Titel:
Anordnung von Leinenzwang bei einem erwachsenen Schäferhund, Schriftliche Zeugenaussagen im Anwendungsbereich von Art. 18 Abs. 2 LStVG
Normenkette:
LStVG Art. 18 Abs. 2
Schlagworte:
Anordnung von Leinenzwang bei einem erwachsenen Schäferhund, Schriftliche Zeugenaussagen im Anwendungsbereich von Art. 18 Abs. 2 LStVG
Fundstelle:
BeckRS 2025, 15366
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleiche Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger ist Halter zweier Hunde, darunter der erwachsene weiße Schäferhundrüde „…“ (B.), den er auf seinem Privatanwesen in der G.-Str, … … hält. Er wendet sich im vorliegenden Verfahren gegen einen von der Beklagten verfügten Leinen- und Maulkorbzwang sowie eine Hundeführeranordnung.
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Am 16. Oktober 2024 kam es gegen 9:40 Uhr am Kreisverkehr in … zu einem Vorfall mit dem Hund B. Dieser wurde – zusammen mit dem Schäferhundweibchen des Klägers – von der Ehefrau des Klägers auf der L. straße in Richtung Kreisverkehr an der Leine geführt. Als eine andere Frau mit ihrem Border Collie auf der gegenüberliegenden Straßenseite entgegenkam und die Hunde einander wahrnahmen, setzte Gebell ein und B. lief mit der noch an ihm hängenden Leine über die Straße auf den anderen Hund zu, fletschte die Zähne und attackierte den anderen Hund. Bei dem Versuch, den Angriff auf ihren Hund durch einen Fußtritt gegen den Bauch B.s abzuwehren, erlitt sie Bissverletzungen.
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Die Geschädigte zeigte den Vorfall noch am selben Vormittag bei der Beklagten telefonisch und per E-Mail an und erstattete zudem unter Stellung eines Strafantrags Anzeige bei der Polizeiinspektion …, wo das Verfahren unter dem polizeilichen Aktenzeichen … geführt wird.
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Im Rahmen der polizeilichen Zeugenvernehmung gibt sie an, die Führerin des Schäferhundes sei ca. Mitte 40, 172 cm groß, schlank, habe lange braune Haare und wohne in der G.-Str. in … Dies wisse sie, da sie sie dort bereits einmal besucht habe, denn deren Hund habe vor einiger Zeit schon einmal ihren Hund gebissen. Die Ehefrau des Klägers äußerte sich im Rahmen der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung nicht.
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Zum Nachweis der Verletzungen am Hund legte die Geschädigte ein Schreiben einer Tierarztpraxis vom 16. Oktober 2024 vor, das eine Bissverletzung hinten rechts am Mittelfuß sowie eine abgebrochene Kralle, hinten links zwei Hautabschürfungen am Mittelfuß und ebenfalls eine abgebrochene Kralle sowie ferner zwei kleinere Hautabschürfungen unter dem Maul attestiert. Zum Nachweis ihrer eigenen Verletzungen legte sie ein ärztliches Attest vom 18. Oktober 2024 vor, das ein Hämatom sowie Hautabschürfungen „im Sinne eines Zahnabdrucks“ an der Innenseite des rechten Oberschenkels bescheinigt. Weiterhin legt sie eine Lichtbildtafel der Polizeiinspektion … vor. Diese enthält sechs, am 5. November 2024 durch die Polizei aufgenommene Lichtbilder, welche die Verletzungen der Geschädigten und deren Hund zeigen.
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Mit Schreiben vom 25. Oktober 2024 hörte die Beklagte den Kläger unter Schilderung des Vorfalls zu einem Leinen- und Maulkorbzwang innerorts sowie einem Leinenzwang außerorts bei Annäherung von Personen und anderen Hunden auf unter 30 m sowie zu der Anordnung, dass der Hund nur von Personen, die zuverlässig und körperlich hinreichend befähigt sind, den Hund zu kontrollieren, ausgeführt werden darf, an und räumte ihm bis 12. November 2024 Gelegenheit zur Stellungnahme ein. Der Kläger äußerte sich im Rahmen der Anhörung nicht.
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Auf Nachfrage durch die Beklagte per E-Mail vom 29. Oktober 2024 erklärte die Geschädigte per E-Mail vom 31. Oktober 2024 noch einmal ausdrücklich, sie sei sich sicher, dass es sich um den Rüden gehandelt habe.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 25. November 2024 verpflichtete die Beklagte den Kläger B. außerhalb des Halteranwesens bayernweit innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile nur an einer reißfesten, schlupfsicheren und maximal 1,5 m langen Leine auszuführen (Nr. 1 Satz 1). Außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile auf übersichtlichen Freiflächen darf dem Hund Freiauslauf gewährt werden (Nr. 1 Satz 2), bei Annäherung von anderen Personen oder Hunden auf unter 30 m ist er jedoch umgehend anzuleinen (Nr. 1 Satz 3). Zudem verpflichtete die Beklagte den Kläger, B. außerhalb des Halteranwesens bayernweit innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile mit einem beißfesten und abstreifsicheren, geschlossenen Maulkorb auszuführen (Nr. 2 Satz 1), der das Maul vollständig umfassen und insbesondere nach vorne geschlossen sein muss (Nr. 2 Satz 2). Zudem wurde dem Kläger aufgegeben sicherzustellen, dass die sich aus den Nummern 1 und 2 des Bescheids ergebenden Verpflichtungen auch von Dritten erfüllt werden, die mit der Betreuung und Ausführung des Hundes beauftragt werden (Nr. 3 Satz 1), wobei nur Personen beauftragt werden dürfen, die zuverlässig und körperlich hinreichend befähigt sind, den Hund zu kontrollieren (Nr. 3 Satz 2). Die sofortige Vollziehung der Nummern 1 bis 3 wurde angeordnet (Nr. 4) und für den Fall eines Verstoßes gegen die Anordnungen aus den Nummern 1 bis 3 wurde ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 500 EUR angedroht (Nr. 5). Die Verfahrenskosten wurden dem Kläger auferlegt; die Bescheidsgebühr wurde auf 120 EUR festgesetzt (Nr. 5).
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Die Anordnungen wurden auf die Rechtsgrundlage des Art. 18 Abs. 2 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) gestützt. Es sei grundsätzlich davon auszugehen, dass von großen, kräftigen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen unangeleint herumlaufen und Menschen oder Tiere angreifen, eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit Dritter ausgehe. Deshalb könne für solche Hunde grundsätzlich ein Leinenzwang in bewohnten Gebieten angeordnet werden, ohne dass es zu Beißvorfällen gekommen sein müsse. Hier habe sich durch den Vorfall vom 16. Oktober 2024, bei dem B. einen anderen Hund sowie dessen Halterin attackiert und verletzt habe, die von diesem Hund ausgehende Gefahr bereits konkretisiert, sodass auch prognostisch ohne weiteres davon auszugehen sei, dass von B. eine konkrete Gefahr für die Rechtsgüter Eigentum und Gesundheit ausgehe. Um dem Bewegungsbedürfnis des Hundes angemessen Rechnung zu tragen, gelte die Leinenpflicht jedoch außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile auf übersichtlichen Freiflächen nur, wenn sich andere Hunde oder Personen auf unter 30 m annäherten. Dies bringe das Tierwohlinteresse einerseits und das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit andererseits in einen gerechten Ausgleich. Zusätzlich habe innerorts ein Maulkorbzwang angeordnet werden müssen, da sich der Anlassvorfall ereignet habe, obwohl B. angeleint gewesen war. Ein Leinenzwang allein reiche somit zur effektiven Gefahrenabwehr nicht aus, mildere Mittel seien insoweit nicht gegeben. Das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit überwiege das klägerische Privatinteresse, dem Hund innerorts keinen Maulkorb anlegen zu müssen. Dem stünden auch keine Tierwohlinteressen entgegen, da es keine Erfahrungssätze gebe, das Tragen eines Maulkorbes habe auf Hunde schädliche Auswirkungen; im Übrigen würde die Beklagte auch diesbezüglich dem Sicherheitsinteresse der Bevölkerung den Vorrang einräumen. Die Hundeführeranordnung sei erforderlich, da die verfügte Anleinpflicht nur dann effektiv sei, wenn der Hundeführer nach seiner physischen und psychischen Verfassung in der Lage sei, über die Leine auf den Hund ausreichend einzuwirken.
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Am 27. Dezember 2024 erhob der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag,
den Bescheid der Beklagten vom 25. November 2024 aufzuheben.
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Zur Klagebegründung wurde mit Schreiben vom 13. Februar 2025 ausgeführt, die Beklagte habe den Sachverhalt nur unzureichend aufgeklärt. Es werde bestritten, dass B. bereits zuvor einmal an einem ähnlichen Vorfall mit der Anzeigeerstatterin beteiligt gewesen sein soll. Zudem werde bestritten, dass B. an dem streitgegenständlichen Vorfall beteiligt gewesen sei. Die Beklagte sei zu einer Untersuchung des klägerischen Hundes B. verpflichtet gewesen, was angesichts der zeitnahen Meldung des Vorfalls möglich gewesen sei. Es sei auch unklar, wie und woran die vermeintlich Geschädigte glaube, die Ehefrau des Klägers als Hundeführerin von der gegenüberliegenden Straßenseite erkannt zu haben. Zudem verstoße die Beklagte gegen die Neutralitätspflicht. Sie habe bereits im Anhörungsschreiben vom 25. Oktober 2024 unterstellt, B. sei in den Vorfall involviert gewesen, obwohl die Anzeigeerstatterin erst am 31. Oktober 2024 angegeben habe, es habe sich um diesen Hund gehandelt. Zudem sei dem Unterzeichner die beantragte Akteneinsicht zunächst verwehrt worden. Die Äußerungen der Beklagten im Verwaltungsverfahren sowie im Prozess ließen außergewöhnliche Empfindlichkeiten bei der Beklagten erkennen. Es sei eine parteiische und voreingenommene Haltung der Beklagten und somit ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht und das Gebot des fairen Verfahrens zu besorgen. Dies äußere sich hier darin, dass die Beklagte die Angaben der mutmaßlichen Geschädigten ungeprüft übernommen habe und sogar voreilig nicht nur überhaupt einen Hund des Klägers als Verursacher der behaupteten Bissverletzungen angenommen, sondern diesen Vorwurf gleich dem Rüden B. zugewiesen habe. Zudem sei die Verfügung auch unverhältnismäßig, was die kombinierte Anordnung von Leinen- und Maulkorbzwang sowie die Überlassung des Hundes an eine hinreichend körperlich befähigte Person angehe. Selbst wenn der Vortrag der Beklagten wahr wäre, sei die Anordnung unter Nr. 3 ausreichend, da diese das mildeste, gleichermaßen geeignete Mittel sei, um weitere Vorfälle zu verhindern. Aus den genannten Gründen sei gleichermaßen die Zwangsgeldbewährung der Anordnungen rechtswidrig.
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Die Beklagte beantragte mit Schreiben vom 7. Januar 2025,
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Zur Begründung führte sie aus, der Kläger selbst stelle den Ablauf des Vorfalls vom 16. Oktober 2024 nicht infrage, bestreite aber pauschal eine Beteiligung des Hundes B. Die Geschädigte habe den zubeißenden Hund aber eindeutig als Rüden identifiziert; bei dem anderen weißen Schäferhund des Klägers handele es sich um ein Weibchen. Die Geschädigte habe die Ehefrau des Klägers deshalb zuordnen können, da ihr Hund in der Vergangenheit schon einmal vom Hund des Klägers gebissen worden sei und sie daher gewusst habe, wo der Kläger und seine Ehefrau wohnten. Zudem wohnten die Geschädigte und die Klagepartei nur eine Straße voneinander entfernt. Die Klagepartei selbst bestreite auch gar nicht, dass die Ehefrau des Klägers zugegen gewesen sei. Ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht liegen nicht vor. Grundsätzlich dürfe sich die Beklagte im Anwendungsbereich des Art. 18 Abs. 2 LStVG mit schriftlichen Zeugenaussagen begnügen. Hinweise darauf, dass die Geschädigte die Klagepartei zu Unrecht belasten würde, haben der Gemeinde nicht vorgelegen und seien auch nicht ersichtlich. Es sei unklar, was eine Vorstellung und Untersuchung des klägerischen Hundes B. hätte bringen sollen. Ungeachtet der rechtlichen Qualität der vom Kläger in den Raum gestellten Neutralitätspflichtverletzung habe die Beklagte die Schilderung des Sachverhalts im Anhörungsschreiben im Konjunktiv verfasst. Hierzu habe der Kläger nicht Stellung genommen. Eine weitere Aufklärung sei somit nicht angezeigt gewesen. Die begehrte Akteneinsicht habe der Klägervertreter mittlerweile erhalten; es erschließe sich aber nicht, inwiefern aus einer möglicherweise etwas langsamen Bearbeitung des Antrags auf Gewährung von Akteneinsicht die Rechtswidrigkeit des schon zuvor bekannt gegebenen Verwaltungsakts folgen sollte. Der Bescheid sei trotz kumulativer Anordnung von Leinen- und Maulkorbzwang innerorts verhältnismäßig, da ein Leinenzwang allein vergleichbare Beißvorfälle nicht verhindern würde.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Behörden- und die Gerichtsakte sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Bescheid formell und materiell rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die streitgegenständlichen Anordnungen zur Hundehaltung (Nrn. 1 bis 3 des Bescheids vom 25.11.2024) finden ihre Rechtsgrundlage in Art. 18 Abs. 2 LStVG. Nach dieser Vorschrift können die Gemeinden insbesondere zum Schutz von Leben, Gesundheit oder Eigentum Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Der Tatbestand des Art. 18 Abs. 2 LStVG erfordert das Vorliegen einer konkreten Gefahr, also einer Sachlage, bei der die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit der abzuwehrende Schaden eintritt.
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1. Die Beklagte hat bei Erlass des streitgegenständlichen Bescheids zutreffend angenommen, von dem Hund B. gehe eine konkrete Gefahr für jene Rechtsgüter aus.
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1.1. Das Gebrauchmachen von den sicherheitsrechtlichen Befugnissen zur Gefahrenabwehr setzt die Prognose einer weiteren konkreten Gefahr voraus. Gerade im Bereich des Art. 18 Abs. 2 LStVG müssen die Sicherheitsbehörden in der Regel auf der Grundlage von Vorfällen tätig werden, zu denen lediglich die Aussagen der Halter der an den Vorfällen beteiligten Hunde vorliegen. Typischerweise stellen die beteiligten Hundehalter den Ablauf derartiger Vorfälle jeweils aus ihrer Sicht und daher unterschiedlich dar. Weitere Möglichkeiten zur Aufklärung eines solchen Vorfalls stehen den Sicherheitsbehörden in der Regel nicht zur Verfügung. Trotzdem kann die Sicherheitsbehörde eine Anzeige, aus der sich – ihre Richtigkeit unterstellt – eine von einem Hund ausgehende konkrete Gefahr ergibt, nicht ignorieren. Die Behörde ermittelt daher, soweit es ihr möglich ist, ob ein Sachverhalt vorliegt, welcher die Prognose trägt, von dem Hund gehe eine konkrete Gefahr für die von Art. 18 Abs. 2 LStVG geschützten Rechtsgüter aus. Hierbei hat sie zu prüfen, ob irgendwelche Gründe dafürsprechen, dass die erstattete Anzeige nicht glaubwürdig ist, etwa, weil sie auf persönlichen Motiven beruhen könnte oder mit ausgeprägtem Belastungseifer erfolgte. Liegen derartige Anhaltspunkte nicht vor, so darf die Behörde grundsätzlich von der Richtigkeit einer Anzeige, die einen Vorfall detailliert und nachvollziehbar schildert, ausgehen (Schwabenbauer in BeckOK, 25. Ed. 15.10.2024, LStVG, Art. 18 Rn. 76 f. m.w.N.) Denn für die grundsätzliche Glaubwürdigkeit einer nicht anonym erstatteten Anzeige spricht zum einen die allgemeine Lebenserfahrung, derzufolge jede Anzeigeerstattung eine Unannehmlichkeit im Hinblick auf den damit verbundenen Zeitaufwand, aber auch im Hinblick darauf bedeutet, dass angezeigte Hundehalter auf derartige Anzeigen häufig ihrerseits mit Einschüchterungsversuchen, Beleidigungen oder auch rechtlichen Schritten wie „Gegenanzeigen“ reagieren. Zum anderen würde sich derjenige, der wider besseren Wissens eine derartige Anzeige bei einer Behörde erstatten würde, sogar nach § 164 StGB wegen falscher Verdächtigung strafbar machen (Schenk/Seidel in Bengl/Berner/Emmerig, Stand April 2024, Art. 18 LStVG Rn. 35 m.w.N.). Eine vollständige nachträgliche Aufklärung des tatsächlichen Ablaufs eines Vorfalls, wie sie in einem förmlichen Strafverfahren erfolgen würde, ist als Voraussetzung für ein sicherheitsrechtliches Einschreiten demgegenüber gerade nicht erforderlich (vgl. Schwabenbauer in BeckOK, 25. Ed. 15.10.2024, LStVG, Art. 18 Rn. 53 m.w.N.).
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1.2. Im vorliegenden Fall waren der Beklagten Tatsachen bekannt, aus denen sie zutreffend eine von dem Hund B. ausgehende konkrete Gefahr prognostiziert hat.
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So durfte sie grundsätzlich davon ausgehen, dass es sich bei dem Hund um den Rüden B. gehandelt hat. Zum einen hat schon die Klagepartei nicht substantiiert bestritten, dass die Ehefrau des Klägers mit den beiden Schäferhunden zum Zeitpunkt des Vorfalls vor Ort war. Die Geschädigte und Anzeigeerstatterin konnte schlüssig erklären, weshalb sie die Ehefrau des Klägers erkannt hat und eine auf sie passende Personenbeschreibung abgeben. Es erscheint ebenfalls schlüssig, dass sie den deutlich größeren Rüden B. vom Weibchen unterscheiden konnte. Zum anderen gab es mit B. in der jüngeren Vergangenheit bereits einen ähnlichen Vorfall, der ebenfalls in der Anordnung einer Leinenpflicht mündete und Gegenstand einer gerichtlichen Auseinandersetzung war (BayVGH, B.v. 3.4.2025 – 10 ZB 25.205 – juris; VG München, U.v. 21.11.2024 – 22 K 23.2712 – juris).
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Ebenso durfte die Beklagte der Aussage der Anzeigeerstatterin vorliegend Glauben schenken. Sie hat den Vorfall nachvollziehbar geschildert, hat Unterlagen über ihre ärztliche Untersuchung und Behandlung sowie die ihres Hundes vorgelegt, welche die Verletzungen an Mensch und Hund im Einzelnen benennen, hat polizeilich angefertigte Fotos vorgelegt, welche eine Verletzung an ihrem Bein sowie am Hund zeigen, hat sich namentlich zu der Anzeige bekannt und diese auch bei der Polizei gestellt und tritt nicht mit erkennbarem Belastungseifer auf. Zudem entspricht dieser Vorfall auch der Art nach dem oben geschilderten früheren Vorfall mit B. Gleichzeitig wurde von Klägerseite kein Argument vorgetragen, weshalb die Anzeigeerstatterin – für den Fall, dass es keinen Vorfall gegeben haben sollte – diese Geschichte trotz aller damit verbundenen Unannehmlichkeiten und erheblichen Risiken erfunden haben sollte. Das pauschale Bestreiten stellt vielmehr eine reine Schutzbehauptung dar.
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2. Die Anordnungen sind auch ermessensgerecht.
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2.1. Da von großen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen, eine konkrete Gefahr für Leib und Leben Dritter ausgeht, auch wenn es in der Vergangenheit noch nicht zu konkreten Beißvorfällen gekommen ist, erscheint die Anordnung des Leinenzwangs (Nr. 1 des Bescheids) auch schon ohne Beißvorfall grundsätzlich als Mittel der Wahl (stRspr, vgl. nur BayVGH, B.v. 3.4.2025 – 10 ZB 25.205 – juris Rn. 9; B.v. 3.5.2017 – 10 CS 17.405 – juris Rn. 5 m.w.N.). Den Tierwohlinteressen ist dadurch Rechnung getragen, dass B. außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile auf übersichtlichen Freiflächen grundsätzlich Freiauslauf gewährt werden darf (Nr. 1 Sätze 2 und 3 des Bescheids).
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2.2. Auch die Anordnung des Maulkorbzwangs (Nr. 2 des Bescheids) begegnet keinen Bedenken. Bei dem Anlassvorfall am 16. Oktober 2024 kam es zu Bissverletzungen an einem Menschen sowie einem fremden Hund (vgl. oben 1.2.). Ein Maulkorb ist ein geeignetes Mittel, der Gefahr von Bissverletzungen durch einen Hund entgegenzuwirken. Die streitgegenständliche Anordnung ist auch im engeren Sinn verhältnismäßig. Ein Maulkorb hat grundsätzlich eine geringe Eingriffsintensität für den Halter, da er nur einmal angelegt werden muss, den Erfordernissen des Tierschutzes entspricht und den Hund nicht unerträglich beeinträchtigt (BayVGH, B.v. 9.11.2006 – 24 CS 06.2766 – juris Rn. 22 m.w.N.). Auch die Kombination des Maulkorbzwangs mit der Leinenpflicht ist vorliegend verhältnismäßig. Es besteht eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit dafür, dass es durch B. trotz Ausführens mit angelegter Leine zu Beißvorfällen kommt. Dies zeigt sich darin, dass es auch beim Anlassvorfall vom 16. Oktober 2024 zu einem Beißvorfall kommen konnte, obwohl B. angeleint ausgeführt wurde. Es handelt sich hierbei bereits um den zweiten gerichtsbekannten Vorfall dieser Art, zudem schildert die Anzeigeerstatterin und Geschädigte einen weiteren, nicht aktenkundigen Vorfall vergleichbarer Art mit B. Hierin zeigt sich, dass eine Leinenpflicht alleine nicht ausreicht, um die von B. ausgehenden Gefahren abzuwehren. Als milderes Mittel vor einer Haltungsuntersagung erscheint eine kombinierte Anordnung von Leinen- und Maulkorbzwang daher vorliegend als ermessensgerecht (vgl. BayVGH, B.v. 24.5.2022 – 10 CS 22.865 – juris Rn. 5 ff.; B.v. 4.2.2019 – 10 ZB 17.802 – juris Rn. 3, 5).
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2.3. Keinen Bedenken begegnet die Formulierung von Anforderungen an die Person des Hundeführers (Nr. 3 des Bescheids). Insbesondere die Leinenpflicht wäre gerade bei einem großen Hund nicht effektiv, wenn der Hundeführer nicht Gewähr dafür trägt, dass er sowohl körperlich als auch psychisch jederzeit in der Lage ist, die Leine zu halten (vgl. BayVGH, B.v. 4.2.2019 – 10 ZB 17.802 – juris Rn. 3, 5).
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2.4. Die Zwangsgeldandrohung (Nr. 5 des Bescheids) ist ebenfalls rechtmäßig. Das Zwangsgeld erscheint der Höhe nach angemessen und ist bei entsprechenden Anordnungen üblich.
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2.5. Schließlich bestehen keine Bedenken im Hinblick auf die Kostenentscheidung (Nrn. 6 und 7 des Bescheids).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.