Titel:
Anspruch auf Kindergeld einer Ehegattin eines NATO-Truppenmitglieds
Normenketten:
EStG § 1 Abs. 3, § 62 Abs. 2
AufenthG § 23 Abs. 1, § 60a Abs. 2 S. 3
GG Art. 3
NATO Art. III Abs. 1 S. 1 u. 2
FGO § 90 Abs. 2
Leitsatz:
Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer, der sich rechtmäßig in Deutschland aufhalte, voraussichtlich dauerhaft in Deutschland einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgehe und in das Sozialversicherungssystem eingegliedert sei, ist so zu behandeln, als sei er im Besitz eines der in § 62 Abs. 2 EStG genannten Aufenthaltstitels (vgl. BFH-Urteile vom 25.07.2007 III R 55/02, BeckRS 2007, 24003099; vom 19.02.2013 XI R 9/12, BeckRS 2013, 95046, BFH/NV 2013, 1077; vom 08.08.2013 III R 22/12, BeckRS 2013, 96360) (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Daueraufenthalt, Anspruch auf Kindergeld, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsrecht, Aufenthalt, Aufenthaltsstatus, Aufenthaltstitel, Ausreise, Bezug von Kindergeld, Einkommen, Familienkasse, neue Erwerbstätigkeit, Daueraufenthalt-EU, NATO-Truppenmitglied, NATO-Truppenstatut, US Bürger
Fundstelle:
BeckRS 2025, 14660
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
1
Streitig ist das Kindergeld für das Kind B (geb.: ... 2021) von Juni 2022 bis April 2024.
2
Die Klägerin und ihr Mann sind amerikanische Staatsbürger. Der Ehemann, C, ist seit 2012 Mitglied der US-Truppen. Vom XX.06.2021 bis voraussichtlich zum XX.06.2025 ist er in Deutschland stationiert.
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Die Klägerin hält sich gemäß Statusbescheinigung vom ... 2023 als Ehegattin eines Mitgliedes der Truppen oder des zivilen Gefolges der US-Streitkräfte gemeinsam mit dem Kind seit dem XX.06.2022 bis voraussichtlich XX.06.2025 in Deutschland auf.
4
Die Klägerin war vom 24.06.2022 bis zum 30.06.2023 bei der D GmbH in E und vom 01.07.2023 bis zum 31.08.2023 bei der F GmbH in G beschäftigt. Zum 01.09.2023 hat sie eine neue Erwerbstätigkeit aufgenommen. Es bestand / besteht laut Arbeitgeberbescheinigungen jeweils ein Versicherungspflichtverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit.
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Die Klägerin beantragte mit Antrag vom XX.09.2022, der bei der Familienkasse am XX.11.2022 einging, Kindergeld für das Kind B.
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Sie reichte die Ausdrucke der elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen für 2022 (24.06 bis 31.12) und 2023 (01.01. bis 30.06. und 01.09. bis 31.12) und Arbeitgeberbescheinigungen der D GmbH vom 08.09.2023 (für die Zeit vom 13.06.2022 bis 30.06.2023), der F GmbH in G vom 06.09.2023 (für die Zeit vom 01.07.2023 bis zum 31.08.2023) und der H GmbH in G vom 06.09.2023 (für die Zeit ab dem 01.09.2023) ein.
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Weiter legte die Klägerin eine Bescheinigung des Finanzamts E vom 04.04.2023 vor, worin bescheinigt wird, dass die Klägerin „unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist bzw. nach § 1 Abs. 3 EStG derart behandelt wird.“
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Mit Bescheid vom XX.02.2024 lehnte die Familienkasse den Antrag auf Festsetzung des Kindergeldes für das Kind B ab Juni 2022 ab.
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Die Entscheidung wurde damit begründet, dass die antragstellende Person die Voraussetzungen nach § 62 EStG nicht erfülle. Nach dieser Vorschrift stehe einem ausländischen Staatsangehörigen nur dann Kindergeld zu, wenn er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU sei; oder eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte, eine Mobiler-ICT-Karte oder eine Aufenthaltserlaubnis besitze, die für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen oder berechtigt haben oder diese erlauben. Dies gelte auch bei einer Beschäftigungsduldung gem. § 60d in Verbindung mit § 60a Absatz 2 Satz 3 AufenthG.
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Der Prozessbevollmächtigte erhob für die Klägerin Einspruch.
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Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die Klägerin amerikanische Staatsangehörige und Ehegattin eines NATO-Truppenmitglieds sei. Damit habe sie eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland. Sie wohne in Deutschland, nämlich in den … Barracks in I. Zwar sei ihr Aufenthaltstitel nicht in § 62 Abs. 2 EStG aufgeführt. Jedoch seien auch die US-Kasernen in Deutschland deutsches und nicht amerikanisches Hoheitsgebiet. Es werde auf die Einordnung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags verwiesen (WD 2 – 3000 – 004/17 (17.01.2017)). Im Streitfall sei eine analoge Anwendung des § 62 Abs. 2 EStG auf den Aufenthaltstitel gemäß NATO-Truppenstatut vorzunehmen.
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Insbesondere könne auch bei Personen, die dem NATO-Truppenstatut unterlägen und unter diesem nach Deutschland eingereist seien, nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass der Aufenthalt in Deutschland nicht von Dauer sei. Es gebe zahlreiche Fälle, in denen US-Amerikaner nach ihrem Ausscheiden aus dem Militär in Deutschland verblieben seien. Insoweit werde auf die Informationsunterlagen des US-Militärs verwiesen, wenn ein US Bürger aus dem Militär ausscheide und in Deutschland verbleiben möchte.
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Da die Klägerin der deutschen Einkommensteuer und den deutschen Sozialabgaben unterliege, unterscheide sich der Sachverhalt auch von dem vom Finanzgericht Nürnberg mit Urteil vom 24.03.2022 (7 K 1005/21) entschiedenen Fall.
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Die Familienkasse wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom XX.04.2024 als unbegründet zurück.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Klägerin amerikanische Staatsangehörige und im Besitz des SOFA-Statutes (Status of forces agreement) sei. Den hiervon erfassten Personen sei die jederzeitige Ein- und Ausreise erlaubt, zu einem dauerhaften Aufenthalt im Gebiet des Aufnahmestaates seien sie damit jedoch nicht berechtigt (Art. III Abs. 1 Sätze 1 und 2 NATO-Truppenstatut).
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Die Klägerin sei nicht im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 62 Abs. 2 EStG.
17
Eine analoge Anwendung des § 62 Abs. 2 EStG auf das Aufenthaltsrecht nach dem NATO-Truppenstatut sei im Streitfall abzulehnen, weil gerade nicht von einem dauerhaften Aufenthalt der Klägerin in Deutschland ausgegangen werden könne. Die Klägerin halte sich als Ehegattin eines Mitgliedes der Truppen oder des zivilen Gefolges der US-Streitkräfte vom XX.06.2022 bis voraussichtlich XX.06.2025 in Deutschland auf. Zwar könne auch bei Personen, die dem NATO-Truppenstatut unterliegen und unter diesem nach Deutschland eingereist sind, nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass der Aufenthalt in Deutschland nicht von Dauer sein werde. Es lägen im Streitfall jedoch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin sich über den XX.06.2025 hinaus dauerhaft in Deutschland aufhalten werde. Die Stationierung des Ehemannes in Deutschland ende nach derzeitiger Aktenlage am XX.06.2025.
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Zwar werde vorgetragen, dass generell nach dem Ausscheiden aus dem US-Militär auch die Möglichkeit bestehe, in Deutschland zu verbleiben. Ein tatsächliches Ausscheiden des Ehemannes aus dem US-Militär nach Ende der Stationierung zum XX.06.2025 und ein anschließender Verbleib in Deutschland werde so jedoch nicht geltend gemacht.
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Der Prozessbevollmächtigte hat für die Klägerin Klage erhoben.
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Zur Begründung führt er aus, dass die Klägerin als Ehefrau eines in Deutschland stationierten Soldaten der US Army aufgrund des Artikels 6 Abs. 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut (BGBl. I 1961, 1183, 1218) als Angehörige vom Erfordernis der Aufenthaltsgenehmigung befreit sei. Sie benötige auch keine Arbeitserlaubnis.
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Da die Klägerin sich legal in Deutschland aufhalte und – nach Aktenlage zumindest im Zeitraum von Juni 2022 bis Juni 2023 und ab September 2023 – einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgehe, auf deren Basis sie Einkommen erziele, das versteuert werde und dem Abzug von Sozialabgeben unterliege, sei es verfassungsrechtlich bedenklich, wenn sie kein Kindergeld erhalte. Der Gleichbehandlungsgrundsatz erfordere jedoch eine Gleichbehandlung der Klägerin mit anderen in Deutschland tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und daher eine analoge Anwendung des Aufenthaltstitels gemäß § 62 EStG auf das Recht der Klägerin aus dem Nato-Truppenstatut. Denn anderenfalls werde wesentlich Gleiches wesentlich ungleich behandelt, was im Ergebnis einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG darstelle.
22
Der BFH habe entschieden, dass ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer, der sich rechtmäßig in Deutschland aufhalte, voraussichtlich dauerhaft in Deutschland einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgehe und in das Sozialversicherungssystem eingegliedert sei, jedoch keinen Aufenthaltstitel besitze, da er kraft gesetzlicher Regelung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit sei, in analoger Anwendung des § 62 Abs. 2 EStG so zu behandeln sei, als sei er im Besitz eines der in § 62 Abs. 2 EStG genannten Aufenthaltstitels (BFH-Urteile vom 25.07.2007 III R 55/02, BStBl. II 2008, 758; vom 19.02.2013 XI R 9/12, BFH/NV 2013, 1077; und vom 08.08.2013 III R 22/12, BStBl. II 2014, 838).
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Im Streitfall liege ein Daueraufenthalt vor. Das Gesetz stelle in § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG auf eine Mindestdauer von 6 Monaten für die Bezugsberechtigung von Kindergeld ab. Die Klägerin sei seit weit mehr als 6 Monaten in Deutschland.
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Es dürfte zudem unstreitig sein, dass es zu Beginn eines Aufenthalts stets offen sei, ob aus einem Aufenthalt ein Daueraufenthalt werde. Es müsse daher stets abstrakt gesehen werden, ob der Aufenthaltstitel zum Daueraufenthalt geeignet sei, und nicht ob konkret ein Daueraufenthalt vorliege. Insbesondere deshalb, weil es keine sichere Prognose geben könne, ob ein Aufenthalt zu einem Daueraufenthalt werde. Anderenfalls könnte man auch von jedem Blue-Card-Inhaber die Rückzahlung von erhaltenem Kindergeld verlangen, der Deutschland nach kurzer Zeit wieder verlasse oder vorgehabt habe, nur kurze Zeit in Deutschland zu arbeiten.
25
Die Klägerin benötige aber schlicht keine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis, um inländische Einkünfte zu erzielen. Es wäre daher unbillig, der Klägerin einen Anspruch auf Kindergeld zu verwehren, nur weil sie keinen Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz besitze, obgleich sie inländische Einkünfte erziele.
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Wenn aber – wie im Streitfall – eine unbeschränkte Steuerpflicht vorläge und inländische Einkünfte erzielt würden, so könne es keine Rolle spielen, auf welcher aufenthaltsrechtlichen Basis die Klägerin tätig sei, weil es die Zielsetzung des § 62 EStG sei, den Bezug von Kindergeld zu beschränken, soweit keine inländischen Einkünfte vorliegen. Daher seien diese Beschränkungen von der Zielrichtung des Gesetzes nicht auf die Klägerin anzuwenden. Das Gesetz sei vielmehr teleologisch auszulegen. Die Klägerin sei daher mindestens so zu behandeln, wie Personen, die nach § 23 Absatz 1 AufenthG wegen eines Krieges im Heimatland oder nach den § 23a oder § 25 Absatz 3 bis 5 AufenthG ein Aufenthaltsrecht besitzen, solange die Klägerin im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig sei.
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Der Prozessbevollmächtigte legte weiter Gehaltsabrechnungen der Klägerin für Juli bis Dezember 2023 und für Januar bis Mai 2024 vor.
28
Der Prozessbevollmächtigte beantragt sinngemäß unter Aufhebung des Bescheides vom XX.02.2024 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom XX.04.2024 die Beklagte zu verpflichten, für die Klägerin Kindergeld für B für den Zeitraum von Juni 2022 bis April 2024 festzusetzen.
29
Die Familienkasse beantragt Klageabweisung und verweist zur Begründung auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
30
Beide Beteiligte sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 90 Abs. 2 FGO einverstanden.
31
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie die von der Familienkasse vorgelegte elektronisch geführte Kindergeldakte mit der Nr. … verwiesen.
Entscheidungsgründe
32
Die Klage hat keinen Erfolg.
33
Der Ablehnungsbescheid vom XX.02.2024 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom XX.04.2024 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
34
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von Kindergeld nach dem X. Abschnitt des EStG, weil sie als amerikanische Staatsbürgerin für ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland weder eine Aufenthaltsberechtigung noch eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG.
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1. Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG.
36
a) Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer hat gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG nur Anspruch auf Kindergeld, wenn er in Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU ist, oder eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte, eine Mobiler-ICT-Karte oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen oder berechtigt haben oder diese erlauben, oder andere, hier nicht einschlägige Ausnahmetatbestände erfüllt. Die Vorschrift schränkt den Grundsatz des § 62 Abs. 1 EStG, dass die Bewilligung von Kindergeld an das Territorialitätsprinzip anknüpft, für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer erheblich ein (Wendl in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 62 EStG Rn. 20). Ausländer ist gemäß § 2 Abs. 1 AufenthG jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG ist.
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b) Im Streitfall ist die Klägerin aufgrund ihrer ausschließlich amerikanischen Staatsbürgerschaft Ausländerin. Sie ist nicht im Besitz eines entsprechenden Aufenthaltstitels. Die Innehabung eines solchen Titels ist für sie auch nicht deswegen entbehrlich, weil sie als Angehörige des Mitglieds eines zivilen Gefolges der US-Streitkräfte den ausländerrechtlichen Bestimmungen der Bundesrepublik Deutschland nicht unterliegt.
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c) Die Klägerin ist als Angehörige des zivilen Gefolges der US-Streitkräfte gemäß Art. III Abs. 1 NATO-Truppenstatut vom Erfordernis einer Aufenthaltserlaubnis befreit. Gleichzeitig erwerben diese Personen – unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts – kein Recht auf ständigen Aufenthalt oder Wohnsitz im Aufnahmestaat. Sie erhalten auch keinen Aufenthaltstitel nach dem AufenthG. Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass der Aufenthalt des genannten Personenkreises aufgrund der militärischen Aufgabenstellung in der Regel zeitlich beschränkt ist und dass die entsandten Personen in den Aufnahmestaat weder inkorporiert werden wollen noch sollen. Aufgrund des regelmäßig zeitlich befristeten, militärischen Auftrags dieses Personenkreises sind auch die deutschen Vorschriften über das Meldewesen und die Ausländerpolizei nicht anwendbar, Art. 6 Abs. 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut (Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 06.06.2002 3 K 5708/00, EFG 2002, 1313 Rn. 14f; Helmke/ Bauer, Familienleistungsausgleich, 121. Ergänzungslieferung, November 2024, § 62 EStG, Rn. 54). Diese Regelung gemäß Art. III Abs. 1 NATO-Truppenstatut gilt auch für das „zivile Gefolge“ und damit für die Klägerin als Ehefrau eines US-Soldaten.
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d) Ob ein Ausländer freizügigkeitsberechtigt i.S.d. § 62 Abs. 2 EStG ist, richtet sich jedoch nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU, BGBl. I 2004, 1950) und nach Abkommensrecht (Wendl in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 62 EStG Rn. 21). US-Amerikaner werden nicht vom EU-Recht geschützt und sind daher nicht freizügigkeitsberechtigt; nach dem Wortlaut des § 62 Abs. 2 EStG besteht kein Anspruch auf Kindergeld für im Inland Beschäftigte im zivilen Gefolge der US-Streitkräfte nach dem NATO-Truppenstatut, da das sich aus dem NATO-Truppenstatut ergebende Aufenthaltsrecht in Deutschland in dieser Vorschrift nicht erwähnt ist (vgl. FG Nürnberg, Urteil vom 24.03.2022 7 K 1005/21, juris; Wendl in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 62 EStG, Rn. 22; Avvento in Kirchhof/Seer, EStG § 62 Tz. 12). Aus dem Wortlaut und der Zielsetzung dieser überstaatlichen Vereinbarungen wird deutlich, dass Mitglieder einer ausländischen Truppe, eines zivilen Gefolges und ihre Angehörigen nur eine auf den militärischen Aufgabenkreis beschränkte Berechtigung zum Aufenthalt im Hoheitsgebiet des jeweiligen Aufnahmestaates haben. Ohne Bindung an die militärische Aufgabenstellung hat dieser Personenkreis keine Berechtigung zum Aufenthalt im Aufnahmestaat (so auch Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, § 62 EStG, Rn. 54).
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2. Eine analoge Anwendung des § 62 Abs. 2 EStG im konkreten Einzelfall ist nicht geboten.
41
a) Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 08.08.2013 III R 22/12, BStBl. II 2014, 838; vgl. A 4.1 Abs. 5 DA-KG 2024) kann aus einer analogen Anwendung des § 62 Abs. 2 EStG eine Kindergeldberechtigung bestehen, wenn ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer einen zum Bezug von Kindergeld berechtigenden Aufenthaltstitel verliert, weil sich sein Aufenthaltsstatus aufgrund seiner Eheschließung mit einer Angehörigen des zivilen Gefolges der NATO-Truppen nunmehr nach dem NATO-Truppenstatut richtet. Zwar bedarf es regelmäßig nicht lediglich eines möglichen Anspruchs, sondern vielmehr des tatsächlichen „Innehabens“ eines der in § 62 Abs. 2 EStG genannten Aufenthaltstitel (BFH-Urteil vom 28.04.2010 III R 1/08, BStBl. II 2010, 980). Von diesem Grundsatz machte der BFH im konkreten Einzelfall eine Ausnahme für den Fall, dass ein Ausländer nur deshalb einen zum Bezug von Kindergeld berechtigenden Aufenthaltstitel verlor, weil er nach seiner Eheschließung nicht mehr dem Ausländerrecht, sondern dem NATO-Truppenstatut unterlag. Für eine – ausnahmsweise – analoge Anwendung der Vorschrift wird zudem als erforderlich erachtet, dass Ausländer ohne Aufenthaltstitel hinsichtlich der Sozialversicherungssowie der Einkommensteuerpflicht als ständig ansässig behandelt worden sind (BFH-Urteil vom 25.07.2007 III R 55/02, BStBl. II 2008, 758; Selder, jurisPR-SteuerR 50/2013, Anm. 3; Siebenhüter, EStB 2013, 456; FG Nürnberg, Urteil vom 24.03.2022 7 K 1005/21, juris). Würde der Kläger im vom BFH entschiedenen Verfahren (III R 22/12) nicht mehr dem NATO-Truppenstatut unterliegen, z.B. nach einem Arbeitgeberwechsel seiner Ehefrau, hätte er wieder Anspruch auf einen zum Daueraufenthalt berechtigenden Aufenthaltstitel, der ihm einen Anspruch auf Kindergeld verschaffen würde.
42
b) Die vom BFH in dem Verfahren III R 22/12 entschiedene Fallkonstellation entspricht nicht der im Streitfall bestehenden Sachverhaltslage. Die Klägerin des vorliegenden Verfahrens war zu keinem Zeitpunkt im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung i.S.d.
43
§ 62 Abs. 2 EStG gewesen, welche sie zugunsten eines Aufenthaltsrechts nach dem NATO-Truppenstatut hätte aufgeben können bzw. müssen. Art. III Abs. 1 NATO-Truppenstatut vermittelt ausdrücklich keinerlei Recht auf ständigen Aufenthalt oder Wohnsitz in dem Staat der Stationierung; das durch das NATO-Truppenstatut vermittelte Aufenthaltsrecht der Klägerin stellt sich damit als nur vorübergehend dar. Gesetzgeberisches Ziel ist jedoch, Kindergeld nur solchen Ausländern zu gewähren, von denen zu erwarten ist, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben (FG Nürnberg, Urteil vom 24.03.2022 7 K 1005/21, juris). Weder die unbeschränkte Steuerpflicht noch die Sozialversicherungspflicht sagen aber etwas über die zu erwartende Aufenthaltsdauer aus (so auch Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, § 62 EStG, Rn. 54).
44
c) Eine analoge Anwendung des § 62 Abs. 2 EStG im konkreten Einzelfall ergibt sich auch nicht aus der vom Prozessbevollmächtigten angeführten Rechtsprechung zu ausländischen Mitgliedern des Personals einer Botschaft (BFH-Urteile vom 25.07.2007 III R 55/02, BStBl. II 2008, 758; vom 19.02.2013 XI R 9/12, BFH/NV 2013, 1077), da diese Voraussetzungen offensichtlich nicht vorliegen.
45
3. Zwar ist die Klägerin im Rahmen der Einkommensbesteuerung in Höhe des Existenzminimums ihres zu berücksichtigenden Kindes von der Einkommensteuer freizustellen. Dies geschieht gemäß § 31 Satz 1 EStG durch Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder damit korrespondierend durch die Zahlung von Kindergeld nach dem X. Abschnitt des EStG. Da die Klägerin als Ausländerin ohne Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis die Voraussetzungen zur Erlangung des Kindergeldes nach dem X. Abschnitt des EStG nicht erfüllt, erfolgt die steuerliche Entlastung bei ihr ausschließlich durch die Anwendung der Kinderfreibeträge. Dadurch ist gewährleistet, dass ihr Einkommen in Höhe des Existenzminimums ihres zu berücksichtigenden Kindes steuerfrei bleibt, soweit die Klägerin dem Kind anteilig zum Unterhalt verpflichtet ist. Die Beschränkung der Entlastungswirkung für die Klägerin auf den Kinderfreibetrag ist unter den gegebenen Umständen und unter dem Gesichtspunkt der steuerlich gebotenen Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber hat insoweit bei der Ausgestaltung des Familienleistungsausgleichs einen Ermessensspielraum zur sachgerechten Differenzierung zwischen unterschiedlichen Sachverhalten. Dieses gesetzgeberische Ermessen hat er bei der Regelung der kinderbedingten steuerlichen Entlastung von ausländischen Arbeitnehmern ohne eine Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis in Deutschland in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise genutzt (so auch Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 06.06.2002 3 K 5708/00, EFG 2002, 1313 Rn. 20f m.w.N.).
46
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 143 Abs. 1 FGO.