Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 12.05.2025 – 202 ObOWi 262/25
Titel:

Wirksamkeit der fernmündlich dem Gericht gegenüber erklärten Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid und des Verzichts auf Beschlussgründe nach § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG

Normenketten:
StVG § 24 StVG, 25 Abs. 1 S. 1
StVG § 25 Abs. 2a
StVG § 26a
StPO § 302 Abs. 2
StPO § 411 Abs. 3 S. 1
StPO § 353
OWiG § 65
OWiG § 67 Abs. 1 S. 1
OWiG § 67 Abs. 2
OWiG § 69 Abs. 4
OWiG § 71
OWiG § 72 Abs. 6
OWiG § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
RPflG § 8 Abs. 1
RpflG § 8 Abs. 5
BKatV § 4 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Zurücknahme des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid ist nur bis zur Verkündung des Urteils im ersten Rechtszug möglich. Ist das Verfahren auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hin bereits beim Rechtsbeschwerdegericht anhängig, scheidet die Rücknahme aus.
2. Auf die zulässige Rechtsbeschwerde hat das Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu prüfen, ob der Tatrichter zu Recht von einer wirksamen Beschränkung des Einspruchs nach § 67 Abs. 2 OWiG ausgegangen ist. Die telefonische Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid, die nach Eingang der Akten beim Amtsgericht vom zuständigen Richter als Vermerk aufgenommen wird, ist bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen wirksam.
3. § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG sieht eine besondere Form für den Verzicht auf Beschlussgründe nicht vor. Eine fernmündlich dem Gericht übermittelte und vom zuständigen Richter niedergelegte Verzichtserklärung ist ausreichend.
4. Dass der Betroffene beruflich im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit auf die Nutzung seines Kfz dringend angewiesen ist, genügt für die Annahme einer durch das Fahrverbot ausgelösten unzumutbaren Härte regelmäßig nicht.
Schlagworte:
Arzt, Aufhebung, Augenblicksversagen, Bereitschaftsdienst, Beschluss, Beschlussgründe, Beschränkung, Bewertungsspielraum, Bußgeldbescheid, Denkzettelfunktion, Einspruch, Einspruchsrücknahme, Ermächtigung, Existenz, Fahrverbot, fernmündlich, Geldbuße, Gleichbehandlung, Höchstgeschwindigkeit, Prozesshandlung, Rechtsbeschwerde, Rechtsfolgenausspruch, Rechtskraft, Rechtspfleger, Rücknahme, Sachrüge, telefonisch, Urkundsbeamter, Verfahrensrüge, Vermerk, Verzicht, Verzichtserklärung, Vollmacht, Zurückverweisung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 14361

Tenor

I. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Amtsgerichts vom 22.01.2025 mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.
1
Mit Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt vom 16.09.2024 wurde gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 46 km/h eine Geldbuße von 320 Euro sowie ein, mit der Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a StVG versehenes, Fahrverbot von 1 Monat Dauer festgesetzt.
2
Auf den von dem Betroffenen nachträglich am 20.11.2024 fernmündlich gegenüber dem Amtsgericht auf die Rechtsfolgen beschränkten Einspruch hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen im schriftlichen Verfahren nach § 72 OWiG mit Beschluss vom 22.01.2025 eine Geldbuße von 960 Euro festgesetzt. Von der Anordnung eines Fahrverbots hat es hingegen ebenso wie – aufgrund Verzichts der Verfahrensbeteiligten – von einer weiteren Begründung des Beschlusses abgesehen.
3
Der Beschluss wurde der Staatsanwaltschaft am 24.01.2025 gemäß § 41 StPO zugestellt. Diese legte dagegen am 27.01.2025, bei Gericht eingegangen am 28.01.2025, Rechtsbeschwerde ein. Am 06.02.2025 stellte das Amtsgericht der Staatsanwaltschaft einen mit schriftlichen Gründen ergänzten Beschluss zu. In den Beschlussgründen stellte es fest, der Betroffene, der bislang lediglich eine Voreintragung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung aufweise, sei derzeit in Vollzeit als Weiterbildungsassistent in einer hausärztlichen Praxis tätig (Fahrtstrecke ca. 30 Minuten) und weiterhin für Bereitschaftsdienste in einer Klinik (Fahrtstrecke ca. 10 Minuten) angestellt. Sein Bruttogehalt in der hausärztlichen Anstellung betrage 6.500 Euro, die Abrechnung der Hintergrunddienste erfolge auf Stundenbasis. Die Tätigkeit in der hausärztlichen Praxis erfordere Besuche in Pflegeheimen, Hausbesuche bei Patienten und Dienste in zwei Krankenhäusern. Die Hintergrunddienste seien üblicherweise für die Abend- und Nachtstunden sowie an Wochenenden und gesetzlichen Feiertagen vorgesehen. Der Betroffene sei deshalb in besonderer Weise auf die Nutzung seines Kraftfahrzeuges angewiesen.
4
Mit beim Amtsgericht am 10.02.2025 eingegangener Zuleitung begründete die Staatsanwaltschaft ihre Rechtsbeschwerde, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt und die Nichtanordnung eines Fahrverbots beanstandet.
5
Die Generalstaatsanwaltschaft M. hat in ihrer Stellungnahme vom 28.03.2025 die Rechtsbeschwerde vertreten und beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts vom 22.01.2025 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung über den Rechtsfolgenausspruch an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
6
Mit Schriftsatz vom 06.05.2025, beim Rechtsbeschwerdegericht eingegangen am selben Tage, nahm der Betroffene über seine Verteidigerin seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurück.
II.
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Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte sowie auch im Übrigen zulässige und schon wegen der wirksam erklärten Einspruchsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch nur noch diesen betreffende Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat auf die Sachrüge hin Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
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1. Die vom Betroffenen mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 06.05.2025 erklärte Rücknahme des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid vom 16.09.2024 steht einer Entscheidung über die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft nicht entgegen.
9
Die Zurücknahme des Einspruchs ist grundsätzlich nur bis zur Verkündung des Urteils im ersten Rechtszug möglich (BayObLG Beschluss vom 16.07.1996 – 2 ObOWi 513/96; KG, Beschluss vom 26.06.2019 – 3 Ws (B) 219/19; KK/Ellbogen OWiG 5. Aufl. § 67 Rn. 100; Göhler/Bauer OWiG 19. Aufl. § 71 Rn. 6 – 6b m. w. N.). Sie erweist sich damit hier als unzulässig und damit wirkungslos.
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2. Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft betrifft nur noch den Rechtsfolgenausspruch, nachdem der Betroffene seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid am 20.11.2024 wirksam beschränkt hat.
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a) Auf die zulässige Rechtsbeschwerde hat das Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu prüfen, ob der Tatrichter zu Recht von einer wirksamen Beschränkung des Einspruchs nach § 67 Abs. 2 OWiG ausgegangen ist (st. Rspr., vgl. BayObLG, Beschluss vom 14.12.2022 – 201 ObOWi 1455/22; OLG Bamberg, Beschluss vom 03.04.2018 – 3 Ss OWi 330/2018 m.w.N.). Davon hängt nämlich ab, ob der Tatrichter zutreffend zugrunde gelegt hat, dass bereits der Bußgeldbescheid hinsichtlich des Schuldspruchs in Rechtskraft erwachsen ist und er deshalb nur noch über die Rechtsfolgen zu entscheiden hatte.
12
b) Die Erklärung über die Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch ist wirksam erfolgt.
13
(1) Am 20.11.2024 hat der zuständige Richter am Amtsgericht einen Vermerk über ein Telefonat vom selben Tage in den Akten niedergelegt, in dem es heißt:
„Tel. Mit Verteidigerin,
Bet ist dringend auf FS angewiesen (Arzt mit Hausbesuchen)
Sie regt Wegfall FV gg. 3 x GB 320 € an (auf Begründung wird verzichtet)
auf RF beschränkt)“
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(2) Die Form von Prozesshandlungen ist nicht einheitlich geregelt. Für Erklärungen und Anträge ergibt sie sich jeweils aus dem Gesetz oder aus dem jeweiligen Verfahrensstadium. Vorbehaltlich anderer Regelungen werden sie in mündlichen Verhandlungen mündlich, außerhalb schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 67. Aufl. Einl. Rn. 124; KK/Fischer StPO 9. Aufl. Einleitung Rn. 329; MüKo/Kudlich StPO 2. Aufl. Einleitung Rn. 337). Mündliche Erklärungen außerhalb von mündlichen Verhandlungen entfalten Wirksamkeit, wenn sie von einem Urkundsbeamten des zuständigen Gerichts (vgl. § 153 GVG i.V.m. Art. 15 Abs. 1 AGGVG, § 1 Abs. 1, §§ 5, 6 der Verordnung über die Geschäftsstellen der Gerichte und der Staatsanwaltschaften – GeschStV) niedergeschrieben werden (KK/Schneider-Glockzin § 43 Rn. 8; LR/Graalmann-Scheerer StPO 27. Aufl. Vorbem. § 42 Rn. 6). Bestehen über die Person des Erklärenden keine begründeten Zweifel, sind auch fernmündliche Erklärungen, die entweder formfrei oder zur Niederschrift abgegeben werden können und vom Urkundsbeamten aufgenommen werden, wirksam (OLG Köln, Urt. v. 16.11.1976 – Ss 293/76; LR/GraalmannScheerer a.a.O. Rn. 10). Ausgenommen hiervon sind lediglich Erklärungen zur Einlegung von Rechtsmitteln (BGH, Beschluss vom 26.03.1981 – 1 StR 206/80), soweit es sich nicht um die Anbringung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid handelt. Dieser kann auch fernmündlich eingelegt werden (BGH, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 StR 164/79; Göhler/Bauer OWIG 19. Aufl. § 67 Rn. 26).
15
(3) Gemessen daran bestehen gegen die Wirksamkeit der von der Verteidigerin erklärten Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch keine Zweifel. Für die Form der Beschränkung gilt das Gleiche wie für den Einspruch selbst (BGH, Urt. v. 12.02.1963 – 1 StR 561/62). Deshalb ist auch eine telefonische Rücknahme oder Teilrücknahme möglich (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.07.1985 – 2 Ss (OWi) 335/85 – 197/85 II; Göhler/Bauer OWIG a.a.O. Rn. 37). In diesem Zusammenhang sind weder die Formvorschriften des § 32d Satz 2 StPO i. V. m. § 110c Satz 1 OWiG (OLG Karlsruhe, Beschl. vom 22.03.2023 – 2 ORbs 35 Ss 125/23; OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.02.2023 – 1 Ss-OWi 1460/22) noch des BeurkG (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.02.1977 – 2 Ss OWi 1362/76) zu beachten. Zuständig zur Entgegennahme der Erklärung war, nachdem die Verfahrensakten bereits bei Gericht eingegangen waren, das Amtsgericht (BayObLG, Beschluss vom 02.06.1967 – BWReg. 4a St 6/67; Beschluss vom 06.04.1978 – 1 ObOWi 720/77; vgl. auch Beschluss vom 09.12.1993 – 2 ObOWi 513/93; KK/Ellbogen OWiG 5. Aufl. § 67 Rn. 105).
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(4) Auch die erforderliche besondere Ermächtigung nach § 302 Abs. 2 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG liegt vor.
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In der nachträglichen Beschränkung des zunächst unbeschränkt eingelegten Einspruchs liegt eine teilweise Zurücknahme des Rechtsbehelfs, die durch den Verteidiger gemäß § 67 Abs. 1 Satz 2 OWiG i. V. m. § 302 Abs. 2 StPO nur mit „ausdrücklicher Ermächtigung“ der Betroffenen erklärt werden kann. Die ausdrückliche Ermächtigung muss sich auf ein bestimmtes Rechtsmittel beziehen. Aus diesem Grund reicht nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung die bei Übernahme des Mandats im Rahmen der Vollmachtserteilung eingeräumte allgemeine Ermächtigung zur Rücknahme von Rechtsmitteln als ausdrückliche Ermächtigung gemäß § 302 Abs. 2 StPO nicht aus (BGH, Beschluss vom 02.08.2000 – 3 StR 284/00; BayObLG, Beschluss vom 21.12.2023 – 202 ObOWi 1264/23; Meyer-Goßner/Schmitt § 302 Rn. 32). Allerdings genügt es den Anforderungen des § 302 Abs. 2 StPO, wenn die Vollmacht gerade für die Durchführung des konkreten Rechtsbehelfs erteilt worden war (BGH, Beschluss vom 07.05. 2019 – 2 StR 142/19; 31.08.2016 – 2 StR 267/16; BayObLG aaO.). Dies war hier der Fall.
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Die Erteilung der sich seit 02.10.2024 bei den Akten befindenden Verteidigungs- und Vertretungsvollmacht vom 24.07.2024 ist zwar bereits kurz nach der am 16.07.2024 angeordneten mündlichen Anhörung des Betroffenen im Bußgeldverfahren und vor Erlass des Bußgeldbescheids am 16.09.2024 erfolgt. Allerdings ergibt sich aus dem zeitlichen Zusammenhang eindeutig, dass die Vollmachtserteilung gerade zu dem Zweck der Verteidigung gegen den erwarteten Bußgeldbescheid, die Beauftragung der Verteidigerin also gerade für das Einspruchsverfahren erfolgt ist (BayObLG aaO.).
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(5) Dahinstehen kann, ob der Tatrichter zur Aufnahme der Erklärung funktionell zuständig war. Dies kann deshalb zweifelhaft sein, weil das RPflG zwar eine Regelung zu Zuständigkeitsüberschreitungen durch den Richter im Verhältnis zum Rechtspfleger enthält, eine ausdrückliche Regelung im Verhältnis zum Urkundsbeamten indes fehlt. § 8 Abs. 1 RPflG bestimmt lediglich, dass die Maßnahme des Richters wirksam ist, wenn er Geschäfte des Rechtspflegers wahrnimmt. Die Verzichtserklärung entfaltete jedoch jedenfalls in analoger Anwendung des § 8 Abs. 1, Abs. 5 RPflG Wirkung (OLG Köln aaO.; MüKo/Pabst GVG 6. Aufl. § 153 Rn. 17; Dorndörfer RPflG 4. Aufl. § 8 Rn. 18 m.w.N.).
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3. Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat nicht schon deshalb Erfolg, weil das Amtsgericht zunächst auf Beschlussgründe verzichtet und diese gemäß § 72 Abs. 6 Satz 3 OWiG erst nachträglich angefertigt hat.
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Das Amtsgericht konnte zunächst von einer Begründung des Beschlusses absehen und auf den Inhalt des Bußgeldbescheides Bezug nehmen sowie die Gründe nachträglich zu den Akten bringen, nachdem die Staatsanwaltschaft Rechtsbeschwerde eingelegt hatte. Diese Gründe sind damit auch im Rechtsbeschwerdeverfahren beachtlich.
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Dahinstehen kann dabei, ob es dann, wenn die Voraussetzungen des § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG – nämlich das allseitige Einverständnis der am Verfahren Beteiligten, dass von einer Begründung des Beschlusses abgesehen werden kann – nicht gegeben ist, der Erhebung einer Verfahrensrüge bedarf (so OLG Hamm, Beschluss vom 30.06.2022 – 5 RBs 181/22) oder ob dies bereits auf eine zulässig erhobene Sachrüge hin zu prüfen ist. Denn zum einen hat die Staatsanwaltschaft eine Verfahrensrüge nicht erhoben, zum anderen hat der Betroffene, vertreten durch seine Verteidigerin, am 20.11.2024 eine entsprechende Verzichtserklärung fernmündlich abgegeben, die vom zuständigen Richter in der Akte vermerkt worden ist. Dieser Verzicht auf Beschlussbegründung nach § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG – die Staatsanwaltschaft hatte bereits bei der Zuleitung der Akten gemäß § 69 Abs. 4 Satz 2 OWiG schriftlich eine entsprechende Erklärung abgegeben – war auch wirksam.
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§ 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG sieht eine besondere Form für den Verzicht nicht vor. Dieser muss zwar eindeutig, vorbehaltlos und ausdrücklich zum Ausdruck gebracht werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.08.2021 – IV-2 RBs 141/21), indes war dies nach dem schriftlich zu den Akten gebrachten Vermerk vom 20.11.2024 der Fall. Die telefonisch übermittelte Verzichtserklärung war daher ausreichend.
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Die genannte Entscheidung des BGH v. 26.03.1981 – 1 StR 206/80, mit der fernmündliche Erklärungen zur Einlegung von Rechtsmitteln für nicht wirksam angesehen worden sind, steht dem nicht entgegen. Der BGH begründet seine Auffassung im Wesentlichen damit, der Zweck der Abgabe der Erklärung zu Protokoll des Urkundsbeamten liege darin, Gewissheit über die Person des Erklärenden und Klarheit über den Inhalt seiner Erklärung zu erhalten. Nur so könne der Urkundsbeamte feststellen, wer das Rechtsmittel einlegen will, ob er dazu berechtigt ist und welchen Inhalt die Erklärung habe. Diese Erwägungen treffen auf die Erklärung nach § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG jedoch nicht zu. Der Verzicht ist aus sich heraus ohne weiteres verständlich. Einer Begründung oder weiterer Ausführungen hierzu bedarf es nicht. Hinzu kommt, dass der Verzicht eine Beschlussbegründung nicht ausschließt, die Rechtsmittelmöglichkeiten des Betroffenen nicht berührt und der Beschluss gemäß § 72 Abs. 6 a2+b2=c2 3 OWiG nachträglich mit Gründen versehen werden muss, wenn gegen ihn Rechtsbeschwerde eingelegt wird. Zudem hat der BGH wegen der Besonderheiten des Bußgeldverfahrens die Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid auch durch fernmündliche Erklärung für wirksam erachtet. Wenn aber schon der Einspruch telefonisch angebracht und auf diesem Weg auch zurückgenommen werden kann, ist kein durchgreifender Grund ersichtlich, einer fernmündlichen Verzichtserklärung nach § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG die Wirksamkeit zu versagen.
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4. Die Begründung, mit der das Amtsgericht von der Anordnung eines Fahrverbots abgesehen hat, hält jedoch einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
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a) Zwar hat das Amtsgericht erkannt, dass aufgrund der rechtskräftigen Feststellungen des Bußgeldbescheides vom 16.09.2024 gemäß §§ 24, 25 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, § 26a StVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.7 der Tabelle 1c des Anhangs zur Anlage zum Bußgeldkatalog neben der Anordnung einer Regelgeldbuße in Höhe von 320 Euro an sich die Verhängung eines Regelfahrverbotes für die Dauer von einem Monat wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in Betracht kam.
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b) Jedoch zeigen die Feststellungen und Erwägungen des Amtsgerichts weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht Besonderheiten auf, die ausnahmsweise das Absehen von einem Fahrverbot rechtfertigen könnten.
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(1) Aus § 4 Abs. 1 Satz 1 BKatV folgt nicht, dass in den dort genannten Fällen ausnahmslos ein Fahrverbot zu verhängen ist. Vielmehr steht dem Tatrichter ein Ermessensspielraum zu, um Verstößen im Straßenverkehr mit der im Einzelfall angemessenen Sanktion zu begegnen. Die Frage, ob die Würdigung der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen besondere Umstände ergibt, nach denen es ausnahmsweise der Warn- und Denkzettelfunktion eines Fahrverbots im Einzelfall nicht bedarf, liegt grundsätzlich in seinem Verantwortungsbereich. Der Tatrichter hat innerhalb des ihm eingeräumten Bewertungsspielraums die Wertungen nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Seine Entscheidung kann vom Rechtsbeschwerdegericht deshalb nur daraufhin überprüft werden, ob er sein Ermessen deshalb fehlerhaft ausgeübt hat, weil er die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt, die Grenzen des Ermessens durch unzulässige Erwägungen überschritten und sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat. In Zweifelsfällen hat das Rechtsbeschwerdegericht die Bewertung des Tatrichters zu respektieren, und zwar auch dann, wenn es selbst hinsichtlich der Frage des Fahrverbots zu einem abweichenden Ergebnis gelangte.
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(2) Andererseits ist nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung die Vorbewertung des Verordnungsgebers, der in § 4 Abs. 1 Satz 1 BKatV bestimmte Verhaltensweisen als grobe Pflichtverletzungen ansieht, bei denen regelmäßig die Anordnung eines Fahrverbots in Betracht kommt, von den Gerichten zu beachten. Entsprechend der Intention des Verordnungsgebers wird deshalb grundsätzlich – auch soweit der Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.7 der Tabelle 1c des Anhangs zur Anlage zum Bußgeldkatalog erfüllt ist – das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG indiziert, so dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf.
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Diese durch den Verordnungsgeber gewollte ‚Bindung’ der Sanktionspraxis der Tatgerichte dient nicht zuletzt der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der tagtäglich durch eine Vielzahl von Verkehrsverstößen ausgelösten Rechtsfolgen. Zu diesen zählt deshalb auch nicht nur die Frage, ob gegen einen Betroffenen überhaupt ein Fahrverbot zu verhängen ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 BKatV), sondern auch, wie sich aus § 4 Abs. 1 Satz 2 BKatV ergibt, die „in der Regel“ festzusetzende Dauer des aufgrund einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG verwirkten Fahrverbots und auch, ob im Einzelfall von der Möglichkeit einer nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG vorgesehenen Fahrverbotsbeschränkung auf bestimmte Fahrzeugarten als gesetzlicher Ausdruck des rechtsstaatlichen Übermaßverbotes Gebrauch gemacht werden kann. Vor diesem Hintergrund ergibt sich, dass schon im Interesse der Anwendungsgleichheit Mindeststandards gerade dann beachtet werden müssen, wenn der berechtigten ‚Ausnahme’ – insbesondere durch ein gänzliches Absehen von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot – in nachvollziehbarer Art und Weise Geltung verschafft werden soll (vgl. BayObLG, Beschluss vom 19.01.2021 – 202 ObOWi 1728/20 m.w.N.).
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(3) In diesem Rahmen tragen die Ausführungen des Amtsgerichts ein Absehen von dem Fahrverbot, wovon auch die Generalstaatsanwaltschaft M. zutreffend ausgeht, nicht.
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(a) Soweit der Tatrichter seine Entscheidung, von der Festsetzung des an sich verwirkten Regelfahrverbots abzusehen, (auch) damit begründet, dass der Betroffene „bislang lediglich eine Voreintragung vom 19.05.2023 mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung bei einer zulässigen Geschwindigkeit von 70 km/h um 21 km/h“ im Fahreignungsregister aufweise, greift dieses Argument schon deshalb nicht, weil ein Regelfall nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV vorliegt und die Regelsätze der Bußgeldkatalogverordnung nach § 3 Abs. 1 BKatV selbst bei einem nicht vorbelasteten Betroffenen zum Tragen kommen, was in gleicher Weise für die Anordnung von Fahrverboten nach § 4 BKatV gilt.
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(b) Der Umstand, dass der Betroffene beruflich im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit als Weiterbildungsassistentin einer hausärztlichen Praxis zu Besuchen in Pflegeheimen, zu Hausbesuchen bei Patienten und zu Diensten in zwei Krankenhäusern verpflichtet und zudem als Oberarzt in einer Klinik einschließlich der Ableistung von Bereitschaftsdiensten angestellt ist, steht der Anordnung eines Fahrverbotes nicht entgegen (vgl. BayObLG a.a.O.). Wie viele Arbeitnehmer mag der Betroffene auf die Nutzung seines Kfz dringend angewiesen sein. Dies genügt für die Annahme einer durch das Fahrverbot ausgelösten unzumutbaren Härte jedoch nicht (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 10.02.2010 – 2 Ss OWi 1575/09; OLG Hamm, Beschluss vom 29.05.2012 – Az. 3 RBs 100/12; OLG Frankfurt, Beschluss vom 30.10.2009 – 2 Ss-OWi 239/09).
34
Eine erhebliche Beeinträchtigung der beruflichen Pflichten des Betroffenen oder Gefährdung der medizinischen Versorgung seiner Patienten lässt sich mit dem Umstand, dass der Betroffene einen Monat nicht selbst fahren kann, nicht ohne weiteres begründen. Es lässt sich nämlich nicht erkennen, dass eine Erschwernis bei der Berufsausübung des Betroffenen nicht durch organisatorische Maßnahmen oder die Inanspruchnahme Dritter in wirtschaftlich vertretbarer Weise, wenn auch eventuell mit vorübergehend erhöhtem Aufwand, ausgleichbar wäre (vgl. BayObLG a.a.O.). Insbesondere verhält sich das Amtsgericht nicht dazu, warum der Betroffene nicht darauf verwiesen werden kann, Taxis zu nutzen, sich eines Aushilfsfahrers zu bedienen oder die Folgen eines Fahrverbots durch Inanspruchnahme von (gegebenenfalls unbezahltem) Urlaub bzw. eine Kombination aus alledem abzumildern (vgl. BayObLG, Beschluss vom 19.04.1996 – 2 ObOWi 282/96; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.03.1995 – 5 Ss (OWi) 38/95 – (OWi)30/95 I), zumal ihm nach dem Anstellungsvertrag als Weiterbildungsassistent Urlaub im Umfang von 30 Werktagen pro Jahr zusteht.
35
Auch für eine wirtschaftlich unverhältnismäßige oder gar existenziell bedrohliche Wirkung des Fahrverbots auf den allein aufgrund seiner hausärztlichen Anstellung über ein Bruttogehalt von 6.500 Euro im Monat verfügenden Betroffenen gibt es nach den Feststellungen des Amtsgerichts keinen Anhalt.
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(c) Soweit der Betroffene darüber hinaus ein sog. Augenblicksversagen anführt, zeigt er auch damit die Notwendigkeit des Absehens von einem Fahrverbot nicht auf.
37
Zwar kann einem Kraftfahrzeugführer das für ein Fahrverbot erforderliche grob pflichtwidrige Verhalten dann nicht vorgeworfen werden, wenn der Grund für die von ihm begangene erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung darin liegt, dass er das die Höchstgeschwindigkeit begrenzende Zeichen nicht wahrgenommen hat, es sei denn, gerade diese Fehlleistung beruhe ihrerseits auf grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit. Das Maß der Pflichtverletzung hängt davon ab, wie sehr dem Betroffenen das Übersehen des Schildes zum Vorwurf gereicht (BGH, Beschluss vom 11.09.1997 – 4 StR 638/96).
38
Die Annahme eines Augenblicksversagens kommt aber jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn das die Geschwindigkeitsbegrenzung anordnenden Verkehrsschild wiederholt oder wenn ein sog. Geschwindigkeitstrichter angebracht war (BGH a.a.O.). Ersteres war hier der Fall. Die Geschwindigkeitsübertretung ereignete sich in einem Baustellenbereich mit verengten Fahrspuren und fehlendem Seitenstreifen, in dem das die Geschwindigkeit auf 80 km/h begrenzende Zeichen 274 fünfmal rechts aufgestellt war. Selbst wenn der Betroffene die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht wahrgenommen haben sollte, beruhte diese Fehlleistung angesichts der genannten Umstände auf grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit und schließt damit die Verhängung eines Fahrverbotes nicht aus.
III.
39
Aufgrund des aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mangels ist auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hin der angefochtene Beschluss mit den Feststellungen und in der Kostenentscheidung aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 353 StPO). Wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße betrifft die Aufhebung die gesamte Entscheidung. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).
40
Eine eigene Sachentscheidung durch den Senat verbietet sich, da ergänzende Feststellungen mit Blick auf die vom Betroffenen in seiner Erklärung zur Einspruchsrücknahme nicht näher spezifiziert geltend gemachte Änderung seiner beruflichen Situation nicht gänzlich ausgeschlossen erscheinen.
IV.
41
Der Senat entscheidet gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG durch Beschluss.
42
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.