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VG München, Urteil v. 01.04.2025 – M 15 K 24.32449
Titel:

Asylrecht, Herkunftsland: Türkei, Zivilpolizei, Wehrpflicht, Engagement für HDP

Normenketten:
AsylG § 3, AsylG § 4
AufenthG § 60
EMRK Art. 10, Art. 5
Schlagworte:
Asylrecht, Herkunftsland: Türkei, Zivilpolizei, Wehrpflicht, Engagement für HDP
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 12.02.2025 – M 15 K 24.32449
Fundstelle:
BeckRS 2025, 14452

Tenor

I.  Die Klage wird abgewiesen.
II.  Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.  Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.  

Tatbestand

1
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben am … … 2023 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am … … 2023 einen Asylantrag.
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In der persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am … … 2024 gab der Kläger im Wesentlichen an, er habe in der Türkei unter anderem ein Studium der Rechtswissenschaften aufgenommen. Dort seien er und auch andere kurdische Studenten teilweise von Kommilitonen, die kurdenfeindlich seien, ausgegrenzt worden und Schikane ausgesetzt gewesen. Dozenten hätten nichts gesagt und hätten ihm teilweise Sprechverbote für die Vorlesung erteilt. Er habe seine Gedanken nicht frei äußern können. Er habe sich für seine Muttersprache eingesetzt und gewollt, dass diese akzeptiert werde. Im Jahr 2019 habe er einmal zusammen mit einem Freund Flyer für einen Filmdreh über die kurdische Muttersprache verteilt und sei deshalb von Zivilpolizisten auf dem Heimweg aufgehalten worden. Sie hätten ihm mitgeteilt, dass gegen ihn eine Anzeige wegen Propaganda und Anstiftung zu üblen Handlungen vorliege, weshalb er mit ihnen auf die Polizeiwache auf einen Berg kommen müsse. Dort sei er bespuckt worden, es sei Gewalt ausgeübt worden und er habe von dort alleine ins Stadtzentrum zurückgehen müssen. Aufgrund des Vorfalls sei eine Augenbraue aufgeplatzt und das Gesicht um die Augen herum angeschwollen gewesen. Zum Arzt sei er nicht gegangen. Sein Freund habe wegen dieser Geschichte im Januar 2020 Selbstmord begangen. All das sei wegen ihrer kurdischen Abstammung und Muttersprache passiert. An der Uni seien seine Noten von einem Dozenten verschlechtert worden, sodass er durchgefallen sei. Er habe sich auch geweigert an einer Demonstration zum Gedenken an angebliche Todesopfer durch die PKK teilzunehmen und sei dafür schikaniert worden. Bei einer Rückkehr befürchte er, inhaftiert oder im Rahmen des Wehrdienstes in ein Kriegsgebiet geschickt zu werden und dort gegen Guerillakämpfer kämpfen zu müssen. Er habe auch Anzeige gegen den Dozenten erstattet, die Polizei habe gesagt, sie würde alles erforderliche unternehmen, es sei jedoch nichts passiert. In Social Media habe er politische Posts verfasst und jeder habe sie sehen können. Seine Profile seien gemeldet und gesperrt worden. Vor seiner Ausreise habe er sich erkundigt, ob in e-devlet bzw. UYAP etwas gegen ihn vorliege, dies sei aber nicht der Fall gewesen. Zu dieser Zeit habe er in einem Restaurant in … gearbeitet. Dort habe er in einem Gebäude im fünften Stock gewohnt. Im dritten Stock habe es einmal eine Schießerei gegeben. Es wurde die Zeugenaussage eines Kommilitonen zu dem Vorfall mit den Zivilpolizisten und der Notenänderung vorgelegt.
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Mit Bescheid vom … … 2024, laut Aktenvermerk am … … 2024 als Einschreiben zur Post gegeben, erkannte das Bundesamt eine Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und subsidiären Schutz (Nr. 3) nicht zu und lehnte den Asylantrag ab (Nr. 2). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Im Falle der Klageerhebung ende die Ausreisefrist 30 Tage nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens. Andernfalls wurde die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
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Der Kläger habe überwiegend diskriminierende Vorfälle vorgetragen, die ihm aufgrund seiner kurdischen Volkszugehörigkeit und pro-kurdischen Äußerungen und Aktivitäten wiederfahren seien. Weiterhin stehe auch die bei Rückkehr vermutete eventuelle Inhaftierung in diesem Zusammenhang, wobei es sich lediglich um eine Mutmaßung des Klägers handele. Bei seiner Ausreise habe laut eigenen Angaben von staatlicher Seite nichts gegen den Kläger vorgelegen. Die geschilderte Mitnahme und Gewaltausübung seitens der Zivilpolizisten in der Bergregion müsse als sogenannter Amtswalterexzess verstanden werden, sodass es sich bei der Tat nicht um eine dem türkischen Staat zurechenbare Exzesstat handele. Weitere Bedrohungen seien laut Angaben des Klägers lediglich verbal von Seiten antikurdischer Kommilitonen erfolgt. Hinsichtlich einer bewussten Herabstufung seiner Noten im Rahmen des Studiums werde darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um keine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Asylgesetz (AsylG) handele. Das vorgelegte Schreiben des Freundes zu den Vorfällen an der Universität und mit der Zivilpolizei verfüge in dieser Sache aufgrund einer großen Beliebigkeit über keinerlei Beweiswert. Die Geschehnisse, die der Kläger bezüglich seines Freundes, der Suizid begangen habe, vorgetragen habe, hätten keine asylrechtliche Relevanz, da es sich lediglich um eine Vermutung des Klägers handele, dass es kein normaler Suizid gewesen sein könnte. Außerdem betreffe der Vorfall auch nicht den Kläger persönlich. Bezüglich des geschilderten Vorfalls in der Unterkunft des Klägers in … sei kein konkret sachlicher Zusammenhang mit der Person des Klägers erkennbar. Die Zugehörigkeit zur ethnischen Minderheit der Kurden in der Türkei könne dem Antrag nicht zum Erfolg zu verhelfen. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus und der Feststellung von Abschiebungsverboten lägen nicht vor.
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Mit Schriftsatz vom … … 2024, beim Bayerischen Verwaltungsgericht … eingegangen am selben Tag, erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht … und beantragte neben der Gewährung von Prozesskostenhilfe in der mündlichen Verhandlung zuletzt, den Bescheid vom … … 2024 aufzuheben, die Beklagte zu verpflichten, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutz zuzuerkennen, hilfsweise das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
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Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom … … 2024 im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger aus der Türkei habe fliehen müssen, da er sich ideologisch für das kurdische Volk und dessen Sprache eingesetzt habe. Er sei Opfer von Unterdrückung, Diskriminierung und Verfolgungshandlungen geworden, sowohl von Seiten des türkischen Staates, als auch aus der türkischen Gesellschaft heraus. Im Falle seiner Rückkehr in die Türkei befürchte der Kläger, dass er aufgrund seiner vergangenen Äußerungen als Terrorist eingestuft und inhaftiert werde. Die Türkei habe seit der Machtübernahme der AKP einen Rechtsruck erlebt und die Verfolgung von Minderheiten sei intensiviert worden. Die Türkei gehe zudem gegen Regimekritiker und Dissidenten mit polizeilicher Gewalt und unbegründeten Verhaftungen vor. In türkischen Gefängnissen komme es regelmäßig zu Folterungen von Gefangenen und zur Anwendung physischer Gewalt. Folterungen würden systematisch eingesetzt und seien weit verbreitet, sodass zu erwarten sei, dass auch der Kläger Opfer dieser Methode werde, sollte er in der Türkei verhaftet werden. Auch die Befürchtung des Klägers, während seines Wehrdienstes im Kampf gegen andere Kurden eingesetzt zu werden, sei nicht unbegründet, da die Türkei beispielsweise kurdische Bürger zum Dorfschützerdienst zwinge. Der türkische Staat biete dem Kläger keinen Schutz vor Verfolgung i.S.v. § 3d Abs. 1 Nr. 1 AsylG, da er direkt an der Verfolgung beteiligt sei. Darüber hinaus lägen auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG vor. Ein systemisches Umschlagen der Gewalt gegen die kurdische Zivilbevölkerung lasse sich im türkischen Inland nicht ausschließen, zudem könne eine Art Vergeltungsstimmung aufgrund der Kämpfe der PKK gegen die türkische Armee aufkommen. Dem Kläger drohe daher aus vorgenannten Gründen, dass er i.S.v. § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG vom türkischen Staat unter dem Vorwand der Unterstützung einer Terrororganisation verhaftet und in einem türkischen Gefängnis gefoltert und in unmenschlicher und erniedrigender Behandlung inhaftiert und bestraft werde. Zudem liege ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3, Art. 5 Nr. 1 und Art. 10 Nr. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) vor, da der Kläger befürchten müsse, aufgrund seines Einsatzes für das kurdisch Volk Opfer des türkischen Unrechtsstaates zu werden.
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Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung bezog sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
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Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom … … 2025 auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wurde mit Beschluss vom … … 2025 abgelehnt. Mit Beschluss vom … … 2025 wurde dem Klägerbevollmächtigten die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung per Videoübertragung gestattet.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die vorgelegte Behördenakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom … … 2025 Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).

Entscheidungsgründe

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Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am … … 2025 trotz Ausbleibens der Beklagtenseite entschieden werden. Denn in der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dieser hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes bzw. auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Das Gericht nimmt insoweit auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug (§ 77 Abs. 3 AsylG). Ergänzend wird lediglich Folgendes ausgeführt:
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1. Ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtling i.S.d. § 3 AsylG rechtfertigen würde, ist vorliegend aus dem Vortrag des Klägers nicht erkennbar. Dies gilt auch unter Berücksichtigung seines Auslandsaufenthalts und seiner Asylantragstellung im Bundesgebiet (vgl. u.a. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Türkei, Version 7 Stand 29.6.2023, S. 249; VG Berlin, U.v. 30.11.2021 – 37 K 16/18 A – juris Rn. 52; VG Gelsenkirchen, U.v. 13.7.2021 – 14a K 4331/19.A – juris; VG Karlsruhe, U.v. 9.7.2021 – A 10 K 1357/20 – juris; VG Stuttgart, U.v. 8.4.2021 – A 18 K 4802/18 – juris jeweils m.w.N.).
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1.1 In Bezug auf die vorgetragene Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden ist darauf zu verweisen, dass kurdische Volkszugehörige in der Türkei nach der ganz herrschenden, auch obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. VGH BW, U.v. 17.11.2022 – A 13 S 3741/20 – juris Rn. 49; OVG Berlin-Bbg, U.v. 7.10.2022 – OVG 2 B 16.19 – juris Rn. 31; OVG Saarl, B.v. 9.3.2022 – 2 A 50/22 – juris Rn. 10; B.v. 19.3.2021 – 2 A 76/21 – juris Rn. 9; SächsOVG, B.v. 7.1.2021 – 3 A 927/20.A – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 10.2.2020 – 24 ZB 20.30271 – juris Rn. 6, jew. m.w.N.) keiner asylrechtlich relevanten landesweiten Gruppenverfolgung unterliegen. Dementsprechend sind auch die Vorfälle an der Universität nicht als asylrechtlich relevante Verfolgung einzustufen. Vor diesem Hintergrund können Ausführungen zu Anforderungen an die notwendige Intensität und Schwere von Verfolgungshandlungen unterbleiben. Auch der Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass es sei nicht wichtig sei, wo in der Türkei man sei, wenn man für Kurden stehe und es Ermittlungen gebe, kann deshalb keine Berücksichtigung finden.
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1.2 Auch der Vorfall mit Zivilpolizisten im Jahr 2019 führt zu keinem anderen Ergebnis, da dem Kläger jedenfalls die inländische Fluchtalternative i.S.d. § 3e AsylG zur Verfügung steht.
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Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
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Das ist hier der Fall. Der Kläger hat in der Anhörung beim Bundesamt vorgetragen, dass in e-devlet und UYAP bei seiner Ausreise keine Eintragungen vorhanden gewesen seien. Er wisse auch nicht, ob im Zeitraum zwischen dem Vorfall im Jahr 2019 und seiner Ausreise im Jahr 2023 ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet wurde. Auch die Reise im Jahr 2022 nach Europa war ihm problemlos möglich. Dementsprechend liegt der Schluss nahe, dass es sich bei dem Vorfall nicht um offizielle staatliche Ermittlungsmaßnahmen bzw. staatliche Verfolgung, sondern um einen Machtmissbrauch einzelner Polizisten handelte. Dafür spricht auch die Angabe des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass er von den Polizisten nicht, wie sie es müssten, in die Polizeistation, sondern auf einen Berg gebracht wurde. Auch Unterlagen zu dem Vorfall gibt es, anders als bei offiziellen Ermittlungen, nicht. Aufgrund des Vorliegens von Machtmissbrauch einzelner Polizisten steht dem Kläger daher die inländische Fluchtalternative i.S.d. § 3e AsylG zur Verfügung. Der Kläger gab an, sich bereits in verschiedenen Städten in der Türkei zum Arbeiten aufgehalten zu haben, darunter …, … und … Er habe sich dabei auch komplett selbst finanzieren können und zusätzlich seine Familie unterstützt. Es ist davon auszugehen, dass ihm dies auch bei einer Rückkehr möglich sein wird.
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1.3 Die vom Kläger vorgetragene Schießerei in … führt ebenfalls nicht zum Vorliegen einer asylrechtlich relevanten Verfolgungshandlung. Der Kläger hat selbst angegeben, dass er nicht mit Sicherheit sagen könne, ob dieser Angriff ihm gegolten hat. Zudem war er im fünften Stock des Gebäudes untergebracht und der mutmaßliche Angriff (bei dem auch niemand verletzt wurde) fand im dritten Stockwerk statt. Dass der Kläger hier Opfer von Verfolgungsmaßnahmen wurde – geschweige denn, dass er bei einer Rückkehr erneut damit konfrontiert wäre – ist nicht (glaubhaft) vorgetragen.
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1.4 Auch die vorgebrachten Konsequenzen einer Einziehung zur Wehrpflicht führen nicht zur Zuerkennung internationalen Schutzes. Die Befugnis eines Staates, seine Staatsangehörigen zum Wehrdienst heranzuziehen, ist allgemein anerkannt. Es handelt sich um eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht, die nicht auf die Verfolgung von Individuen abzielt (BVerwG, B.v. 16.1.2018 – 1 VR 12.17 – juris Rn. 86; VG Würzburg, B.v. 27.12.2024 – 7 S 24.32639 – juris Rn. 23). Dass der Kläger hier individuell benachteiligt wird, ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Zudem besteht in der Türkei die Möglichkeit sich vom Wehrdienst freizukaufen. In der Rechtsprechung ist zudem anerkannt, dass kurdische Volkszugehörige, noch dazu wenn sie – wie der Kläger – der kurdischen Sache nicht abgeneigt sind, von staatlichen Sicherheitsbehörden nicht zur Übernahme einer Tätigkeit als Dorfschützer gezwungen werden (vgl. u.a. VG Sigmaringen, U.v. 13.12.2024 – A 13 K 3087/22 – juris Rn. 46; VG Leipzig, U.v. 18.4.2024 – 5 K 1784/21.A – juris Rn. 23 ff.; VG Berlin, U.v. 7.5.2021 – 37 K 157.18 A – juris Rn. 33 ff.).
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1.5 Soweit der Kläger vorträgt, seine Socialmedia-Profile seien aufgrund politischer Äußerungen gesperrt worden, ist der Vortrag schon unsubstantiiert, da weder zu konkreten politischen Posts und deren Inhalten vorgetragen wurde, noch inwiefern sich daraus der Vorwurf terroristischer Propaganda und Anstiftung von Personen zum Terrorismus ergeben haben soll, insbesondere, weil er weder von einem Ermittlungsverfahren weiß, noch Eintragungen in e-devlet oder UYAP vorhanden sind. Auch nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung hatte er im Zeitpunkt der Sperrung seines Accounts Ende 2022 keine Probleme mit der Polizei. Insofern kann auch der Vortrag des Klägerbevollmächtigten, der Kläger müsse befürchten, aufgrund seiner Äußerungen als Terrorist eingestuft und inhaftiert zu werden nicht überzeugen.
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1.6 Auch aus seinem Engagement für die HDP folgt nichts anderes. Eine asylrechtlich relevante Verfolgung wegen politischer Überzeugung i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG oder Zuschreibung einer solchen i.S.v. § 3b Abs. 2 AsylG ist zwar nach aktueller Erkenntnislage bei Kurden mit einer gewissen – auch über andere, entferntere Familienmitglieder – Nähe zur HDP nicht grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht vom 28.7.2022 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand: Juni 2022, S. 7 f.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Verfolgung einfacher HDP-Mitglieder, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 11.8.2022). In der Rechtsprechung wird indes bei niedrigschwelligen Aktivitäten ohne Hinzutreten besonderer Umstände keine Verfolgungsgefahr für einfache Mitglieder angenommen (vgl. nur: VG München, U.v. 13.3.2024 – M 28 K 23.31961 – n.v. m.w.N.; VG Aachen, U.v. 11.2.2022 – 10 K 1852/19.A – juris Rn. 53 f.; VG Berlin, U.v. 30.11.2021 – 37 K 16/18 A – juris Rn. 49). Der Kläger hat sich nach seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung zwar wohl für die HDP engagiert. Er war aber schon nicht HDP-Mitglied, geschweige denn dort in einem exponierten Amt tätig. Daran ändert auch die Teilnahme an Demonstrationen unter anderem anlässlich der Verhaftung von Demirtas nichts.
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1.7 Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung von der Durchsuchung und Befragung anlässlich der Übernachtung eines PKK-Mitglieds berichtet, ergeben sich schon erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben, da der Kläger bei der Befragung beim Bundesamt nicht von diesem Vorfall berichtet hat und als Grund dafür in der mündlichen Verhandlung nur – wenig überzeugend – angibt, dass er dort aus Angst davor nicht berichtet habe. Auch hier spricht gegen eine deshalb vorliegende beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit, dass Eintragungen in e-devlet und UYAP nicht vorhanden waren. Weiterhin ereignete sich der Vorfall mitsamt der vom Kläger geschilderten Grabenkämpfe im Jahr 2015, mithin einen beträchtlichen Zeitraum vor seiner Ausreise im Jahr 2023, sodass dies als fluchtauslösendes Ereignis nicht in Frage kommt.
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2. Die Beklagte hat auch zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG abgelehnt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen zur Flüchtlingseigenschaft (s.o. 2.1) sowie den angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG). Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägerbevollmächtigten, zumal der Grund für eine etwaige Verhaftung und Inhaftierung angesichts des Fehlens von (offiziellen) Ermittlungsmaßnahmen und Einträgen in e-devlet bzw. UYAP nicht hinreichend substantiiert vorgetragen wurde.
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3. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen nicht vor. Auch insoweit ist auf die Ausführungen im Bescheid vom … … 2024 zu verweisen (§ 77 Abs. 3 AsylG), denen sich das Gericht anschließt. Ein Abschiebungsverbot, welches nach den Ausführungen des Klägerbevollmächtigten aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 5 Nr. 1 EMRK und Art. 10 Nr. 1 EMRK folgen soll, liegt nicht vor, da der Verweis von § 60 Abs. 5 AufenthG auf die EMRK lediglich zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse erfasst (vgl. u.a. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 35 m.w.N.) und zudem ein solches nicht stets schon dann vorliegt, wenn dem abzuschiebenden Ausländer in seinem Heimatstaat nicht alle Rechte der Konvention gewährleistet sind (BVerwG, B.v. 8.2.1999 – 1 B 2/99 – juris Rn. 14). Bei Eingriffen in den Kernbereich spezieller Konventionsgarantien ist eine Abschiebung nur in besonders krassen Fällen unzulässig. Es müssen von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht, also die drohende Beeinträchtigung nach ihrer Schwere mit dem vergleichbar sein, was wegen einer menschenunwürdigen Behandlung zu einem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK führt (BVerwG, U.v. 24.5.2000 – 9 C 34/99 – NVwZ 2000, 1302). Das ist hier nicht der Fall.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).