Titel:
Anordnung von Leinenzwang bei einem erwachsenen Schäferhund, Schriftliche Zeugenaussagen im Anwendungsbereich von Art. 18 Abs. 2 LStVG
Normenkette:
LStVG Art. 18 Abs. 2
Schlagworte:
Anordnung von Leinenzwang bei einem erwachsenen Schäferhund, Schriftliche Zeugenaussagen im Anwendungsbereich von Art. 18 Abs. 2 LStVG
Fundstelle:
BeckRS 2025, 15365
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleiche Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen eine Anordnung der Beklagten, nach der sie ihre Schäferhündin innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile grundsätzlich und außerhalb dieser dann, wenn sich andere Hunde auf unter 30m annähern, nur an einer Leine ausführen darf.
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Am 21. Dezember 2023 wurde der Polizeiinspektion … mitgeteilt, der freilaufende Schäferhund der Klägerin habe einen anderen Hund angegriffen und verletzt, obwohl der Ehemann der Mitteilerin deren Hund hochgehalten habe. Die Polizei verständigte die Beklagte am 11. Februar 2024 über jenen Vorfall und teilte weiter mit, man habe die Klägerin weder persönlich noch telefonisch erreichen können. Weil diese bereits mit ihrem vorherigen Schäferhund mehrfach bei ihrer Gemeinde aufgefallen sei, müsse davon ausgegangen werden, dass sie weiter uneinsichtig auf Belehrungen reagieren werde, weshalb eine vollziehbare Auflage zur Hundehaltung, insbesondere ein Ausführen des Hundes im öffentlichen Raum nur an der Leine, empfohlen werde.
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Mit Schreiben vom 4. März 2024 hörte die Beklagte die Klägerin schriftlich und unter Schilderung jenes Vorfalls zu einem auf Art. 18 Abs. 2 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) gestützten, zwangsgeldbewehrten Leinenzwang (2m, Geltung grundsätzlich innerorts, außerorts nur bei Annäherung anderer Hunde auf weniger als 30m, Hundeführung nur durch geeignete Personen) an.
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Die Klägerin äußerte sich hierauf mit Schreiben vom 13. März 2024 im Wesentlichen dahingehend, ihre Schäferhündin sei auf die andere Hündin zugerannt, um sie herumgehüpft und habe diese angebellt, um sie zum Spiel aufzufordern. Ihre Schäferhündin sei sehr spielfreudig und freundlich aber nie aggressiv.
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Die Beklagte vermerkte am 15. März 2024 handschriftlich auf dem Anhörungsschreiben der Klägerin, sie sehe vorerst von einem Leinenzwang ab, werde den Vorgang aber bei weiteren Vorfällen wieder aufgreifen.
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Am 3. Juni 2024 wurde bei der Polizeiinspektion … ein weiterer Vorfall vom 2. Juni 2024 angezeigt. Hierbei soll die Schäferhündin der Klägerin einen Pudel angegriffen haben, sodass dieser Bisswunden am linken Bein und am Bauch davongetragen hat. Der Halter des Pudels sei rasch dazwischen gegangen, um seinen Hund zu retten, und habe die Hunde trennen können.
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Am 17. Juni 2024 ist die Schäferhündin der Klägerin zusammen mit einem anderen Hund auf eine dritte Hündin zugestürmt und hat nach letzterer geschnappt.
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Mit Schreiben vom 3. Juli 2024 hörte die Beklagte die Klägerin nochmals schriftlich und unter Schilderung der Vorfälle vom 21. Dezember 2023, 2. Juni 2024 und 17. Juni 2024 zu einem auf Art. 18 Abs. 2 LStVG gestützten, zwangsgeldbewehrten Leinenzwang (2m, Geltung grundsätzlich innerorts, außerorts nur bei Annäherung anderer Hunde auf weniger als 30m, Hundeführung nur durch geeignete Personen) an.
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Hierauf äußerte sich die Klägerin mit Schreiben vom 16. Juli 2024 dahingehend, sie sei am 2. Juni 2024 nicht an der besagten Örtlichkeit gewesen und ihr Hund habe einen anderen Hund nicht gebissen. Bei dem Vorfall am 17. Juni 2024 sei der Hund ihrer Begleitung als erster auf den dritten Hund zugestürmt; dessen Halterin sei wohl dieselbe, die auch den Vorfall vom 21. Dezember 2023 angezeigt habe. Ihre Schäferhündin sei ein ganz normaler, neugieriger, spielfreudiger Hund, der noch nie einen anderen Hund angegriffen bzw. gebissen habe.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 12. August 2024 verpflichtete die Beklagte die Klägerin, ihre Schäferhündin außerhalb des Haltergrundstücks im Bereich der im Zusammenhang bebauten Ortstelle an einer reißfesten, schlupfsicheren und maximal 2m langen Leine auszuführen (Nr. 1 Satz 1). Außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile darf der Schäferhündin auf übersichtlichen Freiflächen Freiauslauf gewährt werden (Nr. 1 Satz 2). Bei der Annäherung von anderen Hunden auf unter 30m ist die Schäferhündin unverzüglich anzuleinen (Nr. 1 Satz 3). Zudem wurde der Klägerin aufgegeben sicherzustellen, dass die Schäferhündin nur von solchen Personen ausgeführt wird, die körperlich in der Lage sind, jederzeit auf den Hund einzuwirken (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung der Nummern 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 3) und für den Fall eines Verstoßes gegen die Anordnungen aus Nummern 1 und 2 wurde ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 500 EUR angedroht (Nr. 4). Die Verfahrenskosten wurden der Klägerin auferlegt; die Bescheidsgebühr wurde auf 25 EUR festgesetzt (Nr. 5).
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Die Anordnungen wurden auf die Rechtsgrundlage des Art. 18 Abs. 2 LStVG gestützt. Es sei grundsätzlich davon auszugehen, dass von großen, kräftigen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen unangeleint herumlaufen und Menschen oder Tiere angreifen, eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit Dritter ausgehe. Deshalb könne für solche Hunde grundsätzlich ein Leinenzwang in bewohnten Gebieten angeordnet werden, ohne dass es zu Beißvorfällen gekommen sein müsse. Hier habe sich durch die Vorfälle vom 21. Dezember 2023 und 2. Juni 2024 die von diesem Hund ausgehende Gefahr bereits konkretisiert, sodass auch prognostisch ohne weiteres davon auszugehen sei, dass von diesem Hund eine konkrete Gefahr für die Rechtsgüter Eigentum und Gesundheit ausgehe. Um dem Bewegungsbedürfnis des Hundes angemessen Rechnung zu tragen, gelte die Leinenpflicht jedoch außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile auf übersichtlichen Freiflächen nur, wenn sich andere Hunde oder Personen auf unter 30m annäherten. Dies bringe das Tierwohlinteresse einerseits und das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit andererseits in einen gerechten Ausgleich. Die Anordnung des Leinenzwangs sei insbesondere auch im Hinblick auf die Verpflichtung, die Schäferhündin auch außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile an die Leine zu nehmen, wenn sich andere Hunde auf weniger als 30m annähern, verhältnismäßig, da sich beide Vorfälle im Außenbereich ereignet hätten. Von weiteren Anordnungen, wie einem Maulkorbzwang, könne derzeit aus Verhältnismäßigkeitsgründen gerade noch abgesehen werden.
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Am 2. September 2024 erhob die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag,
den Bescheid der Beklagten vom 12. August 2024 aufzuheben.
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Zur Klagebegründung wurde mit Schreiben vom 1. Oktober 2024 ausgeführt, die Beklagte habe den Sachverhalt nur unzureichend aufgeklärt. Die Klagepartei bestreite, dass es bei dem Vorfall vom 21. Dezember 2023 zu einem Biss gekommen sei, es müsse sonst eine Tierarztrechnung geben. Am 2. Juni 2024 sei die Klägerin nicht an der besagten Örtlichkeit gewesen und ihr Hund habe einen anderen Hund nicht gebissen. Dies stehe fest, da sie grundsätzlich nie am Nachmittag, sondern nur am Vormittag und dann wieder am Abend mit ihrer Schäferhündin spazieren gehe und dies auch nie im Bereich der Örtlichkeit, an der sich der Vorfall ereignet haben soll, tue. Da es beim ersten Vorfall nicht zu einem Beißvorfall gekommen und sie am zweiten Vorfall überhaupt nicht beteiligt gewesen sei, gehe von ihrer Schäferhündin auch keine konkrete Gefahr aus, weshalb die Anordnung einer Leinenpflicht rechtswidrig sei. Sie sei eine sehr erfahrene Hundehalterin, diese Schäferhündin sei bereits ihr achter Hund.
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Die Beklagte beantragte,
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Die Klägerin mag bereits viele Hunde gehabt haben, jedenfalls mit der Vorgängerhündin sei es aber ebenfalls zu erheblichen Problemen gekommen, die in mehreren Bescheiden und Prozessen gemündet seien. Es genüge auch, dass ein Hund sich ganz vereinzelt falsch verhält. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung, wie sie etwa in einem Strafverfahren erforderlich sei, sei nicht erforderlich gewesen. In einem sicherheitsrechtlichen Verwaltungsverfahren wie im Anwendungsbereich des Art. 18 Abs. 2 LStVG dürfe sich die Gemeinde regelmäßig mit schriftlichen Zeugenaussagen begnügen. Hinweise darauf, dass die Geschädigten die Klägerin zu Unrecht belasten würden, hätten der Gemeinde nicht vorgelegen. Die Klägerin habe sich bereits in den früheren Verwaltungs- und Gerichtsverfahren als einigermaßen unbelehrbar gezeigt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Bescheid formell und materiell rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Die Anordnung der Leinenpflicht (Nr. 1 des Bescheids) ist rechtmäßig.
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1.1. Die Leinenpflicht innerorts ist rechtmäßig. Bei dem Schäferhund der Klägerin handelt es sich um einen großen Hund im Sinne von Nummer 18.1 der Vollzugsbekanntmachung zum LStVG, der erwachsene Schäferhunde unabhängig von ihrer konkreten Widerristhöhe den „großen Hunden“ zuordnet. Es bedarf daher keines Beißvorfalls, um eine Leinenpflicht innerorts zu rechtfertigen (stRspr, vgl. nur BayVGH, B.v. 3.4.2025 – 10 ZB 25.205 – juris Rn. 9; B.v. 3.5.2017 – 10 CS 17.405 – juris Rn. 5 m.w.N.).
1.1.1. Ein Anlassvorfall für das Tätigwerden der Beklagten liegt jedenfalls vor. Denn unstreitig ist, dass die Schäferhündin der Klägerin am 21. Dezember 2023 so auf eine andere Hündin zulief, dass deren Halter sich veranlasst sah, diese hochzuheben. Aus welcher Motivation der Schäferhund der Klägerin sich so verhalten hat, ob diese also nur spielen wollte wie die Klägerin meint, ist für das Vorliegen einer konkreten Gefahr unerheblich (VG Würzburg, U.v. 1.10.2015 – W 5 K 14.1203 – juris Rn. 37.). Ein außenstehender Dritter kann die Motivation des Hundes nicht kennen und muss sich auch nicht entsprechend „hundegerecht“ verhalten (BayVGH, B.v. 4.2.2019 – 10 ZB 17.802 – juris Rn. 3).
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1.1.2. Auf den Vorfall vom 2. Juni 2024 kommt es somit gar nicht mehr entscheidend an. Dennoch ist auch hier kein Grund ersichtlich, weshalb dem Anzeigeerstatter, der den Hergang des Vorfalls ohne Belastungseifer, widerspruchsfrei und ausführlich schildern konnte, kein Glauben geschenkt werden sollte.
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Das Gebrauchmachen von den sicherheitsrechtlichen Befugnissen zur Gefahrenabwehr setzt die Prognose einer weiteren konkreten Gefahr voraus. Gerade im Bereich des Art. 18 Abs. 2 LStVG müssen die Sicherheitsbehörden in der Regel auf der Grundlage von Vorfällen tätig werden, zu denen lediglich die Aussagen der Halter der an den Vorfällen beteiligten Hunde vorliegen. Typischerweise stellen die beteiligten Hundehalter den Ablauf derartiger Vorfälle jeweils aus ihrer Sicht und daher unterschiedlich dar. Weitere Möglichkeiten zur Aufklärung eines solchen Vorfalls stehen den Sicherheitsbehörden in der Regel nicht zur Verfügung. Trotzdem kann die Sicherheitsbehörde eine Anzeige, aus der sich – ihre Richtigkeit unterstellt – eine von einem Hund ausgehende konkrete Gefahr ergibt, nicht ignorieren. Die Behörde ermittelt daher, soweit es ihr möglich ist, ob ein Sachverhalt vorliegt, welcher die Prognose trägt, von dem Hund gehe eine konkrete Gefahr für die von Art. 18 Abs. 2 LStVG geschützten Rechtsgüter aus. Hierbei hat sie zu prüfen, ob irgendwelche Gründe dafürsprechen, dass die erstattete Anzeige nicht glaubwürdig ist, etwa, weil sie auf persönlichen Motiven beruhen könnte oder mit ausgeprägtem Belastungseifer erfolgte. Liegen derartige Anhaltspunkte nicht vor, so darf die Behörde grundsätzlich von der Richtigkeit einer Anzeige, die einen Vorfall detailliert und nachvollziehbar schildert, ausgehen (Schwabenbauer in BeckOK, 25. Ed. 15.10.2024, LStVG, Art. 18 Rn. 76 f. m.w.N.). Denn für die grundsätzliche Glaubwürdigkeit einer nicht anonym erstatteten Anzeige spricht zum einen die allgemeine Lebenserfahrung, derzufolge jede Anzeigeerstattung eine Unannehmlichkeit im Hinblick auf den damit verbundenen Zeitaufwand, aber auch im Hinblick darauf bedeutet, dass angezeigte Hundehalter auf derartige Anzeigen häufig ihrerseits mit Einschüchterungsversuchen, Beleidigungen oder auch rechtlichen Schritten wie „Gegenanzeigen“ reagieren. Zum anderen würde sich derjenige, der wider besseren Wissens eine derartige Anzeige bei einer Behörde erstatten würde, nach § 164 StGB wegen falscher Verdächtigung strafbar machen (Schenk/Seidel in Bengl/Berner/Emmerig, Stand April 2024, Art. 18 LStVG Rn. 35 m.w.N.). Eine vollständige nachträgliche Aufklärung des tatsächlichen Ablaufs eines Vorfalls, wie sie in einem förmlichen Strafverfahren erfolgen würde, ist als Voraussetzung für ein sicherheitsrechtliches Einschreiten demgegenüber gerade nicht erforderlich (vgl. Schwabenbauer in BeckOK, 25. Ed. 15.10.2024, LStVG, Art. 18 Rn. 53 m.w.N.).
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Solche Anhaltspunkte für die Unglaubwürdigkeit der erstatteten Anzeige sind vorliegend nicht ersichtlich. Die Klägerin hat hierzu auch nichts substantiiert vorgetragen, sondern schildert nur, sie sei am Vormittag anderswo gewesen, was schon insoweit keine Entlastung bringt, als sie deshalb am Nachmittag trotzdem am Ort des Vorfalls gewesen sein kann.
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1.2. Ebenfalls ermessensgerecht ist die Anordnung, den Hund bei einer Annäherung anderer Hunde im Außenbereich auf weniger als 30m (wieder) an die Leine zu nehmen, da sich beide dem Bescheidserlass zugrunde gelegten Vorfälle im Außenbereich zugetragen haben.
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2. Auch die Formulierung von Anforderungen an die Person des Hundeführers (Nr. 2 des Bescheids) begegnet keinen Bedenken. Die Leinenpflicht wäre gerade bei einem großen Hund nicht effektiv, wenn der Hundeführer nicht Gewähr dafür trägt, dass er sowohl körperlich als auch psychisch jederzeit in der Lage ist, die Leine zu halten (vgl. BayVGH, B.v. 4.2.2019 – 10 ZB 17.802 – juris Rn. 3, 5).
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3. Die Zwangsgeldandrohung (Nr. 4 des Bescheids) ist ebenfalls rechtmäßig. Das Zwangsgeld erscheint der Höhe nach angemessen und ist bei entsprechenden Anordnungen üblich.
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4. Schließlich bestehen keine Bedenken im Hinblick auf die Kostenentscheidung (Nrn. 6 und 7 des Bescheids).
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.