Titel:
Konkurrenzrechtliche Beurteilung mehrerer Geschwindigkeitsüberschreitungen während einer Fahrt
Normenketten:
StPO § 34a, § 261, § 267 Abs. 1 S. 3, § 473 Abs. 4
StVG § 24, § 25 Abs. 2a
BKatV § 3 Abs. 4a, Abs. 5 S. 2, § 4 Abs. 1 S. 1
StVO § 41 Abs. 1, § 49 Abs. 3 Nr. 4
OWiG § 10, § 19, § 20
Leitsätze:
1. Mehrere nach unterschiedlichen Verkehrszeichen binnen einer Minute begangene Geschwindigkeitsüberschreitungen stehen, wenn ein innerer Zusammenhang vorliegt und sie von einem einheitlichen Tatentschluss getragen werden, regelmäßig in Tateinheit zueinander (§ 19 Abs. 1 OWiG). (Rn. 21 – 25)
2. Ein aufgrund des Zweifelssatzes nur als fahrlässig gewürdigtes Fehlverhalten des Betroffenen darf sich bei der konkurrenzrechtlichen Beurteilung des Sachverhalts nicht zu seinen Lasten auswirken. (Rn. 28 – 34)
Schlagworte:
Abbildung, Augenschein, Ausdruck, Autobahn, Baustelle, Beruhen, Beweiserhebung, Beweiswürdigung, Bezugnahme, Darstellung, einheitliche Handlung, einheitlicher Tatentschluss, Ergänzende Weisung, erheblich, Erhöhung, Fahrlässigkeit, Fahrverbot, Fahrverhalten, flüchtiger Blick, Form, Geldbuße, Geschwindigkeitsbegrenzung, Geschwindigkeitsüberschreitung, Gewissheit, Konkurrenzen, Kosten, Lichtbild, Messfilm, Messverfahren, nachteilig, ProVida 2000, Rechtsbeschwerde, Regelfall, standardisiertes Messverfahren, Tat, Tatbegriff, Tateinheit, Tatmehrheit, Tatvideo, Toleranz, Urteil, Verbot, Verkehrszeichen, Verweisung, Videoaufnahme, Vorsatz, VÜR, Wechsel der Schuldform, Willensrichtung, wirtschaftliche Verhältnisse, Zäsur, zeitlicher Abstand, zeitlich-räumlicher Zusammenhang, Zweifel, Zweifelssatz, Ordnungswidrigkeit, Konkurrenz, zeitlicher Zusammenhang, subjektiver Tatbestand, in dubio pro reo
Fundstellen:
FDStrafR 2025, 014358
BeckRS 2025, 14358
Tenor
I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts vom 25.10.2024 in Ziff. 1. wie folgt abgeändert:
„Gegen den Betroffenen wird wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 50 km/h in Tateinheit mit vorsätzlichem Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 68 km/h in Tateinheit mit vorsätzlichem Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 53 km/h eine Geldbuße in Höhe von 1.440 Euro festgesetzt.“
II. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
III. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die Gebühr für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird jedoch um ein Sechstel ermäßigt. Die dem Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen werden zu einem Sechstel der Staatskasse auferlegt. Im Übrigen hat der Betroffene seine Auslagen selbst zu tragen.
Gründe
1
Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen am 25.10.2024 wegen einer am 23.04.2024 erfolgten fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 50 km/h (Tatzeit: 15:29 Uhr; zulässige Höchstgeschwindigkeit 120 km/h) zu einer Geldbuße in Höhe von 320 Euro und wegen einer am gleichen Tag begangenen vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 68 km/h (Tatzeit: 15:30 Uhr; zulässige Höchstgeschwindigkeit 100 km/h) in Tateinheit mit vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 53 km/h (Tatzeit: 15:30 Uhr; zulässige Höchstgeschwindigkeit 80 km/h) zu einer Geldbuße von 1.440 Euro und verhängte ein mit der Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer von zwei Monaten.
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Mit der gegen diese Entscheidung geführten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
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Die Generalstaatsanwaltschaft M. hat mit Antragsschrift vom 24.01.2025 beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als unbegründet zu verwerfen.
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Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG.
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1. Die formale Rüge bleibt aus den von der Generalstaatsanwaltschaft M. in ihrer Stellungnahme vom 24.01.2025 ausgeführten Gründen erfolglos.
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2. Soweit sich die Rechtsbeschwerde mit der Sachrüge gegen die Beweiswürdigung bzw. die Darstellung der Urteilsgründe (§§ 261, 267 StPO, § 71 Abs. 1 OWiG) richtet, zeigt sie keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf.
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a) Zwar hat das Amtsgericht in den Urteilsgründen in rechtlich nicht zulässiger Weise auf die in Augenschein genommene Videoaufzeichnung verwiesen. Bei auf elektronischen Medien gespeicherten Bilddateien und Filmen handelt es sich nicht um bei den Akten befindlichen „Abbildungen“ i.S.d. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO (BGH, Urt. v. 02.11.2011 – 2 StR 332/11; OLG Bamberg, Beschluss vom 19.07.2017 – 3 Ss OWi 836/17 m.w.N.).
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aa) Hierauf beruht das Urteil jedoch nicht, nachdem die Beweiswürdigung des Amtsgerichts zum einen auch ohne die Verweisung in sich nachvollziehbar und schlüssig ist und die Kenntnis des Inhalts des Tatvideos im Einzelnen nicht voraussetzt.
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bb) Zum anderen hat das Amtsgericht hinreichend deutlich auf die bei den Akten befindlichen Lichtbilder, die Ausdrucke des Tatvideos beinhalten, Bezug genommen.
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Es genügt, wenn der Tatrichter seinen Willen, im Sinne von § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf eine bei den Akten befindliche Abbildung zu verweisen, deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck bringt (BGH, Beschluss vom 19.12.1995 – 4 StR 170/95). Eine besondere Form schreibt die genannte Vorschrift für die Verweisung nicht vor (BGH, Urt. v. 28.01.2016 – 3 StR 425/15; OLG Bamberg, Beschluss vom 14.11.2016 – 3 Ss OWi 1164/16). Weder ist es erforderlich, die Norm des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO ausdrücklich zu nennen, noch den Gesetzeswortlaut zu wiederholen. Darüber, ob der Tatrichter deutlich und zweifelsfrei erklärt hat, er wolle eine Abbildung zum Bestandteil der Urteilsgründe machen, ist deshalb stets im Einzelfall unter Heranziehung seiner Darlegungen insgesamt zu entscheiden (BGH, Urt. v. 28.01.2016 a.a.O.).
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Hier hat das Amtsgericht seine Überzeugung von den Einzelheiten des von ihm zu beurteilenden Vorgangs aus der Inaugenscheinnahme der sich unter einer bestimmten Blattzahl bei den Akten befindlichen Ausdrucken des Videofilms gewonnen. Damit hat es in noch zureichender und wirksamer Weise, nämlich durch Nennung der Aktenfundstellen, zweifelsfrei erklärt, über die Beschreibung des Vorgangs der Beweiserhebung als solchen hinaus auf die am genannten Ort befindlichen Ausdrucke des Messfilms gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug zu nehmen und diese so zum Bestandteil der Urteilsgründe zu machen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 18.02.2021 – 202 ObOWi 15/21).
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b) Das Urteil genügt den Darstellungsanforderungen bei Durchführung eines standardisierten Messverfahrens, auch wenn die genaue Betriebsart der mit dem Messsystem ProVida 2000 Modular vorgenommenen Messungen nicht mitgeteilt wird, in der die drei Geschwindigkeitsmessungen erfolgt sind.
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aa) Der Senat kann den Urteilsfeststellungen entnehmen, dass keine manuelle Weg-/Zeitberechnung anhand der Einzelbilder der Videoaufnahme, durchgeführt wurde, sondern dass die Geschwindigkeit durch die ProVida-Modular-Anlage automatisch durch Nachfahren ermittelt und angezeigt wurde. Damit steht aber auch fest, dass die durchgeführte Messung nur mittels einer menügesteuerten Messmethode erfolgt sein kann (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 25.01.2017 – 3 Ss OWi 1582/16).
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Da bei allen vier menügesteuerten Betriebsarten zur Geschwindigkeitsmessung (AUTO 1; AUTO 2, MAN, SPLIT) bei Geschwindigkeiten von über 100 km/h jeweils gleichermaßen ein Toleranzabzug von 5% des Messwertes und bei Geschwindigkeiten bis 100 km/h ein solcher von 5 km/h vorzunehmen ist (vgl. Ergänzende Weisung Nr. 3.1 [ProViDa] Ziffern 2.1 bis 2.4 und 7.1 des Bayerischen Staatsministeriums des Innern zu den Polizeilichen Richtlinien für die Verkehrsüberwachung [VÜR]), ist bei Geschwindigkeitsermittlungen mittels des ProVida-Systems den Darlegungsanforderungen regelmäßig genügt, wenn – wie hier – im Urteil Messverfahren und berücksichtigter Toleranzwert mitgeteilt werden (OLG Bamberg, Beschluss vom 25.01.2017 a.a.O.; KG, Beschluss vom 02.08.2018 – 3 Ws (B) 202/18 – 122 Ss 94/18).
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bb) Im Übrigen lässt sich den – wie ausgeführt – wirksam in Bezug genommenen Lichtbildausdrucken des Videofilms bereits durch einen flüchtigen Blick (vgl. BGH, Beschluss vom 12.12.2013 – 3 StR 267/13; OLG Stuttgart, Beschluss vom 19.01.2017 – 2 Ss 762/16) entnehmen, dass die Messungen in der Betriebsart SPLIT durchgeführt wurden. Diese wird auf den Ausdrucken prominent zentral oben mittig in Großbuchstaben eingeblendet.
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c) Die Feststellung vorsätzlichen Verhaltens des Betroffenen ist nicht zu beanstanden.
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aa) Mit der sprachlich ungewöhnlichen Formulierung, es sei „kaum vorstellbar“, dass der Betroffene die Vielzahl gut sichtbarer und mehrfach aufgestellter Verkehrszeichen übersehen habe, hat der Tatrichter sinngemäß nichts anderes zum Ausdruck gebracht, als dass seine Überzeugung von einem bestimmten Sachverhalt – hier vom Vorsatz des Betroffenen – keine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit erfordert, sondern ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt, genügt (st. Rspr. vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 30.11.2022 – 6 StR 243/22).
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Diesen Maßstab hat das Amtsgericht nicht verletzt. Nachdem eine Vielzahl gut sichtbarer und mehrfach aufgestellter Verkehrszeichen passiert wurde, sich das Tatgeschehen ausweislich der Feststellungen des Amtsgerichts im Baustellenbereich einer Autobahn bzw. bei der Annäherung an den Baustellenbereich abspielte, was das Vorhandensein einer Geschwindigkeitsbeschränkung naheliegend erscheinen lässt, und der Betroffene zudem deutlich schneller unterwegs war als die Fahrzeuge auf den anderen Fahrstreifen, lag der Schluss auf die Kenntnis des zum Tatvorwurf schweigenden Betroffenen von den beiden Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 100 km/h und 80 km/h nahe und musste auch nicht eingehender als geschehen begründet werden (vgl. BayObLG, Beschluss vom 17.02.2025 – 201 ObOWi 26/25).
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bb) Es entspricht weiterhin der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass bei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen um mehr als 40% regelmäßig von vorsätzlicher Tatbegehung des Betroffenen ausgegangen werden kann, wenn dieser, wie hier festgestellt, die zulässige Höchstgeschwindigkeit kannte (vgl. nur BayObLG, Beschluss vom 10.07.2023 – 201 ObOWi 621/23). Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Ausnahmekonstellation sind nicht ersichtlich.
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3. Allerdings gehen die Urteilsgründe von einer unzutreffenden konkurrenzrechtlichen Einordnung des Tatgeschehens aus. Richtigerweise liegt ein tateinheitliches Zusammentreffen der drei Geschwindigkeitsüberschreitungen des Betroffenen nach § 19 Abs. 1 OWiG vor.
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a) Beim Zusammentreffen mehrerer Geschwindigkeitsüberschreitungen gilt in rechtlicher Hinsicht folgendes:
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Bei mehreren Geschwindigkeitsüberschreitungen im Verlaufe einer Fahrt handelt es sich nach einhelliger Rechtsprechung und Literaturmeinung, der sich der Senat anschließt, regelmäßig um mehrere Taten im materiellen (und prozessualen) Sinne (vgl. BayObLG, Beschluss vom 04.09.1995 – 2 ObOWi 536/95; OLG Stuttgart, Beschluss vom 15.01.2024 – 2 ORbs 23 Ss 769/23; OLG Hamm, Beschluss vom 12.09.2011 – 3 RBs 248/11; OLG Celle, Beschluss vom 10.06.2010 – 322 SsBs 161/10; Hentschel/König StVR 48. Aufl. § 3 StVO Rn. 62 jew. m.w.N.).
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Eine einzige Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit ist dagegen dann anzunehmen, wenn ordnungswidrigkeitenrechtlich erhebliche Verhaltensweisen durch einen derart unmittelbaren zeitlich-räumlichen und inneren Zusammenhang gekennzeichnet sind, dass sich der gesamte Vorgang bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen unbeteiligten Dritten als einheitliches zusammengehöriges Tun darstellt (OLG Hamm, Beschluss vom 12.09.2011 a.a.O.; Hentschel/König a.a.O.). Dies kann im Einzelfall bei einem im äußeren zeitlichen Ablauf einheitlichen geschichtlichen Vorgang bei sehr geringem zeitlichen Abstand zwischen den Taten der Fall sein (BayObLG, Beschluss vom 25.02.1997 – 2 ObOWi 65/97). Auch eine einheitliche Willensrichtung des Betroffenen kann dem Tatgeschehen bei einem nur sehr geringen zeitlichen Abstand den Charakter eines einheitlichen zusammengehörenden Tuns verleihen (vgl. KG, Beschluss vom 09.10.2015 – 3 Ws (B) 404/15 – 162 Ss 77/15).
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b) Auf den vorliegenden Fall übertragen bedeutet dies, dass die Geschwindigkeitsüberschreitungen drei in Tateinheit stehende Ordnungswidrigkeiten i.S.d. § 19 Abs. 1 OWiG darstellen.
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aa) Die Geschwindigkeitsüberschreitungen wurden innerhalb nur etwa einer Minute auf der gleichen Bundesautobahn begangen. Es liegt somit ein außergewöhnlich enger zeitlich-räumlicher Zusammenhang zwischen ihnen vor (so auch OLG Köln, Beschluss vom 17.08.2004 – Ss 259/04 (B) 18 LB; OLG Celle, Beschluss vom 25.10.2011 – 322 SsBs 295/11). Es ist auch von einem inneren Zusammenhang auszugehen, da die Geschwindigkeitsüberschreitungen in Annäherung an eine Autobahnbaustelle bzw. in dieser stattgefunden haben. Hierbei hat der Betroffene seine Geschwindigkeit ausweislich der Abfolge der Messungen stetig, wenn auch zu keinem Zeitpunkt im vorgeschriebenen Umfang verringert, so dass sich der Vorgang bei wertender Betrachtung als einheitliches zusammengehöriges Tun darstellt. Damit unterscheidet sich die Fallgestaltung von Konstellationen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12.09.2011 a.a.O.), in denen die zulässige Höchstgeschwindigkeit zwischen den Geschwindigkeitsmessungen wieder heraufgesetzt worden war und der Betroffene auf die erneute Herabsetzung der Geschwindigkeit mit einer signifikanten Änderung seines Fahrverhaltens reagierte.
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bb) Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass der Betroffene nur wegen einer einzigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu verurteilen wäre.
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Anders als in dem vom OLG Köln (Beschluss vom 17.08.2004 a.a.O.) entschiedenen Fall hat der Betroffene im zeitlichen Verlauf seiner Fahrt drei unterschiedliche verkehrsrechtliche Anordnungen (Geschwindigkeitsbeschränkung zunächst auf 120 km/h, weiter auf 100 km/h, später auf 80 km/h) missachtet. Die einzelnen Messungen stellen sich somit nicht als zufällige zeitliche Ausschnitte aus einem in äußerer Hinsicht im Wesentlichen gleich ablaufenden Vorgang dar. Mag auch, wie ausgeführt, weiterhin von einer einheitlichen Handlung des Betroffenen auszugehen sein, so beinhaltet diese nicht die Übertretung einer einzigen Anordnung, sondern einen mehrfachen Verstoß gegen verschiedene in zeitlicher Hinsicht aufeinander folgende verkehrsrechtliche Verbote. Dies muss im Schuldspruch zum Ausdruck gebracht werden, um das Maß des verwirklichten Unrechts angemessen zu beschreiben.
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cc) An der konkurrenzrechtlichen Einordnung als Tateinheit ändert auch der Umstand nichts, dass das Amtsgericht von unterschiedlichen Schuldformen ausgegangen ist.
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(1) Der Senat ist allerdings der Auffassung, dass ein Wechsel der Schuldform (von Fahrlässigkeit auf Vorsatz) grundsätzlich geeignet ist, eine rechtlich relevante Zäsur einer einheitlichen Willensrichtung im Rahmen eines durch einen zeitlich-räumlichen und inneren Zusammenhang gekennzeichneten Geschehens zu bewirken (vgl. KG, Beschluss vom 09.10.2015 a.a.O.; OLG Celle, Beschluss vom 25.10.2011 a.a.O. Rn. 17), mit der Folge, dass das Tatgeschehen davor und danach in Tatmehrheit stünde.
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(2) Es würde im vorliegenden Fall jedoch einen Verstoß gegen den Zweifelsgrundsatz darstellen, in tatsächlicher Hinsicht von einem Wechsel der Schuldform auszugehen.
31
Den Urteilsfeststellungen ist zu entnehmen, dass das Amtsgericht bei der von ihm (nur) als fahrlässig gewerteten ersten Geschwindigkeitsüberschreitung ein vorsätzliches Verhalten des Betroffenen ernsthaft erwogen hat. Es hat dieses jedoch nicht positiv ausgeschlossen (bzw. bloß fahrlässiges Verhalten positiv festgestellt), sondern lediglich zugunsten des Betroffenen angenommen, dass er die Anordnung der ersten Geschwindigkeitsbeschränkung auf 120 km/h übersehen haben könnte. Hiergegen ist an sich nichts zu erinnern.
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Allerdings entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass der Zweifelssatz niemals so angewendet werden darf, dass er sich an anderer Stelle zu Lasten des Betroffenen auswirkt (BGH, Beschluss vom 22.07.2020 – 1 StR 220/20; Fischer, StGB 72. Aufl. § 20 Rn. 67, vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 05.03.2013 – 5 StR 25/13 jew. m.w.N.).
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Hiergegen hat das Amtsgericht bei seiner konkurrenzrechtlichen Einordnung verstoßen. Erst ein Wechsel der Schuldform eröffnet die Möglichkeit einer Zäsur, mit der Folge, dass vor und nach dem Wechsel begangene Ordnungswidrigkeiten in Tatmehrheit stünden und nach § 20 OWiG mehrere Geldbußen zu verhängen wären. Dies stellt sich gegenüber der Verhängung einer einzelnen Geldbuße bei Tateinheit (§ 19 Abs. 1 OWiG) als für den Betroffenen rechtlich nachteilig dar.
34
Dieser ist daher in konkurrenzrechtlicher Hinsicht unter erneuter Anwendung des Zweifelssatzes so zu behandeln, als habe bei ihm schon beim Passieren des ersten Verkehrszeichens ein einheitlicher Tatentschluss dahingehend vorgelegen, die vor ihm liegende Fahrtstrecke möglichst schnell zu durchfahren.
35
Da sämtliche Tatsachen rechtsfehlerfrei festgestellt wurden und lediglich ein Fehler des Amtsgerichts hinsichtlich der konkurrenzrechtlichen Einordnung vorliegt, entscheidet der Senat nach § 79 Abs. 6 OWiG in der Sache selbst dahingehend, dass der Betroffenen des fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 50 km/h in Tateinheit mit vorsätzlichem Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 68 km/h in Tateinheit mit vorsätzlichem Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 53 km/h schuldig ist.
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Der Senat erkennt entsprechend § 19 Abs. 2 Satz 1 OWiG auf das nach §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, §§ 24, 25 StVG, §§ 3 Abs. 4a, 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV, § 17 OWiG, lfd. Nr. 11.3.9 BKat für eine vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung um 68 km/h regelmäßig zu verhängende Bußgeld und Höhe von 1.200 Euro, welches er wegen der tateinheitlich begangenen Delikte nach § 3 Abs. 5 Satz 2 BKatV angemessen auf 1.440 Euro erhöht. Eine maßvolle Erhöhung erscheint angesichts des besonders engen zeitlichen, örtlichen und situativen Zusammenhangs der Geschwindigkeitsüberschreitungen ausreichend. Angesichts des Alters der einen Vorahndung und angesichts des Umstands, dass die andere Voreintragung im FAER auf einem erst nach der verfahrensgegenständlichen Tat erwirkten Bußgeldbescheid beruht, zu dem keine weiteren Feststellungen getroffen wurden, ist eine zusätzliche Erhöhung der Geldbuße nicht angezeigt.
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Solange, wie hier, keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen außergewöhnlich gut oder schlecht sind, sind weitergehende Feststellungen zu diesen entbehrlich, wenn die im Bußgeldkatalog vorgesehene Regelgeldbuße verhängt wird (BayObLG, Beschluss vom 10.07.2023 a.a.O.). Für eine maßvolle Erhöhung der Geldbuße in Anwendung des § 3 Abs. 5 Satz 2 BKatV kann nichts anderes gelten.
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Besondere Härten für den Betroffenen hinsichtlich der Anordnung und der Dauer des Regelfahrverbots von 2 Monaten (lfd. Nr. 11.3.9 BKat) sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Anordnung des Fahrverbots ist mit der Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a StVG zu verbinden.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht § 473 Abs. 4 StPO. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat zum Wegfall einer tatmehrheitlichen Verurteilung und dem Wegfall einer nicht unbeträchtlichen Geldbuße geführt.
40
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.
41
Der Beschluss wird mit Ablauf des Tages seines Erlasses rechtskräftig (§ 34a StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG).