Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 12.05.2025 – AN 4 S 25.1296
Titel:

Zum Umfang des Rechts auf Versammlungsfreiheit und die Möglichkeit ihrer legitimen Einschränkung

Normenketten:
GG Art. 8 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1
BayVersG Art. 7, Art. 15 Abs. 1, Art. 25
Leitsätze:
1. Eine Freiheit zur Ausübung einer Versammlung iSd Art. 8 GG ist als „schlechterdings konstitutiv für die Demokratie“ zu sehen; Versammlungsteilnehmer können in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung ihrer Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit in Art. 15 Abs. 1 BayVersG umfasst neben dem Schutz der subjektiven Rechte bzw. Rechtsgüter Dritter, wie zB die Gesundheit, die Unversehrtheit der gesamten Rechtsordnung und damit auch die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften, die die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs einschließlich des Fußgängerverkehrs regeln, und die in diesem Zusammenhang wiederum auch die betroffenen Rechte Dritter. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von Beschränkungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Versammlungsfreiheit gewährleistet das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll, und damit ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
5. Eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit liegt dann vor, wenn die Versammlung nur in einer Weise durchgeführt werden kann, die einem Verbot nahekommt. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
6. Der öffentliche Raum ist eine endliche Ressource, die grds. der Allgemeinheit zur Verfügung steht, so dass eine übermäßige Belastung mit Blick auf die Rechte Dritter in Betracht kommt. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
7. Bei drohenden Gewalttaten als Gegenreaktion auf Versammlungen sind die behördlichen Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
8. Will die Behörde unter dem Gesichtspunkt der absichtlichen Provokation von Gewalt den Versammlungsleiter und nicht die Gegendemonstranten in Anspruch nehmen, muss der vom Veranstalter angegebene Zweck nur Vorwand und die Provokation von Gewalt das eigentliche vom Veranstalter „objektiv“ oder gar „subjektiv“ bezweckte Vorhaben sein. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gefahrenprognose, Verlegung der Strecke oder Route eines Aufzugs, Gegendemonstration, Zweckveranlasser, Störer, „Provokation von Gewalt“, übermäßige Belastung des öffentlichen Raums, polizeilicher Notstand, Versammlungsfreiheit, Beschränkungsbescheid, Gegendemonstrationen, Interessenabwägung, Auftakt-/Abschlusskundgebungsort
Fundstelle:
BeckRS 2025, 14159

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der am 9. Mai 2025 erhobenen Klage (AN 4 K 25.1297) gegen Ziffer 2.3.1 und der entsprechenden Beschränkung aus Ziffer 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 9. Mai 2025 wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine inhaltliche Beschränkung, mit der die von ihr angezeigte Wegstrecke der Versammlung neu festgelegt wurde.
2
1. Die Antragstellerin führt regelmäßig, zumeist wöchentlich, Versammlungen im Stadtgebiet der Antragsgegnerin durch. Im Rahmen derer ist es zuletzt wiederholt zu gewalttätigen Zusammenstößen, zwischen der Polizei und v.a. Teilnehmern von Gegendemonstrationen, gekommen.
3
Unter Nutzung der elektronischen Anzeigemöglichkeiten zeigte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin am 6. Mai 2025 die streitgegenständliche Versammlung für Montag, den 12. Mai 2025 zwischen 18.30 Uhr und 22.00 Uhr an. Dabei wurde der Aufzug mit folgender Strecke angezeigt: … – … – … – … – … – … – … – … – … – … Im Rahmen des Kooperationsgesprächs am 8. Mai 2025 schlugen Polizei und Ordnungsamt eine abweichende Strecke, beginnend und endend am … vor. Dies lehnte die Antragstellerin ab. Am … sei nicht „ihre Zielgruppe“ anzutreffen und dort wären auch keine Passanten, die sich vielleicht noch spontan anschließen würden. Auf der weiteren Strecke … und … sei wegen der nordseitig angrenzenden Bahngleise kaum Publikum zu erwarten.
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Der weitere Vorschlag der Versammlungsbehörde, die Strecke vom … aus in belebtere Orte der … zu starten, z.B. … und Rückkehr über … lehnte die Antragstellerin ebenfalls ab. Ein anderer Auftakt- und Endkundgebungsort sei für sie nicht vorstellbar. Sie könne sich eine Verlegung für die Veranstaltung am 19. Mai vorstellen, habe jedoch die letzten zwei Versammlungen in Folge (am 26. April und am 5. Mai) nicht so gestalten können, wie es sich die Veranstalterin vorgestellt habe: am 26. April seien sie auf dem … von einer Gegendemonstration eingekreist worden und am 5. Mai sei der … zu wenig von Passanten frequentiert gewesen. Die Antragstellerin wünsche nun erst einmal wieder die Aufmerksamkeit der Kern- und Innenstadt. Auch für weitere Vorschläge zum Streckenverlauf konnte während und nach dem Kooperationsgespräch kein Konsens hergestellt werden.
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2. Mit Bescheid vom 9. Mai 2025 bestätigte die Antragsgegnerin die angezeigte Versammlung und sprach insbesondere folgende Beschränkung aus:
2.3 Versammlungsort/Wegstrecke
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2.3.1 Der Auftakt- und Abschlusskundgebungsort sowie die Versammlungsstrecke werden wie unter Ziffer 1 beschrieben geändert. Folgendes wird festgelegt:
… (Südseite, auf der von der Polizei zugewiesenen Fläche; Auftaktkundgebung ca. 30 Minuten) – … – … – … – … – … (Abschlusskundgebung, ca. 15 Min.)
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Zur Begründung der Auflage 2.3.1 wird im Bescheid wörtlich Folgendes ausgeführt
„Die festgesetzte Wegstrecke beruht auf der im Kooperationsgespräch am 08. Mai 2025 vorgeschlagenen Wegstrecke durch den Stadtteil … mit Start/Ende am … und der im Kooperationsgespräch von der Anmelderin eingebrachten Änderung dieses Streckenvorschlags mit Start/Ende am … Die festgesetzte Strecke weicht gegenüber der von der Anmelderin im Kooperationsgespräch eingebrachten Änderungsstrecke um folgende Bereiche ab: Start/Ende am … statt … und Wegfall der Strecke zwischen … und der Kreuzung … (einfach ca. 850 m).
Diese Änderung des Auftakt-/Abschlusskundgebungsortes und der Wegstrecke beruht auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG. Grundsätzlich umfasst die Versammlungsfreiheit auch das Recht der Anmelderin, Ort, Streckenverlauf, Zeit und Häufigkeit ihrer Versammlung selber festlegen zu können. Versammlungsort und -strecke können als Beschränkungen abgeändert festgesetzt werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung durch den Versammlungsort und die Versammlungsstrecke unmittelbar gefährdet ist.
Die öffentliche Sicherheit und Ordnung umfasst neben der Unversehrtheit der Rechtsordnung unter anderem auch den Schutz der subjektiven Rechte bzw. Rechtsgüter Dritter wie z.B. die Gesundheit sowie das Ruhebedürfnis der Anwohner, die durch Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG geschützten wirtschaftlichen Interessen von betroffenen umliegenden Freiberuflern und Gewerbebetrieben sowie die Sicherheit und Leichtigkeit des Personen- und Fahrzeugverkehrs. Auch das durch Art. 8 Abs. 1 GG eingeräumte Selbstbestimmungsrecht über Versammlungsort und -strecke ist insofern durch den Schutz der Rechtsgüter Dritter und der Allgemeinheit begrenzt (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90; BayVGH, B.v. 17.10.2026 – 10 CS 16.1468).
Dies ist durch die seit Jahren fast jeden Montag in der Innenstadt stattfindenden Versammlungen, seit mehreren Monaten mit Start und Ende am …, gegeben. Durch diese örtliche Häufung, Regelmäßigkeit und Konzentration werden die Anwohner und Gewerbetreibenden am … und der … sowie Passanten, der Fahrzeug- und öffentliche Personennahverkehr unverhältnismäßig und übermäßigt beeinträchtigt, wie die Stellungnahme der Polizei eindrücklich verdeutlicht.
Die Veranstalterin führt seit 25. Oktober 2021 regelmäßig fortbewegende Versammlungen des … durch. Zumindest seit Montag, den 08.05.2023, finden diese sich fortbewegenden Versammlungen im Innenstadtbereich (* …, …, …, …, …, …, …*) statt. Die Teilnehmerzahl pendelte sich dabei zwischen 70 bis 110 Personen ein. Unter den Teilnehmenden befinden sich regelmäßig …-Mitglieder, amtsbekannte Reichsbürger und Mitglieder der lokalen Kleinstpartei „…“ (ehemals …*) sowie Personen aus der regionalen und überregionalen rechtsextremen Szene. Allein im Jahr 2024 fanden 56 von ihr angemeldete Versammlungen statt. Aufgrund der Inhalte der Kundgebungen und des sich optisch veränderten Teilnehmerkreises der Versammlungen ist seit Januar 2025 ein erhöhter Anstieg an Gegendemonstranten zu verzeichnen.
Seit Januar 2025 untermalen die Teilnehmenden der Versammlung des … ihre politische Gesinnung durch optische Merkmale, in dem sie Thor-Steinar-Artikel, die Marken Londsdale und Consdable sowie T-Shirts mit den Aufdrucken „Heimat und Vaterland“ und „Division Deutschland“ u.a. tragen. Einzelne Teilnehmer tragen auch szenetypische und strafrechtlich relevante Tätowierungen wie beispielsweise die Zahl „88“ und die „Odal-Rune“. Während der sich fortbewegenden Versammlungen erfolgen keine klassischen Redebeiträge. Vielmehr erfolgt die Meinungskundgabe alleinig durch provozierende Skandierungen wie „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“ oder „Remigration“. Am 26.04.2025 wurde zudem die Melodie von „L’amour toujours“ mit dem Songtext „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ angestimmt und gesungen. Der Song erlangte mediale Aufmerksamkeit, als er im Jahr 2024 von Studenten auf Sylt abgesungen wurde. Die Melodie findet seither in der rechtsextremen Szene sehr häufig Anwendung und erfüllt unter gewissen Begleitumständen den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 StGB (ein entsprechendes Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet).
Auch werden die opponierenden Teilnehmer durch das proaktive Zeigen einschlägig, historisch belastende Grußzeichen wie den White-Power-Gruß provoziert. Das martialische Auftreten der Ordner durch Kleidungsstil, aber auch durch das Bilden von Ketten zur Abschottung der Versammlung oder Ansprechen von in der Versammlung unerwünschten Personen erzeugt eine Drohkulisse.
Als Reaktion auf den öffentlich wahrnehmbaren „Rechtsruck“ des …, erhöhte sich die Anzahl der Gegendemonstranten spürbar. Zu den Versammlungen der Antragstellerin werden jeweils zwei Gegenversammlungen angemeldet, welche in ihrem Ablauf zulässig und nicht zu beanstanden sind. Unter den Teilnehmenden befinden sich jedoch auch zahlreiche Demonstranten, deren Ziel es ist, die Versammlungen durch Sitzblockaden zu stören. Die Anzahl der Gegendemonstranten stieg zuletzt auf ca. 400 bis 600 Personen an. Auch die Art und Weise der Blockadeversuche nahm im Laufe der Versammlungen an Aggressivität zu und erforderte den Einsatz unmittelbaren Zwangs, teilweise unter Einsatz von Pfefferspray und Einsatzstock. Auch die nahezu vollständige Vermummung der Blockierenden führt zur Beeinträchtigung des subjektiven Sicherheitsgefühls.
Die Veränderung des Einsatzgeschehens zeigt sich insbesondere ab Montag, den 20. Januar 2025, als erstmals Gegendemonstranten versuchten auf die Aufzugsstrecke zu gelangen. Dies verstärkte sich am 27. Januar 2025. Neben den mehrmaligen Versuchen auf die Aufzugsstrecke zu gelangen, liefen auch größere Gruppen neben oder hinter dem Aufzug des … her. Dabei war festzustellen, dass mehrere Personen der Gegendemonstrationen vermummt waren.
Am 03. Februar 2025 wuchs der Gegenprotest bereits auf 300 Personen an. Am … setzten sich vereinzelt Personen auf die Aufzugsstrecke. Aufgrund der Dynamik war der Verkehr ad hoc auf beiden Fahrspuren herauszunehmen, um Gefahren für die Gegendemonstranten sowie Polizeibeamten zu verhindern. Letztlich folgten dem Aufzug nahezu 200 Personen. Als die Versammlung die angemeldete Gegenkundgebung an der … passierte, äußerte sich die Veranstalterin wie folgt: „ich hab keinen Bock drauf, dass irgendein scheiß Kanacke meine Kinder anfasst“, „Schade, dass eure Mütter euch nicht abgetrieben haben“.
Auch am 17. Februar 2025 wurde der Aufzug von ca. 350 Personen beidseitig begleitet. Anfänglich stoppte daher die Veranstalterin ihren Aufzug, da sie erst weitergehe, wenn keine Gegendemonstranten ihren Aufzug begleiten. Nach Ansprache der Einsatzleitung ging der Aufzug weiter. Dabei wurde die Aufzugsstrecke zweimal von Gegendemonstranten blockiert.
Eine weitere Steigerung erfuhr das Einsatzgeschehen am 24. Februar 2025. Bereits kurz nach Beginn der sich fortbewegenden Versammlung blockierten zunächst fünf und wenige Meter weitere 14 Personen die … Richtung … Trotz mehrmaliger Aufforderung verließen sie die Aufzugsstrecke nicht und mussten durch Einsatzkräfte entfernt werden. Als sich der Aufzug wieder in Bewegung setzte und entlang des … verlief, kam es zu zwei weiteren Blockaden mit jeweils ca. 20 bis 25 Personen. Beide Blockaden konnten umlaufen werden. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen hatte die Verkehrspolizei den Verkehr auch auf der Gegenfahrspur herausgenommen. Aufgrund des erhöhten Gegenprotests und der mehrmaligen Blockaden erfolgte in Absprache mit der Antragstellerin eine Änderung der Wegstrecke. Zudem wurden weitere Kräfte aus einem vorherigen Einsatz bei einer anderen … Dienststelle zur Unterstützung angefordert, um eine Trennung und Schutz der Versammlungsteilnehmer aller Versammlungen und Dritter gewährleisten zu können. Eine weitere Blockade der Aufzugsstrecke erfolgte so dann in der … auf Höhe des … Der Aufzug wurde daher umgeleitet in die … In dieser kam es zu einer größeren Blockade mit ca. 40 bis 50 Personen, die als Versammlung gewertet wurde. Aufgrund dessen, dass nahezu alle Teilnehmenden vermummt waren, wurde dieser Verstoß geahndet. Der Aufzug musste erneut über das … in die … umgeleitet werden. Hier erfolgte eine erneute Blockade mit ca. 150 Personen. Letztlich konnte der Aufzug über die … – … – … – zum Schlusskundgebungsort zurückgeleitet werden. Zuvor hatten weitere 70 bis 80 Personen versucht, im Bereich vor der … eine Blockade mittels Tischen und Stühlen der dortigen Obststände zu errichten. Dies konnte jedoch unterbunden werden.
Am 10. März 2025 und am 17. März 2025 bot sich erneut das Bild, dass die Gegendemonstranten in Kleingruppen versuchten den Aufzug zu blockieren. Dabei war die Mehrzahl der Versammlungsteilnehmer vermummt. Weiter wurde an beiden Versammlungstagen Pyrotechnik abgebrannt. … als Veranstalterin verwendete nahezu durchgehend die „Heulfunktion“ ihres Megaphons als Provokation.
Neben den jeden Montag stattfindenden Versammlungen meldete das … im Rahmen eines deutschlandweiten Aufrufs „Gemeinsam für Deutschland“ auch am Samstag, den 22. März 2025, an. Daraufhin versammelten sich 400 bis 500 Personen mit einer Aufzugsstrecke durch die Innenstadt. Auch an den Gegendemonstrationen nahmen mehr als 500 Personen teil. Wie an den Montagen lösten sich Demonstranten aus den Gegendemonstrationen und versuchten die Strecke der sich fortbewegenden Versammlung zu blockieren. Insbesondere im Bereich der … / … versammelten sich ca. 400 Personen, die teilweise auf der Wegstrecke saßen oder mittels Polizeikette aufgestoppt werden mussten.
Eine weitere Eskalationsstufe erfolgte am 31. März 2025. Erneut blockierten Gegendemonstranten die Aufzugsstrecke. Hierbei konnte der Aufzug durch minimale Streckenänderungen störungsfrei fortgesetzt werden. Als sich der Aufzug bereits der Schusskundgebungsörtlichkeit näherte, gelang es 40 Personen auf diese zu gelangen und sich um das Fahrzeug der Antragstellerin zu setzen. Dadurch verhinderten sie, dass die Versammlungsörtlichkeit und die Lautsprecherboxen genutzt werden konnten. Trotz mehrfacher Aufforderung mittels Lautsprecherdurchsagen entfernten sich die Teilnehmenden nicht und mussten letztlich mittels unmittelbaren Zwangs vom Auto entfernt werden. Da dies einige Zeit in Anspruch nahm und bereits die Versammlungszeit weit überschritten war, wurde die Antragstellerin gebeten, ihre Abschlusskundgebung abzuhalten und die Versammlung zu beenden. Letztlich folgte sie dieser Bitte, um dann jedoch mit ihren Teilnehmenden als Versammlung zu verbleiben und ihre Abschlusskundgebung am ursprünglichen Ort nochmals durchzuführen. Aufforderungen der Polizei kamen sie nicht nach. Auch das Versammlungsgeschehen im April erfuhr keine Entspannung. Erneut meldete das … Versammlungen im Innenstadtbereich an. Auch am 07. April 2025 blockierten die Gegendemonstranten kurz vor Wiedereintreffen der Versammlung des … die Aufzugsstrecke in der … Diese Blockaden waren ebenfalls als Versammlung zu werten. Um die Versammlung des … zur Fläche für die Abschlusskundgebung zu bringen und die Abarbeitung der demonstrativen Blockade mehr als 30 Minuten in Anspruch nimmt, wurde der Versammlungsleiterin eine alternative Strecke vorgeschlagen. Dies verweigerte sie. Ihr Aufzug verblieb damit auf Höhe des … in der … Somit wirkte sich dies ebenfalls entsprechend auf den Verkehr aus. Nachdem der Aufzug weiterlaufen konnte, stieß ein Gegendemonstrant die Boxen der Versammlung des … um. Eine weitere Steigerung der gegenseitigen Aggressivität zeigte sich im Nachgang der Versammlungen, als Personen aus beiden Versammlungen in der … aufeinandertrafen (Hauptaggressor: rechts). Entsprechende Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet.
Auch am darauffolgenden Montag, den 14. April 2025, verschärfte sich das Versammlungsgeschehen erneut. Auch diesmal wurde eine Wegstrecke durch die Innenstadt und das sog. … angemeldet. Dabei war der Veranstalterin bekannt, dass in diesem Viertel Personen, die die Meinungen der Gegendemonstranten vertreten, wohnhaft sind und auch ein Café, das von diesen aufgesucht wird, liegt. Aufgrund dessen, dass … auch bei Versammlungen der linken Szene sowie queerer Versammlungen oder Pro-Palästina-Versammlungen durch Provokationen auffiel, kann diese Streckenwahl als Provokation verstanden werden. Bereits auf dem Weg zur Versammlung wurden bei zwei Teilnehmern der Versammlung … Passivbewaffnung (z. B. Sturmhauben, Springerstiefel) sichergestellt. Mit Betreten des … kam es zur ersten Blockade der Gegendemonstranten (* …*). Festzustellen war zudem, dass mehrere kleinere Blockaden auch im weiteren Verlauf der … erfolgen werden. Daher wurde nach langem Austausch eine Wegänderung mit der Veranstalterin vereinbart. Nach Auflösung der Blockade wurde der Aufzug somit durch die … geführt. In der … kam es so dann zu einer weiteren Sitzblockade. Zudem hatten sich ca. 300 Personen im Kreuzungsbereich eingefunden. Erneut wurde mit … Kontakt aufgenommen. Erst nach langer Diskussion stimmte diese einer Änderung der Wegstrecke zu.
Nach einem mittlerweile anhaltenden aggressiven Versammlungsverlauf an den jeweiligen Montagen, trafen im Nachgang der Versammlungen am 21. April 2025 im Bereich … linke und rechte Teilnehmer aufeinander (Hauptaggressor: Links). Auch diesbezüglich wurden entsprechende Ermittlungsverfahren eingeleitet. Aufgrund dieses Zusammentreffens zeigen Videoaufnahmen wie Unbeteiligte fluchtartig die UBahn verlassen.
Die nächste Eskalation erfolgte am Samstag, den 26. April 2025. Auch hier bestand die Veranstalterin trotz des sehr hohen Besucheraufkommens in der Innenstadt (schönes Wetter, letzter Samstag der Osterferien) auf eine Wegstrecke durch die Innenstadt mit erwarteten 500 Teilnehmern. Im Rahmen des Kooperationsgesprächs ließ sie sich jedoch darauf ein, auf die meisten Haupteinkaufsstraßen zu verzichten. Mit Beginn des Aufzuges auf der … in Richtung …, konnte bereits festgestellt werden, dass sich wetterbedingt viele Passanten, Einkaufende, Touristen und Familien in der Innenstadt aufhielten. Unter der Vielzahl unbeteiligter Dritter befanden sich auch Opponierende, die ihre gegensätzliche Meinung äußerten. Als der Aufzug die … erreichte, musste der Aufzug gestoppt werden, da die … durch ca. 100 Personen blockiert wurde. Nach Rücksprache mit den Kräften vor Ort, war ein Durchkommen und ein zeitgemäßes Abarbeiten der Blockade nicht möglich. Daher sollte der Aufzug über die … auf die ursprüngliche Versammlungsstrecke geleitet werden. Dieser Änderung stimmte die Versammlungsleiterin nur unter Protest zu. Bis der Aufzug an der … ankam, war auch diese durch eine größere Sitzblockade blockiert. Darüber hinaus wurden mit Hilfe einer Polizeikette weitere Gegendemonstranten im dreistelligen Bereich zurückgehalten. Zu diesem Zeitpunkt liefen weitere Gegendemonstranten (ca. 100 Personen) hinter dem Aufzug her. Einer weiteren Änderung der Aufzugsstrecke stimmte die Versammlungsleiterin nicht zu, so dass ihre Aufzugsstrecke beschränkt wurde. Erneut kam es abseits des Versammlungsgeschehens zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen Teilnehmern der unterschiedlichen Versammlungen. Bei diesem Einsatz wurden acht Polizeibeamte verletzt. Davon vier durch die Einwirkung von Störern und vier bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs.
Um dafür sorgen zu können, dass das … ihre Versammlungen durchführen und die Gegendemonstranten ihren Protest den Teilnehmern der Ausgangsveranstaltung zur Kenntnis bringen können und gleichzeitig die Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwehren, sind seit Januar eine hohe Anzahl an Kräften der PI …, der PI Zentrale Einsatzdienste, der Verkehrspolizei, der Kriminalpolizei, der Pressestelle und der Bereitschaftspolizei im Einsatz. Das derzeitige Versammlungsgeschehen jeden Montag in der Innenstadt ist mit Blick auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht mehr tragbar. Dies zeigt auch der Anstieg der Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren im Zusammenhang mit den durchgeführten Versammlungen. Gegenwärtig werden bereits über 130 Vorgänge bearbeitet. Darunter Körperverletzungsdelikte, Widerstände und Verstöße nach dem VersG (Vermummung, Passivbewaffnung, Beschränkungsverstöße). Durch die seit mehr als einem Jahr nahezu jeden Montag durchgeführten Versammlungen der Veranstalterin sind die Rechte Dritter beeinträchtigt. Einzubeziehen sind auch die von der Veranstalterin nicht beabsichtigte, aber unvermeidbare Auswirkungen ihrer Versammlungen wie Verkehrsumleitungen, Sicherheitsabsperrungen und ein erhöhter Lärmpegel. Seit zwei Jahren wählt die Antragstellerin eine Wegstrecke durch die Innenstadt … und vereinzelt durch „Alternative Viertel“ im Nahbereich. Als Ausgangs- und Endpunkt findet meist der … Verwendung. Die Innenstadt … ist aufgrund seiner Geschichte, der mittelalterlichen Bauten und der Vielzahl an Geschäften und Cafés ein Anziehungspunkt für Touristen, Passanten, Familien und Einkaufende. Andererseits ist die Innenstadt auch ein Magnet für eine Vielzahl an Versammlungen. Allein im Jahr 2024 fanden insgesamt 715 Versammlungen im Innenstadtbereich statt. Die von der Antragstellerin gewünschte montagliche Strecke ist damit stets intensiv genutzt, so dass sich die Be- und Überlastung dieser Orte mit beeinträchtigten Auswirkungen sämtlicher Nutzungen als Gesichtspunkt darstellt, der im Rahmen der Interessenabwägung zugunsten der belasteten Dritten zu würdigen ist. Allein aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung steht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass wöchentliche Versammlungen, die häufig Gegendemonstrationen auslösen, in einer stark frequentierten innerstädtischen Lage für Anlieger und Passanten erhebliche Beeinträchtigung mit sich bringen. Allein infolge der politischen Auseinandersetzung, der notwendigen Polizeipräsenz, des Lärms und des beeinträchtigten Zugangs zu Verkehrsmitteln und Gebäuden entsteht ein Klima, in dem viele Passanten und Kunden es vorziehen, nicht am Ort zu verweilen oder von vornherein den Ort zu meiden. Schon aufgrund der rein körperlichen Inanspruchnahme des öffentlichen Raums durch Demonstranten und Polizei können Straßen, Plätze und Zugänge von Passanten, Touristen etc. nicht wie sonst genutzt werden. Auch steht fest, dass durch das Versammlungsgeschehen nicht unerheblicher Lärm verursacht werde. Dies zeigen insbesondere die oben dargestellten Verlaufsberichte. Aufgrund der aggressiven Stimmung zwischen den Teilnehmenden der Versammlung … und den Gegendemonstranten, die sich von Beginn an gegenseitig lautstark beschimpfen, teilweise mit umgedrehten Lautsprechern (* …*) beschallen und beidseitig nahezu durchgängig Trommeln, entsteht bereits ein Bild, dass das subjektive Sicherheitsgefühl Dritter massiv beeinträchtigt. [Beschwerden von Anwohnern, Gewerbetreibende etc.] Insbesondere der hohe polizeiliche Kräfteansatz um die Versammlungsfreiheit aller Versammlungen zu schützen und Sicherheit zu gewährleisten, führt zu einer Beeinträchtigung Dritter und einem entsprechenden Vermeidungsverhalten. Um eine Trennung der beiden Versammlungen zu ermöglichen, ist zudem häufig eine Polizeikette und unmittelbarer Zwang von Nöten. Das zumindest verbal aggressive Zusammentreffen der Versammlungen, die demonstrativen Blockaden und die durchgängige Trennung der Teilnehmenden während des gesamten Versammlungsverlauf durch Polizeikräfte, ist in den engen und sehr stark frequentierten Innenstadt- und Fußgängerzonenbereichen nicht gefahrlos für Unbeteiligte. Dies zeigt ein Schreiben, welches beim Polizeipräsidium … einging, in welchem ein Passant mitteilt mit Blick auf das Einsatzgeschehen am 26. April 2025 die Innenstadtbereich verlassen zu haben. Mit Blick auf die Sommermonate ist mit einer noch höheren Frequentierung aufgrund der ansässigen Gastronomie zu rechnen. Zudem sind sowohl bei der Auftakt- als auch Schlusskundgebung des … und bei den Zwischenkundgebungen der Gegendemonstrationen Sperrgitterkonzepte notwendig. Der vorzeigte Aufbau dieser, führt bereits dazu, dass dieser öffentliche Raum für unbeteiligte Dritte nicht mehr vollumfänglich nutzbar ist.
Aufgrund der häufig gewählten Strecken über den …, die …, die … sind jeden Montag polizeiliche Absperr- und Sicherungsmaßnahmen des Verkehrs notwendig. Diese intensivierten sich mit Zunahme des Gegenprotests, da der Verkehr nunmehr großräumig herausgenommen werden muss (Gegenfahrspuren), um eine Gefährdung der Demonstranten und der Einsatzkräfte auszuschließen. Diese weiträumigen Verkehrsmaßnahmen, insbesondere im Bereich des … bis zum …, führten dabei zu massiven Einschränkungen und Behinderungen des Fahrzeugverkehrs. Neben dem Automobilverkehr wird dieser Bereich von Straßenbahnen und Stadtbussen genutzt. Die weitreichenden Verkehrsmaßnahmen verursachten damit auch erhebliche Einschränkungen im öffentlichen Personennahverkehr.“
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Da die Versammlung des sog. „…“ mittlerweile ein solcher Aufhänger für Gegenprotest geworden ist, sind immer umfangreichere Maßnahmen der Polizei zum Schutz aller Versammlungen nötig. Es werden eine Vielzahl an Gittern aufgebaut, um die Versammlungen trennen zu können; am Kundgebungsort muss ebenso eine Vielzahl an Polizeifahrzeugen abgestellt werden, um den Einsatz möglichst ohne Verzögerungen und reibungslos abwickeln zu können. Diese Einsatzmittel schränken teilweise die Zugangsmöglichkeiten zu Gebäuden, auch zu Geschäften ein. Zwar ist es Passanten möglich, die Geschäfte zu betreten, jedoch wurde in den letzten Wochen vermehrt von Geschäftstreibenden und auch von Bürgern von einer abschreckenden Wirkung der Einsatzmaßnahmen gesprochen. Dies hat zur Folge, dass Geschäftstreibende unmittelbar und unverhältnismäßig in ihrem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingeschränkt werden, wenn weniger Kunden zu ihnen kommen, weil die Hürden bis zum Eingang von Geschäften zu gelangen durch die Gesamteinsatz zu hoch sind. Die Platzverhältnisse auf dem … lassen auch keinen anderen Aufbau der Einsatzmaßnahmen zu, da auch Gegenversammlungen in Sicht- und Hörweite platziert werden müssen. Die unverhältnismäßige und übermäßige Beeinträchtigung des … und der Innenstadt wird auch durch die zahlreichen Beschwerden) von Anwohnern, Gewerbetreibenden und anderen Bürgern über die regelmäßigen Versammlungen verdeutlicht (mind. 50 schriftliche Beschwerden und zahlreiche nicht dokumentierte Anrufe im April und Mai.
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Der Verlauf zeigt, dass es bei der Versammlung am 12. Mai 2025 am … und entlang der Versammlungsstrecke zu den gleichen Auswirkungen und Beeinträchtigungen kommen wird. Angemeldet sind bereits drei Gegenversammlungen.
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Maßnahmen zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sind gegen den Störer zu richten. Dies sind zum einen die Personen, die die Versammlung von … versuchen zu blockieren. Gegen diese Personen und unangemeldete Versammlungen erlässt die Polizei die rechtlich vorgesehenen Beschränkungen bis hin zur Auflösung der Versammlung und Entfernung der Personen. Die seit mehreren Jahren fast wöchentlich stattfindenden Versammlungen in der Innenstadt und vor allem am … rechtfertigen, dass die Versammlung von … als Zweckveranlasser und damit als Störer und Adressat von Beschränkungen eingestuft werden kann. Zweckveranlasser ist, wer durch sein an sich rechtmäßiges Verhalten eine Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung hervorruft. Dann ist er als mittelbarer Verursacher selbst Störer.
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Bei einer Kollision des Versammlungsrechts der Anmelderin und entgegenstehenden Rechten Dritter müssen die Rechte in einem verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden. Der Anmelderin wurde bereits beim Kooperationsgespräch zur Versammlung am 21. April 2025 erläutert, dass deshalb beabsichtigt ist, die Versammlungen wechselnd an unterschiedlichen Orten/Strecken im Stadtgebiet, auch unter Einbindung der Innenstadt, stattfinden zu lassen, ggf. auch im Wechsel mit stationären und sich fortbewegenden Versammlungen. Nachdem die Versammlungen am 26. April und 05. Mai 2025 an unterschiedlichen Orten innerhalb der Innenstadt stattgefunden haben, wird nun eine Versammlung außerhalb der Innenstadt als verhältnismäßige Dekonzentration festgesetzt. In weiteren Kooperationsgesprächen mit der Anmelderin soll der Wechsel von Orten/Strecken im Stadtgebiet, auch unter Einbeziehung der Innenstadt weiter abgestimmt werden.
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Die Beschränkung dieser Versammlung ist Teil eines Gesamtkonzepts, mit dem die Versammlungsbehörde nun versucht, die Situation zu befrieden, indem die Versammlungen (Kundgebungsorte und Wegstrecken) im wöchentlichen Wechsel in verschiedenen Stadtgebieten einschließlich Innenstadt stattfinden. Bei der nun erstmaligen Verlegung aus der Innenstadt heraus wurde eine Änderung vorgeschlagen und festgesetzt, die eine möglichst geringe Abweichung von der angemeldeten und im Kooperationsgespräch vorgeschlagenen Strecke beinhaltet, nahe an der Innenstadt ist und auch eine hohe Sichtbarkeit für die Öffentlichkeit gewährleistet. Die verbeschiedene Versammlungsstrecke entspricht dem, was die Veranstalterin sich vorstellen kann und deckt Punkte ab, die ihr wichtig sind (v.a. Publikumsverkehr) ab. Start/Ende ist unmittelbar am Südausgang des … und entlang der Strecke befindet sich durchgehend Wohnbebauung und zahlreiche Geschäfte. Zudem ist berücksichtigt, dass die Veranstalterin in der Vergangenheit äußerte, keine rein stationäre Versammlung abhalten zu wollen, sondern dass sie vor durch den Aufzug die Öffentlichkeit erreichen möchte. Im Hinblick auf die Streckenlänge bleibt zu vermerken, dass auch eine Verlängerung möglich ist, z.B. um den vom Ordnungsamt vorgeschlagenen östlichen Streckenabschnitt.
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Beim … und beim Weg über die … in Richtung Südstadt würde in der belebten Fußgängerzone der … und am … wieder umfangreiche Maßnahmen der Polizei nötig sein, um das gesamte Versammlungsgeschehen sicher gewährleisten zu können, die wiederum die ständigen Beeinträchtigungen der dortigen Anwohner, Gewerbetreibenden und Passanten sowie des Verkehrsknotenpunktes am … zur Folge hätte.
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Die Beschränkungen sind unter Berücksichtigung der kollidierenden Rechtsgüter bzw. Rechte Dritter verhältnismäßig. Bei der angemeldeten Versammlung und der mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Gefahrenlage sind die über einen langen Zeitraum fast wöchentlich erfolgten Beeinträchtigungen und Gefährdungen von Gewerbetreibenden, Anwohnern, Verkehrsteilnehmern und Passanten im Innenstadtbereich höher einzustufen als das Selbstbestimmungsrecht der Veranstalterin zur Aufzugsroute. Die Zumal die Änderung der Versammlungsstrecke und der Auftakt- und Abschlusskundgebungsörtlichkeit die Versammlung der Veranstalterin weder inhaltlich noch in deren Ausführung einschränkt und es sich um die erstmalige handelt und gegenüber der Anmelderin auch keine dauerhafte Verlegungsabsicht geäußert worden ist. Weiter hat die ursprünglich geplante Route auch keinen spezifischen Bezug zu den Örtlichkeiten innerhalb der Innenstadt. Bei den vorgeschlagenen Routen handelt es sich zudem um immer noch innenstadtnahe Routen, die zwar weniger aber immer noch ausreichend Publikumsverkehr und Außenwirksamkeit bieten.
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3. Die Antragstellerin lässt am 9. Mai 2025 Klage erheben, soweit in Ziffer 1 und Ziffer 2.3.1 der Auftakt und Abschlusskundgebungsort sowie die Versammlungsstrecke durch die Beklagte abweichend festgelegt wurde, und zugleich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes sinngemäß beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Beschränkungsbescheid der Antragsgegnerin vom 9. Mai 2025 wird angeordnet.
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Zur Antragsbegründung wird im Kern vorgetragen, dass die Gefahrenprognose die streitgegenständlichen Beschränkungen nicht trage. Die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ergebe sich nicht unmittelbar durch die Versammlung der Antragstellerin, sondern sei durch das Verhalten von Gegendemonstranten bedingt, wie sich zum einen der Stellungnahme der Polizei und ergänzend auch den offiziellen Polizeiberichten zu den vergangenen Versammlungsgeschehen entnehmen lasse. Insoweit werde auszugsweise auf die im Internet verfügbaren Polizeiberichte zum Versammlungsgeschehen verwiesen.
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Bei einer von der Versammlungsanzeige abweichenden Bestimmung der Versammlungsörtlichkeiten sei zu prüfen, ob diese sich schon als (Teil-)Verbot der Versammlung oder noch als Auflage erweist. Werde durch eine solche Bestimmung der spezifische Charakter der Versammlung so verändert, dass die Verwirklichung des besonderen kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert werde, komme die Bestimmung einem Verbot nahe (vgl. BVerfG, B.v. 6.6.2007 – 1 BvR 1423/07 – juris Rn. 20). Liege der abweichend festgelegte Versammlungsort in unmittelbarer Nähe zum angemeldeten Versammlungsort, sei von einer Auflage auszugehen. Liege dieser jedoch außerhalb des angemeldeten Versammlungsortes, verändere sich dadurch zu wesentlichen Teilen der Charakter der Versammlung, weshalb, wie vorliegend, eine solche Verlegung als Teilverbot einzustufen sei. Die Versammlung der Antragstellerin solle vorliegend gänzlich aus dem Innenstadtbereich verbannt werden. Dies entspreche auch dem Anliegen von Vertretern der der linksgerichteten Gegendemonstranten, was über Vertreter der … zuletzt auch so an die Antragsgegnerin kommuniziert worden sei.
18
Die Stellungnahme habe eine Schlagseite zulasten der Antragstellerin, die sich so in den offiziellen Polizeiberichten nicht wiederfinde. So kam es nach dem offiziellen Polizeibericht zur Versammlung vom 7. April zu Angriffen von Gegenprotestierenden auf Teilnehmer der Versammlung „rechts“, während die politische Stellungnahme die Versammlung als Hauptaggressor bezeichnet habe.
19
Die Antragsgegnerin führe, scheinbar im Einklang mit der Polizei, aus, dass die Strecke stets intensiv genutzt werde, was als Be- und Überlastung dieser Orte im Rahmen der Interessensabwägung zu würdigen sei. Dabei verkenne sie den Umstand, dass der … zwar im Wesentlichen Start- und Endpunkt der Versammlungen gewesen sei, die Demonstrationsstrecke jedoch regelmäßig variiere. Die Antragsgegnerin unterschlage ferner, dass die Versammlungen zuletzt unterschiedliche Orte in der Innenstadt als Start- und Endpunkt genutzt hätten, insbesondere die …, den …, den … sowie den … Die Antragstellerin habe sich auf den … konzentriert, da dieser am einfachsten abzusichern sei. Auf solche Ausweichorte habe die Antragsgegnerin nicht verwiesen. Ihr erklärtes Ziel sei es, die Versammlungen der Antragstellerin aus dem Innenstadtbereich zu drängen.
20
Soweit die Antragsgegnerin in Übereinstimmung mit der Polizei zu den bisherigen Versammlungsverläufen mit verbalen Auseinandersetzungen, demonstrativen Blockaden und Trennung der Teilnehmenden voneinander, zu dem erforderlichen Sperrgitterkonzept und den damit verbundenen Einschränkungen im öffentlichen Raum ausführe, werde deutlich, dass eine einseitige Abwägung zugunsten der Gegendemonstranten vorgenommen werde. Die Gegendemonstranten hätten keineswegs einen unbedingten Anspruch auf die Gegenversammlung in Sicht- und Hörweite. Dies gelte insbesondere dann nicht, wenn, wie vorliegend, diese Gegendemonstrationen regelmäßig dazu genutzt würden, um Straftaten in Form von Straßenblockaden zu begehen bzw. diesen die notwendige Vorbereitung und Deckung hierzu zur Verfügung stellen. Dies werde vorliegend auch daran deutlich, dass die Veranstalter der Gegendemonstration sich nicht von gewalttätigen Aktionen und rechtswidrigen Blockaden distanzierten. Ganz im Gegenteil werde nach Mitteilung des Bayerischen Rundfunks zur Demonstration vom 27. April 2025 ausdrücklich zu Blockadeaktionen aufgerufen. Die Trennung der Versammlungen, insbesondere die Verlagerung der Gegendemonstrationen auf andere Gebiete der Innenstadt, würde zu einer erheblichen Entschärfung des Gefahrenpotentials führen und auch die Einschränkungen für unbeteiligte Dritte erheblich absenken sowie zudem die Gefahr nötigender Blockaden erheblich abmildern.
21
Die Antragsgegnerin verkenne, dass die Antragstellerin in nicht zu beanstandender Weise von ihrem Versammlungsrecht aus Art. 8 GG Gebrauch mache. Sie sei nicht als Störerin oder „Zweckveranlasserin“ in Anspruch zu nehmen, denn sie bezwecke es nicht, dass andere Personen ihr die Grundrechtsausübung des Art. 8 GG absprächen oder erschwerten. Da die Gegendemonstranten dies täten, sei die Antragstellerin erkennbar nicht Störerin, sondern als Nichtstörerin zu behandeln. Vielmehr seien die Teilnehmer der Gegendemonstrationen Störer, die sich schon nach ihrer gegen das Grundrecht der Antragstellerin auf Versammlungsfreiheit stellten. Der Rückgriff auf die Antragstellerin als Nichtstörerin sei nur in Ausnahmefällen zulässig, wenn ein Zugriff auf Störer nicht möglich sei. Vorliegend hätten sich Maßnahmen vorrangig gegen die Gegendemonstrationen zu richten.
22
Die Antragsgegnerin verkenne, dass strategische Blockaden, deren primärer Zweck das zwangsweise Durchsetzung eigener Forderungen sei, regelmäßig keine durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlungen seien (vgl. VG Kassel, U.v. 12.10.2022 – 6 K 1915/19.KS). Während demonstrative Blockaden zulässig seien, dürften diese jedoch nicht Selbstzweck werden, sondern müssten ein dem Kommunikationsanliegen untergeordnetes Mittel zur symbolischen Unterstützung des Protests und damit zur Verstärkung der kommunikativen Wirkung in der Öffentlichkeit sein (BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u.a. – juris Rn. 39 und 42). Strategische Blockaden, mit denen nicht nur kurzfristig symbolisch Protest ausgedrückt werden solle, sondern deren primärer Zweck es sei, eigene Forderungen zwangsweise durchzusetzen, die Rechte Dritter gezielt zu beeinträchtigen oder das, was -wie etwa eine andere Versammlung – mpolitisch missbilligt werde, tatsächlich zu stören oder zu verhindern, seien keine geschützten Versammlungen (sog. „Verhinderungsblockade“; vgl. VGH BW, U.v. 06.11.2013 -1 S 1640/12 – juris Rn. 51). So liege die Sachlage auch hier, da die Gegendemonstrationen jeweils als Sammelpunkt genutzt würden, um aus diesen heraus unter Wohlwollen der übrigen Gegendemonstranten, Blockadeaktionen und Angriffe gegen die Versammlungen der Antragstellerin auszuführen. Den hieraus sich ergebenden Anforderungen könne die Antragsgegnerin begegnen, indem eine örtliche Trennung der jeweiligen Versammlungen vorgenommen werde. Dadurch werde es den Gegendemonstranten zwar möglicherweise nicht mehr möglich, in Hör- und Sichtweite zu demonstrieren. Diese Einschränkung sei jedoch Ausfluss des bisherigen Missbrauchs der Versammlungsfreiheit durch Blockadeaktionen zum Nachteil der Antragstellerin. Zudem bleibe den Gegendemonstranten das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit im Übrigen erhalten, sodass sie in ausreichender örtlicher Trennung ihr Anliegen nach außen tragen könnten. Auch sei der Bereich der Innenstadt groß genug, um eine solche örtliche Trennung herzustellen.
23
Soweit die Antragsgegnerin und die Polizei auf fehlende polizeiliche Kräfte bzw. deren starke Inanspruchnahme abstellen, verkenne diese, dass es Sache der Polizei wäre, im Bedarfsfall externe Kräfte heranzuziehen, was nach Kenntnis bisher nicht geschehen sei. Insoweit sei auch festzustellen, dass die Polizeikräfte bei jeweiligen Blockadesituationen nicht, wie behauptet, gegen die Blockaden vorgehen. Vielmehr sei durch vielfältige Videoaufzeichnungen dokumentiert, dass auch kleine Blockaden von ca. fünf bis zehn Personen über eine erhebliche Zeit hinweg durch die Polizeikräfte geduldet und lediglich zögerlich aufgelöst werden. Dies dürfte die Gegendemonstranten radikalisieren und zu Blockaden ermutigen.
24
Die Beschränkungen seien ermessensfehlerhaft, das Gewicht der Grundrechte der Antragstellerin sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Vielmehr habe die Antragsgegnerin einseitig das Anliegen von Gegendemonstranten und von Dritten in den Mittelpunkt gestellt. Das in „§ 15 Abs. 1 VersG“ eingeräumte Ermessen sei unter nahezu vollständiger Ausblendung der Versammlungsfreiheit der Antragstellerin ausgeübt worden, die Ausführungen hierzu erschöpften sich ein einer „Leerfloskel“, eine Ermessensentscheidung sei getroffen worden und die gegenständlichen Auflagen seien verhältnismäßig.
25
Milderes Mittel sei die Verlegung auf einen anderen Platz im Innenstadtbereich, namentlich den Platz an der …, den …, den …, den …, den … oder den … Auch in diesem Fall wäre eine Entlastung des … eingetreten. Die Antragsgegnerin bestehe jedoch ausdrücklich darauf, die Antragstellerin im Einklang mit den Forderungen der Gegendemonstranten aus dem Innenstadtbereich zu verdrängen, weshalb die Option im Kooperationsgespräch nicht näher thematisiert oder erwogen worden sei.
26
4. Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 12. Mai 2025:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsgegner übermittelt eine Stellungnahme ihres „Stabs Innenstadt“ zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Versammlungstätigkeit. Auf den Inhalt des Vorbringens wird verwiesen.
27
5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtssowie auf die vorab übermittelte Behördenakte Bezug genommen.
II.
28
A.  Aufgrund des anwaltlichen Gesamtvortrags versteht das Gericht den Eilantrag so (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO), dass die Antragstellerin die Suspendierung von Ziffer 1 und Ziffer 2.3.1 hinsichtlich der örtlichen Beschränkungen des streitgegenständlichen Bescheides verfolgt, da zwischen den Parteien allein die Wegstrecke umstritten ist.
29
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffern 1 sowie 2.3.1 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 9. Mai 2025 hat in der Sache Erfolg.
30
1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht in den Fällen, in denen gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage kraft Gesetzes - wie vorliegend gemäß Art. 25 BayVersG – entfällt, diese ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Ermessensentscheidung, bei der es zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts und dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage abwägt. Wesentliches – aber nicht alleiniges – Kriterium für die Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Ergibt die im Eilverfahren allein mögliche und gebotene summarische Prüfung, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich Erfolg hat, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, denn an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann kein öffentliches Interesse bestehen (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 Alt. 1 VwGO). Erweist sich der Verwaltungsakt hingegen als voraussichtlich rechtmäßig und das Hauptsacheverfahren damit als voraussichtlich erfolglos, überwiegt das öffentliche Vollziehungsinteresse, dem der Gesetzgeber in Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO generell den Vorrang eingeräumt hat, wenn nicht ausnahmsweise besondere Umstände des Einzelfalls eine abweichende Entscheidung rechtfertigen (vgl. zu allem BayVGH, B.v. 23.2.2012 – 14 CS 11.2837 – juris Rn. 38; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 146, 152 f., 158 f.).
31
2. Die im Rahmen des Eilverfahrens gebotene und auch ausreichende summarische Prüfung ergibt vorliegend, dass das Suspensivinteresse der Antragstellerin dem öffentlichen Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin überwiegt.
32
a) Die Antragstellerin kann sich für die von ihr geplante Veranstaltung auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) berufen. Dieses wird vom Bundesverfassungsgericht als „schlechterdings konstitutiv für die Demokratie“ gesehen. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Versammlungen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Als Abwehrrecht gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG bzw. Art. 113 BV den Grundrechtsträgern daher auch ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung. Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können (zum Ganzen: BVerfG, U.v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06 – BVerfGE 128, 226 – juris Rn. 63 f. m.w.N.).
33
Die inmitten stehende Beschränkung findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 15 Abs. 1 BayVersG.
34
Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst neben dem Schutz der subjektiven Rechte bzw. Rechtsgüter Dritter, wie z.B. die Gesundheit, die Unversehrtheit der gesamten Rechtsordnung und damit auch die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften, die die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs einschließlich des Fußgängerverkehrs regeln, und die in diesem Zusammenhang wiederum auch die betroffenen Rechte Dritter. Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit dem Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, ist – wie auch sonst – eine Abwägung der betroffenen Positionen zur Herstellung praktischer Konkordanz erforderlich. Dabei sind die kollidierenden Positionen so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfG, B.v. 11.4.2018 – 1 BvR 3080/09 – juris; BayVGH, B.v. 7.9.2021 – 10 CS 21.2282 – juris Rn. 31; B.v. 13.11.2020 – 10 CS 20.2655 – juris Rn. 22; B.v. 17.10.2016 – 10 CS 16.1468 – juris Rn. 26; B.v. 28.6.2013 – 10 CS 13.1356 – juris Rn. 4).
35
Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde allerdings bei dem Erlass von Beschränkungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für eine Beschränkung liegt grundsätzlich bei der Behörde (BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17; BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 26).
36
Dabei ist auch in den Blick zu nehmen, dass die Versammlungsfreiheit nicht nur das gewählte Thema der Veranstaltung, sondern auch die Entscheidung des Veranstalters umfasst, welche Maßnahmen er zur Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit für sein Anliegen einsetzen will (BVerfG, B.v. 5.9.2003 – 1 BvQ 32/03 – juris Rn. 22; BVerwG, U.v. 16.5.2007 – 6 C 23.06 – juris Rn. 15). Die Versammlungsfreiheit gewährleistet das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll, und damit ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (BVerfG, B.v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 16; U.v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06 – juris Rn. 64; B.v. 14.5.1985 - 1 BvR 233/81 – juris Rn. 61). Das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters ist aber beschränkt, soweit durch die geplante Versammlung Rechtsgüter Dritter beeinträchtigt zu werden drohen. Hinsichtlich der Modalitäten der Durchführung einer Versammlung ergeben sich die Grenzen der Versammlungsfreiheit aus Art. 15 BayVersG (BayVGH, B.v. 24.2.2017 -10 ZB 15.1803 – juris Rn. 10; BVerfG, B.v. 5.9.2003 – 1 BvQ 32/03 – juris Rn. 22). Für die Herstellung praktischer Konkordanz ist eine Abwägung der betroffenen Positionen erforderlich. Dabei sind die kollidierenden Positionen so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris Rn. 16). Wichtige Abwägungselemente sind dabei unter anderem die Dauer und Intensität der Versammlung, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit der blockierten Tätigkeiten Dritter, aber auch der Sachbezug zwischen den beeinträchtigten Dritten und dem Protestgegenstand. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsorts und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen Bezug zum Versammlungsthema haben (BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u.a. – juris Rn. 64; BayVGH, B.v. 23.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris Rn. 16).
37
Vor dem Erlass einer Beschränkung der Versammlungsfreiheit muss sich die zuständige Behörde zudem zunächst um eine kooperative, einvernehmliche Lösung mit dem Versammlungsveranstalter bemühen. Dies entspricht für Auflagen und Verbote ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BayVGH, B.v. 30.4.2020 – 10 CS 20.999 – juris Rn. 24). Je mehr ein Veranstalter zu einseitigen vertrauensbildenden Maßnahmen oder sogar zu einer demonstrationsfreundlichen Kooperation bereit ist, desto höher rückt die Schwelle für behördliches Eingreifen wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. (BayVGH, B.v. 13.9.2023 – 10 CS 23.1650 – juris Rn. 41 unter Verweis auf BVerfG, B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/91 – juris Rn. 84).
38
b) Gemessen an diesen Grundsätzen erweist sich die von der Antragsgegnerin mit Blick auf die Versammlungsroute durchgeführte Gefahrenprognose als voraussichtlich rechtswidrig.
39
Dabei ist zunächst festzuhalten, dass es sich bei der Anordnung aus Ziffer 2.3.1 um eine inhaltliche Beschränkung der Versammlung handelt, der nicht die Wirkung eines Verbots nahekommt. Wie dargelegt, hat der Veranstalter der Versammlung insbesondere das Recht den Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Versammlung selbst zu bestimmen. Eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit liegt dann vor, wenn die Versammlung nur in einer Weise durchgeführt werden kann, die einem Verbot nahekommt. Das ist dann der Fall, wenn ihr spezifischer Charakter so verändert wird, dass die Verwirklichung des besonderen kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert wird (BVerfG, B.v. 6.6.2007 – 1 BvR 1423/07 – juris Rn. 20). Eine solche Veränderung des spezifischen Charakters vermag das Gericht nicht zu erkennen. Die Antragstellerin hat für ihr kommunikatives Anliegen zunächst keinen spezifischen Bezug zu der von ihr angezeigten Route und die nunmehr festgesetzte Strecke führt über bedeutende Verkehrsadern und zentrale Plätze auf dem Stadtgebiet der Antragsgegnerin. Zugunsten der Antragstellerin ist allenfalls der spezifische Wunsch, die Versammlung im Innenstadtbereich durchzuführen, einzustellen, was aus Sicht des Gerichts aber noch nicht charakterbestimmend ist.
40
Die Antragsgegnerin beruft sich bei ihrer Gefahrenprognose zunächst auf die Rechte der Anwohner, insbesondere auf Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 GG), auf die Berufs- und die Eigentumsfreiheit (Art. 12 und 14 GG). Dabei ist zu Lasten der Antragstellerin zu berücksichtigen, dass sie wiederholend Versammlungen mit erheblicher Belastungswirkung im Innenstadtbereich angezeigt hat. Der öffentliche Raum ist eine endliche Ressource, die grundsätzlich der Allgemeinheit zur Verfügung steht, so dass eine übermäßige Belastung mit Blick auf die Rechte Dritter, v.a. der Anwohner, in Betracht kommt. Der Aspekt trägt vorliegend schon deshalb nicht, da die Versammlungen nach Sachstand auf unterschiedlichen Wegstrecken im Innenstadtbereich stattgefunden haben. Dass spezifische Anwohner oder der öffentliche Raum insgesamt mit Blick auf die genannten Rechtsgüter überlastet wären und dem auch nicht durch polizeilichen Maßnahmen begegnet werden könnte, ist nicht ausreichend dargelegt. Der allgemeine Hinweis auf zahlreiche Beschwerden, den erschwerten Zugang zu den Geschäften und die kommenden Sommermonate reicht nicht. Vielmehr wären objektivierbare Überlegungen erforderlich, etwa wie welche Straßen und wie oft betroffen waren, was die Auswirkungen sind und weshalb mit sonstigen polizeiliche Maßnahmen dem nicht abgeholfen werden kann. Insoweit greifen auch die zuletzt vorgelegten Ausführungen des „Stabs Innenstadt“ zu kurz.
41
Die in der Vergangenheit aufgetretenen Streitigkeiten im Rahmen vergleichbarer Veranstaltungen der Antragstellerin stehen der Einschätzung der Gegendemonstrationen als friedlich nicht entgegen. Eine Versammlung verliert den Schutz des Art. 8 GG grundsätzlich bei kollektiver Unfriedlichkeit, die nicht schon dann vorliegt, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, auch wenn diese nicht lediglich in Kauf genommen werden (BVerfG, B.v. 7.3.2011 – 1 BvR 388/05 – juris Rn. 33). Insoweit fehlt es an belastbaren Feststellungen, dass die Gegendemonstrationen bereits den Bereich der Friedlichkeit, und damit den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG, überschritten hätten.
42
Es fehlt ferner an belastbaren Feststellungen zu einem konzeptionellen Problem mit den Veranstaltungen der Gegendemonstrationen, dass die Versammlungen im Rahmen des angezeigten Aufzugs nicht getrennt werden können. Stattdessen werden zahlreiche Beispiele benannt, bei denen es in der Vergangenheit zu Sicherheitsstörungen gekommen ist, wenn die Versammlung der Antragstellerin im öffentlichen Raum auf Gegendemonstrationen getroffen ist. Bei drohenden Gewalttaten als Gegenreaktion auf Versammlungen sind die behördlichen Maßnahmen indessen primär gegen die Störer zu richten. Für die Herstellung praktischer Konkordanz wird im Zusammenhang mit Gegendemonstrationen auf die Hilfskonstruktion des Zweckveranlassers zurückgegriffen. Eine Heranziehung der Antragstellerin im Sinne der Figur des Zweckveranlassers als Begründung für die Störereigenschaft eines Veranstalters kann allenfalls bei Vorliegen besonderer, über die inhaltliche Ausrichtung der Veranstaltung hinausgehender provokativer Begleitumstände in Betracht kommen (BVerfG, B.v. 9.6.2006 – 1 BvR 1429/06 – juris Rn. 21). Eine solche unerträgliche Provokationswirkung wurde als Störung der öffentlichen Ordnung beispielsweise dann angenommen, wenn eine Versammlung so durchgeführt wird, dass sie das sittliche Empfinden der Bürger erheblich beeinträchtigt (BVerfG, B.v. 26.1.2006 – 1 BvQ 3/06 – juris Rn. 12). Eine solche unerträgliche Provokationswirkung ergibt sich aus der Zurschaustellung rechter Szeneklamotten und sonstiger szenetypischer Codierungen offenkundig nicht. Vorbehaltlich des Uniformierungs- und Militanzverbots aus Art. 7 BayVersG ist dies vielmehr ein üblicher Bestandteil einer Gruppenidentität. Ein bloßes Anstoßnehmen durch das äußere Erscheinungsbild der Versammlung reicht für die Annahme der Unsittlichkeit nicht aus. Auch kann aus dem äußeren Bild der Versammlungen der Antragstellerin derzeit nicht auf eine Drohkulisse im öffentlichen Raum geschlossen werden. Das gilt insbesondere, wenn die Hilfsmittel der Versammlung, wie die Trommeln, auch sonst nicht durch die Antragsgegnerin in Frage gestellt werden.
43
Auch kommt eine Inanspruchnahme der Antragstellerin unter dem Gesichtspunkt der absichtlichen Provokation von Gewalt nicht in Betracht. Hierzu müsste der vom Veranstalter angegebene Zweck nur Vorwand und die Provokation von Gewalt das eigentliche vom Veranstalter „objektiv“ oder gar „subjektiv“ bezweckte Vorhaben sein. Vorauszusetzen sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere provokative Begleitumstände, die nicht schon in dem rechtsradikalen Inhalt einer Demonstration allein begründet sind (BayVGH, B.v. 30.4.2002 – 24 CS 02.1050 – juris Rn. 5). Vorliegend gibt es keine konkreten Anhaltspunkte, dass die Antragstellerin ihre Veranstaltung bewusst so organisiert, auch wenn die Antragsgegnerin dies für die Versammlung am 14. April bzw. eine substanzielle Veränderung der Selbstidentifikation seit Januar 2025 festgestellt haben will. Vielmehr zeigt die Antragsgegnerin mit ihrer Sachverhaltsdarstellung selbst eine Entwicklung auf, wonach die Gewalt mit Gegendemonstrationen in den letzten Wochen zunehmend eskaliert ist. Demgegenüber zeigt die Antragstellungen schon seit längerem Versammlungen an. An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass das Beziehen öffentlicher Stellung und die damit verbundenere Herausforderung abweichender Auffassungen gerade Inhalt der Versammlungsfreiheit ist.
44
Das Gericht verkennt nicht, dass die wiederholenden Versammlungen eine erhebliche Belastung für die Einsatzkräfte darstellen. Aber auch unter dem Aspekt des polizeilichen Notstandes kommt vorliegend eine Inanspruchnahme der Antragstellerin nicht in Betracht. Hierzu müsste dargelegt sein, dass die Polizei nicht ausreichende eigene oder im Wege der Amts- und Vollzugshilfe ergänzte Kräfte hat, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung effektiv zu schützen (BVerfG, B.v. 20.2.2013 – 2 BvE 11/12 – juris Rn. 17). Hierfür fehlt es an einem belastbaren Vorbringen, das eine Inanspruchnahme der Antragstellerin als Nichtstörerin rechtfertigen könnte. Ebenfalls nicht dargelegt sind die sonstigen Maßnahmen, die präventiv gewalttätige Zusammenstöße vermeiden könnten.
45
3. Besondere Gründe dafür, dass entgegen den Erfolgsaussichten die aufschiebende Wirkung nicht anzuordnen wäre, sind vorliegend nicht ersichtlich. Es bleibt daher bei dem grundsätzlichen Überwiegen des Suspensivinteresses bei der Beurteilung eines Bescheides als voraussichtlich rechtswidrig, weshalb dem Antrag stattzugeben war.
46
B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
47
C. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Der Empfehlung Ziffer 45.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 wird in entsprechender Anwendung der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht gefolgt (BayVGH, B.v. 5.10.2022 – 10 C 22.1713 – juris). Da die vorliegende Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen soll, wird der Empfehlung in Ziffer 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 folgend der Streitwert auf die Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Wertes angehoben.
Hinweis:
48
1. Bitte informieren Sie unverzüglich nach Zustellung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts per Email ...(@vgh.bayern.de) den 10. Senat, ob Sie beabsichtigen, Beschwerde einzulegen, und geben Sie eine Telefonnummer sowie eine Email- und Telefaxverbindung an, unter der Sie auch am Wochenende zuverlässig zu erreichen sind.
49
2. Eine etwaige Beschwerde samt Begründung sollte möglichst zeitnah unmittelbar dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof als elektronisches Dokument (s. § 55d VwGO) und möglichst parallel/zusätzlich unter der Telefaxnummer 089/2130-210 übermittelt werden. Bitte leiten Sie auch der Gegenseite bereits vorab einen Abdruck des Beschwerdeschreibens zu.
50
3. Der Senat ist unter 089/2130-266 telefonisch erreichbar.