Inhalt

FG Nürnberg, Urteil v. 18.03.2025 – 2 K 1246/22
Titel:

Berichtigung der Besteuerung von Handwerkerleistungen

Normenketten:
UStG § 3a Abs. 3, § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a S. 4,§ 10 Abs. 1 S. 2, § 13b Abs. 2 Nr. 4, § 14c, § 27 Abs. 19 S. 1
VOB/B § 12 Abs. 1, 4-5, § 16 Abs. 1, 3
AO § 38, § 44, § 164 Abs. 2, § 176 Abs. 2
HGB § 354a
FGO § 52a, § 52d
Leitsatz:
Eine unzutreffende Bezeichnung der Änderungsvorschrift ist unbeachtlich, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen einer anderen Änderungsvorschrift erfüllt sind (vgl. BFH-Urteile vom 21.10.2014 – VIII R 44/11, BeckRS 2014, 96533, BFHE 247, 308; vom 19.10.2021 – VII R 7/18, BFHE 276, 189, BeckRS 2021, 45231). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Umsatzsteuer
Fundstellen:
StEd 2025, 333
LSK 2025, 14659
BeckRS 2025, 14659

Tenor

1. Der Umsatzsteuerbescheid 2013 vom 17.05.2016 und die Einspruchsentscheidung vom 12.10.2022 werden geändert und die Umsatzsteuer auf 42.047,37 € herabgesetzt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu 8/9 und der Beklagte zu 1/9 zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig ist die Berichtigung der rechtsirrigen Besteuerung von Handwerkerleistungen an einen Bauträger.
2
Der Kläger ist Gesamtrechtsnachfolger eines selbständigen Handwerksmeisters, der unter einer Firma in das Handelsregister A beim Amtsgericht B-Stadt eingetragen war und seine Umsatzsteuer nach vereinbarten Entgelten berechnete. Er führt dessen Firma fort. Der Rechtsvorgänger des Klägers baute in den Jahren 2012 und 2013 (Streitjahre) Heizungs-, Lüftungs- und Sanitäranlagen in vier Gebäude ein, die eine GmbH als Bauträger („Bauherr“) erworben hatte und sanieren ließ, um sie teils insgesamt, teils aufgeteilt als Wohnungseigentum weiterzuverkaufen. Der Rechtsvorgänger des Klägers und der Bauträger hatten die Geltung der Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B) vereinbart. Danach konnte der Auftragnehmer die Abnahme der Leistung (§ 12 Abs. 1 VOB/B) und konnten beide Vertragsparteien eine förmliche Abnahme (§ 12 Abs. 4 VOB/B) verlangen. Anderenfalls galt die Abnahme nach Ablauf von sechs Werktagen nach Beginn der Benutzung als erfolgt (§ 12 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B). Der Auftragnehmer hatte Anspruch auf Abschlagszahlungen (§ 16 Abs. 1 VOB/B). Die Schlusszahlung war grundsätzlich innerhalb von 30 Tagen nach Zugang der Schlussrechnung fällig (§ 16 Abs. 3 VOB/B). Der Bauträger bezahlte den Rechtsvorgänger des Klägers in den Streitjahren aufgrund von Abschlagsrechnungen. Er nahm die Arbeiten des Rechtsvorgängers nicht ab und der Rechtsvorgänger verlangte keine Abnahme. Die ersten Bewohner zogen in die renovierten Wohnungen nicht vor dem 1. Januar 2014 ein.
3
Im Jahr 2012 ging der Rechtsvorgänger des Klägers zunächst davon aus, als leistender Unternehmer die Umsatzsteuer auf die Arbeiten für den Bauträger zu schulden und stellte Abschlagsrechnungen über 65.900 € zuzüglich 12.521 € Umsatzsteuer, die der Bauträger vollständig beglich. Unter dem Datum 31.12.2012 erteilte der Rechtsvorgänger dem Bauträger eine geänderte Rechnung über 65.900 € ohne Steuerausweis unter Hinweis auf § 13b Abs. 2 Nr. 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der für die Streitjahre geltenden Fassung. Den Unterschiedsbetrag verrechnete er mit den nachfolgenden Abschlagszahlungen, von denen er die erste am 08.01.2013 berechnete. Im Jahr 2013 rechnete der Rechtsvorgänger gegenüber dem Bauträger weiterhin ohne Umsatzsteuerausweis und unter Hinweis auf § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung ab. Nach Abzug der Verrechnung für 2012 zahlte der Bauträger aufgrund der Abschlagsrechnungen 176.015 €. Der Bauträger erklärte die Leistungen des Rechtsvorgängers als Leistungen, für die er die Steuer schulde. Der Rechtsvorgänger des Klägers erklärte am 04.11.2013 für 2012 steuerpflichtige Umsätze zum allgemeinen Steuersatz von 459.180 € sowie die Leistungen an den Bauträger als steuerpflichtige Umsätze, für die der Leistungsempfänger die Steuer schulde, in Höhe von 65.900 €. Unter Berücksichtigung der übrigen, unstreitigen Besteuerungsgrundlagen ermittelte er eine Umsatzsteuerschuld von 38.308,10 € und eine Abschlusszahlung von 892,24 €. Für 2013 gab er erstmals am 14.09.2015 eine Umsatzsteuererklärung ab, in der er steuerpflichtige Umsätze zum allgemeinen Steuersatz von 335.350 € erklärte und keine steuerpflichtigen Umsätze, für die der Leistungsempfänger die Steuer schulde. Bei Einbeziehung der übrigen, unstreitigen Besteuerungsgrundlagen ermittelte er eine Umsatzsteuer von 14.673,06 € und eine Abschlusszahlung von 2.579,36 €. Am 28.09.2015 gab er eine berichtigte Steuererklärung ab, in der er bei im Übrigen unveränderten Besteuerungsgrundlagen Umsätze, für die der Leistungsempfänger die Steuer schulde, in Höhe von 188.536 €, angab.
4
Aufgrund des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22.08.2013 – V R 37/10 (BFHE 243, 20, BStBl. II 2014, 128) beantragte der Bauträger Ende 2014 die Erstattung von 12.521 € Umsatzsteuer 2012 und 32.575,42 € Umsatzsteuer 2013. Dabei bezog er sich für 2012 auf alle vom Rechtsvorgänger des Klägers erstellten Rechnungen, für 2013 auf Rechnungen über 171.449,58 €. Der Beklagte (das Finanzamt) erließ daraufhin am 17.05.2016 nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderte Umsatzsteuerbescheide für den Rechtsvorgänger, in denen es die steuerpflichtigen Umsätze zum allgemeinen Steuersatz für 2012 um 65.900 €, für 2013 um 171.449,58 €, die Umsatzsteuer 2012 um 12.521 € und die Umsatzsteuer 2013 um 32.575,31 € erhöhte.
5
Gegen die geänderten Steuerbescheide legte der Rechtsvorgänger Einspruch ein und machte geltend, eine Änderung nach § 164 Abs. 2 AO sei nicht zulässig, weil er seine Steuererklärungen entsprechend der erst durch das BFH-Urteil in BFHE 243, 20, BStBl. II 2014, 128 verworfenen Verwaltungsauffassung abgegeben habe und daher Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO genieße. Die Regelung des § 27 Abs. 19 UStG, die ausschließe, § 176 AO anzuwenden, sei mit dem grundgesetzlichen Rechtsstaatsprinzip und dem unionsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit unvereinbar. Das Finanzamt setzte die Vollziehung der geänderten Steuerbescheide aus. Am … verstarb der Rechtsvorgänger des Klägers, der Kläger wurde Alleinerbe. Er trat dem Finanzamt seinen Anspruch gegen den Leistungsempfänger auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer ab. Das Finanzamt nahm die Abtretung an. Der Leistungsempfänger erkannte die Ansprüche und die Abtretung an und zahlte an das Finanzamt. Mit Einspruchsentscheidung vom 12.10.2022, die es dem Kläger als Alleinerben bekanntgab, wies das Finanzamt den Einspruch gegen die geänderten Steuerfestsetzungen zurück und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.
6
Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die geänderten Steuerbescheide seien schon deswegen rechtswidrig, weil die sich aus ihnen ergebenden Nachzahlungen geleistet seien. Gleichwohl bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis im Hinblick auf die angekündigte Festsetzung von Aussetzungszinsen. Die Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 UStG lägen nicht vor, weil die Bauvorhaben, an denen der Rechtsvorgänger des Klägers beteiligt war, erst nach dem 14. Februar 2014 fertiggestellt und abgenommen worden seien. In der Sache könnten aus dem BFH-Urteil in BFHE 243, 20, BStBl. II 2014, 128 Folgerungen erst für Besteuerungszeiträume ab 2014 gezogen werden, da das Urteil erst in diesem Jahr veröffentlicht worden sei. Zuvor sei der Leistungsempfänger Steuerschuldner gewesen. Auch der in § 27 Abs. 19 UStG vorausgesetzte Antrag des Leistungsempfängers sei erst 2014 bei den Finanzbehörden eingegangen.
7
Der Kläger beantragt,
die Umsatzsteuerbescheide 2012 und 2013 vom 17.05.2016 und die Einspruchsentscheidung vom 12.10.2022 aufzuheben.
8
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
9
Aussetzungszinsen seien nicht Gegenstand des Verfahrens. Der Streitfall erfülle sämtliche Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 UStG. Das BFH-Urteil in BFHE 243, 20, BStBl. II 2014, 128 habe nur die schon zuvor geltende Rechtslage verdeutlicht und sei daher auch für 2012 und 2013 zu beachten.

Entscheidungsgründe

10
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Nur insofern sind die geänderten Steuerbescheide rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO). Das Finanzamt durfte die durch die Steuererklärungen bewirkten Festsetzungen ändern (nachfolgend 1.) und ging dabei dem Grunde nach zutreffend davon aus, dass der Kläger als Gesamtrechtsnachfolger (§ 44 AO) wegen der Tätigkeit seines Rechtsvorgängers bei den streitgegenständlichen Bauvorhaben höhere Umsatzsteuer für 2012 und 2013 schuldet (2.), lediglich die Höhe der Steuer ermittelte es fehlerhaft (3.).
11
1. Das Finanzamt durfte die angefochtenen Steuerbescheide nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG ändern. Der Kläger kann dagegen nach § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG keinen Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO beanspruchen. Eine unzutreffende Bezeichnung der Änderungsvorschrift – hier der Hinweis auf § 164 Abs. 2 AO – ist unbeachtlich, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen einer anderen Änderungsvorschrift erfüllt sind (st. Rspr., z. B. BFH-Urteile vom 21.10.2014 – VIII R 44/11, BFHE 247, 308, BStBl. II 2015, 593, Rn. 15; vom 19.10.2021 – VII R 7/18, BFHE 276, 189, Rn. 27, jeweils m.w.N.).
12
a) Zwar ist § 176 Abs. 2 AO grundsätzlich sowohl für 2012 als auch für 2013 anwendbar. Bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids darf danach nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist. Diese Bezeichnung muss grundsätzlich nach dem Erlass des ursprünglichen Bescheids eingetreten sein. Nimmt der Umsatzsteuerjahresbescheid den Regelungsgehalt vorheriger Voranmeldungsfestsetzungen in dieser Weise in sich auf, ist für die Prüfung, zu welchem Zeitpunkt die in § 176 Abs. 2 AO genannte allgemeine Verwaltungsvorschrift als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet wurde, auf die jeweilige Voranmeldungsfestsetzung abzustellen (BFH-Urteil vom 06.07.2023 – V R 5/21, BFHE 282, 1, BStBl. II 2024, 457, Rn. 16, 21). Im Streitfall hatte der Rechtsvorgänger des Klägers schon die erste Umsatzsteuererklärung 2013 erst nach der Veröffentlichung des BFH-Urteils in BFHE 243, 20, BStBl. II 2014, 128 abgegeben, aus der Umsatzsteuererklärung ergibt sich aber, dass er zuvor Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben hat. Die späte Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung schließt daher Vertrauensschutz nicht aus.
13
b) Allerdings sind auch die Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG erfüllt.
14
aa) Sind Unternehmer und Leistungsempfänger davon ausgegangen, dass der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b UStG auf eine vor dem 15.02.2014 erbrachte steuerpflichtige Leistung schuldet, und stellt sich diese Annahme als unrichtig heraus, ist nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG die gegen den leistenden Unternehmer wirkende Steuerfestsetzung zu ändern, soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer fordert, die er in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldner zu sein. § 176 AO steht nach § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG der Änderung nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG nicht entgegen. Dies ist sowohl mit Verfassungs- als auch mit Unionsrecht vereinbar, wenn dem leistenden Unternehmer ein abtretbarer Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger zusteht (BFH-Urteil vom 23.02.2017 – V R 16, 24/16, BFHE 257, 177, BStBl. II 2017, 760).
15
bb) So verhält es sich hier.
16
(1) Sowohl der Rechtsvorgänger des Klägers als auch der Leistungsempfänger gingen bei Abgabe ihrer jeweiligen Steuererklärungen davon aus, dass der Leistungsempfänger nach § 13b UStG Umsatzsteuer auf die streitgegenständlichen Arbeiten des Rechtsvorgängers schulde, wie sich aus der bei den Rechtsbehelfsakten befindlichen Korrespondenz vom Herbst 2014 und den Steuererklärungen ergibt. Nach den Grundsätzen des BFH-Urteils in BFHE 243, 20, BStBl. II 2014, 128 war diese Auffassung indes unrichtig (siehe auch unter 2.). Ohne Bedeutung ist demgegenüber, dass beide Unternehmer zuvor zumindest zeitweise anderer Auffassung waren. Zwar enthält § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG keine ausdrückliche Regelung, auf welchen Zeitpunkt abzustellen ist. Als Änderungsvorschrift ist § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG aber überhaupt nur anwendbar, wenn die fehlerhafte Auffassung sich in Steuerfestsetzungen niedergeschlagen hat. Vorgelagerte Überlegungen sind daher unbeachtlich. Ohnehin konnten die Beteiligten ihre Auffassung und Abrechnungspraxis bis zur Steuerfestsetzung einvernehmlich privatautonom ändern, erst mit der Steuerfestsetzung mussten sie sich – vorbehaltlich der Änderungsvorschriften – an der dieser zugrunde gelegten Auffassung festhalten lassen.
17
(2) Die streitgegenständlichen Arbeiten des Klägers in den Jahren 2012 und 2013 waren vor dem 15.02.2014 erbrachte Leistungen. Da der Kläger Abschlagszahlungen erhielt, kann dahingestellt bleiben, wann mangels förmlicher Abnahme die Arbeiten aufgrund Benutzung als abgenommen galten. Eine Leistung ist vor dem 15. Februar 2014 erbracht im Sinne von § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG, soweit die Steuer dafür nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG entstanden ist. Wird das Entgelt oder ein Teil des Entgelts vereinnahmt, bevor die Leistung oder Teilleistung ausgeführt worden ist, so entsteht nach dieser Vorschrift insoweit die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt oder das Teilentgelt vereinnahmt worden ist. Unionsrechtlich können die Mitgliedstaaten nach Art. 66 Abs. 1 Buchst. b der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) vorsehen, dass der Steueranspruch spätestens bei der Vereinnahmung des Preises entsteht. So verhielt es sich in den Streitjahren hinsichtlich der vom Rechtsvorgänger des Klägers vereinnahmten Abschlagszahlungen.
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(a) Der Begriff „erbracht“ ist in § 27 Abs. 19 UStG nicht gesetzlich definiert. Als sachlich dem Verfahrensrecht zuzuordnende Korrekturregelung (Wäger in Wäger, UStG, 3. Auflage 2024, § 27 Rn. 41) ist § 27 Abs. 19 UStG ohne unmittelbare unionsrechtliche Grundlage, der im Wege richtlinienkonformer Auslegung eine Definition zu entnehmen sein könnte, sondern unterfällt der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten (vgl. z. B. EuGH-Urteil vom 26.04.2017 – C-564/15 Farkas, Rn. 31; BFH-Urteil vom 04.09.2024 – XI R 15/24 (XI R 17/20), zur Veröffentlichung in BFHE vorgesehen, Rn. 39).
19
(b) Die vorstehende Auslegung ergibt sich aber aus der Systematik des § 27 UStG.
20
In anderen Absätzen des § 27 UStG ist „erbracht“ oder (eine Leistung) „erbringen“ gleichbedeutend mit „ausgeführt“ oder (eine Leistung) „ausführen“. Während § 27 Abs. 1a und 10 UStG daran anknüpfen, wann Umsätze „erbracht“ wurden, stellen § 27 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 4, 11, 12, 15 und 18 UStG darauf ab, wann sie „ausgeführt“ wurden. In allerdings zeitlich nach § 27 Abs. 19 UStG eingefügten Absätzen findet sich zudem der Ausdruck „bewirkt“. In ähnlicher Weise verwendet der Gesetzgeber beispielsweise auch in § 3a Abs. 3 UStG zur Bestimmung des Orts der sonstigen Leistung nebeneinander die Begriffe „ausgeführt“ und „erbracht“. Unbeschadet der zwischenzeitlichen Änderungen gilt dies gleichermaßen für § 3 Abs. 3a UStG in der bei Einführung des § 27 Abs. 19 UStG 2014 geltenden und für § 3 Abs. 3a UStG in der gegenwärtigen Fassung. Demgegenüber legt § 13b Abs. 3 UStG sowohl in der bei Einführung des § 27 Abs. 19 UStG 2014 geltenden als auch in der derzeitigen Fassung einerseits nahe, dass „erbracht“ nicht zwingend den Zeitpunkt bezeichnet, in dem das Erbringen abgeschlossen ist, sondern auch einen Zeitraum bezeichnen kann, während dessen das Erbringen noch andauert, andererseits, dass zwischen „erbracht“ und „tatsächlich erbracht“ zu unterscheiden ist.
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Hat der Unternehmer schon eine Abschlagszahlung erhalten, ist im Rahmen des § 27 UStG allerdings § 27 Abs. 1 Satz 2 UStG zu berücksichtigen. Die von § 27 Abs. 1 Satz 1 UStG angeordnete Anwendung von Gesetzesänderungen grundsätzlich auf nach ihrem Inkrafttreten ausgeführte Umsätze gilt nach § 27 Abs. 1 Satz 2 UStG auch insoweit, als die Steuer dafür nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a Satz 4, Buchstabe b UStG oder § 13b Absatz 4 Satz 2 UStG vor dem Inkrafttreten der Änderungsvorschrift entstanden ist. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers eine Leistung, für die der Unternehmer vor der Gesetzesänderung Entgelt vereinnahmt hat, im Sinne von § 27 UStG grundsätzlich insoweit vor der Gesetzesänderung ausgeführt ist, da § 27 Abs. 1 Satz 2 UStG sonst nicht erforderlich wäre (vgl. BFH-Urteil vom 21.06.2001 – V R 68/00, BFHE 195, 446, BStBl. II 2002, 255, unter II.4.c.).
22
Dieses Verständnis von „ausgeführt“, ist auch der Auslegung des „erbracht“ im Sinne von § 27 Abs. 19 UStG zugrunde zu legen, da der Gesetzgeber beide Begriffe grundsätzlich auch in anderen Absätzen des § 27 UStG gleichbedeutend verwendet. Die Fiktionswirkung des § 27 Abs. 1 Satz 2 UStG, die möglicherweise dazu führen würde, die Leistung trotz der Abschlagszahlungen als insgesamt erst nach dem 14. Februar 2014 ausgeführt anzusehen, greift hingegen nicht ein, da § 27 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG eine Änderung des Gesetzes voraussetzen, nicht lediglich die Verwerfung einer Verwaltungsanweisung. Der Rechtsgedanke, nach Abschlagszahlungen eine in sich schlüssige Besteuerung nach geltendem Recht herbeizuführen, spricht ganz im Gegenteil dafür, eine Änderung von Steuerfestsetzungen nach § 27 Abs. 19 UStG insoweit zuzulassen, als vor dem 15.02.2014 bei zutreffender Beurteilung Steuer entstanden ist.
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(c) Auch die Entstehungsgeschichte und der Zweck des § 27 Abs. 19 UStG sprechen für diese Auslegung.
24
Die Entwurfsbegründung zu § 27 Abs. 19 UStG (BT-Drs. 18/1995, S. 99, 111) verweist ausdrücklich auf die BMF-Schreiben vom 05.02.2014 (BStBl. I 2014, 233) und vom 08.05.2014 (BStBl. I 2014, 823). In dem zuletzt genannten BMF-Schreiben sind „Bauleistungen, mit deren Ausführung vor dem 15. Februar 2014 begonnen worden ist“ (unter II., erster Absatz, letzter Satz), und Sachverhalte mit „Schlussrechnung über nach dem 14. Februar 2014 erbrachte Leistungen bei Abschlagszahlung vor dem 15. Februar 2014“ (unter III.1.) ausdrücklich erwähnt. Auch in diesen Sachverhalten wollte die Finanzverwaltung Folgerungen aus dem BFH-Urteil in BFHE 243, 20, BStBl. II 2014, 128 nur spiegelbildlich für Unternehmer und Leistungsempfänger ziehen. Durch die Bezugnahme auf dieses BMF-Schreiben haben sich die Entwurfsverfasser diese Auffassung erkennbar zu eigen gemacht. Wegen der Regelung in § 27 Abs. 1 Satz 2 UStG konnten sie davon ausgehen, dass es einer gesonderten Erwähnung der Fälle mit Abschlagszahlungen vor dem 15. Februar 2024 in § 27 Abs. 19 UStG nicht bedurfte.
25
Vor allem aber soll § 27 Abs. 19 UStG die steuerlich neutrale Berichtigung der rechtsirrig durchgeführten Besteuerung ermöglichen. Der BFH hat in seiner Rechtsprechung zu § 27 Abs. 19 UStG deutlich gemacht, dass nach seiner Auffassung Vertrauensschutz nicht das „Interesse an der Ausnutzung eines steuerrechtlichen Zufallsgewinns“ einschließt (BFH-Urteil in BFHE 257, 177, BStBl. II 2017, 760, Rn. 39, 57; ähnlich BFH-Urteil vom 24.05.2023 – XI R 45/20, BFHE 281, 185, BStBl. II 2023, 1082, Rn. 40). Zu einer rechtsirrigen Besteuerung und damit entsprechendem Berichtigungsbedarf konnte es aber, wie der Streitfall belegt, nicht nur kommen, wenn die Steuer vor dem 15.02.2014 nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 UStG in der damals geltenden Fassung, sondern auch, wenn sie nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG in der damals geltenden Fassung entstand, da auch in diesen Fällen eine Besteuerung durchzuführen war. Die Besteuerung von Abschlagszahlungen aus dem Anwendungsbereich des § 27 Abs. 19 UStG auszunehmen, würde voraussichtlich dazu führen, dass in einer erheblichen Anzahl wegen ihrer Auswirkungen bedeutender Fälle eine steuerlich neutrale Berichtigung infrage gestellt wäre. Gerade bei größeren Bauvorhaben, die typischerweise sowohl mit hohen Umsätzen verbunden sind als auch sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, vereinbaren die Parteien regelmäßig die Anwendung der VOB/B. Abschlagszahlungen sind dort ausdrücklich vorgesehen.
26
(d) Aus dem EuGH-Urteil vom 02.05.2019 – C-224/18 Budimex und dem BFH-Urteil vom 05.09.2019 – V R 38/17, BFHE 266, 425, BStBl. II 2022, 696 ergibt sich nichts anderes. Bei Bau- oder Montagedienstleistungen, bei denen insbesondere durch die Bezugnahme auf die VOB die Abnahme der Arbeiten im Vertrag vereinbart wurde, gehört nach dieser Rechtsprechung die Abnahme zur Leistung, die deshalb erst mit der Abnahme erbracht ist (EuGH-Urteil vom 02.05.2019 – C-224/18 Budimex, Rn. 23, 27, 35; BFH-Urteil in BFHE 266, 425, BStBl. II 2022, 696, Rn. 21). Diese Rechtsprechung erging allerdings nicht zu § 27 Abs. 19 UStG, sondern betraf die Frage, wann der Steueranspruch entstand (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG; Art. 63 MwStSystRL). Die Steuer entsteht nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 UStG für Lieferungen und sonstige Leistungen bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten (§ 16 Abs. 1 Satz 1 UStG) mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind. Nach Art. 63 der Mehrwertsteuerrichtlinie treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird. Die vorgenannten Entscheidungen betreffen daher im nationalen Recht die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „ausgeführt“ in § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 UStG und verwenden „erbracht“ im unionsrechtlichen Sinne. Auch wenn, wie unter (b) dargestellt, „ausgeführt“ und „erbracht“ im nationalen Recht häufig austauschbar sind, erfordert dies aber nicht zwingend, „erbracht“ in § 27 UStG (vgl. Wäger in Wäger, UStG, 3. Auflage 2024, § 27 Rn. 1) und insbesondere in § 27 Abs. 19 UStG im gleichen Sinne zu verstehen. Dies gilt umso mehr, wenn Abschlagszahlungen zu berücksichtigen sind, da sowohl die Entscheidung des EuGH als auch die Entscheidung des BFH Schlusszahlungen betrafen. Sogar wenn der Gesetzgeber selbst einen Begriff definiert, kommt im Übrigen eine Abweichung davon in einer anderen Vorschrift desselben Gesetzes in Betracht, wenn der Zweck der Regelung, ihr Zusammenhang mit anderen Vorschriften und/oder die Entstehungsgeschichte eindeutig erkennen lassen, dass der Begriff in dieser Vorschrift abweichend von der Legaldefinition zu verstehen sein soll (BFH-Beschluss vom 25.11.2002 – GrS 2/01, BFHE 201, 1, BStBl. II 2003, 548, unter C.2.; siehe auch BFH-Beschlüsse vom 29.01.2008 – VIII B 37/07, unter II.1.a.; vom 27.01.2009 – X B 28/08, BFH/NV 2009, 717, unter 2.a.). So verhält es sich, wie unter (c) erläutert, hier.
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(3) Der Rechtsvorgänger des Klägers hatte auch einen abtretbaren Anspruch gegen den Leistungsempfänger. Nachdem der Rechtsvorgänger des Klägers und der Leistungsempfänger zunächst übereinstimmend davon ausgegangen waren, dass der Leistungsempfänger die Steuer schulde, sich diese Auffassung aber als irrig herausstellte, hatte der Rechtsvorgänger des Klägers jedenfalls, nachdem der Leistungsempfänger die Änderung der ihm gegenüber ergangenen Steuerfestsetzung beantragte, einen Anspruch auf Nachzahlung eines Betrages in Höhe der auf das volle Entgelt geschuldeten Umsatzsteuer, wobei dahingestellt bleiben kann, ob dieser Anspruch aus einer Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB –; vgl. BFH-Urteil in BFHE 257, 177, BStBl. II 2017, 760, Rn. 49 ff.) oder aus ergänzender Vertragsauslegung (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 17.05.2018 – VII ZR 157/17, HFR 2018, 661, Rn. 28 ff.) folgt. Dieser Anspruch war auch abtretbar. Etwaige vertragliche Abtretungsverbote waren nach § 354a Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) unwirksam, da der Rechtsvorgänger jedenfalls kraft Eintragung (§§ 2, 5 HGB), der Leistungsempfänger kraft Rechtsform (vgl. § 6 Abs. 1 HGB, § 13 Abs. 3 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung) Kaufleute waren. Auch bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG ist § 354a HGB zu beachten (vgl. BFH-Urteile in BFHE 257, 177, BStBl. II 2017, 760, Rn. 61; vom 31.01.2024 – V R 24/21, zur Veröffentlichung in BFHE vorgesehen, HFR 2024, 569, Rn. Rn. 24). Wann der Rechtsvorgänger oder der Kläger das Abtretungsangebot abgaben und das Finanzamt dieses annahm, ist für die Rechtmäßigkeit der Änderung unerheblich (BFH-Urteil vom 31.01.2024 – V R 24/21, zur Veröffentlichung in BFHE vorgesehen, HFR 2024, 569, Rn. 17).
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2. Der Rechtsvorgänger des Klägers schuldete für die streitgegenständlichen Umsätze die Steuer als leistender Unternehmer (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung) für die Jahre, in denen er die Abschlagszahlungen vereinnahmte, nicht erst 2014 oder später.
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a) Die Voraussetzungen für eine Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers von bauwerkbezogenen Werklieferungen und sonstigen Leistungen lagen nicht vor.
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aa) Für Werklieferungen und sonstige Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, mit Ausnahme von Planungs- und Überwachungsleistungen schuldete nach § 13b Abs. 2 Nr. 4 Satz 1, Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 UStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung der Leistungsempfänger die Steuer, wenn er ein Unternehmer ist, der Leistungen im Sinne von § 13b Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 UStG erbringt.
31
bb) Der Rechtsvorgänger des Klägers führte zwar als Heizungs- und Sanitärinstallateur durch Einbauten in die Gebäude des Leistungsempfängers bauwerksbezogene Werkleistungen aus. Der Leistungsempfänger seinerseits erbrachte hingegen nach den Grundsätzen des BFH-Urteils in BFHE 243, 20, BStBl. II 2014, 128 keine Leistungen im Sinne von § 13b Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 UStG, weil er nicht Generalunternehmer, sondern Bauträger war, da er die Gebäude auf eigenen Grundstücken renovieren ließ.
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(1) Ein Bau auf einem eigenen Grundstück im Sinne des BFH-Urteils in BFHE 243, 20, BStBl. II 2014, 128 liegt auch vor, wenn der Bauherr das Grundstück vor Abschluss der Bauarbeiten veräußert. Der BFH verweist in diesem Urteil (aaO, unter II.3.b.cc.) für den Begriff des „Bauträgers“ zum einen auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16.05.2012 – 10 AZR 190/11 (BAGE 141, 299, unter I.2.c.bb.), wonach Bauträger „die errichteten Gebäude vor, während oder spätestens nach Abschluss der Bauarbeiten … veräußern“, zum anderen auf § 34c der Gewerbeordnung (GewO), wonach die Tätigkeit als Bauträger erlaubnispflichtig war. Für die Eigenschaft als Bauträger im Sinne dieser Vorschrift kommt es regelmäßig auf die Eigentümerstellung bei Abschluss des Bauvertrages an (BGH-Urteil vom 22.03.2007 – VII ZR 268/05, BGHZ 171, 364, Rn. 18). Auch in dem Sachverhalt, der dem BFH-Urteil in BFHE 257, 177, BStBl. II 2017, 760 zugrunde lag, hatte der Leistungsempfänger das Grundstück vor Beginn der Bauarbeiten aufgeteilt und veräußert (vgl. FG Münster, Urteil vom 15.03.2016 – 15 K 1553/15 U, EFG 2016, 855).
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(2) So verhielt es sich hier. Für drei der Gebäude, in denen der Rechtsvorgänger des Klägers arbeitete, ergibt sich dies aus den vom Gericht angeforderten und von Grunderwerbsteuerstellen übermittelten notariellen Vertragsurkunden. Für ein Objekt war die Urkunde infolge Ablaufs der Aufbewahrungsfrist nicht mehr verfügbar. Angesichts des aus den vorhandenen Urkunden erkennbaren Musters und des zusätzlichen Umstands, dass auch der Kläger selbst die Eigenschaft des Leistungsempfängers als Bauträger zu keinem Zeitpunkt substantiiert in Frage gestellt hat, kann der Senat aber ausschließen, dass es sich hinsichtlich dieses Objekts anders verhalten haben könnte. Darüber bestand im Ergebnis auch in der mündlichen Verhandlung Einvernehmen. Gegen grundsätzliche Abweichungen bei den einzelnen Objekten spricht zudem, dass der Leistungsempfänger in den bei den Rechtsbehelfsakten befindlichen Angeboten des Rechtsvorgängers für sämtliche Objekte durchgängig als „Bauherr“ bezeichnet ist.
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b) Die Steuerschuld entstand entgegen der Auffassung des Klägers nicht erst mit der Veröffentlichung des BFH-Urteils in BFHE 243, 20, BStBl. II 2014, 128, dem Antrag des Leistungsempfängers oder der Berichtigung der Rechnungen infolge dieses Antrags.
35
aa) Eine erstmalige oder geänderte Rechtsprechung bewirkt keine Änderung der Rechtslage (vgl. EuGH, Urteil vom 12.02.2008 – C-2/06 Kempter, HFR 2008, 521, Rn. 35; BVerwG-Urteil vom 22.10.2009 – 1 C 26/08, BVerwGE 135, 137, Rn. 16). Anders als für Gesetzesänderungen (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 2 UStG) hat der Gesetzgeber für Rechtsprechungsänderungen zwischen der Vereinnahmung einer Abschlagszahlung (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 UStG) und der Ausführung der Leistung (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG) keine allgemeine Übergangsregelung getroffen. Auch von einer besonderen Übergangsregelung in § 27 Abs. 19 UStG hat der Gesetzgeber abgesehen. Rechtsprechungsänderungen lassen daher die Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung (§ 38 AO) unberührt.
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bb) Zudem sieht § 27 Abs. 19 UStG ausdrücklich eine Änderung der (ursprünglichen) Steuerfestsetzung vor, nicht eine Berichtigung für den Besteuerungszeitraum (2014 oder später), in dem die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift erstmals vorlagen. In diesem Sinne geht auch das BFH-Urteil in BFHE 257, 177, BStBl. II 2017, 760 von einer Änderung der Steuer für den Zeitraum der Leistungserbringung, im dortigen Sachverhalt ebenfalls 2012, aus, obwohl der Leistungsempfänger 2014 die Berichtigung der ihm gegenüber festgesetzten Steuer beantragte und die Klägerin die berichtigten Rechnungen frühestens 2015 erteilte. Hiervon abweichend lies zwar das BMF-Schreiben vom 08.05.2014 (BStBl. I 2014, 823) eine Versteuerung (und den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers) vollständig im Zeitraum der Schlussrechnung zu. Dafür durfte aber der Leistungsempfänger die bisher von ihm angemeldete Umsatzsteuer erst für diesen Zeitraum berichtigen. Demgegenüber bestand die GmbH hier auf einer Berichtigung schon für 2012 und 2013. Die Anwendungsvoraussetzungen für die in diesem BMF-Schreiben enthaltenen Regelungen lagen daher, wie die Klägerin im Schriftsatz vom 18.07.2023 selbst einräumt, nicht vor.
37
cc) Nur in den Fällen des § 14c UStG entsteht die Steuer erst aufgrund des Steuerausweises. Demgegenüber lässt die irrige Annahme einer Umkehr der Steuerschuldnerschaft die Entstehung der Steuer beim leistenden Unternehmer dem Grunde nach unberührt und wirkt sich nur auf die Höhe der Steuer aus (siehe unter 3.a.).
38
c) Die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide sind auch nicht deswegen aufzuheben, weil der Steueranspruch durch Zahlung erloschen ist. Die Zahlung betrifft die Erhebung und ist für die Rechtmäßigkeit der Festsetzung grundsätzlich ohne Bedeutung. Im Rahmen der Erhebung sind die Steuerbescheide vielmehr Grundlage für die Verwirklichung des Steueranspruchs (§ 218 Abs. 1 Halbsatz 1 AO) und somit nach der Zahlung der Steuer Rechtsgrund für das Behaltendürfen (vgl. BFH-Urteil vom 18.08.2015 – VII R 29/14, HFR 2016, 50, Rn. 13).
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3. Das Finanzamt hat allerdings die Umsatzsteuer 2013 fehlerhaft berechnet.
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a) Bemessungsgrundlage ist nach § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung das Entgelt. Entgelt ist nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung dieser Vorschrift alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, abzüglich der Umsatzsteuer. Vereinbarten die Beteiligten rechtsirrtümlich die Gegenleistung ohne Umsatzsteuer, ist daher der vereinbarte Betrag in Entgelt und Umsatzsteuer aufzuteilen, die Umsatzsteuer aus den vereinnahmten (Brutto-) Beträgen herauszurechnen (BFH-Urteil vom 12.05.2022 – V R 19/20, BFHE 277, 496, BStBl. II 2023, 885, Rn. 10, 12). Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geändert, hat nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen. Die Berichtigung ist nach § 17 Abs. 1 Satz 7 UStG für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist. Hat der Unternehmer schon ein Entgelt erhalten, ist die Umsatzsteuer erst für den Besteuerungszeitraum zu berichtigen, in dem er das Entgelt zurückgezahlt hat (EuGH-Urteil vom 13.03.2014 – C-107/13 FIRIN, Rn. 56; BFH-Urteil vom 18.09.2008 – V R 56/06, BFHE 222, 162, BStBl. II 2009, 250).
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b) Nach diesen Grundsätzen hat das Finanzamt die Umsatzsteuer nur für 2013 zu hoch festgesetzt.
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aa) Zu Unrecht hat das Finanzamt den vom Bauträger seinem Erstattungsantrag für 2013 zugrunde gelegten Betrag von 171.449 € nicht als Brutto-, sondern als Nettobetrag behandelt und die Umsatzsteuer nicht herausgerechnet, sondern aufgeschlagen. Die Umsatzsteuer ist daher um 5.201 € herabzusetzen. Da § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG eine Änderung zulässt, soweit der Leistungsempfänger die Erstattung fordert, ist auch der Änderung beim leistenden Unternehmer der Betrag zugrunde zu legen, für den die Erstattung gefordert wird.
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(1) Für die Änderung sind nur diejenigen Sachverhalte zu berücksichtigen, auf die sich der Leistungsempfänger in seinem Änderungsantrag bezogen hat. Für die darüber hinaus geleisteten und empfangenen Abschlagszahlungen bietet § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG keine Rechtsgrundlage. Der Änderungsrahmen nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG ist sachverhaltsbezogen und nicht nur durch den Betrag der vom Leistungsempfänger begehrten Erstattung begrenzt. Nach dem Wortlaut des § 27 Abs. 19 UStG hängt der Änderungsrahmen von dem Erstattungsbegehren des Leistungsempfängers ab, weil eine Änderung nicht wenn, sondern soweit der Leistungsempfänger die Erstattung fordert, zulässt. Der Änderungsrahmen steht damit zur Disposition des Leistungsempfängers. Ihn auf die Sachverhalte, das heißt diejenigen Leistungen oder Abschlagszahlungen, zu beschränken, auf die sich der Leistungsempfänger bezogen hat, gebieten Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Der Anspruch auf Zahlung eines Betrages in Höhe der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer (§ 27 Abs. 19 Satz 3 UStG) ist Bestandteil des Werklohns (§ 631 Abs. 1 BGB; vgl. BGH-Urteil in HFR 2018, 661, Rn. 28 ff.). Sowohl zur Ermittlung der ertragsteuerrechtlichen Anschaffungs- und Herstellungskosten als auch wegen etwaiger Mängelrechte (§ 634 Nr. 3 Alt. 2, § 638 BGB) muss der Leistungsempfänger diesen Werklohn bestimmten Objekten oder möglicherweise sogar Objektteilen zuordnen können. Eine saldierende Betrachtung, die in den Berichtigungsmechanismus auch Sachverhalte einbezieht, für die der Leistungsempfänger keine Erstattung gefordert hat, wäre damit nicht vereinbar.
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(2) Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Rechtsvorgänger des Klägers und der Bauträger 2013 durchgängig davon ausgingen, dass der Leistungsempfänger die Steuer schulde, oder ob der Rechtsvorgänger des Klägers, wie zu den Rechtsbehelfsakten gereichte Rechnungen nahelegen, zunächst mit Umsatzsteuerausweis abrechnete und erst später im gleichen Jahr geänderte Rechnungen ohne Umsatzsteuerausweis stellte sowie den Unterschiedsbetrag erstattete. Im zuletzt genannten Fall hätte der Rechtsvorgänger des Klägers zwar zunächst Bruttobeträge vereinnahmt, der vereinnahmte Betrag hätte sich aber aufgrund der Erstattungen noch im gleichen Jahr vermindert.
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bb) Demgegenüber ist die Steuerberechnung für 2012 nicht zu beanstanden, da der Rechtsvorgänger des Klägers für die 2012 vorgenommenen Arbeiten im gleichen Jahr zunächst Abschlagszahlungen von 65.900 € zuzüglich Umsatzsteuer vereinnahmte und erst 2013 durch Verrechnung 12.521 € zurückzahlte.
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4. Der Senat lässt die Revision zu, weil sowohl die Frage, ob eine Leistung vor dem 15. Februar 2014 im Sinne von § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG erbracht ist, soweit die Steuer dafür nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG entstanden ist, als auch die Frage, ob der der Änderungsrahmen bei § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG durch die vom Leistungsempfänger angegebenen Sachverhalte oder nur durch den Betrag der vom Leistungsempfänger begehrten Erstattung begrenzt ist, von grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) ist.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.