Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 24.04.2025 – 203 StRR 55/25
Titel:

Einlassung des Angeklagten, Strafrichter, Tateinheit, Sachliche Zuständigkeit, Schöffengericht, Räuberischer Diebstahl, Verschlechterungsverbot, Tatmehrheit, Aufhebung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Verfahrensrüge, Hauptverhandlung, Gesamtstrafe, Fehlende sachliche Zuständigkeit, Berufungsinstanz, Freiheitsstrafe, Einzelstrafen, Berufungsbeschränkung, Entziehungsanstalt, Gesamtfreiheitsstrafe

Normenketten:
StGB § 252
StPO § 203
StPO § 209
StPO § 328 Abs. 2
GVG §§ 24, 25
Leitsätze:
1. Der Verwirklichung des Tatbestandes des § 252 StGB steht nicht entgegen, dass es dem Angeklagten nicht ausschließlich um den Erhalt der Beute, sondern auch darum ging, sich einem Zugriff zu entziehen.
2. Besteht ein hinreichender Tatverdacht eines Verbrechens nach § 252 StGB mit der Folge der Zuständigkeit des Schöffengerichts und übersieht dies der Strafrichter, zu dem die Anklage erhoben ist, in der Hauptverhandlung, obwohl nach der Einlassung des Angeklagten und nach den Bekundungen der Zeugen die Beuteerhaltungsabsicht des Angeklagten nahe lag, hat das Landgericht, das in der Berufungsinstanz bis zum Ende der Hauptverhandlung von Amts wegen verpflichtet ist, die sachliche Zuständigkeit der ersten Instanz für die Aburteilung der angeklagten Tat – ohne Bindung an die rechtliche Würdigung der Anklagebehörde und ohne Bindung an die rechtliche Beurteilung im angefochtenen Urteil – zu prüfen, die ausstehenden Feststellungen zum Motiv des Widerstands zu treffen und gegebenenfalls die Sache nach § 328 Abs. 2 StPO an das Schöffengericht zurück zu verweisen.
Schlagworte:
Revision, Berufungsbeschränkung, Zuständigkeitsprüfung, Beweiswürdigung, Verfahrensverbindung, Schuldspruch, Gesamtstrafe
Vorinstanz:
LG Regensburg, Urteil vom 28.10.2024 – 4 NBs 304 Js 21007/22
Fundstelle:
BeckRS 2025, 14209

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 28. Oktober 2024 aufgehoben im Fall I. 2 und 3 mit den Feststellungen sowie im Gesamtstrafenausspruch und in der Anordnung der Unterbringung.
II. Die weitergehende Revision wird verworfen.
III. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.
1
Die mit einer nicht ausgeführten Verfahrensrüge und der ausgeführten Sachrüge begründete unbeschränkte Revision des Angeklagten wendet sich gegen ein Berufungsurteil des Landgerichts Regensburg vom 28. Oktober 2024. Ausgangspunkt des Verfahrens waren eine Anklage der Staatsanwaltschaft Regensburg vom 28. Juli 2022 im Verfahren 304 Js 21007/22 wegen Diebstahls begangen am 23. Juni 2022 zum Strafrichter, eine Anklage der Staatsanwaltschaft Regensburg vom 9. November 2022 im Verfahren 304 Js 26974/22 wegen Diebstahls in Tatmehrheit mit tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung begangen am 17. September 2022 zum Strafrichter und eine Anklage der Staatsanwaltschaft Regensburg, Zweigstelle Straubing, vom 19. Januar 2024 im Verfahren 704 Js 19689/23 zum Amtsgericht Straubing – Schöffengericht – wegen räuberischen Diebstahls begangen am 20. April 2023. Mit Urteil des Strafrichters des Amtsgerichts Regensburg vom 26. April 2023 ist der Angeklagte nach Verbindung der beiden zum Strafrichter angeklagten Verfahren wegen Diebstahls in zwei tatmehrheitlichen Fällen und des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt worden. Des Weiteren ist der Angeklagte mit Urteil des Schöffengerichts des Amtsgerichts Straubing vom 6. Juni 2024 wegen Diebstahls zu einer Freiheitstrafe von 10 Monaten verurteilt worden. Gegen das Urteil des Strafrichters des Amtsgerichts Regensburg vom 26. April 2023 hat der Angeklagte eine unbeschränkte Berufung eingelegt, seine gegen das Urteil des Schöffengerichts Straubing vom 6. Juni 2024 gerichtete Berufung hat der Angeklagte auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Das Landgericht hat die beiden Verfahren in der Berufungsinstanz verbunden, die Berufungsbeschränkung als wirksam erachtet und gegen den Angeklagten mit Urteil vom 28. Oktober 2024 wegen Diebstahls in drei tatmehrheitlichen Fällen und des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verhängt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und die Berufung im Übrigen verworfen. Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen. Die Gegenerklärungen des Angeklagten hat der Senat bei der Entscheidung berücksichtigt.
II.
2
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Das Urteil weist bezüglich der Tat vom 17. September 2022 einen durchgreifenden sachlich – rechtlichen Erörterungsmangel auf, der nicht nur die sachliche Zuständigkeit der ersten Instanz berührt, sondern sich auch auf den Schuldspruch, die Anzahl der Einzelstrafen, die Gesamtstrafe und die Anordnung der Unterbringung auswirkt.
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1. Der Senat kann offen lassen, ob das angefochtene Urteil im tenorierten Umfang bereits auf die Sachrüge hin wegen der fehlenden sachlichen Zuständigkeit des Strafrichters der Aufhebung unterliegt.
4
a. Nach den Feststellungen des Landgerichts entwendete der Angeklagte in der Absicht, die Artikel anschließend zu veräußern, am 17. September 2022 in einem Verbrauchermarkt 10 Schachteln Zigaretten, indem er sie in seinen Rucksack steckte und den Kassenbereich ohne Bezahlung verließ. Als er nach der Kasse von zwei Detektiven und einem im Laden befindlichen Polizeibeamten gestellt wurde, rangelte er mit diesen, versuchte wegzulaufen, und schlug, bespuckte und beschimpfte den Polizeibeamten. Ob der Angeklagte die Gewalt – auch – anwandte, um zu verhindern, dass sich die Zeugen des Rucksacks mit dem Diebesgut bemächtigten, hat das Tatgericht offen gelassen.
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b. Nach der mit Beschluss vom 30. März 2023 unverändert zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Regensburg vom 9. November 2022, in der sich die Anklagebehörde im Anklagesatz bei der Schilderung des nach der Wegnahme geleisteten Widerstands nicht zum Motiv des Angeklagten verhalten hat, bestand ungeachtet der rechtlichen Würdigung der Staatsanwaltschaft in ihrer Abschlussverfügung vom 9. November 2022 ein hinreichender Tatverdacht (§ 203 StPO) eines Verbrechens nach § 252 StGB mit der Folge der Zuständigkeit des Schöffengerichts (vgl. auch LG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 31. Juli 2006 – 2 Qs 67/06 –, juris). Denn mit Blick auf den Wert der Zigaretten und das Verhalten des Angeklagten lag ein Motivbündel nahe. Es entspricht der gefestigten höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung, dass der Verwirklichung des Tatbestandes des § 252 StGB nicht entgegen steht, wenn es dem Angeklagten nicht ausschließlich um den Erhalt der Beute, sondern auch darum ging, sich einem Zugriff zu entziehen (BGH, Urteil vom 9. März 2023 – 3 StR 392/22 –, juris Rn. 8 und 14 ff.; BGH, Beschluss vom 12. Juli 2005 – 4 StR 170/05 –, juris Rn. 13; BGH, Urteil vom 30. Mai 2000 – 4 StR 90/00 –, juris Rn. 9; KG Berlin, Beschluss vom 8. Januar 2015 – (4) 121 Ss 211/14 (276/14) –, juris Rn. 5; BeckOK StGB/Wittig, 64. Ed. 1.2.2025, StGB § 252 Rn. 15; Sander in MüKoStGB, 4. Aufl. 2021, StGB § 252 Rn. 16). Die Flucht mit Beute stellt zumindest ein Indiz für eine Besitzerhaltungsabsicht dar, wenn der Täter sich ohne Gefährdung der Fluchtchancen der Beute hätte entledigen können (vgl. BGH, Urteil vom 30. Mai 2000 – 4 StR 90/00 –, juris Rn. 9; BeckOK StGB/Wittig a.a.O. § 252 Rn. 15.2 m.w.N.).
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c. Der Strafrichter des Amtsgerichts hat sich bezüglich der Tat vom 17. September 2022 weder im Rahmen seiner Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens nach §§ 203, 209 Abs. 2 StPO unter Beachtung von § 6 StPO zu dem nach der Anklageschrift vorliegenden hinreichenden Verdacht des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach § 252 StPO verhalten noch in der Hauptverhandlung nach der Durchführung der Beweisaufnahme das Verfahren nach § 270 StPO an das Schöffengericht verwiesen und auch im Urteil das Verbrechen nicht erörtert, obwohl nach der Einlassung des Angeklagten und nach den Bekundungen der Zeugen U. und S. die Beuteerhaltungsabsicht des mit Verkaufsabsicht handelnden Angeklagten nahe lag.
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d. Das Landgericht hat in der Berufungsinstanz die bis zum Ende der Hauptverhandlung von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der sachlichen Zuständigkeit des Strafrichters für die Aburteilung der angeklagten Tat – ohne Bindung an die rechtliche Würdigung der Anklagebehörde und ohne Bindung an die rechtliche Beurteilung im angefochtenen Urteil – ausweislich der Urteilsgründe nicht vorgenommen und die Sache nicht nach § 328 Abs. 2 StPO an das Schöffengericht verwiesen. Es hat auch keine hinreichenden Feststellungen zum Motiv des Widerstands getroffen, obwohl die Einlassung des Angeklagten zur Verkaufsabsicht und die Aussagen der Zeugen S. und U. zu den Widerstandshandlungen dazu Anlass gegeben hätten. Unerörtert ist insbesondere geblieben, ob die Zeugen versucht hatten, dem Angeklagten den Rucksack zu entreißen.
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aa. Der Strafrichter und das Schöffengericht sind im Sinne der Zuständigkeitsvorschriften Gerichte verschiedener Ordnung (Gittermann in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 25 GVG Rn. 15; Franke in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 338 Rn. 69); der Strafrichter ist im Verhältnis zum Schöffengericht ein Gericht niederer Ordnung (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67 Aufl. § 25 GVG Rn. 1).
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bb. Das Berufungsgericht hat, auch wenn es als kleine Strafkammer nach § 74 Abs. 3 GVG sowohl für Berufungen gegen Urteile des Strafrichters als auch für Berufungen gegen Urteile des Schöffengerichts zuständig ist, ungeachtet der eigenen sachlichen Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen, ob in der ersten Instanz zur Verhandlung der mit dem angefochtenen Urteil entschiedenen Sache in Wahrheit das Schöffengericht anstelle des Strafrichters zuständig war. Das Verschlechterungsverbot nach § 331 StPO stünde einer Änderung des Schuldspruchs nicht entgegen (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 331 Rn. 8). Die Prüfung des Berufungsgerichts hat sich ohne Bindung an eine fehlerhafte Rechtsauffassung der ersten Instanz im Urteil daran zu orientieren, ob der erstinstanzliche Tatrichter bei zutreffender Beurteilung der Tat bei Erlass des Urteils zuständig war (Senat, Beschluss vom 31. Juli 2023 – 203 StRR 283/23 –, juris Rn. 4; Eschelbach in BeckOK StPO, 54. Ed. 1.1.2025, StPO § 328 Rn. 17, 19; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 338 StPO Rn. 32 und § 328 Rn. 7; Gössel in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 328 Rn. 25; Voll in KMR-StPO § 328 Rn. 21). Hat der Strafrichter statt des zuständigen Schöffengerichts entschieden, so fordert die Verletzung der in §§ 24, 25 GVG gesetzlich festgelegten Zuständigkeit die Zurückverweisung der Sache gemäß § 328 Abs. 2 StPO an das Schöffengericht (Gössel a.a.O. § 328 Rn. 26 m.w.N.; Voll a.a.O. § 328 Rn. 21 und 25; zur Unwirksamkeit einer Berufungsbeschränkung bei sachlicher Unzuständigkeit der ersten Instanz Gössel a.a.O. § 328 Rn. 36 m.w.N.; Voll a.a.O. § 270 Rn. 37; Erb in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 6 Rn. 19). Eine Verfahrensverbindung in der zweiten Instanz könnte die fehlende sachliche Zuständigkeit der ersten Instanz und einen erstinstanzlichen Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter nicht heilen.
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cc. In der Revision hat das Revisionsgericht grundsätzlich nicht nur die – hier gegebene – sachliche Zuständigkeit der Berufungsinstanz, sondern auch die Zuständigkeit des ersten Rechtszuges zu prüfen (vgl. Senat, Beschluss vom 31. Juli 2023 – 203 StRR 283/23 –, juris Rn. 3 m.w.N.; KG Berlin, Urteil vom 9. Mai 2012 – (3) 161 Ss 49/12 (41/12) –, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 2. März 2000 – 2 Ss 76/97 –, juris; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 6 Rn. 5; Eschelbach a.a.O. § 328 Rn. 25; Gittermann a.a.O. § 25 GVG Rn. 15; Gössel a.a.O. § 328 Rn. 53; Erb a.a.O § 6 Rn. 16). Das Revisionsgericht legt bei der Überprüfung der Zuständigkeit des Berufungsgerichts die objektive Rechtslage, wie sie sich dem Berufungsrichter darstellt, zugrunde; die eigene rechtliche Bewertung des Berufungsgerichts im Urteil ist nicht maßgebend (vgl. Senat a.a.O. Rn. 4 m.w.N.).
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dd. Gleichwohl ist in der Rechtsprechung und der Literatur nicht abschließend geklärt, in welchen Konstellationen in der Revision eine Verletzung von § 328 Abs. 2 StPO insbesondere außerhalb des Anwendungsbereichs der Willkür von Amts wegen geprüft wird und wann nur auf Verfahrensrüge (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 2016 – 2 StR 159/15 –, juris; BGH, Beschluss vom 25. Januar 2000 – 5 StR 280/98 –, juris; BGH, Beschluss vom 30. Juli 1996 – 5 StR 288/95 –, BGHSt 42, 205-214; Senat, Beschluss vom 31. Juli 2023 – 203 StRR 283/23 –, juris; BayObLG, Beschluss vom 12. September 2019 – 202 StRR 1609/19 –, juris Rn. 5; KG Berlin, Urteil vom 30. September 2020 – (3) 161 Ss 49/20 (48 – 49/20) –, juris Rn. 4; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 2. März 2000 – 2 Ss 76/97 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 14. März 1996 – 4 Ss 156/96 –, juris; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 328 Rn. 14, § 269 Rn. 8 und § 270 Rn. 27; Gössel a.a.O. § 328 Rn. 51, 53; Quentin in MüKoStPO, 2. Aufl. 2024, StPO § 328 Rn. 46, 47; Voll a.a.O. § 328 Rn. 28; Paul in KK-StPO, 9. Aufl. § 328 Rn. 15; Gericke in KK-StPO a.a.O. § 338 Rn. 66; Frister in SK-StPO, 5. Aufl. § 270 Rn. 46 und § 269 Rn. 23; Frisch in SK-StPO, 6. Aufl. § 328 Rn. 33, 35; Stuckenberg in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 269 StPO Rn. 14; Gittermann a.a.O. § 24 GVG Rn. 34 ff. und § 25 Rn. 15 ff.; Eschelbach a.a.O. § 328 Rn. 25; Hegmann, NStZ 2000, 574-577). Überwiegend wird bei einer rechtsfehlerhaften Beurteilung der Zuständigkeit im Verhältnis Strafrichter und Schöffengericht außerhalb einer Sprungrevision (vgl. Gittermann a.a.O. § 24 GVG Rn. 43) die Erhebung einer – hier nicht ausgeführten – Verfahrensrüge verlangt (vgl. Quentin a.a.O. § 328 Rn. 47 m.w.N.).
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ee. Umstritten ist auch, ob es den Angeklagten beschwert, wenn das Berufungsgericht den Angeklagten lediglich wegen einer Straftat verurteilt hat, für deren Aburteilung es sachlich zuständig war (vgl. BGH, Urteil vom 2. Oktober 1951 – 1 StR 434/51 –, BGHSt 1, 346-351; Franke a.a.O. § 338 Rn. 72, 73; Moldenhauer in MüKoStPO, 2. Aufl. 2024, StPO § 270 Rn. 60; Voll a.a.O. § 270 Rn. 37; Frister a.a.O. § 270 Rn. 46; Stuckenberg a.a.O. § 270 Rn. 55; Erb a.a.O. § 6 Rn. 18; Gössel a.a.O. § 328 Rn. 53; Gittermann a.a.O. § 25 Rn. 16).
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2. Die Verurteilung wegen Diebstahls in Tatmehrheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung begangen am 17. September 2022 kann hier bereits aus sachlich-rechtlichen Gründen keinen Bestand haben.
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a. Das Landgericht hat nur eine lückenhafte Beweiswürdigung vorgenommen, die gebotenen Feststellungen zum Motiv des Angeklagten nicht getroffen und den Tatbestand des räuberischen Diebstahls nicht erörtert, obwohl der festgestellte äußere Sachverhalt dazu Anlass gegeben hätte.
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b. Auf der Grundlage der lückenhaften Feststellungen hat das Landgericht angenommen, dass sich der Angeklagte wegen Diebstahls in Tatmehrheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung strafbar gemacht hätte und der Diebstahl und der tätliche Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tatmehrheit zueinander stehen würden. Es hat dem Angeklagten zudem nicht in Bezug auf den Diebstahl, jedoch in Bezug auf die Widerstandshandlungen infolge einer nicht ausschließbar erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit eine Strafrahmenverschiebung zugestanden und gegen den Angeklagten zwei Einzelstrafen in Höhe von 4 Monaten und 6 Monaten Freiheitsstrafe verhängt.
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c. Läge allerdings ein räuberischer Diebstahl vor, hätte der Tatrichter – unter Beachtung des Verschlechterungsverbots – nur eine Einzelstrafe aussprechen dürfen und die Möglichkeit einer Strafrahmenänderung nach §§ 252, 249 Abs. 2 StGB und §§ 21, 49 Abs. 1 StGB bezüglich dieser Einzelstrafe prüfen müssen. Die wegen Diebstahls ausgesprochene Einzelstrafe von 4 Monaten Freiheitsstrafe, bezüglich derer das Landgericht eine Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB mit der rechtsfehlerhaften Begründung des gezielten und planmäßigen Vorgehens (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2022 – 2 StR 378/22 –, juris Rn. 8 m.w.N.) versagt hat, könnte schon deshalb keinen Bestand haben, weil der Verbrechenstatbestand des § 252 StGB als das speziellere Gesetz den Diebstahl verdrängt (Vogel/Burchard in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 252 Rn. 81).
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d. Handelte der Angeklagte ohne Besitzerhaltungsabsicht, stünden der Diebstahl und die Widerstandshandlungen gleichwohl zueinander im Verhältnis der Tateinheit (zur natürlichen Handlungseinheit vgl. BGH, Beschluss vom 14. März 2024 – 2 StR 7/24 –, juris Rn. 4; zur Tateinheit Vogel/Burchard a.a.O. Rn. 64).
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3. Der neue Tatrichter wird sich mit der Einlassung des Angeklagten zu dessen Verkaufsabsicht und mit der Motivation des Angeklagten eingehender beschäftigen und der Frage nachgehen müssen, ob es dem Angeklagten auch auf eine Beutesicherung ankam. In diesem Fall wird er das Verfahren insoweit nach § 328 Abs. 2 StPO an das Schöffengericht zurückverweisen müssen. Wird die nach § 252 StGB erforderliche Absicht lediglich nach dem Zweifelsgrundsatz verneint, ist bei der Beurteilung der Konkurrenzen in erneuter Anwendung des Zweifelssatzes von einer solchen Absicht auszugehen und Tateinheit zwischen allen bis zur Beendigung des Diebstahls verletzten Strafgesetze anzunehmen (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2005 – 4 StR 170/05 –, juris Rn. 10; vgl. auch Vogel/Burchard a.a.O. § 252 Rn. 64; Sander in MüKoStGB, 4. Aufl. 2021, StGB § 252 Rn. 19). Zur Vorschrift des § 331 StPO weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass das Verschlechterungsverbot einer Erhöhung der bisherigen Einzelstrafe nicht entgegensteht, wenn Einzelstrafen wegen einer fehlerhaften Annahme von Tatmehrheit aufgehoben werden. Die Höhe der neuen Einzelstrafe dürfte allerdings die Summe der bislang wegen der Tat verhängten nicht überschreiten (vgl. Paul a.a.O. § 331 Rn. 2a). Ob bei Vorliegen verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB eine Strafmilderung vorzunehmen oder zu versagen ist, hat der Tatrichter unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 2015 – 2 StR 350/15 –, juris Rn. 4 m.w.N.).
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4. Die Verurteilung wegen zweier Diebstähle, begangen am 23. Juni 2022 und am 20. April 2023, zu Einzelstrafen von 2 und 8 Monaten Freiheitsstrafe kann bestehen bleiben. Diesbezüglich verweist der Senat auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft München.
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5. Die Aufhebung der beiden Einzelstrafen führt zur Aufhebung der Gesamtstrafe. Auch die Frage der Unterbringung in der Entziehungsanstalt bedarf wegen ihres untrennbaren Zusammenhangs mit der neu festzusetzenden Gesamtstrafe neuer Entscheidung. Die Kostenentscheidung bleibt dem neuen Tatrichter vorbehalten.