Titel:
Asylklage, Uganda, Homosexualität, Glaubhaft
Normenketten:
AsylG § 3
GG § 16a
Schlagworte:
Asylklage, Uganda, Homosexualität, Glaubhaft
Fundstelle:
BeckRS 2025, 15375
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. Oktober 2023 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleiche Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin ist ugandischer Staatsangehörige. Sie reiste am 22. April 2022 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 2. Mai 2022 einen unbeschränkten Asylantrag.
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Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 30. März 2023 gab sie an, dass sie Homosexuell sei. Seit September 2019 bis jetzt habe sie eine Freundin namens A A . Mit ihr habe sie in W. zusammengewohnt. Sie hätten sich über die gemeinsame Universität kennengelernt. Dann hatten sie Interesse aneinander gehabt. Anfang September 2021 als sie auf einer Polizeistation gewesen sei, da sie ihr Handy verloren hatte, sei sie von einem Polizisten vergewaltigt worden. Der Polizist habe zunächst angefangen süß mit ihr zu sprechen, sie zu berühren, sie anzufassen. Die Klägerin habe ihm gesagt, er solle sich von ihr fernhalten und ihm gesagt, dass sie nicht auf Männer stehe. Er habe sie zur Wand geschubst und zweimal auf die Wange geschlagen. Am Ende habe sie in Haft in einer Zelle mit Männern bleiben müssen. Am Abend habe er sie aus der Zelle geholt und gesagt, sie solle etwas unterschreiben. Sie könne sich noch daran erinnern, dass er sie von hinten am Hals gepackt und sie dann vergewaltigt habe. In der Folge habe es dann Gerüchte gegeben, über das, was passiert sei. Es sei gesagt worden, dass die Klägerin eine Krankheit sei, dass sie vernichtet werden müsse, dass sie die Kinder zu Homosexuellen machen würde.
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Mit Bescheid vom 25. Oktober 2023 erkannte das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr.1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Zudem stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4) und forderte die Klagepartei auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde der Klagepartei die Abschiebung nach Uganda oder in einen anderen Staat, in den die Klagepartei einreisen darf oder der zu ihrer Rücknahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
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Am 6. November 2023 hat die Klagepartei Klage erhoben und zuletzt beantragt,
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I. Der Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. Oktober 2023, zugestellt am 2. November .2023, wird aufgehoben.
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II. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.
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III. Die Beklagte wird verpflichtet die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen.
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IV. Weiter hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
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V. Weiter hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) bestehen.
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Die Beklagte hat die Akten vorgelegt, ohne sich in der Sache zu äußern.
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Mit Beschluss vom 14. März 2025 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen, § 76 Abs. 1 AsylG.
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Die Klägerin ist im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 23. Mai 2025 informatorisch angehört worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschrift vom 23. Mai 2025 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage, über die trotz Fernbleibens eines Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO), ist begründet. Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 des Asylgesetzes/AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt gem. § 3 AsylG sowie auf Asylanerkennung nach Art. 16a des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland/GG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Bescheid des Bundesamtes vom 25. Oktober 2023 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Er ist deshalb in vollem Umfang aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin als Asylberechtigte und als Flüchtling anzuerkennen.
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1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG sowie auf Asylanerkennung Art. 16a GG. Das Gericht ist nach dem persönlichen Eindruck, den es von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, von der Glaubhaftigkeit ihres Vortrags und der Glaubwürdigkeit der Klägerin überzeugt.
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Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Die Verfolgungshandlungen werden in § 3a AsylG näher umschrieben, die Verfolgungsgründe werden in § 3b AsylG erläutert. Eine Verfolgung kann nach § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
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Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn im Herkunftsland eine interne Schutzmöglichkeit besteht, § 3e AsylG.
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Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzuwenden. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33/07 – juris Rn. 37).
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Die begründete Furcht vor Verfolgung kann dabei sowohl auf tatsächlich erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung bereits vor der Ausreise im Herkunftsstaat (Vorverfolgung) oder auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat (Nachfluchtgründe), insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist (§ 28 Abs. 1a AsylG).
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Der der Prognose zugrunde zu legende Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit bleibt auch dann unverändert, wenn der Ausländer bereits Vorverfolgung erlitten hat. Allerdings ist nach Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 – Qualifikationsrichtlinie – (ABl. L 337 S. 9) die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Dies ist im Sinne einer widerlegbaren tatsächlichen Vermutung zu verstehen (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – juris Rn. 23).
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss das Gericht auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des von der Klägerin behaupteten individuellen Schicksals erlangen. Auch innere Tatsachen, wie die sexuelle Identität oder dass eine verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für die religiöse Identität des Betroffenen zentrale Bedeutung hat, muss zur Überzeugung des Einzelrichters (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) feststehen (vgl. BVerfG, B.v. 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 – juris Rn. 27). Das Gericht darf dabei vor dem Hintergrund des typischer Weise bestehenden Beweisnot keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der Zweifeln schweigen gebieten muss, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (vgl. BVerwG, U. v. 16.4.1985 – 9 C 109/85 – juris Rn. 16 m.w.N.). Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – InfAuslR 1989, 349).
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Damit eine Schutzberechtigung geprüft werden kann, hat ein Asylbewerber von sich aus einen stimmigen, der Wahrheit entsprechenden, vollständigen und widerspruchsfreien Sachverhalt zu geben (vgl. stRspr. BVerwG, B.v. 20.5.1992 – 9 B 295.91 – juris Rn. 5; U.v. 20.10.1987 – 9 C 147.86 – juris Rn. 16; U. v. 22.3.1983 – 9 C 68.81 – juris Rn. 5). Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist – unter Berücksichtigung der Herkunft, des Bildungsstands und des Alters des Asylsuchenden sowie sprachlicher Schwierigkeiten – ein geeigneter Vortrag, der die in die eigene Sphäre des Asylsuchenden fallenden Ereignisse, insbesondere ihre persönlichen Erlebnisse, lückenlos trägt (vgl. BVerwG, B.v. 20.8.1992 – 9 B 295.91 – juris Rn. 5; U.v. 8.5.1984 – 9 C 141.83 – juris Rn. 11). Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht, sein Vorbringen nicht überzeugend auflösbare Widersprüche enthält oder er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert (vgl. BayVGH, U.v. 19.4.2021 – 11 B 19.30575 – juris Rn. 23 m.w.N.; BVerwG, U.v. 8.2.1989 – 9 C 29.87 – juris Rn. 8). Im Falle des Vortrags einer Homosexualität kann diese angesichts des sensiblen Charakters der die persönliche Sphäre betreffenden Frage nicht alleine deshalb als unglaubhaft angesehen werden, weil die Homosexualität nicht bereits bei der Anhörung durch das Bundesamt als erste Gelegenheit zur Offenbarung geltend gemacht wurde (vgl. EuGH, U. v. 2.12.2014, – C-148/13 – Rn. 67 ff. – juris).
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2. Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei der Klägerin vor. Der erkennende Einzelrichter ist nach einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls auch unter Berücksichtigung der Sprachbarriere sowie der Aussagepersönlichkeit davon überzeugt, dass die Klägerin homosexuell ist und aus diesem Grund bei einer Rückkehr nach Uganda eine Verfolgung zu befürchten hat.
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a) Das Gericht ist im Ergebnis davon überzeugt, dass die Klägerin homosexuell ist. Diese Einschätzung beruht auf dem persönlichen Eindruck, den die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung gemacht hat. Die Klägerin hat bei ihrer informatorischen Anhörung Fragen widerspruchsfrei beantwortet und insgesamt einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Daneben hat sie anschaulich dargestellt, wie sie ihren Lebensstil in Uganda hat anpassen müssen, um ihre sexuelle Orientierung verdeckt zu halten. Die Klägerin hat die bereits in der Anhörung geschilderten Gedanken und Gefühle zu diesem Konflikt und insbesondere auch das eigene Bewusstwerden der sexuellen Orientierung in der mündlichen Verhandlung nochmals vertiefter dargelegt. Der Vortrag zur Homosexualität erscheint besonders auch vor dem Hintergrund glaubhaft, dass der Prozess des Bewusstwerdens der sexuellen Orientierung sehr detailreich geschildert worden ist. Die Klägerin schilderte diese Entwicklung anschaulich, wirkte persönlich berührt und emotional betroffen, ohne dass er den Eindruck erweckte, ein erdachtes Ereignis künstlich emotional aufladen zu wollen.
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b) Darüber hinaus ist das Gericht auch davon überzeugt, dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr in Uganda aufgrund ihrer Homosexualität mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht. Eine Vorverfolgung ist dabei nicht zwingend erforderlich (VG München, U.v. 10.6.2022 – M 5 K 17.46131 – Rn. 42). Diese Verfolgung droht ihm zumindest durch nichtstaatliche Akteure, ohne dass der ugandische Staat wirksamen Schutz hiervor bietet (§§ 3c, 3d AsylG), und ohne dass ihm interner Schutz zur Verfügung steht (§ 3e AsylG).
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aa) Den maßgeblichen Erkenntnismitteln ist zur Situation Homosexueller in Uganda insoweit Folgendes zu entnehmen und bei der Beurteilung des Sachvortrags der Klägerin zu Grunde zu legen:
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Aus den Erkenntnismitteln gehen zahlreiche Übergriffe nichtstaatlicher Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG gegen Angehörige sexueller Minderheiten, darunter Homosexuelle, hervor. Homosexualität ist in der ugandischen Gesellschaft geächtet, ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird nicht anerkannt (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an den BayVGH vom 19. Februar 2019 zu der Fragen 3 a). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes besteht bei offen gelebter Homosexualität vermutlich eine erhöhte Gefahr dafür, Opfer von Übergriffen zu werden (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an den BayVGH vom 19. Februar 2019 zu der Fragen 3 e). Homosexuelle sind Diskriminierung, Anfeindungen und Repressalien ausgesetzt (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an den BayVGH vom 19. Februar 2019 zu der Fragen 3 a). Insbesondere sind Homosexuelle nach den Erkenntnismitteln körperlichen und verbalen Angriffen, Mobgewalt, Vertreibungen, Erpressung, Entführungen, Drohungen und Belästigungen durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt (vgl. etwa Amnesty International, Auskunft an den BayVGH vom 30. August 2019, zu der Frage 3 b).
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Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes haben Vertreter Ugandas mehrfach versichert, staatliche Stellen tolerierten keine Übergriffe nichtstaatlicher Akteure („Mobjustiz“) gegen Homosexuelle (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Karlsruhe vom 3. April 2014, zu Frage 3 b). Trotz dieses erklärten Schutzwillens Ugandas ist den Erkenntnismitteln jedenfalls nur eine unzureichende Schutzfähigkeit des Staates zu entnehmen. Gegen die Übergriffe bieten die ugandischen Polizeikräfte nur in Einzelfällen Schutz, in einer Vielzahl an Fällen bleiben Homosexuelle schutzlos (vgl. Amnesty International, Auskunft an den BayVGH vom 30. August 2019, zu der Frage 3 c). Ein Bericht des britischen Innenministeriums von 2019 bestätigt, dass die Polizei Fälle von Gewalt gegen LGBTI-Personen in der Regel nicht untersuche und stattdessen die Opfer festnehme. Dort wird ausgeführt, dass der Staat im Falle von begründeter Angst vor Verfolgung einer Person durch nichtstaatliche Akteur(innen) in der Regel in der Lage, aber nicht bereit sei, einen wirksamen Schutz zu bieten (vgl. United Kingdom: Home Office (2019), Country Police and Information Note – Uganda: sexual orientation and gender identity and expression, S. 10; allgm. zugänglich unter https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/792036/CPIN_Uganda_SOGIE_EXT_April_2019.pdf).
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Homophobie ist in der ugandischen Gesellschaft weit verbreitet. Der Anti-Homosexuality Act von 2014 befeuerte über die rechtlichen Auswirkungen hinaus eine homosexualitätsfeindliche gesellschaftliche Stimmung und legitimierte Übergriffe und Gewalt gegen LGBTI-Personen durch nichtstaatliche Akteur(innen), die für ihre Taten meist nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Die allgemeine Homophobie in der Gesellschaft hat sich im Zuge der Verabschiedung des Anti-Homosexuality Acts und in den Folgejahren weiter verschärft (vgl. Amnesty International, Rule by law. Discriminatory Legislation and legitimized abuses in Uganda, Oktober 2014, S. 29 f.; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Entscheiderbrief 10/2023, Die Situation von LGBTIQ-Personen in Ostafrika, insbesondere Uganda, S. 3). Private Akteure können sich bei ihren Verfolgungsmaßnahmen staatlich legitimiert fühlen. Sie berufen sich auf die Strafbarkeit nach Section 145 des Penal Code Act und drohen den Opfern mit Strafanzeigen (vgl. Amnesty International, Rule by law. Discriminatory Legislation and legitimized abuses in Uganda, Oktober 2014, S. 46 f.). Am 2. Mai 2023 hat das ugandische Parlament ein überarbeitetes Antihomosexuellengesetz verabschiedet, nachdem ein erster Entwurf durch den Präsidenten zurückgewiesen wurde. Der neue Gesetzentwurf sieht hohe Strafen vor. Bei einer Beteiligung an homosexuellen Handlungen sieht der Entwurf vor, dass dies mit lebenslanger Haft und in manchen Fällen mit der Todesstrafe geahndet werden kann (zum Ganzen: „Parlament in Uganda beschließt überarbeitetes Antihomosexuellengesetz“, https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-05/uganda-anti-homosexuellengesetz-parlament-ueberarbeit…, Abruf am 8.5.2023). Dieses Gesetz ist inzwischen vom Präsidenten unterzeichnet worden und somit in Kraft getreten (zum Ganzen: „Todesstrafe für „schwere Homosexualität“, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/uganda-lgbtq-gesetz-100.html, Stand 29.5.2023, Abruf: 8.11.2023). Das Gesetz verbietet jegliche Form gleichgeschlechtlicher Beziehungen sowie die Unterstützung oder Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen und sieht hohe Haftstrafen vor. In bestimmten Fällen der „schweren Homosexualität“ („aggravated homosexuality“) sieht das Gesetz die Todesstrafe vor. Die „Begünstigung von Homosexualität“ („promotion of homosexuality“), die eine bis zu 20-jährige Haftstrafe nach sich ziehen kann, betrifft u. a. die wissentliche finanzielle Unterstützung von Homosexualität, die wissentliche Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten (z.B. Mietwohnungen), in denen homosexuelle Handlungen durchgeführt werden, oder das Betreiben einer Organisation, die Homosexualität begünstigt (zum Ganzen: Republic of Uganda, The Anti-Homosexuality-Act mit Übersetzung in die deutsche Sprache; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Entscheiderbrief 10/2023, Die Situation von LGBTIQ-Personen in Ostafrika, insbesondere Uganda, S. 3).
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Die gesellschaftliche Verfolgung wird durch ugandische Massenmedien begleitet, die mehrfach Angehörige sexueller Minderheiten bloßgestellt haben. Im Jahr 2010 hat die Boulevardzeitung „Rolling Stone“ Fotos und Adressen von 100 angeblich Homosexuellen veröffentlicht. Auf der Titelseite rief das Magazin dazu auf, die abgebildeten Personen zu erhängen. Drei Monate später wurde David Kato, einer der Bloßgestellten und ein Homosexuellen-Aktivist, ermordet (vgl. Amnesty International, Auskunft an den BayVGH vom 30.8.2019, zu der Frage 3 a).
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Einige ugandische Medien setzen ihre anprangernde Berichterstattung über Angehörige sexueller Minderheiten fort, ohne dass hinreichender staatlicher bzw. gerichtlicher Schutz gegen die Medien ersichtlich ist. Vielmehr zahlten festgenommene Beschuldigte, denen Homosexualität zur Last gelegt wurde, Bestechungsgelder an die Polizei, um eine Veröffentlichung der Polizeifotos bzw. Weitergabe an die Medien zu vermeiden. Falls die Polizei die Medien benachrichtigt oder den Beschuldigten den Medien vorführt, berichten diese regelmäßig unter Preisgabe der Identität des Beschuldigten. Auf Initiative evangelikaler Gemeinden werden Angehörige sexueller Minderheiten zudem in den sozialen Medien, wie etwa Facebook und Twitter, ohne ihre Zustimmung geoutet. Nach solch einem unfreiwilligen Outing in den Medien drohen ihnen Belästigungen, gesellschaftliche Ausgrenzung und Gewalt (vgl. VG Berlin, U.v. 13. November 2015 – 34 K 55.12 A – juris Rn. 61 m.w.N.).
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bb) Die Angaben der Klägerin gegenüber dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung stehen im Einklang mit der Auskunftslage und tragen den Vortrag zu ihrer sexuellen Orientierung und Verfolgung vor der Ausreise. Die Klägerin hat glaubhaft, detailliert und widerspruchsfrei vorgetragen, dass sie in Uganda aufgrund ihrer Homosexualität durch die Polizei verfolgt worden ist, wobei eine Vorverfolgung nicht zwingend erforderlich ist (VG München, U.v. 10.6.2022 – M 5 K 17.46131 – Rn. 42).
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Da die Homosexualität der Klägerin in Uganda bekannt wurde und nicht im Geheimen geblieben ist, ist eine Geheimhaltung ihrer Homosexualität nur schwerlich möglich und es ist ihr jedenfalls nicht zuzumuten, ihre identitätsprägende, offen gelebte Homosexualität zu unterdrücken, droht ihr nach den vorstehenden Ausführungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine private oder staatliche Verfolgung in Uganda wegen ihrer sexuellen Ausrichtung.
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c) Wirksamer staatlicher bzw. hoheitlicher Schutz i.S.v. § 3d Abs. 1 und 2 AsylG steht der Klägerin bei Rückkehr – wie oben dargestellt – nicht zur Verfügung.
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d) Auf internen Schutz kann die Klägerin nicht verwiesen werden. Das Gericht geht davon aus, dass das Ausleben der homosexuellen Identität in ganz Uganda verfolgt wird. Ein Geheimhalten der sexuellen Orientierung zur Vermeidung der Verfolgung ist der Klägerin nicht zumutbar (vgl. EuGH, U.v. 7.11.2013 – C-199/12 bis C 201/12 – juris).
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Nach alledem ist der Klägerin Flüchtlingsschutz zuzuerkennen und der Bescheid des Bundesamtes aufzuheben, soweit er dem entgegensteht. Einer Entscheidung über die weiteren Anträge bedurfte es nicht, da sie nur hilfsweise gestellt waren und die Klägerin mit ihremHauptantrag Erfolg hat.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.