Inhalt

VGH München, Beschluss v. 30.05.2025 – 8 CS 25.275
Titel:

Wasserrechtliche Anordnung zur Planung und Herstellung eines Notwasserwegs

Normenketten:
WHG § 5, § 100 Abs. 1
BayWG Art. 58 Abs. 1 S. 1, Art. 67 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 5, § 144 Abs. 4, § 146 Abs. 4 S. 6
Leitsätze:
1. Ein Rückgriff auf § 5 WHG scheidet in Fällen aus, in denen speziellere Benutzungstatbestände vorliegen oder besondere, die Zulässigkeit von Einwirkungen näher konkretisierende Vorschriften wie über den Hochwasserschutz, die Gewässerunterhaltung oder den Gewässerausbau eingreifen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Generalklausel des § 100 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 WHG findet bei illegal vorgenommenen Gewässerveränderungen ihre Grenze in dem, was zur Wiederherstellung des beeinträchtigten Gewässerzustands erforderlich ist. Dies bedeutet, dass die Behörde nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr verlangen darf, als erforderlich ist, um den den öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen widersprechenden Zustand zu beheben. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
wasserrechtliche Anordnung, Notwasserweg, Gewässerausbau, Gewässerveränderung, Generalklausel, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 27.01.2025 – AN 9 S 23.1647
Fundstelle:
BeckRS 2025, 15663

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 27. Januar 2025 wird geändert. Die aufschiebende Wirkung der beim Verwaltungsgericht Ansbach erhobenen Klage des Antragstellers gegen die Nr. 3 des Bescheids des Landratsamts Nürnberger Land vom 13. Juli 2023 wird wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
III. Der Streitwert wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 27. Januar 2025 für beide Rechtszügen auf jeweils 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen eine für sofort vollziehbar erklärte wasserrechtliche Anordnung, mit der er zusammen mit zwei anderen Grundstückseigentümern zur Planung und Herstellung eines Notwasserwegs auf ihren jeweiligen Grundstücken verpflichtet wurde.
2
Der Antragsteller ist Eigentümer der Grundstücke FlNr. …8 und …9 Gemarkung G. … Weitere Adressaten der wasserrechtlichen Anordnung sind der Eigentümer der westlich angrenzenden Grundstücke FlNr. …6 und …12 sowie die beigeladene Stadt, in deren Eigentum sich das Grundstück FlNr. …2 (S. … Weg) befindet. Über diese Grundstücke verläuft ein in diesem Bereich weitestgehend verrohrtes Gewässer III. Ordnung, das als Entwässerungsgraben seinen Ursprung im Nordwesten hat und in südöstlicher Richtung zu einem Weiher auf dem Grundstück FlNr. … fließt. Die Gewässerverrohrung besteht im westlichen Teil (FlNr. …6 und …12) aus einer PVC-Verrohrung und einem Anschlussschacht sowie daran anschließend aus Betonrohrsegmenten, die weiter über die Grundstücke FlNr. …9, …2 bis zum Auslauf auf dem Grundstück FlNr. …8 führen.
3
Mit Bescheid vom 20. November 1981 erhielt der damalige Eigentümer des zu diesem Zeitpunkt noch ungeteilten Grundstücks FlNr. …6 (nunmehr FlNr. …6 und …12) eine Plangenehmigung, mit der die Grabenverrohrung auf seinem Grundstück als Gewässerausbau genehmigt wurde. Als Zweck der Anlage wurde ausgeführt, dass durch die Verrohrung des Grabens das Grundstück höhengleich an die Straßenhöhe angeglichen wird (Nr. I.2.2 des Bescheids). Für die Betonverrohrung ist keine Genehmigung bekannt.
4
Mit Bescheid vom 13. Juli 2023 verpflichtete der Antragsgegner den Antragsteller, zusammen mit den weiteren Eigentümern einen abgestimmten Antrag auf Gewässerausbau zur Ertüchtigung/Neuverlegung der in den Grundstücken FlNr. …6, …8, …9, …12, …2 verlaufenden Gewässerverrohrung bis spätestens 31. März 2024 beim Landratsamt einzureichen (Nr. 2). Die Grundstückseigentümer wurden des Weiteren verpflichtet, diese Grundstücke bis spätestens sechs Wochen nach Zustellung des Bescheids so zu modellieren, dass bei erneutem Versagen der Gewässerverrohrung ein schadloser Abfluss von mindestens 0,5 m³/s über die genannten Grundstücke in das östlich gelegene Gerinne auf dem Grundstück FlNr. …8 gewährleistet ist (Nr. 3). Es wurden bei der Planung und Herstellung des Notwasserwegs zu berücksichtigende Parameter festgelegt (Nr. 3.1 bis 3.3) und die sofortige Vollziehung der Nr. 3 angeordnet (Nr. 4). Für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der in Nr. 3 festgelegten Verpflichtungen wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 2.500 € angedroht, wobei die Eigentümer der Grundstücke FlNr. …6, …8, …9, …12 gesamtschuldnerisch haften.
5
Gegen diesen Beschied ließ der Antragsteller Anfechtungsklage zum Verwaltungsgericht Ansbach erheben, über die noch nicht entschieden ist. Den zugleich eingelegten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen Nr. 3 des Bescheids vom 13. Juli 2023 wiederherzustellen, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 27. Januar 2025 abgelehnt.
6
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Eilrechtschutzbegehren weiter.
II.
7
A. Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.
8
1. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen.
9
In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht auf der Grundlage einer eigenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann (vgl. BVerwG, B.v. 11.11.2020 – 7 VR 5.20 u.a. – juris Rn. 10). Bei offenen Erfolgsaussichten findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. BVerwG, B.v. 14.4.2005 – 4 VR 1005.04 – BVerwGE 123, 241 Rn. 12).
10
Der Verwaltungsgerichtshof prüft bei Beschwerden in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich nur die rechtzeitig dargelegten Gründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), es sei denn, die angegriffene Entscheidung erweist sich aus anderen als den dargelegten Gründen, die sich ohne weiteres aus dem Akteninhalt ergeben, als offensichtlich unrichtig (vgl. BayVGH, B.v. 23.6.2021 – 8 CS 21.1245 – juris Rn. 12 m.w.N.). Stellen sich die Beschwerdegründe als berechtigt dar, darf sich die angefochtene Entscheidung nicht aus anderen Gründen als richtig erweisen, was aus der entsprechenden Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO folgt (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2019 – 8 CS 18.2398 – juris Rn. 26 m.w.N.).
11
2. Nach diesem Maßstab überwiegt das Suspensivinteresse des Antragstellers, weil der angegriffene Bescheid einer summarischen Prüfung nicht standhält.
12
Der Bescheid vom 13. Juli 2023 kann sich hinsichtlich seiner in Nr. 3 getroffenen Verpflichtung zur Planung und Herstellung eines Notwasserwegs voraussichtlich nicht auf die dort angeführten Bestimmungen des § 100 Abs. 1 WHG i.V.m. Art. 58 Abs. 1 Satz 1 BayWG stützen.
13
Nach § 100 Abs. 1 Satz 1 WHG umfasst die Gewässeraufsicht eine Überwachung der Gewässer in tatsächlicher Hinsicht sowie im Hinblick auf die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen nach oder aufgrund von Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes oder von auf dieses Gesetz gestützten Rechtsverordnungen oder nach landesrechtlichen Vorschriften. Gemäß § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG ordnet die zuständige Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen an, die im Einzelfall notwendig sind, um Beeinträchtigungen des Wasserhaushalts zu vermeiden bzw. zu beseitigen oder die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen nach Satz 1 sicherzustellen.
14
a) Die Behörde kann ihre Befugnis zur Anordnung der Planung und Herstellung eines Notwasserwegs jedoch nicht aus § 100 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 WHG i.V.m. einem Verstoß gegen die wasserrechtlichen Pflichten des § 5 Abs. 1 Nr. 3 und § 5 Abs. 2 WHG ableiten.
15
Die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 3 WHG verpflichtet jede Person, bei Maßnahmen, mit denen Einwirkungen auf ein Gewässer verbunden sein können, die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt anzuwenden, um die Leistungsfähigkeit des Wasserhaushalts zu erhalten. Diese allgemeinen Sorgfaltspflichten erhalten durch § 5 Abs. 2 WHG eine hochwasserspezifische Akzentuierung (Knopp/Rossi in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, Stand 1.8.2024, § 5 WHG Rn. 77).
16
Das Gewässer III. Ordnung verläuft in einer Verrohrung über die Grundstücke FlNr. …6, …12, …8, …9 und …2. Dies stellt einen Gewässerausbau dar. Ein Rückgriff auf § 5 WHG scheidet jedoch in den Fällen aus, in denen speziellere Benutzungstatbestände vorliegen oder besondere, die Zulässigkeit von Einwirkungen näher konkretisierende Vorschriften wie über den Hochwasserschutz, die Gewässerunterhaltung oder den Gewässerausbau eingreifen (vgl. BT-Drs. 16/12275 S. 54; Knopp/Rossi in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, § 5 WHG Rn. 9). Denn die Wasserbehörden verfügen über keine generelle, von der spezifizierten wasserrechtlichen Benutzungsordnung losgelöste Eingriffsbefugnis wegen eines Verstoßes gegen § 5 WHG (vgl. Breuer/Gärditz, Öffentliches und privates Wasserrecht, 4. Aufl. 2017, Rn. 308). Insofern verdrängen die speziellen Regelungen zum Gewässerausbau die allgemeinen Sorgfaltspflichten nach § 5 WHG. Keine Auswirkungen auf die Vorrangstellung der §§ 67 ff. WHG hat die Frage, inwieweit der streitgegenständliche Gewässerausbau genehmigt oder genehmigungsfähig ist.
17
b) Die in Nr. 3 des angegriffenen Bescheids getroffene wasserrechtliche Anordnung findet auch keine Grundlage in § 100 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 WHG i.V.m. einem Verstoß gegen § 68 Abs. 3 Nr. 1 WHG.
18
Nach dieser Vorschrift darf der Plan für einen Gewässerausbau nur festgestellt oder genehmigt werden, wenn eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere eine erhebliche und dauerhafte, nicht ausgleichbare Erhöhung der Hochwasserrisiken oder eine Zerstörung natürlicher Rückhalteflächen nicht zu erwarten ist. § 68 Abs. 3 Nr. 1 WHG ist ausgestaltet als ein im Rahmen der Zulassung eines Ausbauvorhabens von der Behörde zu prüfender Versagungsgrund. Er enthält keine eigenständige Handlungs- oder Unterlassungspflicht. Insofern fehlt dieser Vorschrift eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung, deren Erfüllung durch § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG sichergestellt werden kann.
19
c) Ein Einschreiten der zuständigen Gewässeraufsichtsbehörde nach § 100 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 WHG in Form der angeordneten Planung und Herstellung eines Notwasserwegs ist auch nicht wegen wasserrechtlich formell illegaler Zustände auf den Grundstücken des Antragstellers möglich.
20
Zwar ist in Bezug auf die über die Grundstücke des Antragstellers verlaufende Betonverrohrung, die sich an die westlich verlaufende plangenehmigte PVC-Leitung anschließt, kein Zulassungsbescheid bekannt, so dass dieser Gewässerausbau aller Voraussicht nach formell illegal ist.
21
Allerdings findet die Generalklausel des § 100 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 WHG bei illegal vorgenommenen Gewässerveränderungen ihre Grenze in dem, was zur Wiederherstellung des beeinträchtigten Gewässerzustands erforderlich ist. Dies bedeutet, dass die Behörde nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr verlangen darf, als erforderlich ist, um den den öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen widersprechenden Zustand zu beheben (vgl. Gößl in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, § 100 WHG Rn. 70). Insofern kann die Behörde bei einem illegalen Gewässerausbau die Wiederherstellung der ursprünglichen Verhältnisse oder aber gemäß Art. 67 Abs. 1 BayWG eine Antragstellung verlangen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Art. 67 Abs. 1 BayWG nur zu einer Antragstellungsanordnung zum Zweck der Legalisierung des vorhandenen Zustands ermächtigt. Er bietet keine Rechtsgrundlage dafür, Änderungen des Gewässerzustands vorzunehmen, selbst wenn diese dann mit den Erfordernissen des Wasserrechts in Einklang stünden (Knopp/Müller in Sieder/Zeitler, BayWG, Stand: Januar 2023, Art. 67 Rn. 17). Insofern kann die Anordnung zur Herstellung eines Notwasserwegs durch Geländemodellierung nicht auf die formelle Illegalität der Betonverrohrung gestützt werden.
22
d) Bei summarischer Prüfung kann ein Einschreiten des Antragsgegners nach derzeitigem Kenntnisstand auch nicht aufgrund § 100 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 WHG als gerechtfertigt angesehen werden wegen einer drohenden oder bereits eingetretenen Beeinträchtigung des Wasserhaushalts. Aus den vorliegenden Dokumenten ist nicht ersichtlich, dass von der wohl formell rechtswidrigen und sanierungsbedürftigen Betonverrohrung eine konkrete Gefahr für den Wasserhaushalt ausgeht (vgl. dazu auch BayVGH, B.v. 7.6.2021 – 8 CS 21.720 – ZUR 2022, 101 = juris Rn. 49). Die Frage, ob und in welchem Ausmaß die sanierungsbedürftige Betonverrohrung die hydraulische Leistungsfähigkeit tatsächlich vermindert (vgl. die vorläufige Einschätzung des WWA, Stellungnahmen vom 13.3.2025 und 14.2.2023) und somit neben den anderen kausalen Faktoren (insbesondere unzureichende Dimensionierung, verstopftes Einlaufbauwerk) ggf. die Gewährleistung des errechneten Mindestabflusses behindert, bedarf einer näheren Aufklärung im Hauptsacheverfahren.
23
3. Lediglich ergänzend verweist der Senat in Bezug auf die in Nr. 5 und 6 des angegriffenen Bescheids gegenüber mehreren Pflichtigen als Gesamtschuldner angeordneten Zwangsgeldandrohungen, die nicht Gegenstand des vorliegenden Eilrechtsschutzverfahrens sind, auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 6. März 2024 (Az. 2 ZB 24.162).
24
B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 VwGO sowie § 162 Abs. 3 VwGO.
25
C. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist der Streitwert auf 2.500 € zu halbieren (vgl. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013). Die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts ist entsprechend abzuändern (vgl. § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG).
26
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).