Titel:
Vollstreckungsgegenklage, Nachprüfungsverfahren, Versicherungsnehmer, Einstellungsmitteilung, Berufsunfähigkeitsversicherung, Mitwirkungspflichten, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Formelle Unwirksamkeit, Leistungseinstellung, Streitwert, Elektronischer Rechtsverkehr, Rechtskräftige Urteile, Versicherungsvertrag, Einstweilige Einstellung, Willenserklärungen, Leistungspflicht, Vor Klageerhebung, Wert des Beschwerdegegenstandes, Rechtswirksamkeit
Schlagworte:
Zulässigkeit der Klage, Einstellungsmitteilung, Berufsunfähigkeitsversicherung, Vollstreckungsgegenklage, Nachprüfungsverfahren, Treu und Glauben, Prozessrisiko
Fundstelle:
BeckRS 2025, 15549
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 40.679,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Sie sind aufgrund eines Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrages mit Versicherungsnummer 2491569, welchen der Beklagte mit der Rechtsvorgängerin der Klägerin seit dem 01.07.2004 unterhält, miteinander verbunden. Für den Versicherungsvertrag gelten die Allgemeinen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung (EBO 104).
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In EBO 104 sind unter anderem folgende Regelungen enthalten:
„§ 33 Kann das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit… vom Versicherer nachgeprüft werden?…
(2) zur Nachprüfung können wir jederzeit sachdienliche Auskünfte und einmal jährlich umfassende Untersuchungen der versicherten Person, auf unsere Kosten, durch von uns beauftragte Ärzte verlangen. Die Bestimmungen des § 29 Abs (2), (3) und (4) gelten entsprechend.
§ 29 Welche Mitwirkungspflichten sind bei Anspruchserhebung zu beachten?…
(3) Wir können weitere ärztliche Untersuchungen und zusätzliche Auskünfte durch von uns beauftragte Ärzte – auf unsere Kosten – anfordern.
§ 30 Was geschieht bei einer Verletzung der Mitwirkungspflichten?
(1) Solange eine Mitwirkungspflicht von Ihnen, der versicherten Person oder dem Anspruchserhebenden vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht erfüllt wird, sind wir von der Verpflichtung zur Leistung frei.“
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Aufgrund rechtskräftigen Urteils des Landgerichts München I vom 26.11.2015, Az: 12 O 2085/15, zahlt die Klägerin an den Beklagten seit März 2015 längstens bis zum Tod des Beklagten eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von EUR 849,50.
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Mit Schreiben vom 01.02.2019 leitete die Klägerin ein Nachprüfungsverfahren ein und übersandte diesbezüglich dem Beklagten einen Fragebogen (Anlage K 4). Der Beklagte lehnte eine Mitwirkung im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens mit Email vom 15.02.2019 (Anlage K 5) jedoch ab. Im Rahmen weitere Kommunikation der Klägerin mit dem Beklagten sowie dem Beklagtenvertreter im Zeitraum von Juni bis August 2019 lehnte der Beklagte weiterhin die Mitwirkung an dem Nachprüfungsverfahren der Klägerin ab (Anlagen K 6 – 11).
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Die Klägerin ist der Ansicht, sie sei aufgrund des mehrfachen Verweigerns der Mitwirkung des Beklagten bei der Durchführung des Nachprüfungsverfahrens leistungsfrei geworden.
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Die Klägerin beantragt,
Die Zwangsvollstreckung aus dem vollstreckbaren Urteil des LG München I vom 26.11.2015, Az.: 12 O 2058/15 wird solange für unzulässig erklärt als der Beklagte nicht in Form einer Bestätigung der Klägerin an dem Nachprüfungsverfahren in ausreichender Form mitgewirkt hat.
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Der Beklagte beantragt,
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Er ist der Ansicht, dass es bereits an einer wirksamen Einstellungsmitteilung der Klägerin gegenüber dem Beklagten fehle, die aber Voraussetzung für eine Leistungseinstellung durch die Klägerin sei. Zudem ist er der Ansicht, eine Mitwirkungspflicht an dem Nachprüfungsverfahren bestehe nicht, da eine rechtswirksame Vertragsanpassung des Versicherungvertrages des Beklagten an das VVG 2008 nicht stattgefunden habe, woraus sich ergebe, dass eine vertraglich oder gesetzliche Mitwirkungspflicht des Beklagten nicht gegeben sei.
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Die Klägerin hat am 26.11.2024 Vollstreckungsgegenklage erhoben, verbunden mit einem Antrag auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung aus dem oben genannten rechtskräftigen Urteil bis zum Erlass eines Urteils in diesem Verfahren. Das Gericht hat mit Beschluss vom 03.02.2025 den Antrag abgelehnt. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 13.02.2025 dagegen fristgerecht Beschwerde eingelegt. Das Gericht hat sodann am 18.02.2025 mündlich verhandelt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärte die Klägerin die Rücknahme der Beschwerde gegen die Ablehnung der einstweiligen Anordnung. Es wird insoweit auf das Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung inhaltlich Bezug genommen. Im Hinblick auf das weitere Parteivorbringen wird auf die wechselseitigen Schriftsätze, Anlagen sowie den gesamten weiteren Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig.
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Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I ergibt sich aus § 17 ZPO. Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts München I folgt aus §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG.
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Die Klage ist jedoch nicht begründet.
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Die Leistungspflicht der Klägerin gegenüber dem Beklagten ergibt sich vorliegend aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts München vom 26.11.2015, in welchem aufgrund der Berufsunfähigkeit des Beklagten die Zahlungsverpflichtung rechtlich verbindlich festgeschrieben ist. Das Urteil basiert dabei auf der dort festgestellten Berufsunfähigkeit aufgrund des seinerzeit festgestellten Gesundheitszustandes des Beklagten. Wenn nun die Klägerin im Wege der Vollstreckungsgegenklage den Titel als Grundlage ihrer Leistungspflicht angreifen und beseitigen will, muss sie zunächst eine Einstellungsmitteilung an den Beklagten richten (vgl. Prölss/Martin, VVG, § 174 Rn 21; LG Berlin VersR 2021, 894). Dies ist eine formale Voraussetzung für das Entfallen der Leistungspflicht des Versicherers bezogen auf die Berufsunfähigkeitsversicherung (vgl. u.a. Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, § 46, Rn 183; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, Kapitel 14, Rn 160).
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Zwar kann eine solche Einstellungsmitteilung nach der Rechtsprechung in bestimmten Fällen auch noch im Rahmen der Vollstreckungsgegenklage im Rahmen eines Schriftsatzes erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 3. 11. 1999 – IV ZR 155/98). Die Einstellungsmitteilung muss jedoch nach der Rechtsprechung formalen Kriterien entsprechen und insoweit dem Sinn und Zweck der Leistungseinstellungsmitteilung erfüllen. Selbst also, wenn eine Weigerung der Mitwirkung im Nachprüfungsverfahren dazu führt, dass geringere formale Anforderungen an die Mitteilung gestellt werden können, da mangels Vorliegen eines neuen Gutachtens über den Gesundheitszustand des Beklagten beispielsweise keine Vergleichsbetrachtung mit dem seinerzeit als Grundlage für die dem Urteil zugrunde gelegte Berufsunfähigkeit vorgenommen werden kann, müssen jedoch grundsätzlich die formalen Erfordernisse erfüllt sein, die dem Sinn und Zweck der Einstellungsmitteilung entsprechen.
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Sinn und Zweck der Einstellungsmitteilung ist es, dass der Versicherungsnehmer die Informationen vom Versicherer erhält, die er benötigt, um sein Prozessrisiko abschätzen zu können. Sie muss also für den Versicherungsnehmer nachvollziehbar begründet sein. Sie ist für den Versicherungsnehmer so bedeutsam, weil er es ist, der sich gerichtlich gegen die durch eine solche Mitteilung ausgelösten Rechtsfolgen zur Wehr setzen muss (vgl. Prölss/Martin – Lücke, 28. Aufl. 2010, § 174 VVG, Rn 23, vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 30. 9. 2014 – 12 U 204/14). Dazu zählt auch, dass eine Vollstreckungsgegenklage zunächst voraussetzt, dass dem Versicherungsnehmer zuvor eine Einstellungsmitteilung als rechtsgestaltende (BGH VersR 1987, 808 1a) Willenserklärung zugeht, die es ihm ermöglicht, das Prozessrisiko abzuschätzen, was im Rahmen einer bereits anhängigen Vollstreckungsgegenklage dem Sinn und Zweck der Mitteilung zuwider läuft. Die Einstellungsmitteilung soll dem Versicherungsnehmer verdeutlichen, aus welchem Grund die Versicherung eine Einstellung plant und zu welchem Zeitpunkt. Nur so kann dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit eröffnet werden, sich gegen die Rechtsfolgen, die sich aus der angekündigten Leistungseinstellung ergeben werden, entgegenzuwirken.
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Im vorliegenden Fall soll die Einstellungsmitteilung der Klägerin gegenüber dem Beklagten dazu dienen, dass sich dieser aufgrund der für ihn nunmehr nach Erklärung der beabsichtigten Leistungseinstellung durch die Klägerin zeitlich absehbaren Einstellung der Zahlungen durch die Klägerin möglicherweise doch noch vor der Einstellung der Zahlungen zu einer Nachprüfung entscheidet. Dies würde ihm verwehrt, wollte man die Einstellungsmitteilung durch die Klägerin noch im Rahmen der bereits rechtshängigen Vollstreckungsgegenklage erlauben. Insoweit liegt der hier vorliegende Fall auch anders als der seinerzeit vom BGH entschiedene Fall, denn in dem insoweit entschiedenen Fall ging es um eine weitere auf andere Gründe gestützte Einstellungsmitteilung innerhalb eines Schriftsatzes in einem bereits anhängigen Rechtsstreit um die Leistungspflicht (BGH aaO). Insoweit lag jedoch im vom BGH entschiedenen Fall bereits eine Einstellungsmitteilung der Versicherung vor dem Rechtsstreit vor. Dies ist vorliegend indes nicht der Fall, sodass der Sinn und Zweck der Mitteilung, dem Versicherungsnehmer nachvollziehbar die Leistungseinstellung zu begründen, vor Klageerhebung gerade nicht gegeben war. Mithin genügt eine Einstellungsmitteilung erstmals im bereits anhängigen Rechtsstreit nicht dem Sinn und Zweck einer solchen Mitteilung.
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Von der Frage der formal erforderlichen Einstellungsmitteilung vor Erhebung einer Vollstreckungsgegenklage ist entgegen der Ansicht der Klägerin die Frage abzugrenzen, ob sich der Beklagte im Hinblick auf Treu und Glauben gemäß § 242 BGB auf die mangels Vergleichsmöglichkeit der damals festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen, auf denen die Berufsunfähigkeit fußte, mit dem jetzigen Gesundheitszustand, inhaltlich formell nicht den Grundsätzen der Rechtsprechung entsprechende Einstellungsmitteilung berufen kann. Die formelle Unwirksamkeit einer Einstellungsmitteilung hindert insoweit nicht die Wirksamkeit der Leistungseinstellung, da sich der Versicherungsnehmer nach Treu und Glauben dann nicht auf die formelle Unwirksamkeit derselben berufen kann, wenn er aufgrund seiner Weigerung die formelle Unwirksamkeit gerade herbeigeführt hat. Dies setzt aber zunächst voraus, dass eine formal erforderliche Einstellungsmitteilung gegenüber dem Versicherungsnehmer erst einmal erklärt wurde. Genau dies hat die Klägerin aber vor Klageerhebung nicht getan.
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Die Klägerin wusste auch von der Notwendigkeit einer Einstellungsmitteilung, da sie bereits im o.g. Verfahren in 2014 (Anlage K 8 aus Verfahren 12 O 2058/15) eine Einstellungsmitteilung gegenüber dem Beklagten ausgesprochen hatte. Insoweit wäre es ihr auch vorliegend möglich gewesen, gegenüber dem Beklagten vor Erhebung der Vollstreckungsgegenklage eine solche auszusprechen. Dies tat sie indes nicht.
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Die formellen Voraussetzungen für die Erhebung der Vollstreckungsgegenklage lagen damit nicht vor.
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Es kommt daher vorliegend nicht mehr auf die Frage an, ob, wie der Beklagte meint, eine Mitwirkungspflicht im Nachprüfungsverfahren seinerseits möglicherweise mangels Einbeziehung des VVG 2008 überhaupt besteht.
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Die Klage war vollumfänglich abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 ZPO.
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Der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit liegt § 709 ZPO zugrunde.
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Der Streitwert wurde gemäß § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO festgesetzt.