bestandsgebäuden sei lediglich eine einfache Bestandsfestschreibung erfolgt, was gegen ein wechselseitiges Austauschverhältnis spreche. Es könne dahinstehen, ob der „schwarze Fleck“ als Bezugnahme auf die bestehende Bebauung überhaupt eine wirksame Festsetzung zum Maß der baulichen Nutzung sein könne, da diesem jedenfalls keine nachbarschützende Wirkung zukomme. Einen fehlenden Dispens von nicht nachbarschützenden Festsetzungen könne der Kläger nur bei einem Verstoß gegen das nachbarschützende Rücksichtnahmegebot geltend machen, was in Anbetracht der Einhaltung der Abstandsflächen nicht ersichtlich sei. Der durchgeführte Augenschein habe unzumutbare Einsichtnahmemöglichkeiten nicht erkennen lassen.
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Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung. Der Beklagte und die Beigeladenen zu 1 und 2 verteidigen die angefochtene Entscheidung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht ausreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), liegen jedenfalls nicht vor.
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1. Aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nur, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 18.3.2022 – 2 BvR 1232/20 – NVwZ 2022, 789 = juris Rn. 23 m.w.N.; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 15). Das Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO erfordert eine substantielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrunds sowie eine erkennbare Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs, vor allem eine substantielle Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil. Dazu muss der Rechtsmittelführer im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen die Annahmen des Verwaltungsgerichts ernstlichen Zweifeln begegnen (vgl. BayVGH, B.v. 30.11.2021 – 9 ZB 21.2366 – juris Rn. 11 ff.). Der Kläger wiederholt mit der Behauptung einer nachbarschützenden Festsetzung im Bebauungsplan „B.“ der Beigeladenen zu 3 aus dem Jahr 1967 für das damalige Bestandsgebäude auf dem Vorhabengrundstück im Wesentlichen erstinstanzliches Vorbringen und setzt lediglich seine Rechtsauffassung den Feststellungen des Verwaltungsgerichts entgegen. Dies genügt nicht dem Darlegungsgebot.
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Abgesehen davon teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass das streitgegenständliche Vorhaben keine nachbarschützenden Rechte des Klägers verletzt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils genommen und von einer weiteren Begründung abgesehen. Hinsichtlich der geltend gemachten nachbarschützenden Wirkung etwaiger Festsetzungen des Bebauungsplans kann weiter auf die Senatsentscheidung vom 26. Oktober 2023 (Az.: 9 CS 23.1172, Rn. 20 ff.) verwiesen werden. Lediglich ergänzend bleibt im Hinblick auf das Vorbringen im Zulassungsverfahren Folgendes zu bemerken:
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a) Soweit der Kläger der Auffassung ist, wegen der Hanglage könne die Bauweise festgesetzt worden sein, um einen bestimmten Schattenwurf zu verhindern bzw. einer übermäßigen Beschattung des jeweils darunterliegenden Grundstückes entgegenzuwirken, haben der Senat und das Verwaltungsgericht bereits mit ausführlicher Begründung darauf hingewiesen, dass allein aus einer topographisch leichten Hanglage nicht auf einen intendierten Nachbarschutz zu schließen ist und darüber hinaus eine der behaupteten Intention folgende Regelhaftigkeit nicht erkennbar ist.
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b) Mit seiner Behauptung, die Ausweisung des Bestandsgebäudes im Bebauungsplan sei als nachbarschützende Festsetzung einer eingeschossigen Bauweise zu verstehen, greift er damit letztlich die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts nach § 108 Abs. 1 VwGO an. Dies rechtfertigt die Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur dann, wenn aufgezeigt wird, dass die Richtigkeit der richterlichen Überzeugungsbildung mangelhaft ist, weil das Verwaltungsgericht mit Blick auf entscheidungserhebliche Tatsachen von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist oder die Beweiserhebung gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweist, was insbesondere bei einer Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, bei aktenwidrig angenommenem Sachverhalt oder offensichtlich sachwidriger und damit willkürlicher Beweiswürdigung anzunehmen ist (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.205 – 9 ZB 24.266 – juris Rn. 22; BVerwG, B.v. 26.10.2022 – 4 BN 22.22 – juris Rn. 16). Allein die bloße Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung jedoch nicht (vgl. BayVGH, B.v. 09.02.2021 – 9 ZB 19.1582 – juris Rn. 21).
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Daran gemessen ist die Feststellung des Verwaltungsgerichts, wonach dem im Bebauungsplan schwarz umrandeten Bestandsgebäude, dem anhand der textlichen Festsetzungen kein Festsetzungsinhalt zugeordnet werden kann, nicht ernstlich in Zweifel zu ziehen.
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c) Die vom Kläger angeführte sog. „Wannsee-Entscheidung“ des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 9.8.2018 – 4 C 7/17 – juris) lässt sich auf die vorliegende Fallgestaltung nicht übertragen und führt nicht dazu, der Bestandsausweisung im Bebauungsplan (ausnahmsweise) Drittschutz zuzumessen.
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Gegenstand der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts war ein Bauvorbescheid, der die Zustimmung zu Befreiungen nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB u.a. einer Erhöhung von zwei auf sechs Vollgeschosse und einer Erhöhung der Baumassenzahl von 1,0 auf 4,3 beinhaltete. Für einen sog. übergeleiteten Bebauungsplan vor 1960 verbietet nach dem Bundesverwaltungsgericht der Umstand, dass ein Plangeber die Rechtsfolge einer nachbarschützenden Wirkung der Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung zum Zeitpunkt der Planaufstellung nicht in seinen Willen aufgenommen hatte, es nicht, die Festsetzungen nachträglich subjektiv-rechtlich aufzuladen (BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – BVerwGE 162, 363-372 = juris Rn. 16).
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Weder handelt es sich vorliegend um einen solchen übergeleiteten Bebauungsplan aus einer Zeit vor 1960 noch ist die tatsächliche Ausgangslage vergleichbar. Selbst wenn man von einer Festsetzung für das Vorhabengrundstück im Bebauungsplan ausgehen wollte, liegen keine Anhaltspunkte für eine nachbarschützende „Aufladung“ einer solchen Festsetzung vor. Dies hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt und ein wechselseitiges Austauschverhältnis verneint.
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d) Schließlich begründen auch die wiederholten Einwände zum Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend auf die Indizwirkung der unstreitig eingehaltenen Abstandsflächen hingewiesen und im Rahmen des durchgeführten Augenscheins keine Einsichtnahmemöglichkeiten oder sonstige Anzeichen für eine Unzumutbarkeit feststellen können.
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2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
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Die im Zulassungsantrag aufgeworfenen Fragen lassen sich, soweit sie überhaupt entscheidungserheblich sind, ohne weiteres und mit zweifelsfreiem Ergebnis im Zulassungsverfahren klären. Besondere Schwierigkeiten im Sinne offener Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht; die unterschiedliche Bewertung des vorliegenden Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht und den Kläger genügt hierfür nicht (vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2021 – 9 ZB 21.466 – juris Rn. 14; B.v. 28.4.2020 – 9 ZB 18.1493 – juris Rn. 26).
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3. Die Rechtssache hat auch nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 22.1.2019 – 5 B 1.19 D – juris Rn. 2 m.w.N.; B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – BayVBl 2016, 104 Rn. 6 m.w.N.; BayVGH, B.v. 4.6.2018 – 14 ZB 17.390 – juris Rn. 14 m.w.N.). Um den auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer fristgerecht (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, (2.) ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, (3.) erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und (4.) darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 14 ZB 16.1867 – juris Rn. 15 m.w.N.).
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Mit dem klägerischen Vortrag, es sei höchstrichterlich durch das Bundesverwaltungsgericht noch nicht geklärt ist, inwieweit die sogenannte Wannsee-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urt. v. 09.08.2018 – 4 C 7.17) auf den unbeplanten Innenbereich möglicherweise doch anwendbar sei, formuliert er keine entscheidungserhebliche Fragestellung, da das Verwaltungsgericht zu seinen Gunsten von einem wirksamen Bebauungsplan ausgegangen ist.
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4. Die Berufung ist schließlich nicht wegen der geltend gemachten Divergenz von der „Wannsee-Entscheidung“ des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – BVerwGE 162, 363-372) nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen.
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Eine Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO setzt voraus, dass das angefochtene Urteil mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem ebensolchen Rechtssatz eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht. Im Zulassungsantrag muss ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 4 B 21.16 – juris Rn. 5). Solche einander widersprechende Rechtssätze wurden nicht dargelegt und liegen auch nicht vor.
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Soweit der Kläger der Auffassung ist, nach der „Wannsee-Entscheidung“ des Bundesverwaltungsgerichts sei davon auszugehen, dass jedenfalls eine widerlegbare Vermutung für eine nachbarschützende Festsetzung bestehe, misst er der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts eine ihr nicht zukommende Bedeutung bei. Der Umstand, dass ein Plangeber die Rechtsfolge einer nachbarschützenden Wirkung der Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung zum Zeitpunkt der Planaufstellung nicht in seinen Willen aufgenommen hatte, verbietet es zwar nicht, die Festsetzungen nachträglich subjektiv-rechtlich aufzuladen (BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – BVerwGE 162, 363-372 = juris Rn. 16); eine regelhafte nachbarschützende Aufladung wird damit jedoch nicht formuliert. Anhaltspunkte für eine solche nachbarschützende Aufladung hat das Verwaltungsgericht hier zutreffend verneint. Insoweit liegen keine divergierenden Rechtssätze vor.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladenen zu 1 und 2 im Zulassungsverfahren einen die Sache fördernden Beitrag geleistet haben, entspricht es der Billigkeit gemäß § 162 Abs. 3 VwGO, dass ihre etwaigen außergerichtlichen Kosten erstattet werden. Dementsprechend trägt die Beigeladene zu 3, die sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert hat, billigerweise ihre etwaigen außergerichtlichen Kosten selbst. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände vorgebracht wurden.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).