Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 16.04.2025 – 201 ObOWi 251/25
Titel:

Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde bei verspäteter Unterrichtung des Betroffenen durch seinen Verteidiger über das Ergebnis der Hauptverhandlung im Abwesenheitsverfahren

Normenketten:
OWiG § 46 Abs. 1, § 73 Abs. 3, § 74 Abs. 1,§ 79 Abs. 3 S. 1, § 80 Abs. 3 S. 1
StPO § 44 S. 1, § 45 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, § 341 Abs. 1
Leitsätze:
1. Wird der nach § 73 Abs. 3 OWiG durch einen Verteidiger vertretene Betroffene von jenem verspätet über die Verurteilung in Kenntnis gesetzt, trifft ihn an der Versäumung der Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels ein eigenes Verschulden, wenn er weder seinen Verteidiger mit der Einlegung eines solchen beauftragt noch mit ihm vereinbart hatte, zeitnah über das Ergebnis der Hauptverhandlung unterrichtet zu werden. (Rn. 10 – 12)
2. Die Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO ist nicht versäumt, wenn der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand form- und fristrecht gestellt, jedoch unzureichend begründet wurde. (Rn. 16 – 17)
Schlagworte:
Absprache, Abwesenheitsverfahren, Antrag, Begründung, Büroversehen, Einlegungsfrist, Entbindung, erforderliche Angaben, Erkundigungspflicht, Erreichbarkeit, fehlendes Verschulden, Form, Frist, Glaubhaftmachung, persönliches Erscheinen, Information, Rechtsbeschwerde, Rücksprache, unmögliche Rechtsfolge, unzureichende Begründung, Vereinbarung, Versäumung, Verschulden, Verteidigerverschulden, Vertrauen, Vollmacht, Wiedereinsetzung, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Zulassung der Rechtsbeschwerde, Rechtsmitteleinlegung, Versäumnis, Zurechnung, Erkundigung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 14359

Tenor

I. Der Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 10.09.2024 und der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist werden als unzulässig verworfen.
II. Der Antrag des Betroffenen, gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 10.09.2024 die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wird als unzulässig verworfen.
III. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht hat den persönlich abwesenden, jedoch von einem Rechtsanwalt in der Hauptverhandlung verteidigten und vertretenen Betroffenen am 10.09.2024 wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 26 km/h zu einer Geldbuße in Höhe von 180 Euro verurteilt.
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Gegen dieses Urteil beantragte der Betroffene mit am 24.09.2024 eingegangenen Verteidigerschriftsatz vom gleichen Tag die Zulassung der Rechtsbeschwerde und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat unter dem 24.03.2025 beantragt, den Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig zu verwerfen. Die Stellungnahme wurde dem Betroffenen am 08.04.2025 zugestellt.
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Dieser hat mit Verteidigerschriftsatz vom 14.04.2025 sein Vorbringen dahingehend ergänzt und modifiziert, dass die Verteidigung erst am 18.09.2024 durch den Terminvertreter über den Terminausgang informiert worden sei, weil sie den Terminsbericht vom Terminvertreter nicht zeitnah angefordert hatte. Der Betroffene sei deshalb erst am 18.09.2024 über den Ausgang des Termins informiert worden und habe am 24.09.2024 den Auftrag zur Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens erteilt.
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Hilfsweise wurde gleichzeitig Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist beantragt.
II.
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Sowohl die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als auch der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde sind als unzulässig zu verwerfen.
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1. Die Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wurde versäumt. Die Frist begann, nachdem der Betroffene nach § 73 Abs. 3 OWiG von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden, aber durch einen mit nachgewiesener Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten worden war, in dessen Anwesenheit das Urteil verkündet wurde, mit dessen Verkündung am 10.09.2024 (§ 341 Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 80 Abs. 3 Satz 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) und endete mit Ablauf des 17.09.2024.
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2. Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, die voraussetzt, dass der Betroffene ohne Verschulden verhindert war, diese Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG), kommt nicht in Betracht. Der form- und firstgerecht (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO) gestellte Wiedereinsetzungsantrag des Betroffenen leidet an durchgreifenden Mängeln in Tatsachenvortrag i.S.v. § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
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a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG). Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Innerhalb der Wochenfrist muss der Antragsteller auch Angaben über den Wiedereinsetzungsgrund machen. Die erforderlichen Angaben sind, ebenso wie ihre Glaubhaftmachung, Voraussetzung der Zulässigkeit des Antrags (vgl. BGH, Beschluss vom 14.01.2015 – 1 StR 573/14). Ein Wiedereinsetzungsantrag muss daher unter konkreter Behauptung von Tatsachen so vollständig begründet werden, dass ihm die unverschuldete Verhinderung des Antragstellers entnommen werden kann (vgl. LR/Graalmann-Scherer StPO 27. Aufl. § 45 Rn. 13). Vorzutragen ist stets ein Sachverhalt, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden ausschließt.
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b) Diesen Anforderungen genügt das Wiedereinsetzungsgesuch nicht, weil die Ausführungen nicht erkennen lassen, dass den Betroffenen kein eigenes Verschulden an der Nichteinhaltung der Rechtsmittelfrist trifft. Der bloße Umstand, dass der Verteidiger des Betroffenen aufgrund eines Büroversehens diesen (laut Schriftsatz vom 24.09.2024 am gleichen Tag; laut Schriftsatz vom 14.04.2025 am 18.09.2024) verspätet über das Ergebnis der Hauptverhandlung informiert hat, kann zwar grundsätzlich ein dem Betroffenen nicht zurechenbares Verteidigerverschulden darstellen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass den Betroffenen ein eigenes Verschulden dergestalt trifft, sich nicht von sich aus binnen einer Woche nach dem Hauptverhandlungstermin bei seinem Verteidiger nach dem Ergebnis der ihm bekannten Hauptverhandlung vom 10.09.2024 erkundigt zu haben. Mangels Sachvortrags zu den zwischen dem Betroffenen und seinem Verteidiger bestehenden Absprachen und Vereinbarungen kann der Senat nicht prüfen, ob der Betroffene darauf vertrauen durfte, sein Verteidiger werde von sich aus in einer bestimmten Weise tätig werden (vgl. BGH, Beschluss vom 19.10.2010 – 1 StR 510/10). Der Senat kann auf Grundlage des Wiedereinsetzungsvorbringens noch nicht einmal die Möglichkeit ausschließen, dass der Betroffene ursprünglich gar nicht beabsichtigt hatte, gegen eine etwaige Verurteilung ein Rechtsmittel einzulegen und sich erst nach der Information durch seinen Verteidiger am 24.09.2024 anderweitig entschieden hat.
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aa) Dem Wiedereinsetzungsgesuch ist nicht zu entnehmen, dass der Betroffene und sein Verteidiger vor der Hauptverhandlung Absprachen dahingehend getroffen hätten, wie im Falle einer Verurteilung des Betroffenen zu verfahren wäre. Der Umstand, dass der Betroffene seinen Verteidiger erst am 24.09.2024 nach Information über den Urteilsinhalt mit der Rechtsmitteleinlegung beauftragt hat, spricht vielmehr sogar dezidiert dagegen, dass dieser beauftragt worden wäre, für den Fall der Verurteilung des Betroffenen ein Rechtsmittel einzulegen.
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Wer jedoch seinen Verteidiger nach der Sitzung nicht ausdrücklich mit der Einlegung eines Rechtsmittels beauftragt, kann nicht damit rechnen, dass ein solches auch eingelegt wird und hat die Versäumung der Frist zu dessen Einlegung der Berufung selbst verschuldet (BGH a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.01.1999 – 1 Ws 61/99). Das gleiche muss für den Fall der Durchführung eines Anwesenheitsverfahrens nach § 74 Abs. 1 OWiG gelten, bei welchem der Betroffene zumindest mit der Möglichkeit einer Verurteilung rechnen muss und bei dem es ihm deshalb obliegt, seinen Verteidiger außerhalb der Hauptverhandlung für diesen Fall zu instruieren.
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bb) Anderes wäre der Fall zu beurteilen, wenn der Verteidiger seinem Mandanten, der sich die Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels bis nach der Entscheidung des Gerichts hätte vorbehalten wollen, ausdrücklich zu verstehen gegeben hätte, dass er ihn im Falle einer Verurteilung von sich aus informieren würde. Nachdem ein Mandant grundsätzlich nicht die Pflicht hat, die ordnungsgemäße Tätigkeit seines Verteidigers selbst zu überwachen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 67. Aufl. § 44 Rn. 18 m.w.N.), hätte sich der Betroffene auf eine solche Zusage verlassen dürfen. Es hätte ihm in diesem Fall nicht zum Verschulden gereicht, von einer eigenständigen Erkundigung nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung abzusehen. Der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags lässt sich jedoch weder entnehmen, dass sich der Betroffene seine Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels vorbehalten wollte, noch dass deshalb eine Informationszusage seitens des Verteidigers gemacht worden wäre.
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cc) Das Wiedereinsetzungsgesuch ist im Übrigen auch deshalb unzulässig, weil es sich nicht dazu verhält, ob der Betroffene zwischen dem 10.09.2024 und dem Ablauf der Rechtsmitteleinlegungsfrist am 17.09.2024 für eine Rücksprache mit seinem Verteidiger überhaupt erreichbar war.
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Hat ein Angeklagter einen Verteidiger mit der Revisionseinlegung beauftragt, muss er dafür Sorge tragen, dass er für den Verteidiger für mögliche Rücksprachen zur Revisionsbegründung erreichbar ist. Ist das nicht der Fall, beruht die Fristversäumnis nicht (allein) auf dem Verschulden des Verteidigers, sondern auch auf dem des Angeklagten. Für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist in einem solchen Fall kein Raum (BGH, Beschluss vom 11.09.1996 – 2 StR 426/96). Nichts anderes kann für den Fall gelten, dass bei einem Abwesenheitsverfahren nach § 74 Abs. 1 OWiG bereits hinsichtlich einer möglichen Rechtsmitteleinlegung zwischen dem Verteidiger und seinem Mandanten Unklarheit herrscht und deshalb schon insoweit eine Rücksprache zwischen ihnen erforderlich ist.
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3. Der hilfsweise gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags ist schon deshalb unzulässig, da der Betroffene die Wochenfrist (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO) zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags in die versäumte Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 10.09.2024 nicht versäumt hat und der hilfsweise gestellte Antrag damit auf eine unmögliche Rechtsfolge gerichtet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2022 – 3 StR 424/21)
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Der Antrag wurde am 24.09.2024 und damit noch binnen einer Woche nach Ablauf der am 17.09.2024 endenden Einlegungsfrist gestellt und formgerecht begründet. Der Antrag scheiterte, wie soeben ausgeführt, lediglich daran, dass der Betroffene keinen Sachverhalt vorgetragen hatte, welchem seine unverschuldete Verhinderung an der Einhaltung der Frist entnommen werden konnte. Die inhaltlich unzureichende Begründung eines fristgebundenen Rechtsbehelfs steht einer Fristversäumung nicht gleich (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 12.07.2016 – 5 U 62/16 m.w.N.).
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4. Da die beantragte Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht gewährt werden kann, ist das Rechtsmittel der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts unzulässig, weil es nicht fristgerecht eingelegt wurde.
III.
19
Die Verwerfung der Wiedereinsetzungsanträge bedarf keiner gesonderten Kostenentscheidung, wenn – wie hier – bereits die Ausgangsentscheidung dem Antragsteller die Kosten auferlegt (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 67. Aufl. § 473 Rn. 38; KK/Gieg StPO 9. Aufl. § 473 Rn. 16).
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Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 473 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
21
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.