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VG München, Urteil v. 03.06.2025 – M 5 K 23.32248
Titel:

Asyl, Herkunftsland: Uganda, Rücknahmefiktion aufgrund Nichtbetreibens, Nichterscheinen zur Anhörung, Einstellung des Verfahrens, Kein Durchentscheiden des Gerichts

Normenketten:
AsylG § 33 Abs. 1
AsylG § 77 Abs. 2
AsylG § 77 Abs. 3
Schlagworte:
Asyl, Herkunftsland: Uganda, Rücknahmefiktion aufgrund Nichtbetreibens, Nichterscheinen zur Anhörung, Einstellung des Verfahrens, Kein Durchentscheiden des Gerichts
Fundstelle:
BeckRS 2025, 15376

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Die Klägerin ist ugandischer Staatsangehörige. Sie reiste am 21. Dezember 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 12. Januar 2023 einen unbeschränkten Asylantrag.
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Die Ladung zur Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erfolge gegenüber der Klägerin und ihrem Verfahrensbevollmächtigten. Die Ladung vom 11. September 2023 für die Anhörung am 18. September 2023 ist laut Aktenvermerk (Blatt 221 der Behördenakte) am 11. September 2023 als Einschreiben zur Post gegeben worden.
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Mit Bescheid vom 28. September 2023 stellte das Bundesamt das Verfahren ein (Nr.1). Zudem stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2) und forderte die Klagepartei auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde der Klagepartei die Abschiebung nach Uganda oder in einen anderen Staat, in den die Klagepartei einreisen darf oder der zu ihrer Rücknahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
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Am 20. Oktober 2023 hat die Klagepartei Klage erhoben und beantragt,
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I. Der Bescheid der Beklagten vom 28.09.2023, Az.: 9906218-286 wird aufgehoben.
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II. Die Beklagte wird verurteilt, die von der Klägerin gestellten Anträge auf internationalen Schutz zu prüfen und zu verbescheiden.
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III. (Hilfsweise:) Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin als asylberechtigt anzuerkennen.
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IV. (Hilfsweise:) Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen.
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V. (Hilfsweise:) Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
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VI. (Hilfsweise:) es wird festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 V, VII des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.
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Eine Klagebegründung erfolgte nicht
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Die Beklagte hat die Akten vorgelegt und mitgeteilt, dass Seitens der Klägerin kein weiterer Antrag beim Bundesamt gestellt worden ist.
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Mit Beschluss vom 13. Mai 2025 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen, § 76 Abs. 1 AsylG.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

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1. Das Gericht konnte vorliegend im schriftlichen Verfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, weil die Voraussetzungen des § 77 Abs. 2 des Asylgesetzes (AsylG) erfüllt sind. Die Klägerin ist anwaltlich vertreten und es handelt sich nicht um einen der Fälle des § 38 Abs. 1 AsylG bzw. § 73b Abs. 7 AsylG. Die Beteiligten wurden mit gerichtlichem Schreiben vom 25. März 2025 informiert, dass das Gericht beabsichtigt über die Klage im schriftlichen Verfahren durch Urteil zu entscheiden. In diesem Zusammenhang wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, dass auf Antrag eines Beteiligten mündlich verhandelt werden muss. Keiner der Beteiligten hat bis zum Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist (30.4.2025) noch bis zum Zeitpunkt des Urteilerlasses die mündliche Verhandlung beantragt (vgl. hierzu auch VG Gießen, U.v. 21.2.2023 – 8 K 218/22.GI.A – juris Rn. 14 f.; VG Bayreuth, U.v. 13.4.2023 – B 7 K 22.31218 – juris Rn. 22). Die Entscheidung im schriftlichen Verfahren entspricht vorliegend auch pflichtgemäßem Ermessen, weil eine mündliche Erörterung im vorliegenden Fall nicht erforderlich ist.
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2. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der verfahrensgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 der Verwalzungsgerichtsordnung/VwGO). Die Feststellung, dass das Asylverfahren eingestellt ist, weil der Asylantrag als zurückgenommen gilt, ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) rechtlich nicht zu beanstanden.
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a) Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylG stellt das Bundesamt das Verfahren ein oder lehnt den Asylantrag nach angemessener inhaltlicher Prüfung ab, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung nach § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Nach § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG gilt die vorstehende Vermutung nicht, wenn der Ausländer innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung nachweist, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Nach § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer unter anderen auf die nach § 33 Abs. 1 AsylG eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Genügt der Hinweis nicht den Anforderungen des § 33 Abs. 4 AsylG, führt die unterbliebene oder fehlerhafte Belehrung zur Rechtswidrigkeit der gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylG verfügten Einstellung des Asylverfahrens (vgl. nur BVerwG, U.v. 15.4.2019 – 1 C 46.18 – juris Rn. 30).
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b) Der Vermutungstatbestand des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG ist vorliegend erfüllt. Die Klägerin ist einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen, weshalb das Nichtbetreiben des Asylverfahrens vermutet wird.
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Die Ladung zur Anhörung für den Termin am 18. September 2023 ist dem Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 11. September 2023 zugestellt worden. Das Schreiben ist am 11. September 2023 per Einschreiben versandt worden (Blatt 221 der Behördenakte). Mit Schreiben vom 17. August 2023 (Blatt 217 der Behördenakte) hat sich der Rechtsanwalt, gegenüber dem die Zustellung erfolgt ist, im Asylverfahren der Klägerin als Bevollmächtigter ausgewiesen, sodass die Zustellung der Ladung an einen Rechtsanwalt als bewirkt anzusehen ist (§ 7 Abs. 1 Verwaltungszustellungsgesetz/VwZG).
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Die Klagepartei hat die gesetzliche Vermutung des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG auch nicht nach § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG widerlegt. Sie hat nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des die Entscheidung nach § 33 Abs. 1 AsylG enthaltenden Bescheids des Bundesamts nachgewiesen, dass das Nichterscheinen zum Anhörungstermin am 18. September 2023 auf Umstände zurückzuführen war, auf die die Klägerin keinen Einfluss hatte.
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Die Klägerin ist auf die Folgen des Nichtbetreibens gegen Empfangsbekenntnis am 12. Januar 2023 hingewiesen worden (vgl. § 33 Abs. 4 AsylG) (Blatt 54 ff. der Behördenakte).
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Die Klägerin wurde auf die Rechtsfolgen von § 33 Abs. 1 AsylG auch ausreichend schriftlich und gegen Empfangsbestätigung im Sinne des § 33 Abs. 4 AsylG hingewiesen. Durch Aushändigung der „Wichtigen Mitteilung“ (Stand 1.1.2023) im Rahmen der Asylantragstellung in der Sprache Deutsch (Blatt 57 ff. der Behördenakte) und Englisch (Blatt 67 ff. der Behördenakte) deren Erhalt die Klägerin am 12. Januar 2023 durch ihre Unterschrift auf der in den Verwaltungsvorgängen befindlichen schriftlichen Empfangsbestätigung dokumentiert hat (Blatt 54 der Behördenakte), ist das Bundesamt seiner Verpflichtung zur Belehrung über die Rechtsfolgen nach § 33 Abs. 1 AsylG in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise nachgekommen (ebenso VG Düsseldorf, B.v. 23.4.2024 – 3 L 775/24.A – juris Rn. 29).
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c) Die vom Bundesamt zusammen mit der Einstellungsentscheidung getroffene Entscheidung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2 des Bescheids) ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots ergeben sich aus dem Vortrag der Klägerin nicht. Auch die vom Bundesamt ausgesprochene Abschiebungsandrohung (Nr. 3 des Bescheids) sowie das Einreise und Aufenthaltsverbot (Nr. 4 des Bescheids) sind ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Insoweit wird auf die Ausführungen im Bescheid verwiesen (§ 77 Abs. 3 AsylG).
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3. Die übrigen Hilfsanträge, die Klägerin als asylberechtigt anzuerkennen, den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen bzw. den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sind bereits unzulässig. Die Erhebung einer unmittelbar auf Asylanerkennung bzw. Gewährung internationalen Schutzes gerichteten Verpflichtungsklage ist unzulässig. In der vorliegenden Situation ist die Erhebung einer auf Asylanerkennung bzw. die Gewährung internationalen Schutzes gerichteten Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO auch im Hinblick auf die grundsätzliche Pflicht des Gerichts zum „Durchentscheiden“ nicht geboten. Es fehlt nämlich an einer vorherigen eigenen Entscheidung des Bundesamtes in der Sache. Wäre das Gericht verpflichtet, die Sache spruchreif zu machen und durchzuentscheiden, ginge der Klägerin eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestattet ist. Im Übrigen würde ein Durchentscheiden des Gerichts im Ergebnis dazu führen, dass das Gericht nicht wie gewöhnlich eine Entscheidung der Behörde kontrollieren würde, sondern anstelle der Behörde selbst entscheiden würde, was im Hinblick auf dem Grundsatz der Gewaltenteilung zumindest bedenklich wäre (VG Augsburg; U.v. 8.2.2017 – Au 5 K 17.30076 – juris Rn. 30). Im Falle der Aufhebung eines auf der Grundlage von § 33 AsylG ergangenen Bescheides ist daher das Asylverfahren durch die Beklagte fortzuführen und das Asylbegehren von ihr in der Sache selbst zu prüfen (vgl. BVerwG, U.v. 7.3.1995 – 9 C 264.94; U.v. 5.9.2013 – 10 C 1.13; BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 22 zu einer Konstellation nach § 71a AsylG). Ein Anspruch auf ein „Durchentscheiden“ des Gerichts ist daher nicht anzuerkennen.
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4. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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5. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.