Inhalt

VG München, Urteil v. 05.05.2025 – M 8 K 24.69
Titel:

Erfolglose Nachbarklage des Wohnungseigentümers gegen Vorbescheid für Wohnhaus

Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 1
BauNVO § 12 Abs. 2
WEG § 13 Abs. 1 Hs. 2
Leitsätze:
1. Der einzelne Wohnungseigentümer kann gem. § 13 Abs. 1 Hs. 2 WEG baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht nur geltend machen, wenn eine konkrete Beeinträchtigung seines Sondereigentums in Frage steht. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anspruch auf Freihaltung des Nachbargrundstücks zum Erhalt der Durchlüftung und der mikroklimatischen Verhältnisse auf dem eigenen Grundstück, lässt sich aus dem Rücksichtnahmegebot nicht ableiten. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Rücksichtnahmegebot gibt nicht das Recht, jegliche Beeinträchtigung der Belichtung und Besonnung oder der Verschlechterung von Sichtachsen von einem Grundstück abzuwehren. Ein Verschattungseffekt als typische Folge der Bebauung ist insbesondere in innergemeindlichen bzw. innerstädtischen Lagen in der Regel nicht rücksichtslos und hinzunehmen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Grundstücksnachbar hat die Errichtung notwendiger Garagen und Stellplätze für ein Bauvorhaben und die mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundenen Immissionen der zu- und abfahrenden Kraftfahrzeuge des Anwohnerverkehrs grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbar, Vorbescheid, Kein Gebietserhaltungsanspruch für Sondereigentümer, Kein Nachbarschutz durch Baumschutzverordnung, Kein Nachbarschutz durch objektives Einfügensgebot (Maß der baulichen Nutzung), Keine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme, Keine erdrückende/einmauernde Wirkung bei gleich hohen Baukörpern, Gegenseitigkeit der Rücksichtnahme, KfZLärm bei Wohnnutzung(Tiefgaragenausfahrt), Wohnungseigentümer, Gebietserhaltungsanspruch, Gebot der Rücksichtnahme, Verschattung, An- und Abfahrtsverkehr, Tiefgarage
Fundstelle:
BeckRS 2025, 15380

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich als Nachbarin gegen einen der Beigeladenen durch die Beklagte erteilten baurechtlichen Vorbescheid.
2
Die Klägerin ist Miteigentümerin des nach dem Wohnungseigentumsgesetz aufgeteilten Grundstücks Fl.Nr. … Gemarkung … …, L. straße 6 h (im Folgenden: Nachbargrundstück) mit Sondereigentum an der Wohnung Nr. 1 im Erdgeschoss des auf dem Nachbargrundstück bestehenden Mehrfamilienhauses. Das Bestandsgebäude auf dem Nachbargrundstück weist eine Geschossigkeit von E + 1 + Terrassengeschoss auf. Das Sondereigentum bezieht sich neben der Wohnung auf die Richtung Nordwesten und Südwesten bestehende Freifläche, die an das Gebäude anschließt und als Terrasse sowie Hausgarten genutzt wird.
3
Südlich unmittelbar angrenzend an das Nachbargrundstück befindet sich das Grundstück Fl.Nr. …, L. straße 8 (im Folgenden: Baugrundstück), das derzeit mit einem wohngenutzten Bestandsgebäude (E + 1 + DG) in der Nähe der gemeinsamen Grundstücksgrenze bebaut ist und im Übrigen als Garten genutzt wird.
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Vergleiche zur baulichen Situation folgenden – aufgrund des Einscannens eventuell nicht mehr maßstabsgetreuen – Lageplan im Maßstab 1:1.000, der auch eine Darstellung des geplanten Gebäudes enthält:
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Mit Vorbescheid vom 27. Oktober 2023, der Klägerin zugestellt am 9. Dezember 2023, beantwortete die Beklagte einen Vorbescheidsantrag der Beigeladenen vom 27. Juli 2023 (Plan Nr. … . *) mit insgesamt fünf Vorbescheidsfragen positiv. Die dem Vorbescheidsantrag beigegebenen Planunterlagen stellen die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit Tiefgarage mit einer Grundfläche von 630 m², einer Geschossigkeit von E + 1 + Terrassengeschoss, Flachdach und einer Gesamthöhe von 9 m vor. An der Grundstücksgrenze zum Nachbargrundstück ist im Osten zunächst eine eingehauste Tiefgaragenabfahrt, hieran anschließend ein Bereich für Fahrräder und weiter Richtung Nordwesten ein Kinderspielplatz im Grundriss (EG) dargestellt. Die geringste Entfernung des Hauptbaukörpers zur gemeinsamen Grundstücksgrenze mit dem Nachbargrundstück beträgt zwischen ca. 5,3 m und 6,6 m (Maßentnahme aus dem Plan).
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Die im Vorbescheidsantrag gestellten Fragen wurden in dem Bescheid wie folgt beantwortet:
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„Frage 1: Ist die vorgesehene Wohnnutzung des Gebäudes planungsrechtlich zulässig?
8
Antwort: Ja. Das Bauvorhaben ist nach der Art der Nutzung (Wohngebäude) planungsrechtlich zulässig.
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Frage 2: Kann für das geplante Gebäude mit einer Grundfläche von 630 m², wie im Plan dargestellt, eine Genehmigung in Aussicht gestellt werden?
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Antwort: Ja. …
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Frage 3: Kann für die geplante Höhenentwicklung mit einem 2. Obergeschoss, ausgebildet als Terrassengeschoss, mit einer Höhenentwicklung von 9 m und mit Dachterrassen, wie in der Planung dargestellt, eine Genehmigung in Aussicht gestellt werden?
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Antwort: Ja. …
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Frage 4: Ist die vorgesehene Tiefgarage, wie in den Plänen ersichtlich, planungsrechtlich zulässig?
14
Antwort: Ja. …
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Frage 5: Kann die Genehmigung zur Fällung der Bäume Nummer 4, 9 und 14, im Rahmen der neuen Bebauung, in Aussicht gestellt werden?
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Antwort: Ja, für die Bäume 4 und 9 kann eine Fällung in Aussicht gestellt werden. Für Baumnummer 14 ist kein direkter Fällgrund erkennbar.
…“
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Mit Schriftsatz vom 3. Januar 2024, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 4. Januar 2024, hat die Klägerin Klage erhoben. Sie beantragt,
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Der Vorbescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2023 wird aufgehoben.
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Der Vorbescheid verstoße gegen nachbarschützende Vorschriften. Es sollten hier Bäume gefällt werden dürfen und das Nachbargrundstück solle einen massigen, 9 m hohen Baukörper erhalten, der das fast gesamte Grundstück einnehme. Die Klägerin habe einen Gebietserhaltungsanspruch als abwehrender Nachbar. Zudem sei das Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Der beabsichtigte Baukörper füge sich von seiner Größe her nicht in die nähere Umgebung ein, die von Einfamilienhäusern geprägt sei. Das Gebot der Rücksichtnahme sei in einem Fall derart massiver Nachverdichtung verletzt. Ein Baukörper in der Größe des beabsichtigten Bauvorhabens beeinträchtige die Besonnung und Belichtung des Grundstücks der Klägerin erheblich. Es sei eine Umkreisung mit massigen, hohen Baukörpern bis an die 3 m-Grenze zu befürchten. Der Garten der Klägerin sei als Südwestgarten gärtnerisch kostspielig angelegt worden und werde durch das beabsichtigte Bauwerk völlig verschattet. Die beabsichtigte Bebauung habe erdrückende Wirkung und nehme dem Grundstück der Klägerin förmlich die Luft und verursache ein Gefühl des „Eingemauertseins“. Durch die Vielzahl der geplanten Wohnungen mit dem verursachten Autoverkehr würden Lärm und Gerüche die Wohnruhe und Erholung der Klägerin über das zumutbare Maß hinaus stören.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Vorhaben verletze die Klägerin nicht in einem Anspruch auf Gebietserhaltung. Ein solcher sei hier ausgeschlossen, da das geplante Wohngebäude sowohl in einem reinen Wohngebiet als auch im allgemeinen Wohngebiet allgemein zulässig sei und daher nicht im Widerspruch zur Gebietsart stehen könne. Auch das Rücksichtnahmegebot sei nicht verletzt. Eine erdrückende, einmauernde oder abriegelnde Wirkung im Sinne der einschlägigen Rechtsprechung liege nicht vor.
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Die Beigeladene äußerte sich in dem Verfahren nicht und stellte keinen Antrag
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Augenschein. Zu den Feststellungen des Augenscheins, den übrigen Einzelheiten sowie dem weiteren Vorbringen der Parteien wird auf die beigezogenen Behördenakten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beigeladenen aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 5. Mai 2025 entscheiden, da die Beigeladene ordnungsgemäß zur Verhandlung geladen wurde und darauf hingewiesen wurde, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die Klägerin wird durch den streitgegenständlichen Vorbescheid nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Dritte können sich gegen einen Vorbescheid nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn der angefochtene Vorbescheid rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 21.7.2020 – 2 ZB 17.1309 – juris Rn. 4; B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn der Vorbescheid gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Hinzu kommt, dass die Klägerin als Sondereigentümerin nur solche Eigentumsrechte geltend machen kann, die nicht der Wohnungseigentümergemeinschaft zustehen. Der einzelne Wohnungseigentümer kann gem. § 13 Abs. 1 Halbs. 2 WEG baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht nur geltend machen, wenn eine konkrete Beeinträchtigung seines Sondereigentums in Frage steht (BVerwG, U.v. 20.8.1992 – 4 B 92/92 – juris Rn. 7 ff.; BayVGH, B.v. 8.7.2013 – 2 CS 13.807 – juris Rn. 5; B.v. 24.11.16 – 1 CS 16.2011 – juris Rn. 4; U.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 22).
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Zudem wird mit dem streitgegenständlichen Vorbescheid nicht die Errichtung des im Plan dargestellten Gebäudes zugelassen. Es werden nur die von der Beigeladenen gestellten einzelnen Fragen zum geplanten Bauvorhaben beantwortet und verbindlich geregelt. Eine Rechtsverletzung der Klägerin kommt daher nur insoweit in Betracht als der Vorbescheid durch die Beantwortung der Fragen eine Regelung trifft.
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2. Bei Berücksichtigung dieser Maßgaben mangelt es hinsichtlich der Antworten zu Frage 1 (Art der Nutzung) und Frage 5 (Baumfällung) bereits an einer die Klägerin als Sondereigentümerin nachbarschützenden Vorschrift. Sie kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass der geplante Baukörper sich objektiv nicht gem. § 34 Abs. 1 BauGB in die maßgebliche Umgebung einfüge (2.3).
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2.1 Eine Verletzung von Rechten der Klägerin kann sich aus der positiven Beantwortung von Frage 1 zur bauplanungsrechtlich zulässigen Art der Nutzung (Wohnnutzung) nicht ergeben. Der insoweit geltend gemachte Gebietserhaltungsanspruch steht ausschließlich der Wohnungseigentümergemeinschaft als Ganzes zu (BayVGH. B.v. 8.7.2013 – 2 CS 13.807 – juris Rn. 7; B.v. 27.7.2017 – 1 CS 17.918 – juris Rn. 3; VG München, U.v. 26.8.2024 – M 8 K 22.6303 – juris Rn. 24; U.v. 6.6.2016 – M 8 K 15.2783 – juris Rn. 30). Abgesehen davon liegt eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs auch deshalb fern, weil die im Vorbescheid für zulässig befundene Nutzungsart „Wohnen“ in gleicher Weise auf dem Nachbargrundstück und in der näheren Umgebung stattfindet und damit keinerlei Abweichung in der Nutzungsart zwischen dem Baugrundstück und dem Nachbargrundstück zu erkennen ist.
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2.2 Hinsichtlich der Frage 5 (Genehmigung zur Fällung von Bäumen) scheidet eine Rechtsverletzung der Klägerin aus, da allgemein anerkannt ist, dass die Vorschriften einer naturschutzrechtlichen Baumschutzverordnung nicht nachbarschützend sind. Diese Normen dienen ausschließlich den öffentlichen Belangen der Durchgrünung und Ortsbildgestaltung (BayVGH, B.v. 15.3.2004 – 2 CS 04.581 – juris Rn. 2; VG München, B.v. 10.3.2005 – M 8 SN 05.269 – juris Rn. 18).
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2.3 Soweit die Klägerin geltend macht, der geplante Baukörper füge sich nicht in die nähere Umgebung ein, ist dies für die vorliegende Entscheidung ohne Belang.
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Das in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB enthaltene Einfügensgebot dient (mit Ausnahme des Zulassungskriteriums der Art der baulichen Nutzung, das die Klägerin als Sondereigentümerin nicht geltend machen kann) im Grundsatz nur allgemein der städtebaulichen Ordnung und nicht auch dem Schutz der Nachbarn. Ein Nachbar, der sich auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 BauGB gegen ein Vorhaben im Innenbereich wendet, kann mit seiner Klage nur durchdringen, wenn eine angefochtene Baugenehmigung gegen das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verstößt (vgl. unten 3.). Darauf, ob sich das Bauvorhaben objektiv in die maßgebliche Umgebung einfügt, kommt es darüber hinaus nicht an (stRspr, BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – ZfBR 2014, 257 m.w.N.; BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.221 – juris Rn. 7).
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3. Eine Rechtsverletzung der Klägerin ergibt sich nicht aus einem Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot, das hier – nachdem sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit vorliegend hinsichtlich des übergeleiteten Bauliniengefüges nach § 30 Abs. 3 BauGB und im Übrigen nach § 34 BauGB richtet – im Begriff des „Einfügens“ in § 34 Abs. 1 BauGB mit zu prüfen ist. Das Gericht geht dabei davon aus, dass in der Zusammenschau der Fragen 2 und 3 und im Rahmen der Frage 4 auch das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot insoweit zu prüfen war, als der Baukörper eine für den Nachbarn „erdrückende Wirkung“ entfalten (3.1) und die Nutzung der Tiefgarage zu Störungen führen kann (3.2).
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Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (vgl. statt vieler: BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – NVwZ 2005, 328). Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position innehat (BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215.96 – NVwZ-RR 1997, 516). Ein Anspruch auf Freihaltung des Nachbargrundstücks zum Erhalt der Durchlüftung und der mikroklimatischen Verhältnisse auf dem eigenen Grundstück, lässt sich aus dem Rücksichtnahmegebot nicht ableiten. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17; B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12; B.v. 7.2.2012 – 15 CE 11.2865 – juris Rn. 14; B.v. 30.9.2015 – 9 CS 15.1115 – juris Rn. 14; B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 7).
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3.1 Bei Berücksichtigung dieser Vorgaben scheidet eine von der Klägerin geltend gemachte „erdrückende Wirkung“ des geplanten Baukörpers aus.
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Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen). Eine solche Situation ist hier nicht ansatzweise zu erkennen. Vielmehr ist festzustellen, dass die geplante Gebäudehöhe und die geplante Geschossigkeit der Geschossigkeit und Höhe des Gebäudes auf dem Nachbargrundstück entsprechen. Eine erdrückende Wirkung ist grundsätzlich schon zu verneinen, wenn der Baukörper des angegriffenen Gebäudes nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Nachbargebäudes (BayVGH, B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 16 m.w.N.). Erst recht kommt eine solche Wirkung bei gleich hohen Gebäuden nicht in Betracht.
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Bei dem Gebot der Rücksichtnahme handelt es sich um ein Instrument des nachbarlichen Ausgleichs, das die betroffenen Nachbarn in gleicher Weise berechtigt und verpflichtet. Dementsprechend kann der Nachbar, dessen Baubestand in der Höhe und Grenzabstand vergleichbar ist, nicht beanspruchen, dass das Nachbargrundstück zu seinen Gunsten von Bebauung frei bleibt. Das Hauptgebäude auf dem Nachbargrundstück hält zur gemeinsamen Grundstücksgrenze einen Abstand zwischen ca. 3,0 m und 6,8 m (Maßentnahme aus den Planunterlagen) ein, während das geplante Hauptgebäude zwischen ca. 5,3 m und 6,6 m von der gemeinsamen Grundstücksgrenze (Maßentnahme aus den Planunterlagen) abrückt. Angesichts vergleichbarer Gebäudehöhen würde die Klägerin daher mehr Rücksicht durch das Gebäude auf dem Baugrundstück verlangen, als das Gebäude auf dem Nachbargrundstück dem Baugrundstück an Rücksicht gewährt. Die auf dem Nachbargrundstück fehlenden Freiflächen können nicht mit Berufung auf das Rücksichtnahmegebot auf dem Baugrundstück beansprucht werden. Das Rücksichtnahmegebot vermittelt dem Nachbarn weder das Recht auf die Beibehaltung einer günstigen Situation noch legt es dem Bauherrn eine Pflicht auf, generell die für den Nachbarn am wenigsten beeinträchtigende Alternative für seine Bauabsicht zu wählen (BVerwG, B.v. 26.6.1997 – 4 B 97/97 – juris Rn. 6). Das Rücksichtnahmegebot gibt der Klägerin auch nicht das Recht, jegliche Beeinträchtigung der Belichtung und Besonnung oder der Verschlechterung von Sichtachsen von ihrem Grundstück abzuwehren (vgl. BayVGH, B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 7). Ein Verschattungseffekt als typische Folge der Bebauung ist insbesondere in innergemeindlichen bzw. innerstädtischen Lagen, in der Regel nicht rücksichtslos und hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 24; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 28 m.w.N.; OVG Bremen, B.v. 19.3.2015 – 1 B 19/15 – juris Rn. 19; SächsOVG, B.v. 4.8.2014 – 1 B 56/14 – juris Rn. 19).
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3.2 Der Vorbescheid verletzt das Rücksichtnahmegebot auch nicht insoweit, als er in der Antwort zu Frage 4 die Tiefgarage für planungsrechtlich zulässig erklärt.
41
Die durch den An- und Abfahrtsverkehr aus der geplanten Tiefgarage verursachten Immissionen sind nicht rücksichtslos. Nach § 12 Abs. 2 BauNVO sind in Wohngebieten Stellplätze und Garagen für den durch die zugelassene Nutzung notwendigen Bedarf zulässig. Die Vorschrift begründet für den Regelfall auch hinsichtlich der durch die Nutzung verursachten Lärmimmissionen eine Vermutung der Nachbarverträglichkeit. Der Grundstücksnachbar hat deshalb die Errichtung notwendiger Garagen und Stellplätze für ein Bauvorhaben und die mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundenen Immissionen der zu- und abfahrenden Kraftfahrzeuge des Anwohnerverkehrs grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen (vgl. BVerwG, B.v. 20.3.2003 – 4 B 59.02 – juris Rn. 6 ff.; BayVGH, B.v. 29.1.2016 – 15 ZB 13.1759 – juris Rn. 23 m.w.N.). Angesichts der in den Plänen zum Vorbescheidsantrag dargestellten begrenzten Fläche der Tiefgarage ist erkennbar, dass die Stellplätze nur dem durch die Wohnnutzung ausgelösten Bedarf dienen und somit als Annex zur Wohnnutzung als nachbarverträglich einzustufen sind. Umstände, die eine Ausnahme von diesem Grundsatz nahelegen würden, liegen nicht vor. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass Tiefgaragen grundsätzlich als besonders rücksichtsvoll einzustufen sein dürften, da sie im Vergleich zu oberirdischen Garagen oder Stellplätzen den Vorteil haben, dass die mit dem Parken und Abfahren verbundenen Geräuschbelästigungen (z.B. Zuschlagen von Autotüren und Kofferraum, Starten des Motors, Rangieren beim Ein- und Ausparken) unter die Erdoberfläche verlagert und dadurch die Nachbarn weitgehend von diesen Belästigungen abgeschirmt werden (BayVGH, B.v. 25.5.2021 – 15 ZB 20.2128 – juris Rn. 19).
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 ZPO.
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Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie keinen Sachantrag gestellt und sich dadurch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.