Inhalt

LG Landshut, Endurteil v. 24.06.2025 – 72 O 2788/23
Titel:

Nutzen-Risiko-Abwägung bei der Prüfung eines Impfschadens

Normenkette:
AMG § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
Leitsätze:
1. Entscheidend bei der Frage eines Anspruchs aus § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG ist bei behaupteten Impfschäden der therapeutische Nutzen des Präparates, insbesondere der Grad der Wirksamkeit des Arzneimittels. Je ausgeprägter die Wirksamkeit des Präparates ist, je gravierender die Indikation und je geringer die Möglichkeiten einer anderen Therapierung sind, desto schwerere, unerwünschte Wirkungen können hingenommen werden. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Prüfung der Unvertretbarkeit der schädlichen Wirkungen im Rahmen der Prüfung eines Anspruchs aus § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG werden nicht nur die im konkreten Fall eingetretenen Schäden berücksichtigt, sondern es wird eine abstrakte Nutzen-Risiko-Abwägung vorgenommen, bei der sämtliche schädlichen Wirkungen erfasst werden. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Arzneimittel, Impfschaden, schädliche Wirkungen, therapeutischer Nutzen, Comirnaty
Fundstelle:
BeckRS 2025, 15296

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 50.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 50.000,00 € nicht unterschreiten soll, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materielle und immaterielle künftigen Schäden zu ersetzen, die aus der Impfung mit dem Impfstoff Comirnaty am ... 05.2021, ... 05.2021 und ... 02.2022 entstehen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, Auskunft zu erteilen über 
a. zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Impfstoffs Comirnaty sowie der streitgegenständlichen Chargen Ch.-B.: ... bekannten Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen soweit diese eine Perimyokarditis sowie eine Steatosis Hepatitis GradI betreffen, 
b. sowie ihr bekannt gewordene Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen die in ihrem Schadensbild den bei dem Kläger aufgetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen vergleichbar sind,
c. über sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit der bei dem Kläger eingetretenen schädlichen Wirkungen des Impfstoffes Comirnaty von Bedeutung sein können,
d. den Inhalt sämtlicher Unterlagen, die Erkenntnisse liefern über Vergleichbarkeit und Unterschiede des „process 1“ und „process 2“, insbesondere in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des nach dem jeweiligen Prozedere hergestellten Impfstoffes Comirnaty,
e. den Inhalt sämtlicher Unterlagen, die im Zusammenhang mit der Überprüfung der Chargen Ch.-B.: ... angefertigt wurden, insbesondere jene, die sich auf die Aussagen über Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit der Chargen beziehen.
2
Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
3
Eine Beweisaufnahme wurde nicht durchgeführt. Das Gericht hat den Kläger informatorisch angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 15.05.2025 Bezug genommen.
4
Im Übrigen wird zur Vervollständigung des Tatbestandes auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

5
Die Klage ist zulässig jedoch unbegründet.
A.
6
Die Klage ist zulässig.
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I.  Das Landgericht Landshut ist gemäß § 94a Abs. 1 AMG örtlich und gemäß §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG sachlich zuständig.
8
II. Es liegt auch das erforderliche Feststellungsinteresse für den Feststellungsantrag gemäß Ziffer 2. des Klageantrages nach § 256 Abs. 1 ZPO vor.
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Ein Interesse an der Feststellung einer Ersatzpflicht für künftige Schadensfolgen aus einer bereits eingetretenen Verletzung eines absoluten Rechts oder eines vergleichbaren Rechtsguts ist zu bejahen, wenn die Möglichkeit besteht, dass solche Schäden eintreten. Dabei ist ein großzügiger Maßstab anzulegen. Das berechtigte Interesse ist nur dann zu verneinen, wenn aus Sicht der Klagepartei bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (BGH, Beschluss vom 9.1.2007 – VI ZR 133/06; BGH, Urt. v. 5.10.2021 – VI ZR 136/20).
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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Feststellungsinteresse vorliegend zu bejahen, da der Eintritt weiterer Schäden – jedenfalls aus Sicht des Klägers – im Bereich des Möglichen liegt.
B.
11
Die Klage ist jedoch in vollem Umfang unbegründet.
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I.  Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG. Denn der dem Kläger verabreichte Impfstoff Comirnaty der Beklagten weist kein unvertretbares Nutzen-Risiko-Verhältnis auf.
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1. Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG besteht eine Haftung nur dann, wenn das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Die medizinische Vertretbarkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn der therapeutische Wert die schädlichen Wirkungen des Arzneimittels überwiegt. Bei der Prüfung der Unvertretbarkeit der schädlichen Wirkungen werden nicht nur die im konkreten Fall eingetretenen Schäden berücksichtigt, sondern es wird eine abstrakte Nutzen-Risiko-Abwägung vorgenommen, bei der sämtliche schädlichen Wirkungen erfasst werden (BeckOGK/Franzki, 1.11.2023, AMG § 84 Rn. 83 m.w.N.). Gegenstand der Abwägung zur Feststellung einer etwaigen Unvertretbarkeit ist somit die Bestimmung eines Nutzen-Risiko-Verhältnisses.
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Bezüglich der Erkenntnisse, die in die Nutzen-Risiko-Abwägung eingehen, ist auf den Zeitpunkt der Bewertung, also auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, abzustellen. Denn Sinn und Zweck der Arzneimittelhaftung nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG ist es, Entschädigung auch in denjenigen Fällen vorzusehen, in denen die unvertretbaren schädlichen Wirkungen ursprünglich nicht erkennbar waren. Im Hinblick auf den objektiven Stand der Entwicklung dieses oder vergleichbarer Arzneimittel soll hingegen auf den Zeitpunkt abgestellt werden, zu dem das konkret schadenstiftende Arzneimittel in den Verkehr gebracht wurde. Relevant ist demnach, ob die schädlichen Eigenschaften – wenn sie zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen wären – angesichts der damals verfügbaren alternativen Therapiemöglichkeiten vertretbar gewesen wären oder schon damals die Versagung bzw. den Entzug der Zulassung erfordert hätten (Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Auflage 2022, AMG § 84 Rn. 87 f.).
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Entscheidend ist der therapeutische Nutzen des Präparates, insbesondere der Grad der Wirksamkeit des Arzneimittels. Je ausgeprägter die Wirksamkeit des Präparates ist, je gravierender die Indikation und je geringer die Möglichkeiten einer anderen Therapierung sind, desto schwerere, unerwünschte Wirkungen können hingenommen werden (Rehmann, 5. Auflage 2020, AMG § 84 Rn. 5).
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Der Kläger ist für das Vorliegen eines nicht vertretbaren Nutzen-Risiko-Verhältnis darlegungs- und beweisbelastet.
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2. Unter Maßgabe dieser Voraussetzungen konnte der Kläger zur Überzeugung des Gerichts ein unvertretbares Nutzen-Risiko-Verhältnis des Impfstoffes Comirnaty nicht nachweisen.
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a) In diesem Zusammenhang ist zunächst zu berücksichtigen, dass eine Zulassung als positives Ergebnis der (zulassungsrechtlichen) Nutzen-Risiko-Abwägung den Eintritt einer Haftung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG in Form der Unvertretbarkeit für eine bei Zulassungserteilung bekannte Nebenwirkung ausschließt, weil das positive Profil die Vertretbarkeit der schädlichen Wirkungen feststellt. Dies hat zur Folge, dass zum Zeitpunkt der Zulassung bekannte schädliche Wirkungen eine Haftung nach dieser Vorschrift nicht begründen können. Neben der erstmaligen Zulassung gilt dies auch für spätere Risiko-Bewertungsverfahren, die mit einer Entscheidung über das Fortbestehen der Zulassung abschließen.
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Die Risiko-Nutzen-Abwägung kann sich bei § 84 AMG daher nur auf schädliche Wirkungen beziehen, die nach der Zulassung entdeckt wurden (Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Auflage 2022, AMG § 84 Rn. 69).
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Unbestritten blieb der Vortrag der Klagepartei im Schriftsatz vom 28.03.2024, dassdas Fatigue-Syndrom im Rahmen des Zulassungsverfahrens bereits bekannt war.
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Dennoch wurde dem Impfstoff am 10.10.2022 im Rahmen der Standardzulassung ein positives Nutzen-Risiko Verhältnis attestiert.
22
Der Zulassungsentscheidung kommt wie sämtlichen Verwaltungsakten grundsätzlich Bindungswirkung (Tatbestandswirkung) zu. Dies hat zur Folge, dass bei dem Erlass eines Verwaltungsaktes, welcher ein bestimmtes Verhalten – beispielsweise in Form einer Genehmigung erlaubt, die Zulässigkeit des betreffenden Verhaltens einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte so lange entzogen ist, bis der Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist.
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Der Umfang der Tatbestandswirkung richtet sich nach dem Regelungsgehalt, der gegebenenfalls durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont zu bestimmen ist. Ergänzend entfalten aber auch die tatsächlichen Feststellungen, auf denen ein Verwaltungsakt beruht, Bindungswirkung (Feststellungswirkung), was im jeweiligen Einzelfall nach Maßgabe des Fachrechts zu bestimmen ist. Hiervon ausgehend ist die Feststellung der arzneimittelrechtlichen Unbedenklichkeit von einer Genehmigung erfasst. Dies folgt insbesondere daraus, dass eine Genehmigung nach Art. 26 RL 2001/83/EG ebenso wie nach deutschem Recht nach § 25 Abs. 2 AMG zu versagen ist, wenn das Nutzen-Risiko-Verhältnis nicht als günstig betrachtet wird. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Erteilung einer Genehmigung nach außen hin und damit mit Feststellungswirkung das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis verlautbart (LG Frankfurt a. M., Urteil vom 14.02.2024 – 2-12 O 264/22 Rz. 70 ff.; LG Düsseldorf, Urteil vom 16.11.2023 – 3 O 60/23 Rz. 39 f.).
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Aufgrund der Tatbestands- bzw. Feststellungswirkung der Zulassung kann ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis im Hinblick auf die mit dem Fatigue-Syndrom zusammenhängenden gesundheitlichen Einschränkungen daher nicht festgestellt werden.
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Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der EMA nicht alle erforderlichen Informationen erteilt wurden, um das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Comirnaty zutreffend zu bewerten. Diesbezüglich führte die EMA zuletzt am 30.08.2023 aus, dass bei der Entscheidung, der Europäischen Kommission die Zulassung zu empfehlen, das CHMP alle verfügbaren Daten zu Comirnaty und seinen anderen adaptierten Impfstoffen, einschließlich Daten zur Sicherheit, Wirksamkeit und Immunogenität (also die Fähigkeit, Immunreaktionen auszulösen) berücksichtigt habe.
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Ausgehend von den Feststellungen der europäischen Behörden wäre daher nur dann eine neue Begutachtung der, der Beurteilung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses zugrundeliegenden Sachfragen geboten, wenn die Kläger dargelegt hätte, dass nach der Zulassungsentscheidung vom 01.09.2023 neue Erkenntnisse aufgetreten sind, bei deren Berücksichtigung eine andere Zulassungsentscheidung veranlasst gewesen wäre (vgl. OLG Bamberg v. 14.08.2023 – 4 U 15/23; LG Saarbrücken, Urteil vom 01.12.2023, Az. 16 O 33/23).
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An derartigem Vortrag der Klagepartei fehlt es aber. Insbesondere hat sie keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die europäischen Behörden bei ihren fortlaufenden Prüfungen Tatsachen unbeachtet gelassen hätten, die bei ihrer Beachtung zu einem abweichenden Ergebnis geführt hätten. Vor dem Hintergrund der laufenden Überwachung, der Erteilung der Standardzulassung sowie der Zulassung für den adaptierten Impfstoff kommt es auf das Vorbringen des Klägers dazu dass vor der Erteilung der bedingten Zulassung nicht die erforderlichen Studien durchgeführt worden seien, nicht an (LG Frankfurt a.M. a.a.O. Rz. 86 ff.).
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b) Wie bereits dargelegt konnte der Kläger darüber hinaus ein unvertretbares Nutzen-Risiko-Verhältnis nicht zur Überzeugung des Gerichts darlegen.
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Der Kläger behauptet, die Schutzimpfung habe nur einen geringen bzw. gar keinen therapeutischen Nutzen, da nur ein geringer Wirksamkeitsgrad gegeben sei. Es sei kein wirksamer Schutz vor Selbstinfektion, Weiterverbreitung und schweren Verläufen der Erkrankung gegeben.
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Insoweit schließt sich das Gericht den folgenden Ausführungen des Landgerichts Hannover (Urteil vom 04.12.2023 – 2 O 76/23) und des Landgerichts Frankfurt am Main (Urteil vom 14.02.2024 – 2-12 O 264/22) vollumfänglich an und macht sich diese zu eigen:
„Im Vordergrund der Abwägungen steht hier die pandemische Lage, die es 2020 erforderlich machte, unter Einhaltung medizinischer Standards, auf dennoch schnellstem Wege eine Impfung herzustellen, die die weitere Verbreitung des Corona Virus verhindern, die Anzahl der schwerwiegenden Verläufe eindämmen und vor allem die Zahl der Coronatoten weltweit verringern sollte. Bereits wenige Wochen und Monate nach dem weltweiten Ausbruch des Corona Virus zählte man Millionen Tote weltweit. Die Gesamtzahl der schweren Verläufe einer Coronainfektion stieg von Tag zu Tag und endete in vielen Fällen auf den Intensivstationen. Die Kapazitäten in den Kliniken, sowohl hinsichtlich der verfügbaren Betten als auch des verfügbaren Ärzte- und Pflegepersonals, waren schnell ausgeschöpft. Schlussendlich war die Lage so kritisch, dass ein deutschlandweiter Lockdown ausgesprochen wurde. Schulen, Kitas, Universitäten, Restaurants und nahezu der gesamte Einzelhandel mussten zunächst auf unbestimmte Zeit schließen. Lediglich Geschäfte des täglichen, dringenden Bedarfs wie Supermärkte, Drogerien und Apotheken waren unter Einhaltung strenger Zutrittsregelungen geöffnet. Als die größte Chance, dieser nicht weiter kalkulierbaren Erkrankung entgegenzuwirken, wurde die Herstellung und baldige Verabreichung eines Impfstoffs an die Bevölkerung angesehen. Nicht zuletzt, weil es sich bei dem Corona Virus um ein – zum entscheidenden Zeitpunkt – neuartiges Virus gehandelt hat und dementsprechend Alternativpräparate weder vorhanden noch verfügbar waren. In einer Zeit, in der sich Gedanken über eine grundgesetzlich verbotene Abwägung „Leben gegen Leben“ gemacht wurden, weil es in den Kliniken nicht mehr möglich war, jeden Patienten gleichermaßen gut zu versorgen und diese sogar deutschlandweit transportiert und in umliegende Krankenhäuser verlegt werden mussten, weil keine Betten mehr frei und/oder Beatmungsgeräte verfügbar waren, ist der Grad des Nutzens des entwickelten Impfstoffes hoch anzusetzen.“
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Soweit der Kläger ausführt, dass der Impfstoff nur einen geringen Wirksamkeitsgrad aufweise, ist dies bereits mangels Substantiierung unbeachtlich.
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Der diesbezügliche Vortrag beruht auf reinen Vermutungen ohne jegliche Tatsachengrundlage. Dem diesbezüglichen Beweisangebot auf Einholung eines Sachverständigengutachten war daher nicht nachzukommen.
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Ein fehlender Nutzen ergibt sich auch nicht daraus, dass der Impfstoff die Übertragung des Virus von Mensch auf Mensch nicht verhindert. Dies muss ein Impfstoff nicht gewährleisten. Nach § 2 Nr. 9 IfSG ist unter einer Schutzimpfung die Gabe eines Impfstoffes mit dem Ziel zu verstehen, vor einer übertragbaren Krankheit zu schützen. Die Schutzimpfung muss nicht die Übertragung einer Krankheit verhindern.
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Im Übrigen ist offenkundig und kann wissenschaftlich nicht ernstlich bestritten werden, dass der Impfstoff Comirnaty der Beklagten vor einer schweren Erkrankung mit dem Corona-Virus schützen konnte und kann, wobei das genaue Maß des Schutzes hier dahinstehen kann (zum Ganzen LG Frankfurt a.M. a.a.O. Rz. 106 ff.).
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Zuletzt erachtet die Kammer auch aus dem Vortrag des Klägers zur Abnahme der Wirksamkeit des Impfstoffs ab einem Zeitraum von vier Monaten einen fehlenden Nutzen nicht hinreichend dargelegt. Im Hinblick auf die pandemische Lage und den Umstand, dass auch nach dem klägerischen Vortrag in diesem Zeitraum die Impfeffektivität auf 84% zurückgehe, sieht die Kammer den Nutzen des Impfstoffs weiterhin als gegeben an.
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c) Der Kläger hat darüber hinaus keine Risiken dargelegt, welche zu einem negativen Nutzen-Risiko-Verhältnis führen könnten.
37
Bei dem Vortrag des Klägers zu Verdachtsfällen und Todesfällen ist zu berücksichtigen, dass es sich, wie aus der Bezeichnung ersichtlich, nur um den Verdacht eines Impfschadens handelt. Die Meldung eines Verdachtsfalles besagt nichts über das tatsächliche Aufkommen von Impfschadensfällen.
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Der Impfstoff Comirnaty wurde seit seiner Zulassung in Deutschland und weltweit zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie eingesetzt. Bis Juni 2022 wurden weltweit mehr als 2,6 Milliarden Dosen des Impfstoffs verabreicht. Bei einer derart hohen Anzahl an Impfungen binnen eines vergleichsweise kurzen Zeitraums ist denklogisch mit einer höheren Anzahl von Verdachtsfällen in kurzer Zeit zu rechnen als bei einer vergleichbaren Anzahl an Impfungen über einen längeren Zeitraum. Auch wenn es sich bei den geschilderten Verdachtsfällen um tatsächliche Impfschäden gehandelt haben sollte, wären diese Risiken bei der Anzahl der Impfungen nicht so gewichtig, dass dies zu einem negativen Nutzen-Risiko-Verhältnis führen würde.
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Soweit der Kläger auf mögliche Mängel bei den Zulassungsstudien verweist, hat die Beklagte klargestellt, dass dies allenfalls etwa 1.000 von gesamt ca.  40.000 Probanden betrifft. Zudem sind die ursprünglichen Zulassungsstudien  von untergeordneter Bedeutung für die dann erfolgte endgültige Standardzulassung des Impfstoffs, nachdem der Impfstoff bis zum entsprechenden berücksichtigten Zeitpunkt, selbst wenn dieser im April 2022 gelegen haben mag, millionenfach in Deutschland geimpft wurde, weltweit gar im Milliardenbereich. Die Datenbasis war damit ganz erheblich größer als nach dem Abschluss der ersten Zulassungsstudien (LG Rottweil, Urteil vom 06.12.2023 – 2 O 325/22 Rz 35).
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Zuletzt sieht die Kammer auch den Vortrag, dass das PEI in den Sicherheitsberichten die Anzahl der im Zusammenhang mit der Impfung als Verdachtsfälle gemeldeten Todeszahlen unzutreffend bewertet habe, als unzutreffend an. Keinesfalls hat das PEI zur Ermittlung eines Warnsignals darauf abgestellt, dass die Anzahl der Verdachtsfälle höher sein müsse als die üblicherweise im gleichen Zeitraum auftretenden Todesfälle.

Wie sich aus der Bezeichnung der Methode (Observed-versusExpected-Analyse) die beobachtete und die zu erwartende Anzahl von unerwünschten Nebenwirkungen verglichen. Dies bedeutet jedoch nicht,

ergibt, wird

dass auf der Seite der tatsächlich aufgetretenen Todesfälle sämtliche Todesfälle von der vermuteten oder festgestellten Todesursache in die Analyse einbezogen werden mussten. Dies würde zu dem Ergebnis führen,

unabhängig

dass bereits ein einziger Todesfall im Zusammenhang mit einer Impfung geeignet

sein könnte,

ein Warnsignal hervorzurufen. Das PEI setzt die gemeldeten Todesfälle vielmehr in Relation zu den zu erwartenden Todesfällen. Da die als mögliche Impfnebenwirkung eingetretenen Todesfälle verhältnismäßig zu vernachlässigen waren, stellte das Institut folgerichtig keine Übersterblichkeit fest.
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d) Soweit der Kläger darauf abstellt, dass sich ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis bereits daraus ergeben würde, dass für den Impfstoff keine Langzeitstudien existieren, ist dies für die rechtliche Beurteilung nach § 84 Abs. 1 S. 2  Nr. 1 AMG irrelevant. Der Kläger ist darlegungs- und beweisbelastet für die Anspruchsvoraussetzung des negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses. Sein Vortrag bedeutet lediglich, dass zu möglichen Langzeitfolgen nicht vorgetragen werden kann, weil hierzu aktuell kein Datenmaterial vorhanden ist. Es führt aber nicht dazu, dass quasi Langzeitfolgen gesichert unterstellt würden oder eine Beweislastumkehr dahingehend eintreten würde, dass die Beklagte das Nichtvorhandensein von Langzeitfolgen beweisen muss. Aufgrund des hierzu nicht möglichen Vortrags ist anhand der Darlegungs- und Beweislast davon auszugehen, dass Langzeitfolgen nicht über die bereits bekannten hinaus, die in der Wirkungsweise des Impfstoffes liegen und bei den Zulassungsentscheidungen berücksichtigt wurden, existieren (LG Rottweil, a.a.O. Rz 39).
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Vor diesem Hintergrund ist auch die Haftungsfreistellung der Beklagten in den Verträgen mit der Europäischen Union zu sehen. Aufgrund des 2020 und 2021 gewünschten politischen und überwiegend auch gesellschaftlichen Konsenses sollten schnellstmöglich Impfstoffe auf den Markt kommen, um die Corona-Pandemie einzudämmen. Dies konnte nur ohne Langzeitstudien erfolgen, weswegen das Risiko der Impfstoffhersteller bezüglich einer Haftung aufgrund möglicher Langzeitfolgen und dann eines retrospektiv anders zu beurteilenden Nutzen-Risiko-Verhältnisses erheblich höher war als bei üblicherweise entwickelten Arzneimitteln. Dass dieses Risiko von der Gesellschaft aufgrund der Haftungsfreistellungen getragen wird, mag zwar angesichts der in den Medien berichteten Gewinne von Impfstoffherstellern diskutabel sein, ist allerdings nicht ansatzweise ein Aspekt, der dafür spräche, dass der Impfstoff ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis habe (LG Rottweil a.a.O. Rz. 40).
III.
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Der Kläger hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG, da die Gesundheitsschädigungen zumindest nicht kausal auf die behauptete, nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechende Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation zurückzuführen sind.
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Ein Ursachenzusammenhang zwischen einer fehlerhaften Information und der Gesundheitsverletzung ist nur zu bejahen, wenn diese bei ordnungsgemäßer Information mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre. Ein Kausalzusammenhang ist daher abzulehnen, wenn der Anwender oder der anwendende Arzt die Arzneimittelinformation gar nicht zur Kenntnis genommen hat (BeckOGK/Franzki, 1.2.2024, AMG § 84 Rn. 58).
45
Der Kläger gab im Rahmen seiner informatorischen Anhörung an, dass er sich habe impfen lassen, da er am sozialen Leben teilnehmen wollte. Zudem habe er das Aufklärungsmerkblatt selbst gar nicht gelesen, sondern habe sich nur vom Arzt entsprechend unterrichten lassen. Dabei hat sich der Kläger auch nicht von einer möglichen Sinusvenenthrombose und einer Herzmuskelentzündung von der Impfung abhalten lassen, da für ihn der Nutzen überwogen habe und er auf die geringe Wahrscheinlichkeit von Komplikationen vertraut habe. Diese Einlassung zeigt zur Überzeugung der Kammer, dass sich der Kläger vor der Impfung trotz der geschilderten Impfreaktionen nach der 2. Impfung nicht mit möglichen Gesundheitsschädigungen befasst hat. Auch wenn die nunmehr vorgetragenen Schädigungen im Aufklärungsmerkblatt gestanden hätten, hätte sich der Kläger zur Überzeugung der Kammer impfen lassen. Gerade nach den behaupteten Reaktionen nach der 2. Impfung wäre bei einem vorsichtigen Anwender zu erwarten gewesen, dass er sich mit möglichen Nebenwirkungen auseinandersetzt. Dadurch, dass der Kläger dies unterlassen hat, wird deutlich, dass er sich unabhängig von dem Inhalt einer Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation impfen ließ. Ein Ursachenzusammenhang kann in einem solchen Fall nicht festgestellt werden.
46
IV.  Mangels Hauptsacheanspruchs gemäß § 84 Abs. 1 AMG steht dem Kläger darüber hinaus weder ein Anspruch auf Feststellung für die Haftung künftiger Schäden noch auf Zinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten als Nebenforderungen zu.
C.
47
Die Kostentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
48
Der Streitwert war gemäß § 3 ZPO i.V.m. § 48 GKG auf 50.000,00 € festzusetzen. Hiervon entfallen auf den Antrag Ziffer 1. Ein Betrag in Höhe von 50.000,00 €, auf den Antrag Ziffer 2. Ein Betrag in Höhe von 5.000,00 € und auf den Antrag Ziffer 3. Insgesamt XY €.