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VG Ansbach, Urteil v. 26.02.2025 – AN 15 K 24.621
Titel:

Kostenbescheid anlässlich einer Blockadeaktion der „Letzten, Generation“, Schutzbereich der Versammlungsfreiheit, Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts, Vollstreckung versammlungsrechtlicher Beschränkungen, Geltendmachung eines Schmerzgriffs

Normenketten:
Polizeiaufgabengesetz
Versammlungsgesetz
Kostengesetz
Schlagworte:
Kostenbescheid anlässlich einer Blockadeaktion der „Letzten, Generation“, Schutzbereich der Versammlungsfreiheit, Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts, Vollstreckung versammlungsrechtlicher Beschränkungen, Geltendmachung eines Schmerzgriffs
Fundstelle:
BeckRS 2025, 14151

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3.Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen einen Kostenbescheid des Beklagten.
2
Die Straßenkreuzung … / … / … ist ein Verkehrsknotenpunkt im Bereich der Stadtgrenze zwischen den Großstädten … und … Insb. fließen über die … große Teile des über die Ausfahrt … den … (südlicher Teil der …*) abfahrenden Verkehrs.
3
Am 17. August 2023 um 15:04 Uhr begaben sich der Kläger und vier weitere Personen im Bereich der Kreuzung mit der … auf die … (Stadtgebiet …*). Die Gruppe setzte sich auf die Fahrbahn, so dass die betreffende Ampelkreuzung blockiert war. Die Personen trugen orangene Warnwesten. Weitere Aktivisten befanden sich auf dem Gehweg an der … Sie verhielten sich passiv, nicht aggressiv. Die Gruppe wurde der „Letzten Generation“ zugerechnet. Eine Versammlungsanzeige war nicht erfolgt.
4
Zeitgleich zur hiesigen Aktion fand eine weitere Blockade an der Kreuzung Ecke … statt. Insgesamt waren zwei von vier Kreuzungsstraßen versperrt.
5
Mitglieder einer Einheit des USK … informierten die Aktivisten, dass ihre Aktion als Versammlung eingestuft werde. Um 15:08 Uhr belehrte sie PHM …, dass von einer nicht angezeigten Versammlung iSd. BayVersG ausgegangen werde. Zudem wies er auf die damals geltende Allgemeinverfügung der Stadt … zu Versammlungen der „Letzten Generation“ unter freiem Himmel sowie auf versammlungs- und strafrechtliche Verstöße hin. In der Folge wurde der Gruppe um den Kläger für eine Dauer von 30 Minuten eine Versammlungsfläche auf dem angrenzenden Gehweg zugewiesen; sie wurde aufgefordert, die Fahrbahn zu verlassen. Außerdem wurde für den Fall des Zuwiderhandelns die kostenpflichtige zwangsweise Verbringung auf den Gehweg angedroht. Eine vergleichbare Ansprache erfolgte um 15:12 Uhr.
6
Gegen 15:13 Uhr erteilte PHM … den Auftrag, die Blockade aufzulösen. Sodann begannen jeweils zwei Beamte der Polizeiinspektion Zentrale Einsatzdienste, die Blockierenden – den Kläger zuerst – von der Straße zu tragen bzw. zu führen. Unmittelbar vor der jeweiligen Maßnahme forderten sie den betreffenden Aktivisten erneut auf, die Fahrbahn zu verlassen und belehrten über die Folgen für den Fall des Unterbleibens. Um 15:18 Uhr befanden sich keine Personen mehr auf der Fahrbahn. Der Verkehr wurde freigegeben. Zur Fortsetzung der Aktion durch die Blockadeteilnehmer auf der ihnen zugewiesenen Fläche kam es nicht.
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Unter dem 2. Februar 2024 hörte der Beklagte der Kläger dazu an, dass er für die Amtshandlungen vom 17. August 2023 Kosten von 80,00 EUR zu erheben gedenke.
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Der Kläger äußerte sich nicht.
9
Mit Bescheid vom 26. Februar 2024 – aufgegeben mittels einfachen Briefs bei der Post am 1. März 2024 – stellte der Beklagte dem Kläger aufgrund der Ereignisse bzw. des Einsatzes vom 17. August 2023 eine Gebühr iHv. 80,00 EUR in Rechnung. Zur Begründung erklärte er, er habe ihm gegenüber damals unmittelbaren Zwang in Form des Wegtragens von der Fahrbahn ausgeübt. Als Rechtsgrundlage nannte er Art. 75 Abs. 3, 93 PAG, §§ 1 Nr. 8, 2 PolKV und Art. 10 Abs. 1 Nr. 1, 5 KostG.
10
Dagegen hat der Kläger am 22. März 2024 Klage erhoben. Zur Begründung bringt er zuletzt im Kern vor, Ziel seines Protestes mit der „Letzen Generation“ sei stets gewesen, auf die Dringlichkeit des Klimaschutzes sowie notwendige gesetzgeberische Maßnahmen aufmerksam zu machen. An der betreffenden Aktion an der Kreuzung … habe er teilgenommen; er habe am rechten Fahrbahnrand direkt neben dem Gehweg gesessen. Die Gruppe habe zwei Banner mitgeführt („Klimakatastrophe zulassen = Verfassungsbruch“; „Letzte Generation vor den Kipppunkten“). Da unmittelbar nach Beginn des Protests Polizeikräfte eingetroffen seien und den Verkehr umgeleitet hätten, sei kein Stau entstanden (verwiesen wird insb. auf den Strafbefehl des AG … – Az.: …*).
11
Der Beklagte habe die Spontanversammlung auf den Gehweg verlegt. Er habe die Teilnehmer aufgefordert, ihren Protest dort fortzusetzen. Eine Versammlungsauflösung sei nicht erfolgt. Ein Beamter habe den Kläger aufgefordert, sich von der Fahrbahn zu entfernen, andernfalls werde unmittelbarer Zwang angewendet. Einer der Beamten habe beim „Wegtragen“ – so die Klagebegründung – das Handgelenk des Klägers überstreckt und schmerzhaften Druck auf die Schulter ausgeübt. Ein anderer habe unter die Achsel des Klägers gegriffen und an der Haut gezogen. Er habe den Beamten erklärt, dass er Schmerzen habe; er habe gesagt, dass sie ihn schmerzfrei wegtragen könnten. Der Polizist habe erwidert: „Sie können auch ganz normal gehen. Sie haben zwei gesunde Beine“. Nach Auffassung des Klägers hätten die Beamten bewusst Schmerzgriffe angewendet (er verweist insb. auf eine Videoaufnahme).
12
Er habe die polizeiliche Maßnahme vor den Augen der Öffentlichkeit als erniedrigend empfunden. Er habe Schmerzen sowie Rötungen und Kratzer im Achselbereich erlitten (der Beklagte habe dies ausweislich Bl. 12 d. Behördenakte fotografisch dokumentiert). Infolge der Maßnahme leide er an Beklemmungsgefühlen.
13
Am 10. Oktober 2024 habe das Amtsgericht … aufgrund des in Rede stehenden Vorfalls einen Strafbefehl wegen versuchter Nötigung erlassen (Az.: …*). Er habe Einspruch eingelegt.
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Der Kostenbescheid verletze seines Erachtens Art. 16 Abs. 5 KostG, da der unmittelbare Zwang auf einer rechtswidrigen Grundverfügung beruhe und rechtswidrig Schmerzgriffe angewendet worden seien. Auch seien die Kosten ihrer Höhe nach rechtswidrig.
15
§ 1 Nr. 8 PolKV sehe einen Gebührenrahmen von 36 bis 1500 EUR vor. Die Kostenerhebung erfolge danach allein für die Anwendung des unmittelbaren Zwangs – nicht auch die Absicherung, Vorbereitung et cetera. Der Beklagte habe den erhöhten Satz für den Einsatz geschlossener Einheiten angesetzt. Hier hätten zwei Beamte den unmittelbaren Zwang angewendet. Die Behördenakte weise als Dauer des Wegtragens zwei Minuten aus. Nach einem vom Kläger vorgelegten Video habe das Wegtragen nur 19 Sekunden gedauert. Daraus folge nach seiner Ansicht, dass die in Rechnung gestellten Kosten von 80,00 EUR überhöht seien.
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Eine Fortsetzungsfeststellungsklage sei zulässig: Sein berechtigtes Feststellungsinteresse folge aus einem tiefgreifenden Eingriff in die Versammlungsfreiheit und einem Rehabilitationsinteresse. Die Auswahl des Versammlungsorts habe einen ausreichenden Bezug zum Versammlungsthema aufgewiesen (verwiesen wird auf: OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, U.v. 22.12.2023 – 15 A 2417/20 – juris Rn. 29). Der Bezug zum Ort und den betroffenen KFZ-Fahrern folge daraus, dass der Individualverkehr für einen Großteil der Emissionen stehe. Die Verlegung der Versammlung habe den Charakter der Versammlung grundlegend verändert. Sie habe die Sichtbarkeit der Aktion verringert und die öffentliche Wahrnehmung als „Störung“ und die damit verbundene (erhöhte) mediale Aufmerksamkeit beseitigt. Dies beschränke die Teilhabe am öffentlichen Diskurs. Weiter stigmatisiere die polizeiliche Maßnahme den Kläger. Sie könne sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabsetzen. Die Beamten hätten unmittelbar nach Beginn der Aktion gehandelt, obwohl keine Verkehrsbeeinträchtigung entstanden sei. Die Stigmatisierung liege darin, dass der Eindruck erweckt worden sei, dass das Handeln der Protestierenden sofortiges Einschreiten der Polizei erforderlich mache.
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Die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 Var. 1 BayVersG hätten nach seiner Auffassung nicht vorgelegen. Es habe keine bzw. keine durchgehende unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vorgelegen. Die Staatsanwaltschaft bzw. das Amtsgericht … nähmen im gegen ihn beantragten bzw. erlassenen Strafbefehl an, dass der Verkehr habe umgeleitet werden können und dass kein relevanter Rückstau entstanden sei. Ob die im Strafbefehl angenommene versuchte Nötigung vorliege, sei im Strafverfahren zu klären.
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Der Beklagte habe ermessensfehlerhaft gehandelt. Die zuständigen Polizeibeamten hätten wohl kein Ermessen ausgeübt. Darauf deute seines Erachtens hin, dass die Versammlungsbeschränkung in Form der Verlegung auf den Gehweg kurz nach Versammlungsbeginn „reflexartig“ erfolgt sei. Zumindest habe der Beklagte nach Auffassung des Klägers sein Ermessen überschritten. Die Versammlungsbeschränkung sei nach seiner Betrachtung unverhältnismäßig. Dies folge daraus, dass keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorgelegen habe. Unabhängig davon hätte der Beklagte nach seiner Ansicht eine mildere, gleich effektive Maßnahme wählen können – insb. hätte er den Protest auf eine Spur begrenzen können, so dass eine Spur befahrbar geblieben wäre. Die Verlegung der Versammlung habe den Charakter der Versammlung in ihrem Wesensgehalt verändert. Klimaproteste seien auf Autos bzw. Autofahrer bezogen. Der Protest habe einen unmittelbaren örtlichen Bezug. Dies fehle, wenn der Protest auf den Gehweg verlagert werde. In diesem Fall störe der Protest Fußgänger, die keine Adressaten des Protests seien. Ferner meint der Kläger, dass Störungen des Straßenverkehrs, die notwendigerweise Folge von Versammlungen im öffentlichen Raum seien, regelmäßig hinter die Versammlungsfreiheit zurückträten (verwiesen wird auf: BayVGH, BeckRS 2001, 29294). Die Verlagerung der Aktion auf den Gehweg greife stark in die Versammlungsfreiheit ein. Die betroffenen Autofahrer seien hingegen kaum betroffen gewesen, da es Umfahrungsmöglichkeiten und keinen nennenswerten Rückstau gegeben habe.
19
Zudem sei der unmittelbare Zwang rechtswidrig, da nach seiner Ansicht Schmerzgriffe angewendet worden seien. Letztere seien nicht erforderlich gewesen. Er habe sich stets passiv verhalten. Sie verletzten sein Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG und seien geeignet, Dritte von Protestaktionen abzuhalten. Im Übrigen führt der Kläger ausführlich aus, welche insb. völkerrechtliche Normen und Grundsätze der Anwendung von Schmerzgriffen entgegenstünden.
20
Der Kläger beantragt zuletzt,
1.
Den Kostenbescheid des Beklagten vom 26. Februar 2024 aufzuheben.
2.
Es wird festgestellt, dass die auf den polizeilichen Grundverfügungen vom 17. August 2023 (erlassen gegen 15:00 Uhr) beruhende Anwendung und Durchführung des unmittelbaren Zwangs (um ca. 15:00 Uhr) rechtswidrig war.
21
Der Beklagte beantragt zuletzt,
Die Klagen abzuweisen.
22
Zur Begründung verweist er auf die Gründe seiner angegriffenen Verwaltungsentscheidung. Ergänzend trägt er insb. vor, die Blockade habe binnen kurzer Zeit zu einem Rückstau bis zur etwa 300m entfernten Einmündung … (* …*) geführt. Aufgrund der baulichen Gegebenheiten hätten die blockierten KFZ weder wenden noch auf die Gegenfahrbahn gelangen können. Weiterer Rückstau sei nur durch eine Verkehrsab- und -umleitung der PI und VPI … verhindert worden. Er habe um 15:13 Uhr mit der Auflösung der Versammlung begonnen.
23
Trotz der fehlenden Anmeldung sei die Aktion als Versammlung iSv. Art. 8 Abs. 1 GG einzuordnen gewesen. Er habe gegenüber den Blockierenden die Anordnung getroffen, die Fahrbahn zu verlassen und die Aktion auf dem nahegelegenen Gehweg fortzusetzen. Es habe sich um eine rechtmäßige Beschränkung nach Art. 15 Abs. 4 BayVersG gehandelt.
24
Die Teilnehmer der Sitzblockade hätten wohl den Tatbestand des § 240 StGB erfüllt. Dies bedeute eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Der Beklagte verweist dazu auf die sog. Zweite-Reihe-Rechtsprechung (BGH, U.v. 20.7.1995 – 1 StR 126/95; BVerfG, B.v. 7.3.2011 – 1 BvR 388/05). Das klägerische Verhalten sei verwerflich iSv. § 240 Abs. 2 StGB. Dazu führe eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte Prüfung der Zweck-Mittel-Relation. Es bestehe kein ausreichend enger Zusammenhang zwischen der Blockade beliebig vieler KFZ des fließenden Verkehrs und den von den Blockierenden verfolgten Klimazielen. Blockadeaktionen beeinträchtigten die Freiheitsrechte zufällig betroffener Verkehrsteilnehmer und beträfen KFZ unterschiedlichster Klimaschädlichkeit. Die Aktivisten hätten ihre Aktion im Vorfeld nicht angekündigt, weshalb die Fahrzeugführer den Bereich nicht hätten umfahren können. Die Teilnehmer der Blockade hätten die Unbeteiligten für ihre Ziele instrumentalisiert. Nach einer Gesamtabwägung liege die Verwerflichkeit vor (verwiesen wird auf: LG Nürnberg-Fürth, NJW 2024, 452 (453) m.w.N.; BayObLG NStZ 2023, 747 = BeckRS 2023, 8998 Rn. 36 ff.).
25
Unabhängig davon habe der Kläger mit den weiteren Personen eine unmittelbare Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs verursacht. Ferner hätten sie eine Gefahr für Leib und Leben hervorgerufen. Daneben sei die Bewegungsfreiheit der Autofahrer ungerechtfertigt eingeschränkt worden.
26
Die Versammlungsbeschränkung erweise sich als verhältnismäßig. Die Verweisung der Versammlung auf den Gehweg sei geeignet gewesen, die Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu beseitigen. Mildere ebenso effektive Mittel hätten nicht zur Verfügung gestanden. Er habe ein verglichen mit einem Verbot milderes Mittel gewählt. Die Verlegung der Versammlung komme auch nicht einem Verbot gleich. Die Verlegung habe den Charakter der Versammlung nicht grundlegend verändert. Der Kläger und die weiteren Aktivisten hätten ihr Anliegen auch auf dem Gehweg kundtun können. Es habe kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem gewählten Versammlungsort und den Zielen der Gruppe bestanden. Es müsse zurückstehen, falls der Protest auf dem Gehweg nicht die gleiche öffentliche Aufmerksamkeit erzielt hätte. Dazu führe eine Abwägung aller betroffenen Grundrechtspositionen.
27
Die zwangsweise Durchsetzung der Versammlungsbeschränkung mittels unmittelbaren Zwangs in Form des Wegtragens [sic!] des Klägers von der Fahrbahn sei rechtmäßig erfolgt. Rechtsgrundlage sei Art. 75 Abs. 1 PAG. Die Polizeifestigkeit der Versammlung stehe der Anwendung unmittelbaren Zwangs nicht entgegen. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs sei vorher angedroht worden, Art. 81 Abs. 1 S. 1 PAG. Andere ebenso erfolgsversprechende Zwangsmittel seien nicht in Betracht gekommen. Er habe ermessensfehlerfrei und verhältnismäßig gehandelt.
28
Der Kostenansatz sei ordnungsgemäß. Die Höhe der festgesetzten Gebühr wahre die Grenzen des § 1 Nr. 8 PolKV. Gründe für ein Absehen von der Erhebung der Kosten aus Gründen der Billigkeit gem. Art. 93 S. 5 PAG, Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 S. 3 KG seien nicht ersichtlich.
29
Weiter merkte der Beklagte an, dass der Kläger im Anschluss an die erste vor der Kammer durchgeführte mündliche Verhandlung Strafanzeige gegen die ausführenden Beamten wegen Körperverletzung im Amt gestellt habe. Zuletzt teilte der Beklagte mit, die zuständige Staatsanwaltschaft … habe dieses Strafverfahren gegen PHM … und POM … nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Es habe sich kein begründeter Tatverdacht ergeben.
30
Der Kläger repliziert insoweit, der Beklagte und die Staatsanwaltschaft … gingen von einem falschen Sachverhalt aus. Die Polizeibeamten hätten den Kläger nicht nur im Bereich der Oberarme und der Achselhöhle gegriffen. Zudem lasse „der Beklagte unter den Tisch fallen“, dass der rechts neben dem Kläger befindliche Polizeibeamte „das Handgelenk“ des Klägers überstreckt habe. Dies sei ein typischer Fall eines Schmerzgriffs. Weiter lege die Staatsanwaltschaft insofern einen falschen Sachverhalt zugrunde, als der Beklagte im Verwaltungsverfahren von einer Beschränkung der Versammlung, nicht aber von einer Versammlungsauflösung gesprochen habe. Schließlich merkt der Kläger an, dass die Bewertung der Staatsanwaltschaft im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keine Bindungswirkung entfalte.
31
Am 24. September 2024 hat die Kammer eine erste mündliche Verhandlung durchgeführt; aufgrund erforderlich gewordener Beweiserhebungen hat sie sich damals vertagt. Der Beklagte regte die Ruhendstellung des Verfahrens angesichts der klägerseits gegen die handelnden Polizeibeamten gestellten Strafanzeigen an; der Kläger trat dem entgegen.
32
Mit Verfügung vom 3. Februar 2025 hat die zuständige Staatsanwaltschaft … das Strafverfahren gegen PHM … und POM … nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
33
In der darauffolgenden mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2025 hat die Kammer mit den anwesenden Beteiligten die Sach- und Rechtslage erörtert; die anwesenden Beteiligten hat sie ergänzend befragt. Im Übrigen hat sie eine Beweisaufnahme durchgeführt und die Polizeibeamten PHM … und POM … zum in Rede stehenden Polizeieinsatz zeugenschaftlich einversowie diesbezügliche Videoaufnahmen in Augenschein genommen.
34
Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die Akte der Staatsanwaltschaft … zum dortigen Verfahren … sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen. Sie alle sind Grundlage der richterlichen Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

I.
35
Die Klage ist zulässig.
36
Hinsichtlich des klägerischen (Kassations-)Begehrens (§ 88 VwGO) war sie als statthafte Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO) auszulegen. Es geht dem Kläger um die Aufhebung der Kostenrechnung vom 26. Februar 2024 als Leistungsbescheid iSv. Art. 23 Abs. 1 VwZVG.
37
Mit Blick auf den Feststellungsantrag ist die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz4 VwGO analog statthaft. Das klägerische Begehren (§ 88 VwGO) zielt auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Grundverfügung bzw. der Anwendung und Durchführung des unmittelbaren Zwangs. Beide haben sich iSv. Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG erledigt – anders als in § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO angelegt vor Klagerhebung – was die Analogie erklärt.
38
Beide Begehren kann der Kläger iSd. § 44 VwGO in einer Klage zusammen verfolgen.
II.
39
Die Klage ist aber unbegründet. Der angegriffene Kostenbescheid vom 26. Februar 2024 erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt als rechtmäßig. Er verletzt den Kläger folglich nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Daneben ist für die beantragte Feststellung der Rechtswidrigkeit kein Raum, da die polizeiliche Grundverfügung sowie die Anwendung unmittelbaren Zwangs ebenfalls rechtmäßig erfolgten, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO.
40
1. Der Kostenbescheid vom 26. Februar 2024 ist rechtmäßig. Dies hat der Beklagte in dieser angegriffenen Verwaltungsentscheidung rechtlich einwandfrei ausgeführt. Deshalb folgt das Gericht der Begründung des genannten Bescheides und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 117 Abs. 5 VwGO von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
41
Ergänzend ist das Folgende auszuführen.
42
a. Mit Blick auf die Anfechtungsklage ist abweichend vom die Anfechtungsklage betreffenden Regelfall nicht der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, sondern die Sach- und Rechtslage bei Entstehung der Kostenschuld maßgeblich.
43
Welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebend ist, beantwortet nicht das Prozessrecht (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), sondern das einschlägige materielle Recht (vgl. BVerwG, NVwZ 2017, 485 Rn. 12 und NVwZ 1991, 360 = NJW 1991, 2584 Ls.; VGH Mannheim, U.v. 3.5.2021 – 1 S 512/19).
44
Derartiges gilt für das Gebührenrecht. Da dessen Regelungen sicherstellen sollen, dass die mit der Vornahme einer Amtshandlung verbundenen Kosten für den Kostenschuldner vorhersehbar sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.10.2016 – 7 C 6.15 – NVwZ 2017, 485), ist bei der Anfechtung von Bescheiden über die Heranziehung zu Kosten (Gebühren und Auslagen) maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entstehung der Kostenschuld abzustellen (VGH Mannheim, U.v. 3.5.2021 – 1 S 512/19, BeckRS 2021, 11956 Rn. 20 m.w.N.).
45
Nach Art. 11 Satz 1 KostG (Kostengesetz (BayKG) vom 20. Februar 1998 (GVBl. S. 43, BayRS 2013-1-1-F), zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom 21. April 2023 (GVBl. S. 128)) entsteht der Kostenanspruch generell mit der Beendigung der kostenpflichtigen Amtshandlung.
46
Entscheidend ist vorliegend insofern die Sach- und Rechtslage am Tag der Durchführung der polizeilichen Maßnahmen.
47
b. Die Regelung des Kostenbescheids basiert auf Art. 75 Abs. 3 Satz 1, 93 Satz 1 PAG, § 1 Nr. 8, 2 PolKV, Art. 10 Abs. 1 Nr. 1, 5 KG.
48
c. Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit des Kostenbescheides bestehen nicht. Insbesondere hat der Beklagte den Kläger unter dem 2. Februar 2024 zur in Aussicht genommenen Erhebung von Kosten iHv. 80,00 EUR angehört (Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG).
49
d. Der angegriffene Bescheid ist auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.
50
Der Beklagte erhebt in rechtmäßiger Weise einen Betrag von 80,00 EUR für die Anwendung unmittelbaren Zwangs.
51
a) Der Konnexitätsgrundsatz steht der Kostenerhebung nicht entgegen. Die zugrundeliegende Primärmaßnahme des Beklagten ist nach der Überzeugung der Kammer rechtmäßig erfolgt.
52
Anders als auf der sekundären Ebene zwangsweiser Durchsetzung von Maßnahmen der Gefahrenabwehr gilt auf der tertiären Ebene des Kostenersatzes nach zutreffender Ansicht der sog. Konnexitätsgrundsatz. Nach Art. 16 Abs. 5 KostG werden solche Kosten nicht erhoben, die bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären. In Rechnung gestellt werden können nur Kosten für rechtmäßige Amtshandlungen (Schmidbauer/Steiner/Schmidbauer, 6. Aufl. 2023, PAG Art. 93 Rn. 28). Nach der jedenfalls in Bayern herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung impliziert dies nicht nur die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahme (sekundäre Ebene), sondern auch die Rechtmäßigkeit des vollstreckten (primären oder Grund-) Verwaltungsakts (BHKM BayÖffR, 3. Teil. Bayerisches Polizei- und Sicherheitsrecht Rn. 233, 423ff; BayVGH, U.v. 17.4.2008 – 10 B 07.219 (Ls. 2) sowie B.v. 28.6.2019 – 10 C 18.375 – juris Rn. 6; mit Blick auf das Berliner Recht: VG Berlin, B.v. 21.9.2023 – VG 1 L 263/23 = BeckRS 2023, 26287 Rn. 13; a.A. wohl – freilich nicht zum bayerischen Landesrecht: BVerwG, B.v. 25.11.2021 – 6 B 7.21 = BeckRS 2021, 41201 Rn. 12). Im Übrigen konterkariert eine andere Betrachtung die Wertung das Ordnungswidrigkeitenrecht betreffender Rechtsprechung: Die Weigerung sich unverzüglich aus einer aufgelösten Versammlung zu entfernern kann danach nur mit Geldbuße bewehrt werden, wenn die Auflösung rechtmäßig war (BVerfG, B.v. 30.4.2007 – 1 BvR 1090/06 = NVwZ 2007,1180 (1181)).
53
b) Daneben sperrt hier die Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts auch nicht den Rückgriff auf die Befugnisse aus dem Polizeiaufgabengesetz. Die eingesetzten Polizeibeamten konnten auf Basis des PAG tätig werden.
54
(a) Die Kammer ist sich des Bezugs des Falls zur Versammlungsfreiheit bewusst. Nach ihrer Auffassung kann das Sich-Versammeln in Form der Sitzblockade generell auch unter den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG fallen. Sie neigt aber dazu, die vorliegend konkret zu betrachtende Art und Weise des Protests bewusster und zielgerichteter Beeinträchtigung einer Vielzahl beliebiger Dritter als Überschreitung, mithin als Handeln außerhalb des Schutzbereichs, anzusehen.
55
(1) Dem Kläger und den weiteren an der Aktion vom Nachmittag des 17. August 2023 teilnehmenden Mitgliedern der Gruppe „Letzte Generation“ ist zuzugestehen, dass sie damit kollektiv Kritik an den Verhältnissen üben wollten – insb. an als unzureichend empfundenen Maßnahmen staatlicher Entscheidungsträger im Bereich der Umweltpolitik. Angesichts der beabsichtigten Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung (Art. 2 Abs. 1 BayVersG) ist die Zusammenkunft zum Zweck des Protests am betreffenden Ort als Versammlung iSv. Art. 8 Abs. 1 GG zu qualifizieren (dazu inwieweit der Schutzbereich des Art. 8 GG Sitzblockaden umfasst: BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR1190/90 – juris Rn. 40ff; B.v. 7.3.2011 – 1 BvR 388/05 – juris Rn. 35; a.A.: Dürig/Herzog/Scholz/Depenheuer, 105. EL August 2024, GG Art. 8 Rn. 68; zum Meinungsstand iRd. § 240 StGB: Huber/Voßkuhle in Huber/Voßkuhle/Gusy, 8. Aufl. 2024, GG Art. 8 Rn. 79ff).
56
(2) Das Treffen verliert den Schutz des Art. 8 GG auch nicht aufgrund etwaiger Unfriedlichkeit.
57
Unfriedlich sind Versammlungen, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden. Dazu reicht für sich betrachtet aber nicht aus, dass es zu Behinderungen Dritter kommt, seien sie auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen. Es muss sich zudem um eine kollektive Unfriedlichkeit handeln. Folglich muss die Versammlung im Ganzen einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nehmen (vgl. u.a. BVerfG, U.v. 11.11.1986 – 1 BvR 713/83 u. a = BVerfGE 73, 206 [248] = NJW 1987, 43 (47); B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u. a. = NJW 2002, 1031; a.A. wohl VG Gießen, U.v. 4.3.2022 – 4 K 2855/21 – juris Rn. 78ff mit Verweis auf die einer Blockade bzw. Abseilaktion innewohnende Gefährlichkeit; in diese Richtung wohl auch: Dürig/Herzog/Scholz/Depenheuer, 105. EL August 2024, GG Art. 8 Rn. 68). Hingegen konstituiert es keine Unfriedlichkeit, wenn die Versammlung niederschwellige Einschränkungen verursacht, die Unbeteiligte ggf. als belästigend empfinden – selbst wenn das zugrundeliegende Verhalten strafrechtlich relevant sein sollte.
58
(3) Im Übrigen schließt auch die Tatsache der fehlenden Anmeldung als Versammlung nicht aus, dass die Zusammenkunft in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG fällt (BayVGH, B.v. 13.9.2023 – 10 CS 23.1650 – juris Rn. 41; BVerfG, BVerfGE 69, 315 [351] = NJW 1985, 2395; B.v. 26.10.2004 – 1 BvR 1726/01 = NJW 2005, 353 Ls.3; B.v. 30.4.2007 – 1 BvR 1090/06 = NVwZ 2007,1180 (Ls. 1)). Die Zusammenkunft verliert den Schutz aus Art. 8 GG erst mit der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung (BVerfG, U.v. 11.11.1986 -1 BvR 713/83 u.a. = NJW 1987, 43 (47)).
59
(4) Die Schutzbereichseröffnung ist auch nicht mit dem Argument zu verneinen, dass die Gruppe um den Kläger selbsthilfeähnlich Forderungen durchsetzen wollte. Zwar schützt Art. 8 Abs. 1 GG tatsächlich nicht die zwangsweise oder sonst wie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen (BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, juris Rn. 44; U.v. 11.11.1986 – 1 BvR 713/83 –, BVerfGE 73, 206-261, juris Rn. 89). Die Ausnahme greift aber nur, sofern die Protestierenden eine konkrete Forderung vor Ort durchsetzen wollten (BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, juris Rn. 44; B.v. 7.3.2011 − 1 BvR 388/05 –, BVerfGK 18, 365-377, juris Rn. 35). In dieser Konstellation tritt der Aspekt beabsichtigter Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung in den Hinter- und das „erpresserische“ Element bzw. die Verfolgung eigennütziger Ziele in den Vordergrund.
60
Im Fall der Aktion vom Nachmittag des 17. August 2023 ist diese Ausnahme aber nicht erfüllt. Zwar hat die sich zur Zeit der Blockade „Letzte Generation“ bezeichnende Gruppierung (die heute als „Neue Generation“ auftritt) mehrere umweltpolitische Einzelziele proklamiert – u.a. die Forderung nach der Errichtung eines sog. Gesellschaftsrates (https://letztegeneration.org/gesellschaftsrat/) sowie Unterzeichnung eines Fossil Fuel Treaty (https://letztegeneration.org/der-elefant-im-raum/). Allerdings handelt es sich dabei schon nicht um ganz konkrete, den Straßenverkehr betreffende Forderungen – erst Recht nicht solche, die in spezifischen örtlichen … Gegebenheiten wurzeln. Die Blockadeaktion diente ganz allgemein der Schaffung von Aufmerksamkeit.
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(5) Allerdings deckt die Versammlungsfreiheit zwar Behinderungen und Belästigungen Dritter, die sich typischerweise aus der Durchführung der Versammlung ergeben und ohne Nachteile für den Versammlungszweck faktisch unvermeidbar sind. So ist etwa einer Protestaktion anlässlich einer innerstädtischen Baumaßnahme immanent, dass sie einen örtlichen Bezug zu dieser Maßnahme aufweisen soll und dass damit angesichts der Innenstadt-Lage denknotwendig nicht wenige (unbeteiligte) Dritte betroffen sein werden.
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Vorliegend handelt es sich aber nicht um den klassischen Fall, in dem die praktische Konkordanz gebietet, die allgemeine Handlungsfreiheit der übrigen Verkehrsteilnehmer zurücktreten zu lassen – so dass sie etwa einen Demonstrationszug passieren lassen oder ihm ausweichen müssen. Es geht nicht darum, dass die Grundrechte der Nicht-Versammlungsteilnehmer – zu deren Sicherung versammlungsrechtliche Auflagen möglich sind – nur ausnahmsweise der Versammlungsfreiheit vorgehen. Denn es gilt das Gebot des „neminem laedere“:
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Freilich umfasst die Versammlungsfreiheit die Selbstbestimmung über Art und Ort der Veranstaltung (BVerfG, B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 = NJW 1985, 2395 (2396)). Sie impliziert ein Recht zur Mitbenutzung der im Allgemeingebrauch stehenden Straße. Mithin überschreitet es nicht schon den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG, wenn die Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit – wie regelmäßig und kaum vermeidbar – mit gewissen nötigenden Wirkungen in Form von Behinderungen einhergeht. Indes rechtfertigt Art. 8 GG solche Behinderungen und Zwangswirkungen nur, wenn sie sozial-adäquate Nebenfolge rechtmäßiger Demonstrationen sind und sich auch nicht mittels zumutbarer Auflagen vermeiden lassen. Anders liegt der Fall, wenn die Behinderung Dritter nicht nur als Nebenfolge in Kauf genommen, sondern beabsichtigt wird, um die Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen zu erhöhen (BVerfG, U.v. 11.11.1986 – 1 BvR 713/83 u.a. = NJW 1987, S. 43 (47)). Die Versammlungsfreiheit vermittelt kein Recht, über alltägliche Belästigungen hinaus – wie das sich ungewollt dem Protest Dritter Ausgesetztsehen, aufgrund dessen man kurzzeitig anhalten oder ausweichen muss – in die Rechte Dritter einzugreifen (Dürig/Herzog/Scholz/Depenheuer, 105. EL Januar 2024, GG Art. 8 Rn. 62; in diese Richtung: BGH, U.v. 8.8.1969 – 2 StR 171/69 = NJW 1969, 1770 (1773); Rulinski in SächsVBl. 2024, 37; Naumann berichtet in BayVBl 2024, 373 (374), dass Prof. Schwarz (Universität Würzburg) Klimaproteste wie den hier behandelten nicht mehr als geschützte Versammlung betrachte, wenn sie Dritte zwangsweise als Instrument der eigenen Zielverfolgung „benutzten“; Dritte würden „durch das Meinungsoktroi der Demonstranten zum Objekt“ gemacht).
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Vorliegend bildet die Beeinträchtigung der Grundrechte der Nicht-Versammlungsteilnehmer nicht nur eine Nebenfolge der Versammlung. Der Kläger gab dazu in der mündlichen Verhandlung an, man habe sich die betreffende Stelle bewusst ausgesucht. Es ging der Gruppierung um den Kläger wohl nachgerade darum, über das Blockieren Unbeteiligter Aufmerksamkeit zu erlangen. In Rede steht nicht eine hinzunehmende punktuelle Beschränkung der Rechte Dritter. Vielmehr hat die Protest-Gruppe gezielt eine – was zwischen den Beteiligten nicht strittig geblieben ist – stark frequentierte Straße gewählt und Dritte mit der Blockadeaktion bewusst für einen nicht unerheblichen Zeitraum an der Ausübung ihrer verfassungsrechtlich verbürgten Rechte hindern wollen – u.a. der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Dabei diente die Aktion zwar der Teilhabe an der öffentlichen Willensbildung. Indes sollten vorwiegend die Nebenfolgen der Blockade – Straßensperrung und damit verbundene Implikationen – Aufmerksamkeit generieren und den vor allem an die Politik gerichteten Forderungen der „Letzten Generation“ Nachdruck zu verleihen. In der Konsequenz wollte die Gruppe Dritte – solche die regelmäßig nicht politische Verantwortungsträger, mithin keine Adressaten der Forderungen sind – an der Wahrnehmung ihrer verfassungsrechtlich verbürgten Rechte hindern; dies erfolgte ungeachtet dessen, ob die Dritten an der Versammlung teilnehmen mochten sowie dessen, ob sie deren Ziele und/oder die Mittel zur durch Durchsetzung derselben teilen. Es ist aber zweifelhaft, ob das Recht sich zu versammeln impliziert, Dritte ungefragt und für mehr als nur unerhebliche Zeiträume für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Dabei gilt es zu bedenken, dass die Aktion nicht auf den spezifischen Ort der Blockade angewiesen war. Er steht in keinerlei enger Verbindung mit dem Anliegen. Es ist nicht ersichtlich, dass es sich um einen „symbolhaltigen“ Ort gehandelt hätte, hinsichtlich dessen ein nachvollziehbares Interesse der Gruppierung an besonderen Nähe bestanden haben könnte (zu dieser Implikation der Versammlungsfreiheit: BVerfG, B.v. 27.6.2022 – 1 BvQ 45/22 – juris Rn. 6). Faktisch handelte es sich um eine innerstädtische Kreuzung zwischen zwei Großstädten und nahe einer Autobahnaus- bzw. -abfahrt von vielen. Mögen mit der Blockade zudem implizit als Teilmenge auch Fragen der Verkehrspolitik adressiert werden, so verweisen die hier genutzten Kundgabemittel sowie die sonstigen Erklärungen des Klägers ganz allgemein auf die Dringlichkeit des Klimaschutzes und üben generelle Fundamentalkritik an einer als unzureichend empfundenen umweltpolitischen Agenda. Weder ist aber ein Bezug zur … bzw. zur … noch überhaupt zum Stadtgebiet … ersichtlich (dafür spricht auch, dass die Gruppierung insb. im Sommer 2023 an vielen Orten im gesamten Bundesgebiet vergleichbare Aktionen durchführte; allein in … fanden am hier in Rede stehenden Tag drei Aktionen statt, eine weitere fiel aufgrund örtlicher Wetterereignisse aus – https://letztegeneration.org/blog/2023/08/extremwetter-in-nuernberg-klimakrise-unterbricht-protest-wir-muessen-nicht-blockieren-die-klimakrise-uebernimmt-fuer-uns/; https://www.br.de/nachrichten/bayern/klimaaktivisten-blockierten-strassen-in-nuernberg-und-fuerth,TnC7wMR; vgl. auch AN 15 K 24.620). Die Betroffenheit neutraler Dritter war keine notwendige Konsequenz, sondern erstes Ziel der Aktion.
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Zuletzt mag die Gruppe um den Kläger mit dem Umwelt- bzw. Klimaschutz ein Anliegen verfolgen, das auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen betrifft (zu diesem Aspekt – dort bezogen auf die Verwerflichkeitsprüfung: BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, juris Rn. 64). Die Kammer versteht das Bundesverfassungsgericht diesbezüglich aber so, dass es sich insoweit um einen einigermaßen engen Bezug handeln muss (spezifisch örtliches Problem, dass eine kleinere Gruppe für die Schicksalsgemeinschaft der Anlieger im Wege des Protestes in die Öffentlichkeit trägt o.ä.). Es erscheint der Kammer bedenklich, wenn allein die Verfolgung eines der Allgemeinheit potentiell dienlichen globalen Fernziels dazu führen können soll, Dritte für mehr als nur unerhebliche Zeiträume für eigene Zwecke zu vereinnahmen. Der Schutzbereich eigener Grundrechte – hier insb. Art. 8 Abs. 1 GG – endet, wo der Schutzbereich der Grundrechte Dritter beginnt – hier insb. Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, 12 GG.
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(b) Es kann aber offenbleiben, ob der Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG das hier in Rede stehende Verhalten umfasst: Ist das klägerische Verhalten von der Versammlungsfreiheit gedeckt, so steht die Polizeifestigkeit dennoch nicht der gegenständlichen Maßnahme entgegen. Der Beklagte konnte auf PAG-Basis eine versammlungsrechtliche Beschränkung durchsetzen.
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Gewiss ist zu berücksichtigen, dass das Versammlungsgesetz mit seinen spezifischen Tatbestandsmerkmalen der Bedeutung des Art. 8 GG für die demokratische Meinungsäußerung besonders Rechnung trägt (Fischer-Uebler/Gölzer in JA 2020, 683). Daher ist das Versammlungsrecht tatsächlich im Grundsatz polizeifest. Das Versammlungsgesetz entfaltet gegenüber dem allgemeinen Polizeirecht grundsätzlich eine Sperrwirkung. Nach allgemeinem Polizeirecht erlassene Maßnahmen, die – wie ein Platzverweis – die Teilnahme an einer Versammlung beenden, sind rechtswidrig, solange die Versammlung nicht aufgelöst worden ist (BVerfG, B.v. 26.10.2004 – 1 BvR 1726/01 = NVwZ 2005,80 (Ls. 5); B.v. 30.4.2007 – 1 BvR 1090/06 = NVwZ 2007, 1180 (1182); BayVGH, U.v. 6.12.2024 – 10 B 22.2177 – juris Rn. 19)). Es gilt zu vermeiden, dass etwa grundrechtsdienend streng auszulegende Tatbestandsmerkmale durch den Rückgriff auf allgemeine polizeirechtliche Befugnistatbestände umgangen werden.
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Indes ist die Anwendung des allgemeinen Polizeirechts nicht unumstößlich ausgeschlossen. Ein Rückgriff ist in diversen Konstellationen möglich, ohne dass er auf bestimmte Fallgruppen begrenzt wäre (BVerwG, U.v. 27.3.2024 – 6 C 1.22 – juris Rn. 32-34). Die Polizeifestigkeit gilt nicht so absolut, dass in die Versammlungsfreiheit nur auf Basis des Versammlungsgesetzes eingegriffen werden könnte. Letzteres enthält keine abschließende Regelung für die Abwehr sämtlicher im Kontext von Versammlungen potenziell auftretender Gefahren. Möglich ist der Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht, wenn das Versammlungsrecht keine spezifischen Befugnisse enthält. Möglich ist es u.a., auf versammlungsrechtlicher Grundlage erlassene Verfügungen auf Basis des PAG zu vollstrecken (BVerwG, B.v. 3.5.2019 – 6 B 149.18 – juris Rn. 9).
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(aa) Nach Auffassung der Kammer hat der Beklagte in persona des PHK … gegenüber dem Kläger und den weiteren Mitgliedern der Gruppierung „Letzte Generation“ eine Versammlungsbeschränkung i.S.v. Art. 15 Abs. 1 Var. 1, Abs. 4 BayVersG ausgesprochen, indem er ihnen eine nahegelegene Versammlungsfläche abseits der Fahrbahn zuwies (Videomaterial des Beklagten, Videodatei „VTS_01_1.BOB“, Sek. 37 – 15:09:26 Uhr).
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Das Selbstbestimmungsrecht der Veranstalter einer Versammlung über Ort, Zeitpunkt sowie Art und Inhalt der Versammlung ist durch den Schutz der Rechtsgüter Dritter und der Allgemeinheit begrenzt. Es umfasst nicht auch die Entscheidung, welche Beeinträchtigungen die Träger kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen haben (BVerfG, B.v. 24.10.2001 -1 BvR 1190/90 – juris Rn. 54). In diesem Sinne gewährleistet Art. 8 GG die Versammlungsfreiheit nicht schrankenlos, vgl. Art. 8 Abs. 2 GG. Als solche Schranke ermöglicht es das Bayerische Versammlungsgesetz (BayVersG) unter engen Voraussetzungen, Versammlungen zu beschränken. Nach Art. 15 Abs. 1, Abs. 4 BayVersG kann die zuständige Behörde unter freiem Himmel stattfindende Versammlungen nach deren Beginn insb. beschränken, wenn nach den zur Zeit des Ausspruchs der Beschränkung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
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Eine unmittelbare Gefahr idS. ist gegeben, wenn eine auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruhende Prognose bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Gefahreneintritts ergibt (BVerfG, B.v. 4.9.2009 – 1 BvR 2147/09 – juris Rn. 9). Die Unmittelbarkeit in diesem Sinn stellt besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts, mithin strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad. Ein zum Eingriff berechtigender Sachverhalt liegt erst vor, wenn der Eintritt eines Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit, d.h. „fast mit Gewissheit“, zu erwarten ist (BVerwG, U.v. 25.6.2008 – 6 C 21.07, BeckRS 2008, 38433 (Tz. 14)). Es bedarf einer konkreten Sachlage, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (VG Bayreuth, B.v. 13.2. 2020 – B 7 S 20.142 – juris Rn. 27). Das Kriterium der Unmittelbarkeit engt die Eingriffsvoraussetzungen stärker ein als im allgemeinen Polizeirecht. Es bedarf stets einer Gefahrenprognose im konkreten Fall, deren Grundlagen ausgewiesen werden müssen. In diesem Sinn verlangt Art. 15 Abs. 1 BayVersG, dass die Annahme der Gefahr auf „erkennbaren Umständen“ beruhen muss – auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten; ein bloßer Verdacht reicht nicht (BVerfG, B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 = NJW 1985, 2395 (2398)). Im Rahmen der gerichtlichen Beurteilung der Gefahrenlage ist dabei auf eine Ex-ante-Sicht abzustellen: Einer Prognose ist wesensimmanent, ein Wahrscheinlichkeitsurteil zu enthalten. Hat der handelnde Amtsträger die Lage – ex ante gesehen – zutreffend eingeschätzt, wird die getroffene Maßnahme aber – ex post betrachtet – nicht dadurch rechtswidrig, dass die Entwicklung anders als prognostiziert verlaufen ist. Nach allgemeinen polizeirechtlichen Grundsätzen sind in die Prognose insb. die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, die Gewichtigkeit des betroffenen Rechtsguts, die Größe des möglichen Schadens sowie die Eilbedürftigkeit des Eingriffs und Möglichkeiten weiterer Ermittlungen einzubeziehen. Hierbei gilt, dass je bedeutsamer das gefährdete Rechtsgut und je höher der zu erwartende Schaden ist, desto geringer die Anforderungen sein können, die an den Grad der Wahrscheinlichkeit gestellt werden (Holzner in BeckOK PolR Bayern, 25. Ed. 15.10.2024, PAG Art. 11 Rn. 26 u. 28; BVerfG, U.v. 27.7.2005 – 1 BvR 668/04 – NJW 2005, 2603).
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Der Begriff der öffentlichen Sicherheit aus Art. 15 Abs. 1 BayVersG entspricht dem der polizeirespektive sicherheitsrechtlichen Generalklauseln (BayVGH, U.v. 22.9.2015 – 10 B 14.2246 = NVwZ-RR 2016, 498 Rn. 53; BVerfG, B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 = NJW 1985, 2395 (2398); Dürig-Friedl/Enders/Dürig-Friedl, 2. Aufl. 2022, VersammlG § 15 Rn. 40). Er umfasst die Unverletzlichkeit der subjektiven Rechte und Rechtsgüter Einzelner, des Bestandes der Einrichtungen und der Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt sowie der Rechtsordnung, zu der neben Strafgesetzen auch verwaltungsrechtliche Ge- und Verbotsnormen gehören (BayVGH, aaO; BVerwG U. v. 25.6.2008 – 6 C 21.07, BeckRS 2008, 38433 Rn. 13). Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit wird in der Regel angenommen, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BeckOK PolR Bayern/M. Müller, 25. Ed. 15.10.2024, BayVersG Art. 15 Rn. 63 m.w.N.).
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Die Beschränkung i.S.v. Art. 15 Abs. 1, Abs. 4 BayVersG wiederum meint jede unterhalb eines Verbots bzw. der Auflösung einer Versammlung liegende Maßnahme. Mittels einer Beschränkung wird nicht das „Ob“, sondern das „Wie“ der Versammlung geregelt. Ein Bespiel einer Beschränkung ist etwa die Verlegung des Versammlungsortes (Dürig-Friedl/Enders/Dürig-Friedl, 2. Aufl. 2022, VersammlG § 15 Rn. 100; zur Frage, wann eine Verlegung einem Verbot gleichkommt: Dürig-Friedl/Enders/Dürig-Friedl, a.a.O; § 15 Rn. 100).
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Ab Versammlungsbeginn ist dabei die Polizei i.S.d. Art. 1 PAG für den Ausspruch etwaiger Beschränkungen zuständig (vgl. Art. 24 Abs. 1, 2 Satz 2 BayVersG).
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Vorliegend lässt sich eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht mit der Verletzung von Ziff. 1 der zur Zeit der polizeilichen Maßnahme gültigen Allgemeinverfügung der Stadt … vom 31. Juli 2023 (bekannt gemacht im Amtsblatt der Stadt … vom 31. Juli 2023 – Nr. 15a, S. 325) bzw. der damit im Raum stehenden Ordnungswidrigkeit nach Art. 21 Abs. 1 Nr. 6 BayVersG iVm. Ziff. 3 der weiteren Hinweise der Allgemeinverfügung begründen. Zwar ereignete sich die hiesige Blockade auf dem Gebiet der Stadt … – sie fand wenige Meter vor der Grenze zwischen den Städten … und … statt, die vom Ort der Blockade aus betrachtet in westlicher Richtung liegt (etwa auf einer Linie mit dem an die Fahrbahn der … angrenzenden Vorbau des Anwesens … in …*). Versammlungsverbote und -beschränkungen können grundsätzlich auch in der Form der personenbezogenen Allgemeinverfügung ergehen (vgl. BayVGH, B.v. 19.1.2022 – 10 CS 22.162 – juris Rn. 23ff). Allerdings begegnet es Bedenken, Versammlungen der „Letzten Generation“ pauschal und im Voraus jegliche Benutzung von Fahrbahnen von Straßen zu untersagen. Versammlungsverbote und -beschränkungen verlangen eine konkrete Prognose zur Gefahr sowie eine einzelfallbezogene Beurteilung der Verhältnismäßigkeit (BayVGH, B.v. 13.9.2023 – 10 CS 23.1650 – juris Rn. 35 zur weitgehend gleichlautend formulierten Allgemeinverfügung der Stadt Aschaffenburg). Hier verbietet die Allgemeinverfügung die Benutzung jeder Fahrbahn – unabhängig vom Zeitpunkt, vom Zeitraum, von der Anzahl der beteiligten Personen sowie von der verkehrlichen Bedeutung der Straße für den allgemeinen Verkehr und für Rettungsfahrten. Auch differenziert sie nicht danach, ob sich die Versammlungsteilnehmer festkleben oder in ähnlicher Weise schwer zu beseitigende Hindernisse errichten (wollen). Betroffen sind demnach z.B. auch kürzeste Kleinstversammlungen auf kaum befahrenen (Seiten-)Straßen (BayVGH, a.a.O, Rn. 38). Eine so weitreichende Ex-ante-Beschränkung ist nicht möglich.
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Indes haben der Kläger und die weiteren Mitglieder ihrer Gruppe am Nachmittag des 17. August 2023 eine bedeutende Verkehrsader zwischen … und … blockiert. Eine Versammlungsanzeige war nicht erfolgt. Allein das frühzeitige Ergreifen verkehrspolizeilicher (Umleitungs-)
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Maßnahmen verhinderte ein gänzliches Erliegen des Verkehrs. Zwar trug der Beklagte in seiner Erwiderung vor, es sei ein Rückstau bis zur … in … entstanden; allerdings verwechselt er dabei ggf. die beiden etwa zeitgleich durchgeführten Aktionen der „Letzten Generation“ – es geht hier nicht um die Blockade der Kreuzung Ecke …, sondern die der Kreuzung der … mit der … In Bezug auf erstgenannte Blockade entstand nach den polizeilichen Ermittlungen tatsächlich ein Rückstau bis zur … von etwa 226m (vgl. etwa Bl. 327, 329 und 343 d. Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft … zum Az.: …*). Mit Blick auf die hier zu betrachtende Aktion gingen das ermittelnde Kriminalfachdezernat 1 – Kommissariat 14 sowie die Staatsanwaltschaft … nicht von einem relevanten Rückstau aus.
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Indes heißt das nicht, dass das klägerische Verhalten keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung verursacht hat.
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Wie ausgeführt fällt unter die öffentliche Sicherheit die Unverletzlichkeit der subjektiven Rechte und Rechtsgüter Einzelner, des Bestandes der Einrichtungen und der Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt sowie der Rechtsordnung, zu der neben Strafgesetzen auch verwaltungsrechtliche Ge- und Verbotsnormen gehören. Dabei ist dem Gefahrbegriff die relevante Wahrscheinlichkeit – nicht des Eintritts – eines Schadens immanent.
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Ungeachtet der Tatvollendung liegt für die Kammer nicht fern, dass das klägerische Verhalten den Straftatbestand der versuchten Nötigung verwirklicht hat (vgl. den Strafbefehl des Amtsgerichtes … vom 9. Oktober 2024, Az.: …; zur Frage möglicher Rechtfertigung siehe auch S. 41). Der Versuch der Nötigung ist strafbar (§§ 23 Abs. 1, 240 Abs. 3 StGB). Somit hat sich am 17. August 2023 gegen 15:00 Uhr schon unter diesem Blickwinkel eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit realisiert: Nach der „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ bilden die von einer Blockade zuerst gestoppten Fahrzeuge für die Fahrzeuge in der zweiten Reihe ein physisches Hindernis (BGH NJW 1995, 2643 (2644)). Es handelt sich um eine mittelbare Täterschaft durch zurechenbare Gewaltanwendung des ersten gegenüber den nachfolgenden Fahrzeugführern (BGH, U.v. 20.7.1995 – 1 StR 126/95 = BGH NJW 1995, 2643 (2644)). Das Bundesverfassungsgericht hat dies bestätigt (BVerfG, B.v. 7.3.2011 − 1 BvR 388/05 = NJW 2011, 3020 (Ls. 1/Rn. 28ff)). Allgemein verbotenes Verhalten wird nicht dadurch rechtmäßig, dass es gemeinsam mit anderen in Form einer Versammlung erfolgt; Art. 8 GG schafft keinen Rechtfertigungsgrund für strafbares Verhalten (BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 – juris Rn. 53). In der folgenden Verwerflichkeitsprüfung aus § 240 Abs. 2 StGB sind die Versammlungsfreiheit sowie Art und Maß der Auswirkungen auf die betroffenen Dritte und deren Grundrechte gegeneinander abzuwägen. Einzustellen sind die Dauer und die Intensität der Blockade, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten und die Dringlichkeit des blockierten Transports; zu berücksichtigen ist auch, ob die Blockade und der Versammlungsgegenstand sachlich zusammenhängen (BVerfGE 104, 92 (112); BVerfG NJW 2011, 3020 Rn. 39; in diese Richtung: BayVGH, B.v. 13.9.2023 – 10 CS 23.1650 – juris Rn. 37ff = NJW 2024, 1761).
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Vorliegend ist zu bedenken, dass die u.a. durch den Kläger blockierte Kreuzung der … und der … kurz nach der Abfahrt vom … (Ausfahrt …*) liegt. Sie hat insb. auch große Bedeutung für den Rettungsverkehr, auf dessen Funktionieren die Allgemeinheit unbedingt angewiesen ist. Zudem haben der Kläger und die weiteren Demonstrierenden sich wohl bewusst für einen Zeitpunkt entscheiden, von dem allgemeinkundig ist, dass es sich um eine der Hauptverkehrszeiten handelt (insb. Berufsverkehr u.ä. grundrechtssensible Mobilitätsinteressen der betroffenen Dritten). Insofern handelte es sich um einen relativ betrachtet wohl grundsätzlich störungsintensiven Zeitpunkt. Eine Versammlungsanmeldung war nicht erfolgt. Insofern konnten die zuständigen Behörden im Vorfeld nur bedingt vorbeugende (Verkehrs-)Maßnahmen treffen. Dies gilt nach Auffassung der Kammer auch, wenn aufgrund etwaiger Meldungen in sozialen Medien etc. Indizien für die Blockade der betreffenden Kreuzung bestanden; eine präventive Sperrung oder Maßnahmen der Verkehrsumleitung im Hinblick auf sämtliche potentiell betroffenen Örtlichkeiten erscheinen weder möglich noch verhältnismäßig.
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Außerdem war die Gruppe um den Kläger allenfalls zur Steigerung der mit der Aktion generierten Aufmerksamkeit auf die gewählte Kreuzung angewiesen. Die „Letzte Generation“ verfolgt keine spezifisch auf die gewählte … Lokalität bezogene konkreten Ziele; überhaupt hängen ihre generellen Zielsetzungen eher mittelbar mit dem Straßenverkehr zusammen.
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Schließlich mag erheblicher verkehrspolizeilicher Aufwand einen längerfristigen gänzlichen „Verkehrskollaps“ ebenso wie daraus resultierende Schadensereignisse verhindert haben. Mithin dienten die polizeilichen Maßnahmen der Gefahrenbeseitigung. Es handelt sich um einen Zirkelschluss, wenn der Kläger meint, dass die Gefahr mit der Durchführung der polizeilichen Maßnahmen entfallen sei, so dass man wieder – wohl mittels Blockade – vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit hätte Gebrauch machen dürfen, da dies eine neue Gefahr begründet hätte. Zudem scheint der Kläger nicht in Frage zu stellen, dass die betroffene Straße grundsätzlich stark frequentiert wird. Daher ist nicht ersichtlich, wie die Freigabe nur einer Fahrspur zum Überwiegen der den allgemeinen Mobilitätsinteressen entgegenstehenden Belange führen soll.
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Jedenfalls realisierte sich durch das Verhalten des Klägers und der weiteren Blockierenden eine Gefahr für die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) all der Personen, die aufgrund der Aktion in ihrer Möglichkeit der Fortbewegung eingeschränkt wurden und Verzögerungen bzw. Umwege in Kauf nehmen mussten.
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Mit den obigen Argumenten realisierte sich aufgrund des Verhaltens u.a. des Klägers zudem eine Gefahr für die sog. Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs – hinter der u.a. die Mobilitätsinteressen – Art. 2 Abs. 1 GG – sowie das Recht auf körperliche Unversehrtheit – Art. 2 Abs. 2 GG – der betroffenen Dritten stehen (zum Ganzen auch: BeckOK PolR Bayern/M. Müller, 24. Ed. 1.3.2024, BayVersG Art. 15 Rn. 41; Dietlein/Hellermann NRWÖffR/Dietlein, 10. Aufl. 2024, § 3 Rn. 304; zum Schutzgut der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auch: VG München, B.v. 4.5.2024 – M 10 S 24.2228 – juris Rn. 26). Hinzu kommt angesichts der gewählten Tageszeit der Blockade, dass hinter den betroffenen Mobilitätsinteressen der Dritten auch weitere grundrechtrechtlich geschützte Interessen wie Art. 12 GG (Berufsfreiheit) stehen. Die blockierte Kreuzung ist Teil eines großen Ganzen. So mögen verkehrspolizeiliche Maßnahmen das Erliegen des Verkehrs am betreffenden Ort verhindern. In der Konsequenz kommt es aber zu den Blockierenden zurechenbaren Ausweichbewegungen sowie einer Verkehrsverdichtung an anderen Stellen. Mag eine polizeiliche Maßnahme auch einen Schaden an einem neuralgischen Punkt verhindern, so erhöht dies folglich dennoch die dem Straßenverkehr allgemein immanente Gefahr an anderer Stelle. Insofern liegt auch insoweit eine relevante Gefahr vor; ob bzw. welche Maßnahmen zu deren Beseitigung ergriffen werden können, ist im Wege einer Verhältnismäßigkeitsprüfung bzw. der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter zu beurteilen.
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Dabei erscheint es unterkomplex, die Gefahr mit dem Argument zu verneinen, dass der Kläger sich dieser Gefahr eigenverantwortlich ausgesetzt habe. Dies blendet aus, dass die Gruppe um den Kläger eine in ihrer Reichweite schwer zu überblickende Gefahr für eine Vielzahl anderer Personen schafft. Eher abwegig wirkt auch das wenig juristisch anmutende, die betroffenen Schutzgüter Dritter ausblendende Argument, das Wegtragen sei „nur“ erfolgt, da der Straßenverkehr behindert worden sei bzw. um die Fahrbahn freizugeben und nicht „zur Gefahrenabwehr für Personen, Sachen oder Tiere“ (vgl. zu beidem: VG Berlin, B.v. 21.9.2023 – VG 1 L 263/23 = BeckRS 2023, 26287 Rn. 15).
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(bb) Die Beschränkung der Versammlung war auch verhältnismäßig.
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Sie verfolgte den legitimen Zweck, die oben beschriebenen Gefahren für die öffentliche Sicherheit zu beseitigen. Dazu war sie auch geeignet.
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Darüber hinaus war sie erforderlich; insb. war kein milderes Mittel erkennbar: Wie dargelegt war für den Zeitpunkt der Aktion keine Versammlung angemeldet worden, so dass nur begrenzt Maßnahmen im Vorfeld getroffen werden konnten. Eine Begrenzung auf nur eine Fahrspur hätte die beschriebenen Gefahren auch angesichts der Frequentierung der Straße nicht beseitigt. Vielmehr hätte es neue Gefahren geschaffen, wenn die Polizeibehörden zugelassen hätten, dass der Verkehr in nächster Nähe zu auf der Fahrbahn sitzenden Personen fließt. Darüber hinaus hätte eine dauerhafte Aufrechterhaltung der verkehrspolizeilichen Maßnahmen zur Vermeidung von Gefahren der Protestierenden und Dritter in deren Rechten am Ort der Blockade sowohl den wohl vorliegenden Versuch einer Straftat, die Verletzung grundrechtlich geschützter Mobilitätsinteressen sowie der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nicht beseitigt.
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Dabei erweist sich die Beschränkung in Form der Verlegung auch als angemessen bzw. verhältnismäßig im engeren Sinn. Dabei ist zu bedenken, dass die Blockierenden zur Kundgabe ihres Anliegens nicht auf den spezifisch gewählten Ort angewiesen waren – allenfalls unter dem nicht schutzwürdigen Gedanken, möglichst viele Personen zu treffen und insofern ein Maximum an Aufmerksamkeit zu generieren: Wie skizziert, stehen ihre Forderungen in keinem engen Zusammenhang mit dem Straßenverkehr noch verfolgten sie überhaupt spezifisch „…“ Ziele. Ferner mögen Aktionen zielgerichteter Blockade Dritter – hier die vom 17. August 2023 -auf vielbefahrene Straßen angewiesen sein, wenn sie im Kern mittelbar durch die Folgen der Blockade sowie diesbezüglicher medialer Berichterstattung einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leisten möchten. Insofern wird eine Beschränkung in Form einer Verlegung in ihrer Wirkung vielfach einer Auflösung der Versammlung nahekommen. Andererseits legitimiert Art. 8 Abs. 1 GG wie dargelegt nicht jede Form der Schaffung von Aufmerksamkeit. Insofern müssen Mittel des Protests gegenüber den Grundrechten der davon Betroffenen zurückstehen, wenn sich die Protestierenden selbsthilfeähnlich und ohne demokratische Legitimation zum Sachwalter der Allgemeinheit erheben und letzterer – selbst wenn man einen langfristig positiven Effekt derartiger Proteste unterstellen mag – zunächst nur schaden. Für die Kammer ist eine Vielzahl kreativer Formate des Protestes vorstellbar, die kaum weniger effektiv die Aufmerksamkeit auf das Ziel des Umweltschutzes respektive den Kampf gegen die Erderwärmung lenken, ohne unbeteiligte Dritte – ungeachtet dessen, ob diese den Protest der Blockierenden teilen bzw. ob die Dritten selbst überhaupt „Umweltsünder“ sind – zu instrumentalisieren.
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Weiter ist zu berücksichtigen, dass mangels Anmeldung der Versammlung bzw. aufgrund des Fehlens eines formalen Versammlungsleiters sowie des eingestandenen passiven – wohl nicht kooperativen – Verhaltens des Klägers sowie der sonstigen Gruppenmitglieder nicht ersichtlich ist, welche Möglichkeiten der Kooperation für den Beklagten bestanden haben sollen.
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Schließlich ist zu bedenken, dass der Kläger und die weiteren Gruppenmitglieder ihre Versammlung bis zum Zeitpunkt der Beschränkung für einen nicht unerheblichen Zeitraum durchführen konnten. Es ist nicht ersichtlich, dass die vom Kläger als Ziel des Protests genannten Belange, die Aktion in der Öffentlichkeit als Störung wahrzunehmen und damit eine erhöhte mediale Aufmerksamkeit zu erreichen, aufgrund der polizeilichen Maßnahme nicht erreicht worden wären. Vielmehr spricht vieles für das Gegenteil; es ist auch nicht erkennbar, dass das benannte Ziel der Wahrnehmung als Störung bzw. die Erreichung medialer Aufmerksamkeit eine noch längere Dauer der Blockade vorausgesetzt hätten. Daneben sind iRd. Beurteilung der Verhältnismäßigkeit auch Belange der dem Allgemeinwohl dienenden Polizeiarbeit zu berücksichtigen. Angesichts der mit erheblichen Störungen verbundenen unangemeldeten Versammlung war es auch iSd. Effektivität der Gefahrenabwehr angemessen, die Versammlung zeitlich und örtlich zu beschränken. Eine ausschließlich örtliche Beschränkung hätte vor dem Hintergrund des Vorverhaltens – des Risikos der jederzeit möglichen Rückkehr auf die Fahrbahn – erhebliche Polizeikräfte gebunden, mithin deren Einsatz an anderer Stelle verunmöglicht.
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Im Rahmen der praktischen Konkordanz überwiegen die Interessen der Allgemeinheit an der Gefahrenabwehr angesichts der hier in Rede stehenden Abläufe vorliegend somit das Interesse, die Blockadeaktion dauerhaft fortsetzen zu dürfen.
94
(cc) Angesichts des Vorstehenden kann die Kammer keine Fehler bei der Ausübung des nach § 114 VwGO eingeschränkt überprüfbaren Ermessens erkennen. Falls handelnde Polizeibeamte in vergleichbaren Blockadesituationen ähnlich reagiert haben, mag dies darauf zurückgehen, dass die Blockadeaktionen der Letzten Generation typischerweise an ähnlich hochfrequentierten Orten durchgeführt wurden respektive, dass die Polizeibehörden ein von Aspekten der Effektivität der Gefahrenabwehr sowie der Gleichbehandlung geleitetes Konzept verfolgen. Vorliegend hat der Beklagte aber den Zweck und die Grenzen der versammlungsrechtlichen Befugnisse gewahrt. Insoweit sei auf die obigen Ausführungen verwiesen.
95
(c) Nähme man das Verhalten des Klägers vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit aus, stellte sich die Frage nach der Polizeifestigkeit nicht. In diesem Fall stützte sich die vollstreckte Grundverfügung auf Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PAG – wobei die Kammer mit den obigen Ausführungen insb. zur Gefahr für die öffentliche Sicherheit und zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme keine Bedenken hinsichtlich deren Rechtmäßigkeit hat.
96
Mit derselben Konsequenz steht die Polizeifestigkeit den ergriffenen polizeilichen Maßnahmen auch dann nicht entgegen, wenn man von einer Auflösung der Versammlung im Anschluss an die Nicht-Beachtung der Versammlungsbeschränkung ausgeht. Wie dargelegt, kann die Polizei nach der Auflösung einer Versammlung auf Basis und unter den Voraussetzungen des allgemeinen Polizeirechts Maßnahmen ergreifen. Nimmt man an, dass hier vor der Durchführung der streitigen Polizeimaßnahme eine explizite Versammlungsauflösung erfolgte, hat der Kläger ferner eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung begründende Ordnungswidrigkeit iSv. Art. 21 Abs. 2 Nr. 3 BayVersG sowie u.U. Art. 21 Abs. 1 Nr. 6 BayVersG verwirklicht.
97
Für den Ausspruch der Auflösung der Versammlung im Anschluss an die Missachtung der Versammlungsbeschränkungen sprechen die Vermerke von PHK … (Bl. 307ff d. Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft … zum Az.: …*) sowie KOK … (Bl. 309, 317 und 322 d. Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft … zum Az.: …*). Zudem blieb der Vortrag des Beklagten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren insoweit zwar knapp; er gab in der Klageerwiderung aber zumindest an, man habe nach Missachtung der Versammlungsbeschränkung um 15:13 Uhr mit der Auflösung der Versammlung begonnen. Ferner sprechen die Feststellungen des klägerseits vorgelegten Strafbefehls – AG …, … – davon, dass die Versammlung als Folge dessen, dass der Kläger und die weiteren Mitglieder der Gruppierung der Versammlungsbeschränkung nicht Folge geleistet hatten – was unstrittig ist – „für beendet erklärt“ wurde, was den Ausspruch einer Auflösung iSv. Art. 15 Abs. 1, 4 BayVersG andeutet (zur bis zum o.g. Beschluss des BVerwG vom 3.5.2019 – 6 B 149/18 – juris – str. Frage, ob versammlungsrechtliche Auflagen / Beschränkungen überhaupt direkt oder nur mittelbar über die Auflösung nach ihrer Missachtung – die im Strafbefehl anklingt – durchgesetzt werden können: Ridder/Breitbach/Deiseroth, Versammlungsrecht, 2. Auflage 2020, VersammlG § 15 Rn. 45).
98
Jedoch bestritt der Kläger, dass eine Auflösung erfolgt ist; die diesbezüglichen Ausführungen im Strafbefehl träfen nicht zu. Ihm ist auch zuzugeben, dass der Vortrag des Beklagten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eher vage blieb – im Vordergrund stand dort der Ausspruch einer Versammlungsbeschränkung, nicht eine mögliche Auflösung nach Missachtung einer Beschränkung. Abgesehen davon belegt das Videomaterial des Beklagten (Videodatei „VTS_01_1.BOB“, Min. 1:05 – rund um 15:13:00 Uhr) angesichts der Überlagerung diverser zur Zeit des Polizeieinsatzes bestehender Geräuschquellen nicht eindeutig, ob gegenüber den Versammlungsteilnehmern expressis verbis erklärt wurde, dass die Versammlung nun aufgelöst sei.
99
Für die Auflösung der Versammlung spricht, dass der leitende Beamte am 17. August 2023 noch um 15:09:44 Uhr die Auflösung der Versammlung für den Fall in Aussicht gestellt hat, dass die Fahrbahn nicht binnen gesetzter Frist „freigemacht“ werde (vgl. Sek. 54 des beklagtenseits vorgelegten Videomaterials zum Polizeieinsatz – „VTS_01_1.BOB“). Darüber hinaus belehrte dieser Beamte die Teilnehmer um 15:12:45 erneut und bat sie, aufzustehen (Min. 1:17 der Videodatei – „VTS_01_1.BOB“). Nachdem die Aufforderung nicht den gewünschten Erfolg gezeitigt hatte, erteilte dieser Beamte seinen Kollegen um 15:13:22 Uhr den Auftrag, „Blockade auflösen bitte“ (Min. 1:32 der Videodatei – „VTS_01_1.BOB“). Nicht eindeutig ist, ob eine direkt an die Versammlungsteilnehmer gerichtete Auflösungsverfügung ausgesprochen wurde. Indes ist zwar zu fordern, dass sich aus einer solchen Verfügung eindeutig und unmissverständlich ergibt, dass die Versammlung aufgelöst ist (BVerfG, B.v. 26.10.2004 – 1 BvR 1726/01 – juris Rn. 20). Die Formulierung einer Auflösungsverfügung muss den Teilnehmern klar aufzeigen, was sie tun oder lassen müssen (Dürig-Friedl/Enders VersammlG § 15 Rn. 200). Vorliegend lässt sich dies aber bejahen: Aus den Gesamtumständen war ersichtlich, zu welchem Zeitpunkt die Versammlungsteilnehmer die Fahrbahn endgültig verlassen müssen. Angesichts der vorherigen Inaussichtstellung der Auflösung nach Fristablauf dürfte für die Versammelten nach Ablauf der Frist und der Aussage „Bitte jetzt aufstehen…“ erkennbar gewesen sein, dass die in Aussicht gestellte Auflösung der Versammlungsauflösung nun erfolgt ist.
100
Letztlich sind versammlungsrechtliche Beschränkungen nach der überzeugenden höchstrichterlichen Rechtsprechung wie dargelegt selbst der Vollstreckung zugänglich (BVerwG, B.v. 3.5.2019 – a.a.O). Mithin kann die Kammer offen lassen, ob es einer explizit an die Versammlungsteilnehmer gerichteten Auflösungsverfügung bedarf respektive ob diese hier erfolgt ist.
101
c) Die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt.
102
(a) Mit der Maßnahme zur Verbringung des Klägers von der Fahrbahn auf den angrenzenden Gehweg übte der Beklagte rechtmäßig unmittelbaren Zwang i.S.d. Art. 75 Abs. 1 Satz 1 PAG aus.
103
Nicht in Betracht kam das Zwangsmittel der Ersatzvornahme iSd. Art. 72 Abs. 1 Satz 1 PAG. In Rede stand hier die Pflicht, die Fahrbahn zu verlassen. Gefordert war somit eine höchstpersönliche und keine vertretbare Handlung i.S.d. Art. 72 Satz 1 PAG. Das Verlassen des öffentlichen Verkehrsraums ist keine Handlung, die auch ein Dritter erbringen kann und nicht notwendig vom eigentlich Pflichtigen erbracht werden muss (allg. zur Definition der vertretbaren Handlung: BeckOK PolR Bayern/Buggisch, 24. Ed. 1.3.2024, PAG Art. 72 Rn. 5; das Wegtragen im Kontext v. Sitzblockaden ebenfalls als unvertretbare Handlung qualifizierend: VG Berlin, B.v. 21.9.2023 – VG 1 L 263/23 = BeckRS 2023, 26287 Rn. 13; Rulinski in SächsVBl. 2024, 37 (39)). Unabhängig davon bildet die physisch vermittelte Einwirkung auf den Körper des Klägers zur Durchsetzung der Handlungspflicht nach der Auffassung der Kammer den Schwerpunkt des polizeilichen Handelns (zur Schwerpunktbetrachtung: Rulinski in SächsVBl. 2024, 37 (38)).
104
(aa) Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen sind erfüllt. Insb. bildet die mündliche Versammlungsbeschränkung eine vollstreckbare Grundverfügung. Entsprechende Rechtsmittel haben nach Art. 25 BayVersG keine aufschiebende Wirkung. Nimmt man das Verhalten des Klägers aus dem Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG aus oder legt eine vorangegangene Versammlungsauflösung zugrunde, folgt die sofortige Vollziehbarkeit aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO.
105
(bb) Auch die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen liegen vor.
106
(1) Der Kläger war Adressat der Grundverfügungen. Er war verpflichtet, sich von der Straße zu entfernen. Er kam dieser Pflicht nicht nach. Die Erfüllung der Pflicht wäre ihm aber tatsächlich und rechtlich möglich gewesen.
107
(2) Der Beklagte hat die Vollstreckung auch ordnungsgemäß durchgeführt.
108
Wie skizziert ist eine Kostenerhebung nur möglich, wenn die zugrundeliegende polizeiliche Maßnahme rechtmäßig war. Insofern setzt die Erhebung von Gebühren für die Anwendung unmittelbaren Zwangs die Rechtmäßigkeit der Anwendung voraus (so etwa: VG Regensburg, U.v. 20.7.2021 – RO 4 K 19.960 – juris Rn. 26ff, bestätigt durch: BayVGH, B.v. 23.3.2023 – 10 ZB 21.2758 – juris).
109
(a) Der Beklagte hat dem Kläger die Anwendung des unmittelbaren Zwangs nach unbestrittenem Beteiligtenvortrag i.S.d. Art. 76 Abs. 1 Satz 1 PAG angedroht – wobei angesichts des dynamischen Einsatzgeschehens bzw. der zeitlichen Dringlichkeit kein Raum für die Schriftlichkeit der Androhung war. Ihm wurde ausreichend konkret in Aussicht gestellt, mit welcher Konsequenz er für den Fall des Unterbleibens des geforderten Verhaltens rechnen musste (vgl. dazu insb. die Erklärung des Beamten vom 17. August 2023 um 15:09:49 Uhr, Sek. 59 des beklagtenseits vorgelegten Videos zum Polizeieinsatz – „VTS_01_1.BOB“). Wie unten dargelegt werden wird, ist die Kammer nach der durchgeführten Beweisaufnahme außerdem davon überzeugt, dass der Beklagte keinen Schmerzgriff im Sinne sog. Nervendrucktechniken angewendet hat; mithin stellt sich nicht die Frage, ob es vorliegend neben der Androhung der Anwendung unmittelbaren Zwangs einer gesonderten Androhung der Anwendung einer Nervendrucktechnik bedurft hätte (so: OVG Lüneburg, U.v. 28.10.2016 – 11 LB 209/15 – juris Rn. 22f). Davon abgesehen stand dem Kläger auch eine ausreichende Frist zur Verfügung, innerhalb derer er der Aufforderung, sich zu entfernen, hätte nachkommen können (Art. 76 Abs. 1 Satz 2 PAG).
110
(b) Bei der ergriffenen polizeilichen Maßnahme handelt es sich um eine, die von der Rechtsgrundlage des Art. 75 PAG gedeckt ist.
111
Unmittelbarer Zwang dient der physischen Herbeiführung der Polizeipflicht (Becker/Heckmann/Kempen/Manssen BayÖffR/Heckmann, 8. Aufl. 2022, 3. Teil. Rn. 253). Er ist eine solche rein physische Einwirkung auf den Betroffenen; er deckt nicht die ausschließlich psychisch wirkende Bedrohung (BeckOK PolR Bayern/Buggisch, 25. Ed. 15.10.2024, PAG Art. 78 Rn. 9).
112
Der unmittelbare Zwang bezweckt, einen bestimmten mit der Grundmaßnahme intendierten Erfolg zu erreichen und den der polizeilichen Maßnahme entgegenstehenden Willen zu überwinden (BayVGH, B.v. 8.3.2012 – 10 C 12.141 – juris Rn. 20). Dabei wahrt er die in Art. 3 EMRK verbürgte rechtliche Grenze, solange er nicht nur eine Änderung des konkreten Verhaltens, sondern auch des Willens des Betroffenen herbeiführen soll (BeckOK PolR Bayern/Buggisch, 25. Ed. 15.10.2024, PAG Art. 78 Rn. 12).
113
Unmittelbarer Zwang ist nach Art. 78 Abs. 1 PAG die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel, Waffen und Explosivmittel. Körperliche Gewalt definiert Art. 78 Abs. 2 PAG als die unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen.
114
Die Einwirkung iSd. Art. 78 Abs. 1 PAG kann dabei unter Verwendung von Hilfsmitteln iSv. Art. 78 Abs. 3 PAG erfolgen – Fesseln, Wasserwerfer, technische Sperren, Diensthunde, Dienstpferde, Dienstfahrzeuge, Luftfahrzeuge, Reiz- und Betäubungsstoffe sowie zum Sprengen bestimmte explosionsfähige Stoffe (Sprengmittel). Sie kann aber auch allein in der Anwendung von Körperkraft durch den handelnden Polizeibeamten liegen. Erfasst sind etwa Wegschieben, -drücken und -tragen, Festhalten und Abführen. Dies gilt auch, wenn der Beamte besondere Fähigkeiten aus dem Kampfsport einbringt. Das denkbare Spektrum körperlich vermittelten Zwangs reicht von leichten Berührungen bis hin zu die körperliche Unversehrtheit weitergehend beeinträchtigenden Maßnahmen gegen den Betroffenen (zum Ganzen: Schmidbauer/Steiner/Schmidbauer, 6. Aufl. 2023, PAG Art. 78 Rn. 3).
115
Die Anwendung unmittelbaren Zwangs iSv. Art. 75, 78 PAG impliziert die Möglichkeit, bei einem Betroffenen Schmerzen auszulösen. Bereits die Lektüre von Art. 78 PAG legt nahe, dass die Mittel unmittelbaren Zwangs beim Adressaten bzw. der Adressatin auf den bzw. die eingewirkt wird, u.U. Schmerzen verursachen. Im Übrigen ist dem Begriff der Gewalt als körperlich vermitteltem Zwang diese Möglichkeit immanent – gleich ob die Einwirkung iSv. Art. 75 Abs. 1 PAG mittels einfacher körperlicher Gewalt oder mit Hilfsmitteln iSv. Art. 75 Abs. 3 PAG erfolgt.
116
Setzen Polizeikräfte bei einer Maßnahme Körpergewalt ein, kommt nicht selten der Terminus der Schmerzgriffe auf. Eine allgemeingültige Definition selbiger existiert nicht – insb. keine gesetzliche. Unter Schmerzgriffen im eigentlichen Sinn versteht man Nervendrucktechniken, bei denen durch die Erzeugung von Druck auf bestimmte Stellen des Körpers ein Schmerzgefühl hervorgerufen wird. Wer den Griff anwendet, macht sich zunutze, dass ein u.U. wenig Kraftaufwand erfordernder Druck auf bestimmte Stellen des Körpers aufgrund dort verlaufender neuronaler Bahnen beim Betroffenen enorme Schmerzen auslösen kann. Im Kontext der Polizeiarbeit adressiert der Begriff Techniken, die bewirken sollen, dass Betroffene das gewünschte Verhalten – etwa eine Bewegung – ausführen, um dem durch den Griff ausgelösten Schmerz zu entgehen; die handelnden Beamten selbst wollen bzw. müssen die Betroffenen nicht mehr bewegen. Folglich geht es Schmerzgriffen im dargelegten Sinn – wie allen Mitteln der Anwendung unmittelbaren Zwangs bis hin zum Schusswaffengebrauch – nicht um die Zufügung von Schmerzen um ihrer selbst willen (so auch: OVG Lüneburg, U.v. 28.10.2016 – 11 LB 209/15 – juris Rn. 19); sie sind Mittel zum Zweck der Durchsetzung der Polizeipflicht, mithin der Gefahrenabwehr.
117
Zwar wird eingewandt, das – wohl als problematisch erachtete – Spezifikum von Nervendrucktechniken als Schmerzgriffe im eigentlichen Sinn sei, dass der Schmerz hier anders als bei anderen Maßnahmen unmittelbaren Zwangs nicht „Nebenprodukt“ der Durchsetzungsmaßnahme, sondern die Durchsetzungsmaßnahme selbst sei (Grau/Singelnstein zitieren im Verfassungsblog – https://verfassungsblog.de/schmerzgriffe-als-technik-in-der-polizeilichen-praxis/ die der Kammer nicht vorliegende Dissertation von Mooser, Nervendrucktechniken im Polizeieinsatz, Baden-Baden 2022, S. 209). Indes wirkt diese Differenzierung etwas artifiziell: Wer mit der Hand zuschlägt, einen Schlagstock einsetzt oder eine Schusswaffe gebraucht, weiß, dass er damit Schmerzen verursachen wird. Der Schlag, der Schlagstockeinsatz oder der Schusswaffengebrauch ruft die Schmerzen auch unmittelbar hervor. Insofern ist fraglich, warum die Schmerzen hier dennoch „Nebenprodukt“ des Schlages, des Schlagstockeinsatzes oder des Schusswaffengebrauchs sein sollen.
118
Die Besonderheit von Nervendrucktechniken als Schmerzgriffe im eigentlichen Sinn liegt nach der Ansicht der Kammer darin, dass bewusst Schmerzen zugefügt werden, wobei sie nicht auf ein Dulden oder Unterlassen, sondern auf aktives Tun des Betroffenen abzielen (OVG Lüneburg, U.v. 28.10.2016 – 11 LB 209/15 – juris Rn. 24) – wenn sie dies auch mit einzelnen anderen gesetzlich genannten Mitteln der Anwendung unmittelbaren Zwangs teilen; auch etwa Pfefferspray als Hilfsmittel körperlicher Gewalt setzt zuvorderst auf eine Verhaltensänderung durch Schmerzzufügung (BeckOK PolR Bayern/Buggisch, 25. Ed. 15.10.2024, PAG Art. 78 Rn. 12).
119
Je nach Lage des Falles können die Polizeibehörden befugt sein, Betroffene durch gezieltes Setzen von Schmerzreizen zu einem Dulden, Unterlassen (BeckOK PolR Bayern/Buggisch, 25. Ed. 15.10.2024, PAG Art. 78 Rn. 11) oder einem aktiven Tun zu bewegen – etwa selbstständigem Aufstehen. Letzteres folgt insb. aus dem Wesen des Verwaltungszwangs, der nach Art. 70 Abs. 1 PAG auch eine mittels polizeilichen Verwaltungsakts verfügte Handlungspflicht zwangsweise durchsetzen kann (zum Ganzen: Lisken/Denninger PolR-HdB/Graulich, 7. Aufl. 2021, E. Rn. 961ff; OVG Lüneburg, U.v. 28.10.2016 – 11 LB 209/15, Rn. 17ff). Polizeibehörden müssen den erstrebten Erfolg nicht unmittelbar selbst herbeiführen. Möglich ist auch die mittelbare Herbeiführung mittels Einwirkung auf den Betroffenen, damit dieser den Erfolg selbst herbeiführt.
120
Ob eine im Einzelfall angewandte Maßnahme unmittelbaren Zwangs rechtmäßig ist, entscheidet sich anhand der allgemeinen Kriterien des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Rechtlich betrachtet hat die Subsumtion einer Maßnahme unter das bewusste Zufügen von Schmerzen mittels Nervendrucktechnik – der Einordnung als Schmerzgriff im eigentlichen Sinn – insb. für die Beurteilung der Erforderlichkeit und der Angemessenheit einer Maßnahme Bedeutung.
121
Die Kammer folgt insoweit der Unterscheidung von Grau/Singelnstein. Sie differenziert Nervendrucktechniken als Schmerzgriffe im eigentlichen Sinn von Maßnahmen, bei denen die unmittelbare Durchsetzung der Polizeipflicht mittels Kraftentfaltung zur Gefahrbeseitigung – etwa das Abführen oder Wegtragen einer Person – im Vordergrund steht, die aber ebenfalls Schmerzen verursachen können – insb. bei entsprechender Reaktion des Betroffenen.
122
Unter solche Maßnahmen fallen insb. unterstützende Techniken, mit denen Polizeibeamte eine Maßnahme wie das Abführen mit dem – nach Ansicht der Kammer legitimen – Ziel des Eigenschutzes bzw. der Fremdsicherung begleiten. Etwa im Fall der Anwendung von Hebeltechniken kann ein Betroffener einen durch die Technik vermittelten Schmerz vermeiden, indem er keine Gegenwehr leistet respektive in die Richtung nachgibt, die der Beamte bzw. dessen Hebel verlangt. Zweck der genannten Techniken ist die Herbeiführung des mit der Grundmaßnahme bezweckten Erfolgs – hier die Entfernung von der Straße; Schmerz entsteht nur im Fall von Gegenwehr gegen die Polizeimaßnahme, gleichermaßen als deren „Nebenprodukt“ (zum Ganzen: Grau/Singelnstein in https://verfassungsblog.de/schmerzgriffe-als-technik-in-der-polizeilichen-praxis/). Ein etwa entstehender Schmerz geht zwar auch auf das entsprechende polizeiliche Handeln zurück, er setzt aber ein bestimmtes Verhalten des Betroffenen voraus – es bedarf eines nicht dem Willen der Polizeibeamten unterworfenen weiteren Glieds in der Kausalkette.
123
Unter die zuletzt skizzierten Techniken fällt das unterstützende Fixieren durch kontrolliertes Beugen von Gliedmaßen, bei der im Fall einer Gegenbewegung des Betroffenen Scherzen entstehen (in diese Richtung: Grau/Singelnstein in https://verfassungsblog.de/schmerzgriffe-als-technik-in-der-polizeilichen-praxis/).
124
(c) Vorliegend ist die Kammer nach der Durchführung der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass gegen den Kläger keine Nervendrucktechnik bzw. kein Schmerzgriff im eigentlichen Sinn angewendet wurde.
125
Die von beiden Beteiligten eingereichten Videos zeigen, dass die Beamten PHM … und POM … den Kläger zunächst mit einiger Kraft anhoben. Nachdem selbiger zum Stehen gekommen war, führten sie ihn in Richtung des zugewiesenen alternativen Versammlungsortes. Dabei sperrte sich der Kläger gegen das Wegbewegen, so dass sie weiter Kraftaufwand entfalten mussten.
126
Für die Kammer ist nachvollziehbar, dass der mit seinem linken Arm untergehakte PHM … und der mit dem rechten Arm untergehakte POM … (vgl. etwa die gesamte Videosequenz des Klägers, Datei „AN 15 K 24.621 Schmerzgriffe Video gesamt.mp4“) ähnlich einer Situation des Wegtragens physisch wirkenden Druck insb. auf die Oberarme des Klägers ausübten. Es ist aber nicht ersichtlich, dass der Kläger den Boden zu irgendeinem Zeitpunkt des Wegführens nicht erreichen und insofern den Druck nicht abmildern konnte.
127
Mit Blick auf den Beamten POM … kann die Kammer abgesehen von der Kraftentfaltung durch das Anheben auch nicht die Anwendung einer sonstigen Technik des Wegführens erkennen. Der Kläger trug diesbezüglich etwas vage vor, der Beamte habe ihm unter die Achsel gegriffen und an der Haut gezogen. In der mündlichen Verhandlung hat er bezogen auf POM … keine weiteren Angaben gemacht. Das Video des Beklagten legt insoweit nichts nahe (ab 15:13:34 Uhr, Min. 1:43 des beklagtenseits vorgelegten Videos zum Polizeieinsatz – „VTS_01_1.BOB“). Auch die aus einer diesbezüglich günstigeren Perspektive gedrehte Videosequenz des Klägers bringt dazu nichts zutage (vgl. Sek. 1-4 der Videodatei „AN 15 K 24.621 Schmerzgriffe Video gesamt.mp4“): Sie zeigt, dass der Polizeibeamte mit seinem rechten Arm von hinten unter die Achsel des Klägers griff und mit seiner linken Hand seine rechte Hand ergriff, um den Kläger anheben zu können. Es ist auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass er die Position seiner Arme und Hände im Verlauf der Polizeimaßnahme geändert hätte. Es erscheint der Kammer vorstellbar, dass insb. das Anheben durch POM … bzw. der mit der Festhaltung verbundene Impuls gegen den Kläger, sich nicht aus „der Führung“ zu lösen, als unangenehm und u.U. schmerzhaft empfunden werden kann. Allerdings ist ein bewusstes „Ziehen an der Haut“ weder erkennbar und angesichts der Position der Arme des POM … schwer vorstellbar. Zudem zeigt sich zu keinem Zeitpunkt, dass POM … durch die Kompression bestimmter neuronaler Punkte bewusst Schmerzen auslösen wollte. Ersichtlich ist nur eine Fixierung, die darauf abzielt, den Kläger von der Straße zu bringen.
128
Mit Blick auf PHM … besteht insofern eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation, als der Kläger meint, dass der Beamte Kraft auf sein rechtes Handgelenk ausgeübt habe, während der Zeuge … schildert, den Kläger u.a. am Handgelenk fixiert, jedoch dort nicht bewusst Druck ausgeübt zu haben. Die Kammer ist als Ergebnis der Beweisaufnahme aber nicht davon überzeugt, dass ein bewusstes Zufügen von Schmerzen erfolgt ist.
129
Zunächst deutet hinsichtlich des PHM … ebenfalls nichts auf den bewussten Druck bestimmter Nervenpunkte zur Schmerzverursachung hin. Im Kern zeigt die vom Kläger eingereichte Videosequenz, dass der Beamte mit seinem linken Arm auf der rechten Seite des Klägers untergehakt ist; die rechte Hand hat PHM … an der rechten Hand des Klägers. Die rechte Hand des Klägers ist nach unten gebeugt (vgl. Sek. 1-4 der Videodatei „AN 15 K 24.621 Schmerzgriffe Video gesamt.mp4“).
130
Die Kammer kann auch offen lassen, ob dem Beugen der Hand eine spezielle Hebeltechnik zugrunde liegt oder ob die Hand schlicht zur Vermeidung eines Schlages gegen den Beamten festgehalten, mithin an einer Bewegung gehindert wird. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass PHM … die rechte Hand permanent in einer Weise bewusst überdehnt hätte, die für sich betrachtet, d.h. ohne Hinzutreten dritter Ursachen – das Verhalten des Klägers – zu Schmerzen geführt hat.
131
Überhaupt ist die Kammer nach der Beweisaufnahme nicht davon überzeugt, dass etwaige Schmerzen des Klägers – etwa auch im rechten Handgelenk – primär auf etwaiges Überdehnen des rechten Handgelenks zurückgegangen sind; es erscheint ihr schlüssig, dass das „gestützte Verbringen“ von der Straße ähnlich wie ein dem Willen des jeweils Betroffenen widersprechendes Wegtragen für sich betrachtet als unangenehm oder gar schmerzhaft empfunden werden kann. Darüber hinaus erscheint der Kammer durchaus plausibel, dass dem Kläger Schmerzen entstanden sein können; es erscheint ihr aber naheliegend, dass diese im Wesentlichen die Folge seiner Reaktion auf die rechtmäßige Polizeimaßnahme waren. Es ist für die Kammer nicht erkennbar, dass das Unterhaken bzw. der insb. zum Zweck der Eigensicherung erfolgte Griff des PHM … an das rechte Handgelenk des Klägers isoliert betrachtet besonders schmerzanfällig gewesen wären. Wenn die Schmerzen aber nicht ausschließbar im Wesentlichen auf sein eigenes Verhalten zurückgehen, kann von einer bewussten Schmerzzufügung durch PHM … nicht die Rede sein.
132
Eine ärztliche Untersuchung des Klägers im zeitlichen Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz ist nicht erfolgt. Es lag mehr als ein Jahr zwischen dem fraglichen Polizeieinsatz und der erstmaligen Darlegung, dass Schmerzgriffe eingesetzt worden seien. Der Kläger hat auch keine besonderen Verletzungen reklamiert, die spezifisch auf einen Schmerzgriff hindeuten würden. Die im Strafverfahren erkennbare Geltendmachung von Schmerzen im Bereich der Schultern und der Handgelenke erscheint recht unspezifisch.
133
Nach Angaben des Zeugen PHM … habe er mit seinem Griff den Unterarm des Klägers blockiert; nicht die Fixierung des Klägers führe zu Schmerzen, sondern etwaiges Fallen- bzw. Sackenlassen oder sonst passives Verhalten. Auch der Kläger sprach iRd. mündlichen Verhandlung davon, dass ihm PHM … möglicherweise unbewusst Schmerzen zugefügt habe.
134
Die Kammer hält den Vortrag des Zeugen PHM … für glaubhaft; sie hat keinen Anlass an seiner Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Er hat plausibel zum allgemeinen Ablauf von Einsätzen im Kontext von Blockaden der „Letzten Generation“ vorgetragen und seine Erinnerungen an den konkreten Einsatz nachvollziehbar geschildert. Die Aussage erschien der Kammer erlebnisbasiert. Der Zeuge führte widerspruchsfrei zum Kerngeschehen aus. Diverse Nachfragen der Klägervertreterin sowie der Kammer vermochte er sofort zu beantworten. Die Kammer erkennt kein besonderes Motiv des Zeugen, bewusst unwahr auszusagen. Einerseits hat er sich trotz Belehrung über seine Rechte zur Aussage entschieden. Andererseits hat die zuständige Staatsanwaltschaft das gegen ihn aufgrund des fraglichen Polizeieinsatzes geführte Strafverfahren eingestellt.
135
Die Erklärungen des Zeugen harmonierten mit dem in Augenschein genommenen Video des Klägers – insb. zeigt Sek. 1 der Videodatei „AN 15 K 24.621 Schmerzgriffe Video gesamt.mp4“ eindrücklich, dass beim Verbringen des Klägers von der Straße die eigene Kraftentfaltung der Polizeibeamten im Vordergrund stand, da der Kläger nicht eigenständig aufstehen wollte und sich unterhalb der Schwelle strafrechtlich relevanten Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gegen das Abführen sperrte.
136
Zuletzt erklärte der Kläger zwar, dass ihm Schmerzen entstanden seien und PHM … Druck auf sein rechtes Handgelenk ausgeübt habe; das Vorbringen erschien aber nicht übermäßig substantiiert. Zudem stellten er und seine Bevollmächtigte die Tatsachenausführungen des Zeugen iRd. mündlichen Verhandlung nicht in Abrede. Sie verlagerten ihren Vortrag im Kern dahin, dass die handelnden Polizeibeamten den Kläger hätten wegtragen können respektive müssen.
137
(d) Nach der Überzeugung der Kammer hat der Beklagte sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt (Art. 5 PAG); überdies erweist sich die Anwendung unmittelbaren Zwangs auch angesichts des gestuften Vorgehens als verhältnismäßig (Art. 4 PAG).
138
Der Beklagte verfolgte bei der Anwendung des unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Grundverfügung den legitimen Zweck, die oben geschilderten Gefahren zu beseitigen. Die ergriffene Maßnahme ist zur Erreichung des Zwecks auch geeignet.
139
Nach Auffassung der Kammer war das Handeln der Polizeibeamten auch erforderlich.
140
Erforderlich in diesem Sinn ist eine Maßnahme, wenn die Beamten kein anderes den Kläger weniger belastendes, gleich geeignetes Zwangsmittel hätten wählen können (stRspr, vgl. nur: BayVGH, U.v. 17.4.2008 – 10 B 07.219 – juris Rn. 17). Dabei ist nach Ansicht der Kammer zwischen dem eigentlichen Mittel der Anwendung unmittelbaren Zwangs – dem Abführen bzw. dem Wegtragen – und der Unterstützung der Durchsetzung des Mittels über Sicherungsmaßnahmen zu unterscheiden.
141
Vorliegend kann die Kammer mangels Anwendung von Nervendrucktechniken bzw. Schmerzgriffen im eigentlichen Sinn kein Stufenverhältnis zwischen dem offenbar für vorzugswürdig gehaltenen Wegtragen und dem Wegführen erkennen. Das Wegtragen erscheint der Kammer gegenüber dem Abführen nicht als ein milderes Mittel im genannten Sinn. Nach der Auffassung der Kammer besteht kein Anspruch, von der Straße getragen zu werden. Den Polizeibehörden steht bei der Auswahl zwischen den Mitteln des unmittelbaren Zwangs ein Ermessen zu; dabei gilt es ex-ante und ex-situatione zu entscheiden. Beim Treffen der Entscheidung können nach Ansicht der Kammer Erwägungen der Praktikabilität, erwarteter Gegenwehr, der Einsatzökonomie et cetera angestellt werden. Auch iRd. Wegtragens ist den Beamten zuzugestehen, dass sie in ihrer polizeilichen Einsatzpraxis Maßnahmen der Eigen- und Fremdsicherung ergreifen; beim Sich-Sperren gegen das Wegtragen dürften dem Weggetragenen ebenfalls Schmerzen entstehen. Gehen Schmerzen im Übrigen insb. auf das eigene Verhalten des Betroffenen iRd. Zwangsmittelanwendung zurück, kann dies die ex-ante und ex-situatione zu treffende Auswahl zwischen unterschiedlichen Zwangsmitteln nicht infrage stellen. Ein bestimmtes Zwangsmittel wird nicht deshalb zu dem verglichen mit einem anderen stärker belastenden Mittel, weil sich der Betroffene nach der Wahl in bestimmter Weise verhält.
142
Schließlich war die Anwendung des unmittelbaren Zwangs auch angemessen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Maßnahme außer Verhältnis zu ihrem Zweck bzw. Ziel gestanden hätte.
143
(d) Hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit der Kostenerhebung respektive der Rechtmäßigkeit der Forderung ist nichts zu erinnern.
144
Rechtsgrundlagen der Kostenerhebung für die Vornahme unmittelbaren Zwangs ist Art. 93 S. 1, 75 Abs. 3 Satz 1 PAG. Es handelt sich dabei um eine spezielle Vorschrift, die den Rückgriff auf die generelle Regelung zur Kostenfreiheit von Amtshandlungen der Polizei aus Art. 3 Nr. 10 lit. 1 BayKG ausschließt.
145
Der Kläger ist als Adressat des polizeilichen Zwangs gemäß Art. 75 Abs. 1, 3 PAG tauglicher Kostenschuldner.
146
Die Höhe der jeweils angesetzten Kosten erweist sich als rechtmäßig. Die in Rechnung gestellte Regelgebühr von 80,00 EUR ist nicht zu beanstanden: Sie wahrt hinsichtlich der Anwendung unmittelbaren Zwangs den Rahmen von 36 bis 500 EUR (vgl. 1 Nr. 8 PolKV). Die geltend gemachte Regelgebühr entspricht 2.1.2.3 (unmittelbarer Zwang) und 2.1.4 KR-Pol, Ziff. 50.2 Anl. KR-Pol (unmittelbarer Zwang). Zudem hat der Beklagte in Übereinstimmung mit § 2 PolKV keine Auslagen geltend gemacht.
147
Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der geltend gemachten Kosten hat die Kammer nicht:
148
Gegen die eingewandte Unverhältnismäßigkeit spricht im Ausgangspunkt, dass die absolute Höhe des geltend gemachten Betrages von 80,00 EUR nicht außerordentlich hoch erscheint.
149
Darüber hinaus führt aber auch die klägerische relative Betrachtung der Gegenüberstellung der Gebühr und des Aufwands des Beklagten – namentlich des geschätzten Zeitaufwands für die Anwendung unmittelbaren Zwangs – zu keinem anderen Ergebnis:
150
Indem der Kläger argumentiert, die Kostenerhebung erfolge nur für die Anwendung des unmittelbaren Zwangs – nicht auch die Absicherung, Vorbereitung et cetera – rekurriert er womöglich auf außerbayerische Rechtsprechung (etwa: VG Mainz, U.v. 27.4.2017 – 1 K 4/14.MZ – Ls. 3, Rn. 85ff), wonach Personalkosten und sonstige Fix- bzw. Sowieso-Kosten nicht dem Kostenbegriff des Erstattungsrechts unterfallen, wenn der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich normiert hat. Erstattungsfähig seien nur die „Mehrkosten“ der unmittelbaren Ausführung (VG Mainz U.v. 27.4.2017 – 1 K 4/14.MZ, BeckRS 2017, 148902 Rn. 87, beck-online). Allerdings ist insoweit zu beachten, dass der Beklagte vorliegend keine Zeitgebühr geltend macht. Mithin stellt sich nicht die Frage, ob er Zeiten der o.g. Sowieso-Kosten einberechnet hat. Hintergrund ist, dass der Freistaat mit im Einzelfall ermessensgerecht und adäquat zu bestimmenden Rahmengebühren iSv. Art. 93 Satz 4 PAG iVm. § 1 Nr. 8 PolKV arbeitet (VG Schwerin, U.v. 28.2.2018 – 7 A 550/17 SN – BeckRS 2018, 13969 Rn. 26). Zur gleichheitsgerechten Ausfüllung hat sich der Beklagte daneben die o.g. KR-Pol gegeben.
151
Unabhängig davon mag das Äquivalenzprinzip – die gegenüberstellende Betrachtung der „Leistung“ der Anwendung des unmittelbaren Zwangs sowie der in Rechnung gestellten Gebühr – als Ausfluss des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Gebührenbemessung dort eine Grenze ziehen, wo selbige in einem groben Missverhältnis zum Wert der abgegoltenen öffentlichen Leistung liegt. Indes ist dies nach Überzeugung der Kammer vorliegend nicht erreicht; im Übrigen handelt es sich beim hinter dem Äquivalenzprinzip stehenden Gedanken der Kostendeckung nur um einen der iRd. Kostenbemessung zu berücksichtigenden Belange (zum Ganzen: BeckOK PolR Bayern/Unterreitmeier, 24. Ed. 1.3.2024, PAG Art. 93 Rn. 15.1, 54).
152
Die Rechtsgrundlagen sehen hinsichtlich der Kostenerhebung kein Ermessen des Beklagten vor. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, weshalb die Erhebung der Kosten der Billigkeit widersprechen soll (Art. 93 Satz 5 PAG). Insofern ist das diesbezügliche Ermessen des Beklagten, aus Gründen der Billigkeit von der Kostenerhebung abzusehen, nicht eröffnet.
153
Als allgemeiner Rechtsgrundsatz ermöglicht Art. 16 KG Behörden, für den Fall der Unbilligkeit auf die Erhebung von Kosten zu verzichten. In Bezug auf polizeiliche Amtshandlungen findet dieser Grundsatz Niederschlag in Art. 93 S. 5 PAG und Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 S. 3 BayKG.
154
Die Billigkeitsklauseln ermöglichen es in Härtefällen, in denen die Kostenerhebung dem natürlichen Gerechtigkeitsgefühl widerspricht, von der Kostenerhebung abzusehen (BayVGH, U.v. 22.10.2008 – 10 B 08.1984 – juris Rn. 14). Die Möglichkeit des Billigkeitserlasses schafft auf der Ebene des Kostenrechts ein Korrektiv dafür, dass auf es auf der Primärebene polizeilichen Handelns auf die Veranlassung, nicht aber das Verschulden eines Störers ankommt (BeckOK PolR Bayern/Unterreitmeier, 24. Ed. 1.3.2024, PAG Art. 93 Rn. 71 mVa. BKK BayPAG Art. 76 Rn. 14 – zur alten Fassung des PAG).
155
In diesem Sinn wiederholt Nr. 2.1.3.1 BayKR-Pol, dass i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 S. 3 BayKG aus Gründen der Billigkeit von der Kostenerhebung abgesehen werden kann. Dazu führt die Anlage zu den BayKR-Pol Regelfälle des Billigkeitsverzichts auf (vgl. etwa Fn. 3, 15, 42 oder auch Ziff. 25.1 und 50.3). Die Ausnahmen der KR-Pol sind aber nicht abschließend (BeckOK PolR Bayern/Unterreitmeier, 24. Ed. 1.3.2024, PAG Art. 93 Rn. 6).
156
Vorliegend ist nichts ersichtlich, was die Unbilligkeit begründen würde. Insbesondere führt das Fernziel des Schutzes des Planeten im Allgemeinen respektive der Einwirkung auf Entscheidungsträger im Speziellen nicht zur Annahme eines Härtefalls, in dem die Kostenerhebung dem natürlichen Gerechtigkeitsgefühl widerspricht.
157
Es ist bereits keiner der Regelfälle der KR-Pol ersichtlich. Zudem ist auch kein ungeschriebener Verzichtsgrund erkennbar. Den Fallgruppen der KR-Pol ist gemein, dass der de iure Kostenpflichtige faktisch nicht hätte handeln können; es geht gleichermaßen typisiert um das Fehlen der (individuellen) Vorwerfbarkeit der tatsächlichen Veranlassung einer Maßnahme (z.B. Kostenfreiheit des Abschleppens und Verwahrens von KFZ, wenn das Parken des Fahrzeugs zunächst zulässig war und erst nachträglich verboten wurde (Ziff. 3.1 und 3.2 iVm. Fn. 3 Nr. 4 Anlage KR-Pol); Kostenfreiheit des Bergens und Bewachens von KFZ oder Sachen, wenn es dem Verfügungsberechtigten wegen Handlungsunfähigkeit nicht zumutbar war, diese selbst zu bergen/bewachen oder wenn es ihm unzumutbar war, diese durch Dritte bergen/bewachen zu lassen – etwa wenn die Wasserschutzpolizei bei der Rettung von Menschen aus Seenot gleichzeitig das Wassersportgerät birgt (Ziff. 14.1 Fn. 15 Nr. 1 Anlage KR-Pol); Kostenfreiheit der Anwendung unmittelbaren Zwangs bei der Verhinderung eines Suizidversuchs (Ziff. 50 Fn. 42 Nr. 2 Anlage KR-Pol); Kostenfreiheit unmittelbaren Zwangs, sofern der Betroffene aus tatsächlichen Gründen nicht in der Lage war, den Verwaltungsakt zu befolgen (Ziff. 50.3. Anlage KR-Pol). Dies erscheint auch sachgerecht, da das Absehen wegen Unbilligkeit in all diesen Fällen das oben beschriebene Gegengewicht dazu bildet, dass auf es auf Tatbestandsebene nicht auf Kategorien des Verschuldens bzw. der Vorwerfbarkeit ankommt. In Rede steht hier aber das zielbewusste Auslösen polizeilicher Maßnahmen. Insofern bedarf es keines Ausgleichs möglicherweise fehlender Vorwerfbarkeit auf Ebene der Kostenerhebung. Dies gilt auch, wenn man das Verhalten des Klägers von Art. 8 Abs. 1 GG umfasst sieht. Nach dem Vorbehalt aus Art. 8 Abs. 2 GG kann das entsprechende Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden – hier das BayVersG. Zudem geht es hier nicht um eine Erhebung von Kosten für die Wahrnehmung eines Grundrechts respektive die Inanspruchnahme von dessen Schutzbereich. Es geht um die zurechenbare Verursachung polizeilicher Amtshandlungen, die bei einem alternativen Verhalten nicht hätten ergriffen werden müssen – etwa die vorherige, freilich nicht nach Art. 8 Abs. 1 GG, sondern nur einfachgesetzlich (Art. 13 Abs. 1 BayVersG) gebotene Anzeige der Versammlung oder die Wahl eines Versammlungsmodus, der kollidierende Rechtsgüter wie die Grundrechte Dritter nicht derart gravierend beeinträchtigt hätte.
158
Unabhängig davon ob und inwieweit eine strafrechtliche Rechtfertigung überhaupt die Kostentragung ausschließen kann: Nach den schlüssigen Ausführungen des BayObLG kommt eine Rechtfertigung über Art. 20 Abs. 4 GG bei Blockaden des fließenden Verkehrs zum Zweck der Lenkung der medialen Aufmerksamkeit auf Themen des Umwelt- bzw. Klimaschutzes nicht in Betracht (BayObLG, B.v. 21.4.2023 – 205 StRR 63/23 – juris Rn. 39ff). Insb. richtete sich der klägerische Protest gegen die die konkrete Stelle passierenden Verkehrsteilnehmer – die für das von der Gruppe um den Kläger erkannte Defizit legislativer und exekutiver Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise, die die öffentliche Ordnung gefährden soll, aber nicht verantwortlich sind. Auch eine Rechtfertigung über § 34 StGB scheidet aus: Bezweckt ein Verhalten, das Rechtsgut Klima allein dadurch zu schützen, dass auf klimaschädliche Gefahren aufmerksam gemacht wird, um politischen Druck auszuüben und so umfassenderen Klimaschutz zu erreichen, ist die Eignung einer derartigen Notstandshandlung zweifelhaft. Fernziele finden iRd. Geeignetheitsprüfung iSd. § 34 keine Berücksichtigung (OLG Schleswig, U.v. 9.8.2023 – 1 ORs 4 Ss 7/23 – juris Ls. 5). Zudem hätten der Gruppe um den Kläger mildere Mittel zur Verfügung gestanden, um auf den politischen Meinungsbildungsprozess einzuwirken (BayObLG, B.v. 21.4.2023 – 205 StRR 63/23 – juris Rn. 43ff). Schließlich kommt eine Rechtfertigung durch „zivilen Ungehorsam“ nicht in Betracht (BayObLG, B.v. 21.4.2023 – 205 StRR 63/23 – juris Rn. 50ff m.V.a. BVerfG, U.v. 11.11.1986 – 1 BvR 713/83 – BVerfGE 73, 206-261, juris Rn. 93).
159
2. Angesichts des Vorstehenden erweist sich auch die zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage als unbegründet. Wie dargelegt sind sowohl die Grundverfügungen sowie deren Durchsetzung mittels unmittelbarem Zwang nach der Überzeugung der Kammer rechtmäßig erfolgt. Für die Feststellung einer Rechtswidrigkeit iSv. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist kein Raum.
II.
160
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
III.
161
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.