Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 05.06.2025 – 203 StObWs 150/25
Titel:

Verfahrensvoraussetzungen für einen Antrag nach § 109 StVollzG

Normenketten:
StVollzG § 109, 116, § 119 Abs. 4 S. 2
BayStVollzG Art. 208
Leitsätze:
1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff. StVollzG muss sich auf eine bestimmte den Gefangenen betreffende und beschwerende konkrete Einzelmaßnahme einer Vollzugsbehörde beziehen. Bezugspunkt ist eine Regelung mit Rechtswirkung. Der Anwendungsbereich der §§ 109 ff. StVollzG umfasst keine unverbindlichen Mitteilungen und Auskünfte gegenüber dem Gefangenen. (Rn. 8 und 9)
2. Begehrt der Strafgefangene im Strafvollzugsverfahren die Feststellung der Nichtbescheidung oder der nicht rechtzeitigen Bescheidung eines Antrags, obliegt es grundsätzlich ihm, eine – rechtzeitige – Antragstellung darzutun. (Rn. 14 – 15)
3. Hat der Antragsteller eine Antragstellung schlüssig vorgetragen, eröffnet dies der Strafvollstreckungskammer die Möglichkeit, im Rahmen ihrer Sachaufklärungspflicht nach § 120 Abs. 1 S. 2 StVollzG, § 244 Abs. 2 StPO im Freibeweisverfahren zu ermitteln, ob die Behauptung zutrifft. Der erforderliche Umfang der Aufklärung hängt vom konkreten Einzelfall ab. (Rn. 16)
Schlagworte:
Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Verfahrensvoraussetzungen, gerichtliche Entscheidung, Maßnahme, konkrete Einzelmaßnahme, Substantiierungspflicht, Antragstellung, Eingangsbestätigung, Sachaufklärungspflicht
Fundstelle:
BeckRS 2025, 14206

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt S. wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 4. März 2025 aufgehoben.
2. Die Anträge des Strafgefangenen vom 20. Dezember 2024 werden als unzulässig verworfen.
3. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen zu tragen.
4. Der Wert der Rechtsbeschwerde wird auf 250.- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit Schreiben vom 20. Dezember 2024 hat der Strafgefangene beantragt, (1) die Anstaltsbediensteten zu verpflichten, den Eingang abgegebener Anstaltsanträge umgehend, hilfsweise unverzüglich zu bestätigen, und (2) festzustellen, dass die Antragsbearbeitung nicht unverzüglich erfolgt und rechtswidrig sei. In Schreiben vom 10. Februar 2025 und 26. Februar 2025 hat er ergänzend ausgeführt, dass in der Vergangenheit mehrfach Anträge verschwunden seien und die Anstalt sich geweigert habe, seinem Ansinnen, fortan den Eingang aller Anträge zu bestätigen, Folge zu leisten. Zu Nummer 2 seines Antrags hat er vorgetragen, dass er zu einem nicht mehr nachvollziehbaren Zeitpunkt in der Anstalt für den 23. Oktober 2024 ein Telefonat mit seiner Schwester beantragt hätte, das ihm am 23. Oktober 2024 unter Berufung auf einen fehlenden Antrag verweigert worden wäre. Die Justizvollzugsanstalt (JVA) hat mitgeteilt, dem Antragsteller am 12. Dezember 2024 die Rechtslage eröffnet zu haben, wonach keine Pflicht zu einer generellen Eingangsbestätigung für zukünftige Anliegen und Anträge aller Art bestehe. Ein Antrag für ein Telefonat am 23. Oktober 2024 fände sich nicht bei den Akten, es könne daher nicht nachvollzogen werden, ob und wann der Gefangene einen Antrag gestellt hätte. Die beiden verakteten Anträge vom 24. Oktober 2024 und vom 25. Oktober 2024 wären genehmigt worden. Die Strafvollstreckungskammer hat am 12. Februar 2025 den Ordner mit Telefonanträgen in der JVA in Augenschein genommen und eingesehen. Mit Beschluss vom 4. März 2025 hat sie „die Entscheidung“ der JVA vom 12. Dezember 2024 aufgehoben, die Antragsgegnerin verpflichtet, über den Antrag auf Fertigung von Eingangsbestätigungen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden, und festgestellt, dass die nicht unverzügliche Bearbeitung des Antrags auf ein Telefonat für den 23. Oktober 2024 rechtswidrig gewesen wäre. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf zukünftige Eingangsbestätigungen habe und die JVA über den verfahrensgegenständlichen Antrag auf ein Telefonat rechtswidrig nicht entschieden hätte.
2
Gegen den ihr am 6. März 2025 zugestellten Beschluss hat die JVA mit einem nicht handschriftlich unterzeichneten Schreiben vom 25. März 2025, bei Gericht eingegangen am 2. April 2025, Rechtsbeschwerde eingelegt, die sie mit sachlich-rechtlichen Rügen begründet hat. Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem beigetreten und hat die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Verwerfung des Antrags des Strafgefangenen beantragt. Der Antragsteller hat Gelegenheit zur Kenntnisnahme der Rechtsbeschwerde erhalten und ist ihr entgegengetreten.
II.
3
Die frist- und formgerecht (vgl. BayObLG, Beschluss vom 6. Februar 2024 – 204 StObWs 408/23-, juris zur Zeichnung „gez“) eingelegte Rechtsbeschwerde ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 116 StVollzG i.V.m. Art. 208 BayStVollzG) zuzulassen, da die Strafvollstreckungskammer die von der obergerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Antrag nach § 109 StVollzG als zulässig zu behandeln ist, nicht rechtsfehlerfrei auf die vorliegenden Sachverhalte angewandt hat.
III.
4
Der angefochtene Beschluss unterliegt auf die Rechtsbeschwerde der Vollzugsanstalt hin der Aufhebung. Denn der Antrag des Strafgefangenen vom 20. Dezember 2024 erweist sich sowohl in Nummer 1 als auch in Nummer 2 als unzulässig.
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1. Soweit der Strafgefangene beantragt hat, die JVA zu verpflichten, in Zukunft den Eingang abgegebener Anstaltsanträge umgehend, hilfsweise unverzüglich zu bestätigen, fehlt es an einem zulässigen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Der Antrag hat keine „Maßnahme“ im Sinne des § 109 Abs. 1 StVollzG zum Gegenstand.
6
a. Ein zulässiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung gehört zu den allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen, die nach überwiegender Auffassung im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen sind und deren Fehlen zur Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde führt (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 6. November 2024 – 203 StObWs 462/24 –, juris Rn. 4; BayObLG, Beschluss vom 11. Oktober 2024 – 204 StObWs 482/24 –, juris Rn. 11 m.w.N.).
7
b. Als Zulässigkeitsvoraussetzung setzt § 109 Abs. 1 StVollzG sowohl bezüglich eines Anfechtungs- als auch eines Verpflichtungsantrags voraus, dass es sich bei dem Streitgegenstand um eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzuges handelt.
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aa. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff. StVollzG muss sich auf eine bestimmte den Gefangenen betreffende und beschwerende konkrete Einzelmaßnahme einer Vollzugsbehörde beziehen (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 31. Oktober 2024 – 203 StObWs 427/24 –, juris Rn. 3 m.w.N.). Bezugspunkt ist eine Regelung mit Rechtswirkung. Bei dem Verfahrensgegenstand muss es sich um einen Akt der Vollzugsbehörde handeln, der in das Rechtsverhältnis zwischen dem Gefangenen und dem Staat gestaltend eingreifen soll, also um die Regelung einer einzelnen Angelegenheit, die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist und diesbezüglich Verbindlichkeit beansprucht (Senat a.a.O.; BayObLG, Beschluss vom 11. Oktober 2024 – 204 StObWs 482/24 –, juris Rn. 13; KG Berlin, Beschluss vom 6. Februar 2020 – 2 Ws 3/20 Vollz –, juris Rn. 8 m.w.N.; Arloth/Krä, StVollzG 5. Aufl. § 109 Rn. 6, 7, jeweils m.w.N.; Bachmann in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, StVollzG, 13. Aufl. 2024, Kap. P Rechtsbehelfe Rn. 30).
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bb. Der Anwendungsbereich der §§ 109 ff. StVollzG umfasst bloße Mitteilungen, Meinungsäußerungen, Wissenserklärungen und Auskünfte gegenüber dem Gefangenen nicht, da sie keine sachliche Regelung darstellen (BayObLG, Beschluss vom 11. Oktober 2024 – 204 StObWs 482/24 –, juris Rn. 13; Bachmann a.a.O. Kap. P Rechtsbehelfe Rn. 29 m.w.N.; Arloth/Krä a.a.O. § 109 Rn. 7 m.w.N.; Laubenthal in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, 12. Kapitel Rechtsbehelfe Kap. B. Rn. 17). Denn Auskünfte – auch rechtlicher Art – haben keinen derartigen Regelungscharakter (BayObLG, Beschluss vom 30. September 2019 – 204 StObWs 1509/19, BeckRS 2019, 46576; KG Berlin, Beschluss vom 1. August 2014 – 2 Ws 259/14 Vollz –, juris Rn. 8; OLG Frankfurt, Beschluss vom 27. März 2018 – 3 Ws 906/17 (StVollz) –, juris).
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cc. Die bloße Aussicht, mit einem künftigen Begehren auf der Grundlage der Auskunft abgewiesen zu werden, ist noch keine Regelung mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen (BayObLG a.a.O.; OLG Frankfurt a.a.O. Rn. 7; KG, Beschluss vom 29. Januar 2019 – 2 Ws 22/19 Vollz, BeckRS 2019, 1791 Rn. 3 und 4; Euler in BeckOK Strafvollzug Bund, 27. Ed. 1.2.2025, StVollzG § 109 Rn. 7).
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c. Nach diesen Vorgaben erfüllt weder der auf zukünftige, nach Inhalt und Form noch unbestimmte Begehren gerichtete Antrag des Strafgefangenen im Strafvollzugsverfahren noch die von ihm beanstandete verfahrensgegenständliche Auskunft der JVA vom 12. Dezember 2024, es bestehe nach Prüfung der Rechtslage keine Pflicht der Vollzugsanstalt, in Zukunft die Entgegennahme von Anträgen, Schriftstücken und sonstigen Unterlagen stets schriftlich zu bestätigen, die Anforderungen an eine Maßnahme im Sinne von § 109 StVollzG. Das auf eine generelle, vom Einzelfall losgelöste Zusage gerichtete Begehren des Antragstellers kann mangels Einzelfallregelung nicht mit einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 109 StVollzG geltend gemacht werden. Gleichwohl ist der Antragsteller insoweit nicht rechtsschutzlos gestellt. Er kann im Einzelfall – gleich einem Bürger gegenüber einer Behörde – bei der JVA um eine Eingangsbestätigung nachsuchen und eine etwaige Weigerung der Anstalt als Regelung eines Einzelfalls bei entsprechendem Rechtsschutzbedürfnis der gerichtlichen Prüfung zuführen.
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2. Auch der Antrag des Strafgefangenen in Nummer 2 seines Schreibens vom 20. Dezember 2024 erweist sich als unzulässig.
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a. Der Antragsteller hat die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Antragsbearbeitung der Vollzugsanstalt beantragt, allerdings im Schreiben vom 10. Februar 2025 eingeräumt, nicht mehr angeben zu können, wann er den streitgegenständlichen Antrag bei der JVA abgegeben hätte. Er hätte sich keine Notizen gemacht, es müsse „einige/viele Wochen“ vor dem 23. Oktober 2024 gewesen sein. Unstreitig hat der Antragsteller am 26. und am 27. Oktober 2024 mit einer seiner Schwestern telefoniert und am 25. Oktober 2024 mit einer weiteren Schwester geskypt.
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b. Auch im Strafvollzugsverfahren gilt der Grundsatz, dass derjenige, der einen Anspruch geltend macht, dessen Voraussetzungen beweisen muss (BayObLG, Beschluss vom 16. Januar 2025 – 204 StObWs 480/24 –, juris Rn. 22; Senat, Beschluss vom 28. Juni 2021 – 203 StObWs 273/21 –, juris Rn. 7).
15
c. Begehrt der Strafgefangene im Strafvollzugsverfahren die Feststellung der Nichtbescheidung oder der nicht rechtzeitigen Bescheidung eines Antrags, obliegt es ihm, zur Begründung des Rechtsschutzbedürfnisses für das gerichtliche Verfahren eine – rechtzeitige – Antragstellung darzutun. Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung muss er mit seinem Begehren zunächst an die Anstalt herangetreten sein (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Mai 2024 – 203 StObWs 138/24 –, juris Rn. 7; Senat, Beschluss vom 17. April 2023 – 203 StObWs 61/23 –, juris Rn. 8; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23. Oktober 2007 – 2 Ws 404/06 –, juris Rn. 9; KG Berlin, Beschluss vom 25. September 2007 – 2/5 Ws 189/05 Vollz –, juris Rn. 14 m.w.N.; Arloth/Krä a.a.O. § 109 Rn. 11 m.w.N.; Euler a.a.O. § 109 Rn. 11; Bachmann a.a.O. Kapitel P Rn. 32). Hat der Antragsteller eine Antragstellung schlüssig vorgetragen, eröffnet dies der Strafvollstreckungskammer die Möglichkeit, im Rahmen ihrer Sachaufklärungspflicht nach § 120 Abs. 1 S. 2 StVollzG, § 244 Abs. 2 StPO im Freibeweisverfahren zu ermitteln, ob die Behauptung zutrifft (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Mai 2024 – 203 StObWs 138/24 –, juris Rn. 8; Arloth/Krä a.a.O. § 115 Rn. 2; Spaniol in Feest/Lesting/Lindemannn, StVollzG Teil IV § 115 StVollzG Rn. 3). Einseitiges Vorbringen darf der Tatrichter nicht ohne weiteres der Entscheidung zugrunde legen (Senat a.a.O.; Arloth/Krä a.a.O. § 115 Rn. 2). Der erforderliche Umfang der Aufklärung hängt vom konkreten Einzelfall ab (st. Rspr., vgl. Senat a.a.O. Rn. 8).
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d. Hier durfte die Strafvollstreckungskammer nicht von einer Antragstellung ausgehen. Der Antragsteller hat die Antragstellung nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Er konnte aus der Erinnerung weder den Zeitpunkt konkretisieren noch die Umstände darlegen. Auch die JVA hat die einseitig behauptete Antragstellung nach ihrer Aktenlage nicht nachvollziehen können. Die Strafvollstreckungskammer vermochte in ihrem Augenschein die bestrittene Antragstellung nicht zu klären. Nachdem der Strafgefangene im Verfahren nach § 109 StVollzG sein Rechtsschutzbedürfnis darlegen muss und nach dem oben Gesagten die Darlegungslast dafür trägt, vor der Inanspruchnahme des gerichtlichen Rechtsschutzes bei der JVA einen Antrag gestellt zu haben, ist in der Rechtsbeschwerde die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer aufzuheben. Der Senat kann infolge Spruchreife nach § 119 Abs. 4 S. 2 StVollzG den Antrag nach § 109 StVollzG als unzulässig verwerfen. Denn er kann ausschließen, dass sich die Umstände der vom Antragsteller lediglich aus dem Gedächtnis heraus behaupteten, von der JVA in Frage gestellten Antragstellung im Falle einer Zurückverweisung der Sache noch aufklären ließen.
IV.
17
Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 1 und 2 StVollzG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 1 Abs. 1 Nr. 8, §§ 65, 60, 52, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.