Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 03.06.2025 – 203 StObWs 168/25
Titel:

Anforderung an die Erhebung einer Betriebskostenpauschale für den Fernsehempfang im Haftraum

Normenketten:
BayStVollzG Art. 71 Abs. 1 S. 2, Art. 73
StVollzG § 116
Leitsätze:
Beanstandet ein Strafgefangener die Abbuchung von Kosten für den Fernsehempfang, deren Höhe die Justizvollzugsanstalt festgelegt hat, hat die Strafvollstreckungskammer die der JVA infolge des Empfangs von Fernsehprogrammen entstandenen Betriebskosten und den Umfang der kostenlosen Grundversorgung aufzuklären.
1. Bei der Erhebung einer Betriebskostenpauschale iSd Art. 71 Abs. 1 S. 2, Art. 73 BayStVollzG darf die Summe der Einnahmen durch die Pauschale die Summe der durch die Nutzung eigener Hörfunk- und Fernsehgeräte verursachten Betriebskosten nicht übersteigen. (Rn. 7 und 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Grundrecht auf Informationsfreiheit erfordert nicht, dass der Betrieb eines eigenen Fernsehgeräts im Haftraum kostenfrei möglich sein muss. Der Grundbedarf an Information in der JVA kann durch Fernsehempfangsgeräte in Gemeinschaftsräumen gewährleistet werden; ein Verweis allein auf den Rundfunk reicht indes nicht aus. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtsbeschwerde, Betriebskostenpauschale, Fernsehgebühren, Grundversorgung, Informationsfreiheit
Fundstellen:
StV 2025, 606
BeckRS 2025, 14205

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des ehemaligen Strafgefangenen wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Nördlingen vom 2. März 2025 aufgehoben.
2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Nördlingen zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.
4. Der Gegenstandswert wird auf 100.- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller befand sich bis zu seiner Entlassung aus dem Strafvollzug im April 2025 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) K. zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe. Dorthin war er mit Wirkung vom 18. September 2024 aus der Justizvollzugsanstalt S. verlegt worden. Mit Schreiben vom 16. Oktober 2024 hat er bei der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Nördlingen sinngemäß beantragt, die ab dem 10. Oktober 2024 erfolgten Abbuchungen der Justizvollzugsanstalt K. für die „Fernsehgebühr“ aufzuheben, der JVA weitere Abbuchungen der Fernsehgebühr zu untersagen und hilfsweise festzustellen, dass die Abbuchungen rechtswidrig gewesen wären. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass er über ein eigenes, in der JVA S. genehmigtes und sicherheitsüberprüftes Fernsehgerät verfüge und die Gebühren der JVA dem Grund und der Höhe nach ungerechtfertigt wären. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2024 hat die Justizvollzugsanstalt K. Stellung genommen und ausgeführt, dass für die Nutzung der in den Hafträumen angebrachten TV-Geräte weder Mietkosten noch Rundfunkbeträge anfallen würden und die Erhebung der auch vom Antragsteller verlangten „Gebühren des TV-Signals“ in Höhe von monatlich 7,20 Euro allen Strafgefangenen über einen Aushang bekannt gegeben worden wäre. Dem Antragssteller stehe es frei, das in seinem Haftraum installierte Gerät herausnehmen zu lassen und seinen Informationsbedarf mit einem Leihradiogerät zu decken.
2
Mit Beschluss vom 2. März 2025 hat die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Nördlingen den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen und zur Begründung ohne weitere Aufklärung des Sachverhalts die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt K. herangezogen. Gegen diesen ihm am 21. März 2025 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts Augsburg am 26. März 2025 Rechtsbeschwerde eingelegt. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Entscheidung gemäß dem gestellten Antrag, hilfsweise die Zurückverweisung an das Landgericht Augsburg zur erneuten Entscheidung. Der Antragsteller rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts und beanstandet, dass die Strafvollstreckungskammer auf seinen Vortrag nicht eingegangen und die Rechtmäßigkeit der Erhebung der Gebühr nicht geprüft habe. Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt im Schreiben vom 10. April 2025, die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen als unzulässig zu verwerfen. Mit der Entlassung des Strafgefangenen wirke „die Ablehnung von der künftigen Abbuchung der Fernsehgebühren“ nicht mehr fort.
II.
3
Die Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig (Art. 208 BayStVollzG, § 116 Abs. 1, § 118 Abs. 1 bis 3 StVollzG). Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer leidet an durchgreifenden Mängeln, da sie die verfassungsgerichtliche und die obergerichtliche Rechtsprechung zur Umlage von Betriebskosten unbeachtet lässt.
III.
4
Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Zurückverweisung der Sache.
5
1. Bei dem vom Antragsteller gestellten Antrag auf Aufhebung der Abbuchungen handelt es sich um einen Anfechtungsantrag, der sich auch mit der Entlassung des Strafgefangenen aus dem Strafvollzug mangels Wegfall der Beschwer (vgl. Senat, Beschluss vom 11. November 2024 – 203 StObWs 435/24 –, juris Rn. 5) nicht erledigt hat.
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2. Nachdem der Antragsteller die Rechtmäßigkeit der Erhebung der Gebühr in Frage gestellt und die JVA zu der tatsächlichen Höhe der Betriebskosten und zu der Preisgestaltung nicht vorgetragen hatte, hätte sich die Strafvollstreckungskammer mit der Rechtmäßigkeit der Pauschale und der dazu vorliegenden Rechtsprechung befassen müssen.
7
a. Das Bundesverfassungsgericht hat in der maßgeblichen Entscheidung (Stattgebender Kammerbeschluss vom 16. Mai 2018 – 2 BvR 635/17 –, zitiert nach juris, Rn. 36 ff.) zur Überprüfung von Pauschalen für Betriebs- und Stromkosten wie folgt ausgeführt:
„Gemäß Art. 71 I BayStVollzG können eigene Hörfunk- und Fernsehgeräte von Gefangenen zugelassen und den Gefangenen die Betriebskosten auferlegt werden. Nach Art. 73 BayStVollzG können Gefangene zudem in angemessenem Umfang an den Stromkosten, die durch die Nutzung der in ihrem Besitz befindlichen Gegenstände entstehen, beteiligt werden. … Dabei ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung weitgehend anerkannt, dass sich die Möglichkeit der Auferlegung von Stromkosten auf die Nutzung von Elektrogeräten bezieht, die über den von den Justizvollzugsanstalten kostenfrei zu gewährenden Grundbedarf hinausgehen …In der fachgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Erhebung von Pauschalen, insbesondere aufgrund der praktischen Probleme einer individuellen Abrechnung, im Grundsatz zulässig ist… Dies begegnet im Ergebnis keinen verfassungsrechtlichen Bedenken…Verfassungsrechtlichen Zweifeln begegnete es indes, wenn mit der Erhebung von Kostenpauschalen auf Grundlage von Eingriffsnormen, die eine Kostenbeteiligung Gefangener an Strom- oder Betriebskosten von Elektrogeräten ermöglichen, im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Kostenstruktur einer JVA der von Verfassungs wegen zu gewährleistende Grundbedarf oder anderweitige Haftkosten mittelbar (mit) finanziert würden. Dies wäre jedenfalls der Fall, wenn die Gesamteinnahmen aus den erhobenen Kostenpauschalen die durch die in der Eingriffsgrundlage bezeichneten Geräte verursachten Betriebs- oder Stromkosten überstiegen…Aus Art. 71 I 2 und 73 BayStVollzG folgt jedenfalls, dass die Erhebung von Strom- und Betriebskosten ihre Höchstgrenze in dem tatsächlichen Verbrauch findet, denn diese landesrechtlichen Normen dienen dem Zweck, eine Beteiligung der Gefangenen an den Kosten des Vollzugs, die nicht bereits durch den Haftkostenbeitrag abgedeckt sind, zu ermöglichen (vgl. BayLT, Drs. 15/8101 v. 30.4.2007, 46 f., 50, 65). Im Zusammenhang mit der Zulässigkeit einer pauschalierten Kostenerhebung bedeutet dies für Art. 71 I 2 BayStVollzG, dass die Summe der Einnahmen durch von Gefangenen gezahlte Betriebskostenpauschalen die Summe der durch die Nutzung eigener Hörfunk- und Fernsehgeräte verursachten Betriebskosten nicht übersteigen darf.“
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b. Die Erhebung entsprechender Kosten steht nach Art. 71 Abs. 1 S. 2 BayStVollzG im Ermessen der Anstalt und bedarf daher einer Ermessensentscheidung (Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., Art. 71 BayStVollzG Rn. 3; OLG München, Beschluss vom 15. Oktober 2008 – 4 Ws 118/08 (R) –, juris; vgl. auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 20. Juli 2015 – 4 Ws 298/14 –, juris zur vergleichbaren Rechtslage in Baden-Württemberg).
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c. Die Ausgestaltung der Kosten ist vollumfänglich gerichtlich überprüfbar (Goldberg in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl., 5 Kap. Freizeit C II Rn. 23).
10
d. Eine kostenfreie Grundversorgung muss sichergestellt sein (OLG Stuttgart, Beschluss vom 20. Juli 2015 – 4 Ws 298/14 –, juris; Laubenthal/Baier in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, Strafvollzugsgesetze, 13. Aufl. 2024, Kap. G Rn. 26a; Arloth in BeckOK Strafvollzug Bayern, 22. Ed. 1.4.2025, BayStVollzG Art. 71 Rn. 6; Goldberg a.a.O. 5 Kap. Freizeit C II Rn. 32).
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e. Dies zugrunde gelegt wäre die Strafvollstreckungskammer nach dem im Strafvollzugsverfahren vorherrschenden Amtsermittlungsgrundsatz (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Dezember 2024 – 203 StObWs 556/24 –, juris) gehalten gewesen, in einem ersten Schritt den Zugang zur Grundversorgung mit Informationen und in einem zweiten Schritt die der JVA infolge des Empfangs von Fernsehprogrammen entstandenen Betriebskosten aufzuklären (vgl. zu letzterem Laubenthal/Baier a.a.O. Kap. G Rn. 26a; Arloth/Krä a.a.O. Art. 71 BayStVollzG Rn. 3; Goldberg a.a.O. 5 Kap. Freizeit C II Rn. 32; OLG Hamm, Beschluss vom 16. April 2020 – III-1 Vollz (Ws) 64/20 –, juris Rn. 5 ff.; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. Januar 2015 – 1 Ws (RB) 36/14 –, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20. August 2014 – 2 Ws 277/14 –, juris; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 4. Februar 2011 – 3 Vollz (Ws) 3/11 –, juris; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 11. Juli 2005 – 1 Ws 111/05 –, juris).
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f. Die Strafvollstreckungskammer wird nunmehr Feststellungen dazu treffen müssen, in welcher Höhe Betriebskosten für den Fernsehempfang tatsächlich angefallen sind und ob die aus den „Gebühren“ generierten Einnahmen die Betriebskosten überschreiten. Falls entgegen dem Vortrag der JVA auch ein Nutzungsentgelt für das Fernsehgerät inkludiert ist, wird sich die Strafvollstreckungskammer mit einem möglichen Bestandsschutz nach Verlegung im Rahmen der Ermessensentscheidung der Vollzugsanstalt befassen müssen (vgl. dazu Laubenthal/Baier a.a.O. Kap. G Rn. 38, 39; Goldberg a.a.O. 5 Kap. Freizeit C II Rn. 31). Zudem hat die Strafvollstreckungskammer zu klären, inwieweit für den Strafgefangenen der grundsätzlich von Verfassungs wegen zu gewährleistende Grundbedarf an Information in der JVA unabhängig von der Nutzung eines Geräts im Haftraum etwa durch Fernsehempfangsgeräte in Gemeinschaftsräumen gewährleistet war (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 44; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. Januar 2015 – 1 Ws (RB) 36/14 –, juris Rn. 22; OLG Stuttgart, Beschluss vom 20. Juli 2015 – 4 Ws 298/14 –, juris; Goldberg a.a.O. 5 Kap. Freizeit C II Rn. 23 und 32). Das Grundrecht auf Informationsfreiheit erfordert zwar nicht, dass der Betrieb eines eigenen Fernsehgeräts im eigenen Haftraum des Gefangenen stets kostenfrei möglich sein muss (vgl. Arloth/Krä a.a.O. Art. 71 Rn. 3; ausführlich dazu Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 11. Juli 2005 – 1 Ws 111/05 –, juris). Denn außerhalb des Vollzugs fallen ebenfalls regelmäßig Gebühren für die Bereitstellung von Fernsehprogrammen an. Andererseits darf der Strafgefangene nicht allein auf den Rundfunk verwiesen werden (so bereits OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. Januar 2015 – 1 Ws (RB) 36/14 –, juris Rn. 21). Neben der Preisgestaltung wird die Strafvollstreckungskammer auch die rechtlichen Voraussetzungen für die Abbuchung in den Blick zu nehmen haben. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung kann in der Benutzung eines Fernsehgeräts ein konkludentes Einverständnis des Gefangenen in die Abbuchung vom Hausgeldkonto gesehen werden (OLG München, Beschluss vom 15. Oktober 2008 – 4 Ws 118/08 (R) –, juris; Laubenthal/Baier a.a.O. Kap. G Rn. 26a; Arloth/Krä a.a.O. Art. 71 BayStVollzG Rn. 3). Sollte der Antragsteller der Abbuchung von Anfang an entgegengetreten sein, läge allerdings ein Einverständnis mit der Abbuchung fern. In diesem Falle wäre zu prüfen, ob die Anstalt die ungeachtet einer Hausverfügung gesetzlich gebotene Ermessensentscheidung nach Art. 71 Abs. 1 S. 2 BayStVollzG vorgenommen hatte. Eine Hausverfügung kann ein durch Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes eingeräumtes Ermessen konkretisieren und zur Selbstbindung der Verwaltung führen. Sie unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung (vgl. etwa BayObLG, Beschluss vom 28. April 2025 – 204 StObWs 124/25, BeckRS 2025, 10610 Rn. 18 ff.; zum Abschluss von Verträgen mit dem Strafgefangenen vgl. Goldberg a.a.O. 5 Kap. Freizeit C II Rn. 23).
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3. Soweit der Beschwerdeführer in der Rechtsbeschwerde eine Entscheidung in der Sache beantragt, ist das Rechtsmittel als unbegründet zurückzuweisen, da die Sache nicht spruchreif ist.
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4. Die Entscheidung zum Beschwerdewert beruht auf § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, §§ 65, 60, 52 Abs. 1 GKG.